Thema mit Variationen für Streichquartett in Es‑Dur (WAB 210)

Kompositionsübung für Streichquartett

EZ: Frühjahr 1862 in Linz
Aut.: ÖNB‑MS (Mus.Hs.44706, Kitzler-Studienbuch)
ED: s. NGAAnton Bruckner. Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe. Hg. v. der Generaldirektion der Österreichischen Nationalbibliothek und der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Wien 1951ff. (Editionsleitung: Leopold Nowak, auch als Neue Gesamtausgabe bezeichnet)
NGA: Band XXV (Paul Hawkshaw/Erich Wolfgang Partsch, 2014; Faksimile)

Die Kompositionsübung im 2/4‑Takt in Es‑Dur auf S. 92 des Kitzler-Studienbuches stellt ein Thema aus zwei jeweils zu wiederholenden achttaktigen Perioden vor (der Diskant des auf S. 91 notierten Themas gleicht den ersten sechs Takten der 1. Violinstimme dieser Übung; auch die zweite achttaktige Periode weist idente Stellen auf). Bis S. 94 folgen elf Vorschläge für Variationen, wobei jeweils nur die ersten drei bis vier Takte notiert wurden. Die Abfolge der Variationen-Vorschläge folgt nicht den ausgeführten Variationen (mit demselben periodischen Aufbau inklusive Wiederholungen im Thema) auf den Seiten 95–104. Mit Bleistift wurde eine andere Variationenfolge in Erwägung gezogen.

Variation I (S. 95) greift den 2. Variationsvorschlag (S. 92) auf. Nach einer Sechzehntelpause stellt das Cello solistisch jenes Motiv vor, das imitatorisch durch alle Stimmen wandert. Ähnlich verfährt Bruckner im 2. Teil dieser Variation, wobei die 1. Violine den Nachsatz melodisch alleine bestreitet und die übrigen Stimmen die Begleitfunktion übernehmen.

Variation II (S. 96f.) bedient sich des Variationsvorschlages Nr. 3 (S. 93). Hier übernimmt die Viola die Führung, durchwegs sind Zweiunddreißigstelnoten zu spielen. Die übrigen Stimmen spielen mit ihren sparsam eingesetzten Achtelnoten eine untergeordnete Rolle. Auf S. 102 notierte Bruckner eine andere Version dieser Variation. Dazu änderte er die Melodie der Viola im letzten Takt der ersten achttaktigen Periode. In der 2. Periode eröffnet das Cello mit Zweiunddreißigstelnoten, im 2. Takt steigt die 2. Violine, im 3. Takt schließlich die 1. Violine mit Zweiunddreißigstelnoten ein. Nach dem 4. Takt, in dem von allen Stimmen Zweiunddreißigstelnoten zu spielen sind, bricht diese Variation ab mit den Worten „etc wie vorn“.

Variation III (S. 97f.) wird bestimmt von der rhythmischen Einigkeit der Außenstimmen. Cello und 1. Violine spielen einzelne durch Sechzehntelpausen getrennte Sechzehntelnoten, während die 2. Violine synkopisch dagegenhält. Verbindendes Glied ist hier die Viola mit Haltetönen. Am Ende der ersten achttaktigen Periode merkt Bruckner an, dass er den „Schluß verändert“ habe.

Variation IV (S. 98f.) steht als einzige in einer anderen Tonart – in es‑Moll, vergleiche auch Entwurf Nr. 6 auf S. 93. Sie erhielt außerdem als einzige eine Vortragsbezeichnung („Ada[gi]o“). Die Solostimme wird der 1. Violine zugewiesen, die übrigen Stimmen begleiten über weite Strecken im selben Rhythmus. Wie in Variation II sind oft nur einzelne Achtelnoten in der Begleitung vorgesehen. Die Solostimme ist dagegen sehr virtuos angelegt, es finden sich vereinzelt Artikulationsangaben bzw. Doppelschlag-Zeichen als Ornament. Auf S. 102f. notierte Bruckner eine weitere Variation in es‑Moll, die mit jener von S. 98f. bis auf die Anfangstakte nur mehr wenig gemein hat. Die motivische Arbeit ist wesentlich differenzierter, wenn die 2. Violine in Gegenbewegung zur 1. Violine oder abwechselnd Viola und 2. Violine Durchgänge mit dem Cello spielen.

Variation V (S. 99) wechselt wieder zurück zur Ausgangstonart Es‑Dur und ist lt. Bruckner „sehr frei“ auszuführen. Die 1. Violine spielt – lediglich um eine Oktave höher – exakt das Thema von S. 92. Die anderen drei Stimmen wurden von Bruckner in Rhythmus und Harmonisierung variiert. Auf S. 105 steht eine weitere Version der Variation V. Auch hier spielt die 1. Violine wiederum das oktavierte Thema von S. 92. Nur die Begleitung der übrigen Stimmung wurde verändert.

Variation VI (S. 100) stellt insofern einen dreistimmigen Satz dar, dass 1. Violine und Viola dieselbe Stimme spielen. Das Cello begleitet durchgehend in Sechzehntelnoten, die 2. Violine eilt in unterbrochenen Pendelbewegungen in Zweiunddreißigstelnoten mit.

Auf S. 101 könnte eine weitere Variation geplant gewesen sein, sie wurde aber nicht als solche beschriftet. Es finden sich mehrere Korrekturen mit Bleistift sowie ein gestrichener Takt, der durch den Einschub von weiteren vier Takten ersetzt wurde.

Literatur

ANDREA SINGER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 11.6.2019

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Quellen (Werkverzeichnis)

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ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft