Der Musikant Gottes

Theaterstück von Victor Léon und Ernst Decsey (Literatur). Die Uraufführung fand Ende Oktober/Anfang November in Reichenberg (Liberec/CZ) mit Otto Frieberg in der Rolle Bruckners statt (Der Humorist 44 [1924] Nr. 21, S. 3). Die Aufführung am 17.12.1924 mit Hauptdarsteller Wilhelm Klitsch (1882–1941) am Klagenfurter Stadttheater (in der Presse als Uraufführung angekündigt; vgl. Freie Stimmen 17.12.1924, S. 3) muss daher als österreichische Erstaufführung gewertet werden (Denscher, S. 438). In kürzester Zeit folgten an anderen Bühnen (u. a. im Wiener Stadttheater) mit großem Erfolg Wiederholungen.

Mit den Vier volkstümlichen Bildern aus dem Leben Anton Bruckners und Musikeinlagen aus Bruckner-Werken schufen die Autoren auf der Grundlage eines Feuilletons von Decsey ein populäres, triviales Porträt in Gestalt eines „Hybridschauspiels aus Volksstück und Operette“ (Schmidl/Partsch, S. 12). Mehrere Elemente verweisen in den Bereich der Operette, namentlich auf Der fidele Bauer (Libretto von Léon 1907) von Leo Fall (1873–1925). Dem Erfolg des Musikanten Gottes im deutschsprachigen Raum standen auch heftige kritische Stimmen gegenüber. Der Handlungsablauf basiert auf historisch unrichtigen Details und liefert ein Klischeebild des naiven, tollpatschigen, ländlichen und tiefgläubigen Komponisten. Schon der erste Auftritt der Hauptfigur zeigt deutlich diese Tendenz: „Bruckner (kommt durchs Tor: Lodenanzug, lange Hose. Joppe, breiter Hut mit breitem, grünem Band; er ist etwa 30 Jahre, sieht aber jünger aus; frisch, derb, gemütlich, offenherzig, naiv, unterwürfig und von katholischer Frömmigkeit): ‚Gloria in excelsis Deo!‘“ Die sparsam eingesetzten Musiknummern sollen für den Protagonisten Authentizität vermitteln.

Aus einem Artikel Decseys über die Entstehungsgeschichte (Neues Wiener Tagblatt, Wochenausgabe 26.1.1924, S. 3f) geht der bewusste Wille zur Popularisierung hervor. Es wurden dabei bestimmte Muster zu einem kompakten, leicht fasslichen Bild gepresst, das konservativ-katholischen Strömungen in den 1920er Jahren entgegenkam und insgesamt die Popular-Rezeption Bruckners nachhaltig stark beeinflusste (vgl. Partsch 1988).

Das vom Theaterstück namentlich ableitbare Klischeebild als populäre Formel ist bis heute noch zum Teil im (journalistischen) Schrifttum vorhanden und stützt sich lediglich auf bestimmte biografische Prämissen (Gebetsaufzeichnungen, Aussprüche, Verhaltensweisen). Von Freunden und der Nachwelt – größtenteils aus apologetischen Gründen – übersteigert bzw. manipuliert, entstand ein metaphysisch getöntes, bequem rezipierbares Künstlerbild.

Von der neueren Forschung wird die Steuerung dieses Bildes schon durch Bruckner selbst hervorgehoben (vgl. Antonicek; Kantner; Partsch, in: Bruckner – skizziert). Besonders gefährlich und missverständlich erweist sich der Musikant Gottes in seiner Anwendung auf das musikalische Schaffen (z. B. die Auffassung der Symphonien als „Sprossen einer Himmelsleiter“ [Göll.-A. 4/1, S. 565] oder als „heiligmäßig“). Eine solche einseitige weltanschauliche Fixierung erweist sich nicht bloß als unhaltbar, sondern verstärkt im scheinbaren Wissen um den Komponisten Widerstände gegen das künstlerische Werk.

Literatur

ERICH WOLFGANG PARTSCH

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 20.5.2020

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