Stadttheater (Ronacher), Wien
Seilerstätte 9, 1. Bezirk, Wien. In dem 1871/72 durch Ferdinand Fellner d. Ä. (1815–1871) nach den Wünschen von Heinrich Laube (1806–1884) und Max Friedländer (1829–1872) als „Wiener Stadttheater“ im sogenannten „Strengen Historismus“ errichteten Bau wurde am 16.5.1884 durch einen Brand die gesamte Innenausstattung zerstört. Ferdinand Fellner d. J. (1847–1916) und Hermann Helmer (1849–1919) errichteten 1887/88 für den Theater- und Vergnügungsunternehmer Anton Ronacher (1841–1892) an der Stelle eines Teiles des alten Theaters das „Konzert- und Ballhaus Ronacher“, das Theater- und Ballsaal, Hotel, Restaurant und Kaffeehaus vereinigte. Der aus dieser Zeit stammende Zuschauerraum mit bemerkenswerten Dekorationsmalereien (von Eduard Veith [1858–1925] und Franz Angelo Rottonara [1848–1938]) und reichem, teilweise vergoldetem Stuck (Rocaillen, Putten, Genien, Baldachine, Vögel etc.), das Vestibül, das Treppenhaus und die Pausenräume sind erhalten.
In der Folge wurde das Gebäude vielfach und verschiedenartig genutzt: für den jungen österreichischen Hörfunk, als Varietétheater, als Nachkriegs-Ausweichquartier des Burgtheaters (1945–1955), sowie als Studiobühne des Fernsehens. Seit 1989 gehört das Haus zu den „Vereinigten Bühnen Wien“; nach einer Generalsanierung 1992/93 unter Luigi Blau (* 1945) wird das Ronacher wieder als Theater (hauptsächlich für Musicals) bespielt.
Bruckner geriet am 16.5.1884, dem Tag des Theaterbrandes, auf seinem Weg durch den Stadtpark in die Innenstadt zufällig in den Strom der an den Schauplatz des Unglücks drängenden Menschenmenge. Hier traf er seinen Universitätsschüler Friedrich Eckstein, mit dem zusammen er trotz seines Entsetzens abwartete, bis der letzte eingeschlossene Mensch gerettet war. Das anschließende Gespräch im Café Europe am Stephansplatz begründete die dauerhafte Freundschaft zwischen Bruckner und Eckstein.
Am 28.10.1896 fand im Ronacher um 20:30 Uhr der Trauercommers des Wiener Akademischen Gesangvereines statt. Theodor Reisch (Nachlass) stellte dafür die lebensgroße Bruckner-Büste Viktor Tilgners zur Verfügung. Vorstand Karl Pany (1867–1914) eröffnete mit zwei Strophen des Gaudeamus (2. Strophe: „Ubi sunt, qui ante nos [...]“, 3. Strophe: „Vita nostra brevis est […]“) und begrüßte die Ehrengäste (darunter den Rektor der Universität Wien, Simon Leo Reinisch [1832–1919], Ernest Finger [1856–1939], Carl (?) Toldt [1840–1920]?, Albrecht Penck [1858–1945]), die akademischen Verbindungen (Silesia, Alemannia, Saxonia) und die „wehrhaften Vereine“ (Arminia, Rabenstein, Nordmährer). Hierauf wurden Beileidskundgebungen verlesen. Franz Schaumann würdigte in einer weit ausholenden Gedächtnisrede die Verdienste des Verstorbenen, Vorstand Pany kommandierte den „Trauersalamander“ (eine besondere Form der alten akademischen bzw. studentischen Trinkkultur) und Reinisch sprach „über seine Beziehungen zu Anton Bruckner, mit dem ihn die engste Freundschaft verknüpft hatte.“ (Göll.-A. 4/3, S. 605). Am Ende des Trauercommers, gegen 23:00 Uhr, wurde das Bundeslied Sind wir vereint gesungen.
Literatur
- Jahresbericht des Wiener Akademischen Gesangvereines 39 (1896/97) S. 9–18
- Neues Wiener Journal 15.10.1914, S. 6 [ad Karl Pany]
- Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 4/2, S. 172f., und 4/3, S. 602–605
- Art. „Ronacher“, in: CzeikeFelix Czeike (Hg.), Historisches Lexikon Wien. 6 Bde. Wien 1992–2004. Online abrufbar unter: 4 (1995), S. 691
- Andrea Harrandt, Art. „Ronacher, Etablissement“, in: www.musiklexikon.ac.at [7.2.2017]