Literatur, Bruckner in der

Um die Gestalten großer Künstler rankt sich zumeist ein dichter Kranz von sogenannten Künstlerromanen, von Theaterstücken oder Huldigungsgedichten. So auch bei Bruckner: Seine Persönlichkeit und/oder sein Werk inspirierten Autoren unterschiedlichster „Herkunft“ zu Gedichten, Erzählungen, Romanen und auch Theaterstücken, wie z. B. den für die Bruckner-Rezeption so unheilvollen „volkstümlichen Bildern mit Musik“ Der Musikant Gottes von Victor Léon und Ernst Decsey. Nicht nur diese mehr oder weniger künstlerischen Produkte unterliegen naturgemäß dem Zeitgeschmack, auch ihre Beurteilung ist einem Wandel unterworfen. Bedingt nicht zuletzt durch den Generationsunterschied der Autoren kommen in diesem in selbständige (und auch selbstverantwortete) Teile getrennten Stichwort (Lyrik, Prosa, Drama, Opernlibretto) durchaus verschiedene Positionen zum Ausdruck.

Lyrik

Wer über Bruckner arbeitet, ist heute dahingehend sensibilisiert, in der Literatur über Verzeichnungen des Bruckner-Bildes (vgl. Bruckner – skizziert) hinwegzulesen und den brauchbaren Inhalt herauszufiltern. Gedichte, die Bruckners Leben, seine Persönlichkeit und sein Werk thematisieren, haben mit dem in Fachkreisen gleichfalls verpönten Genre der Anekdote gemeinsam, dass in ihr die subjektive Sicht der Tradierenden/Rezipienten als maßgeblich zum Tragen kommt. Es versteht sich fast von selbst, dass Gedichte auf einen großen Künstler fast ausschließlich Lob, dankbare Erinnerung, Verehrung oder den Ausdruck der durch seine Werke hervorgerufenen Emotionen zum Inhalt haben. Diese Gedichte blicken auf eine lange Tradition seit der Antike zurück.

Der bisher bekannte Bestand an Gedichten über Bruckner beträgt etwa 280 Arbeiten von rund 110 Autoren. In einigen wenigen Gedichten ist Bruckner neben anderen Geistesgrößen genannt; die meisten der hier gezählten haben jedoch ausschließlich ihn zum Gegenstand.

Bei rund der Hälfte der Autoren handelt es sich um in der Literaturszene bekannte, ja zum Teil sehr bekannte Namen, wie Franz Karl Ginzkey (1871–1963), Arthur Fischer-Colbrie (1895–1968), Robert Hohlbaum (1886–1955), Otto Jungmair (1889–1974), Karl Kobald, Georg Kreisler (1922–2011), Ernst Lissauer (1882–1937), Vinzenz Oskar Ludwig (1875–1959), Trude Marzik (* 1923), Max von Millenkovich, Edward Samhaber (1846–1927), Georg Strnadt (1909–1980), Josef Weinheber (1892–1945) u. v. a. m.

Die zweite Gruppe stammt aus dem Kreis der Bruckner-Zeitgenossen, der Freunde und Verehrer (auch aus späteren Generationen) und ist ebenso durch andere Veröffentlichungen aus dem Bruckner-Schrifttum bekannt, darunter etwa Max Dehnert (1893–1972), Gabriel Engel, Fritz Grüninger, Karl Viktor Hruby, Moritz Edler von Mayfeld und Herbert Vogg.

Dazu kommen noch „naive“ Bruckner-Liebhaber (auch der Gegenwart), die sich aus einem persönlichen Bruckner-Hörerlebnis heraus, beeinflusst von vorgegebener Bruckner-Literatur, schriftlich auszudrücken versuchen. An die Produktionen der Letztgenannten dürfen natürlich keine strengen literarischen Qualitätsmaßstäbe angelegt werden; von ihrem Impetus her ernst zu nehmen sind jedoch auch diese Zeichen der Verehrung und Bewunderung.

Charakteristisch ist die Herkunft der Autoren: Sie stammen aus einem lokal begrenzten Gebiet, wobei die Österreicher (auch Alt-Österreicher) und hierunter besonders die Oberösterreicher dominieren. An nächster Stelle folgen Autoren aus Deutschland.

Die hier untersuchten Gedichte entstanden im Zeitraum 1864–2005. Nicht von ungefähr stammt der größte Anteil aus den Jahren 1920–1929, in die sowohl der 100. Geburtstag als auch der 25. Todestag Bruckners fielen. In den folgenden beiden Jahrzehnten – bis etwa zum Ende des Zweiten Weltkrieges – blieb die Produktion relativ dicht, nach 1950 ist ein krasser Rückgang zu registrieren, was offensichtlich mit der Ablehnung der ideologischen Vereinnahmung Bruckners im Dritten Reich (Nationalsozialismus) zusammenhängt. Einen Sonderfall stellt die aus der Feder des ehemaligen Linzer Bürgermeisters Hugo Schanovsky (1927–2014) stammende Sammlung von 42 Prosagedichten über Bruckner dar (1994).

Bei den Gedichten kommen überwiegend bekannte literarische Topoi zum Einsatz. Die Themenkreise können wie folgt umschrieben werden: 1. Natur, Umwelt, Heimat, Volk; 2. Äußere Erscheinung, Lebensart und Charaktereigenschaften Bruckners; 3. Religiöses; 4. Das „Künstlerschicksal“.

1. Natur, Umwelt, Heimat, Volk

Die meisten Gedichte drücken den Stolz auf den großen Sohn der Heimat aus, meist in sehr treuherziger, naiver Diktion („Unsern Kindern, Kindeskindern / Tön‘ es zu, posaunengleich: / Anton Bruckner war der größte / Stern aus Oberösterreich!“ Goldbacher). An literarischer Qualität herausragend sind nur wenige Gedichte, wie z. B. der berühmte Achtzeiler von Edward Samhaber Was einem Sonntagskind die Waldung rauscht. In den meisten Gedichten wird Naturbezug zu Naturmystik stilisiert. Da ist von „des Allstroms Raunen“ die Rede, von Bruckner als der „schönsten Blume, die aus Gottes Launen sich je erwuchs“, von Bruckner, der „das Heil in neuen Urweltworten“ bringe (Fladt). Bruckner ist das „Samenkorn aus Gottes Hand“ (Jungmair 1927), das im heimatlichen Ackerboden Frucht bringt. Er schreitet beim Orgelspiel „hart über Feld“, dieweil „der Acker dampft“, er lässt „die Schollen dröhnen, die Furchen schallen, / Hoch, ein werkender Bauer, schreitet er aus, in ackerndem Sieg, / Er wühlt aus dem Boden Ton, er pflügt Musik“ (Lissauer). Einen treffenden Katalog aller „Versatzstücke“, die in diesen heimatbezogenen Gedichten verarbeitet wurden, gibt Millenkovich im Refrain seines Gedichtes Festspruch (1924): „Waldesrauschen, Vogelsang, Orgelton und Glockenklang, Abendsonne, Morgenluft, Kirchendämmer, Weihrauchduft“. Auch bei Millenkovich tritt uns Bruckner als „Sohn der Erde, Bauernkraft im Blute“ entgegen; eine vorhergesetzte und pauschal konstatierte (analytisch jedoch nicht verifizierbare) Naturnähe der Bruckner‘schen Musik wird zu einer ethischen Komponente, in der sich der Hörer „gesund baden“ soll.

Manche Autoren (Dehnert, Ernst Kratzmann [1889–1950], Paul Schaal, Carl Anders) sprechen ein „kosmisches“ Element in der Musik Bruckners an, und sehen diese als Zeugin des ersten Schöpfungstages oder als Weitung ins All. Das bisher jüngste Gedicht in dieser Reihe entstand 1979 (Hermann Schramayr) anlässlich der ersten Linzer Klangwolke im Donaupark (Internationales Brucknerfest Linz): „Bruckner, jetzt ist dein jüngstes Gericht / du erstehst in Musik und magischem Licht, / Tosend durchbricht mit herrlicher Macht / heut‘ deine ‚Achte‘ die stählerne Nacht, / aus allen Fenstern ertönt die Musik, / Brucknerstadt Linz, du lächelst vor Glück.“ In geradezu verblüffender Weise wurden hier alle typischen Versatzstücke aneinandergereiht – seit 100 Jahren hat sich nichts geändert, nur die Natur wurde durch die Technik ersetzt.

2. Äußere Erscheinung, Lebensart und Charaktereigenschaften Bruckners

Die Aussagen der verschiedenen Poeten sind hier noch einheitlicher als in Abschnitt 1. Bruckners Herz ist „mild, sein Sinn so rein, so schlicht“, jedoch steht er „als ein Fels im Meer“, ein „edler Barde“ (Karl Kerschbaum 1886), er ist „naiv wie Kinder“ (Goldbacher), „ein Kind sein Leben lang und doch ein ganzer Mann“ (Haberl), der mit seinen „Bauanhent / de schtean fon unsan fiamament“ holt (Strnadt). Bruckner ging „bescheiden, ungekannt und menschenferne“ durchs Leben (Anonymus), ist bang, verzagt und mutlos (Jungmair 1947), andererseits „nach innen lebend, stark wie Wald und Berg“ (Kobald). Er erscheint als Siegfried (Weil), als ein „Kämpfer ohne Waffen“ (Laux) oder als „Einfalt du, o arm Gefäß“ (Vernekohl). Auch vor kruden Absonderlichkeiten scheuen manche Autoren nicht zurück. So wird der Leser bei Lissauer in kunstvoll expressiver Sprache davon informiert, dass Bruckner in Ermangelung eines Besteckes sein Sauerkraut mit der Stimmgabel aß („Scherzo vom Nachtmahl“), einen Schlapphut trug, heftig transpirierte und Haare in den Ohren hatte; letzteres, wohlgemerkt, in einem Gedicht mit dem Titel „Offenbarung“.

3. Religiöses

Das berühmte – anlässlich der Uraufführung der Messe in d‑Moll 1864 entstandene – Gedicht Mayfelds „Von der Gottheit einstens ausgegangen“, dem trotz des zeitüblichen Pathos ruhige Würde eignet, gebraucht den alten theologischen Topos von dem von Gott herniedersteigenden verkündigenden Wort, das den Menschen zu Gott zurückführen soll. Bald, spätestens nach Bruckners Tod, setzte jedoch eine fatale Stilisierung ein, die für die nächsten Jahrzehnte bestimmend bleiben sollte: eine Melange aus christlichen und germanisch-mythologischen Elementen. Bruckner wurde zur messianischen Figur, an die man sich fast anbetend wandte, so z. B. Fladt: „Du bist der Dom [...] die Orgel [...] die Wolke [...] die Weihe [...] das Wunder [...] die Seele [...] der Quell [...] die schönste Blume [...] die Gnade [...] die Helle [...]“ usw. Eine neckische Variante dieser Stilisierung ist Bruckner, kahlen Hauptes, als „der kleine Sterneringer“, der aber – in der Diktion kündigt sich das nahende Unheil schon an – seine goldene Leiter baut, „auf der der deutsche Geist zum Himmel steigt“ (Hohlbaum). Manchmal wird Bruckner unverhohlen in priesterlicher Funktion geschildert („Meister Heiliger, österreichischer Psalmist, zelebrierend klingend hohe Messe, Priester, aus eigenen Weihen geweiht, Bischof der Orgel, Abt der Bässe [...]“, Lissauer). Signifikante Belege für die Gleichsetzung Künstler/Priester, Kunst/Religion (ergo Kunstreligion!), Publikum/gläubige Gemeinde bzw. die „Kanonisierung“ Bruckners finden sich bei Maurice Reinhold von Stern bzw. bei Hohlbaum. Bruckner ist Prophet (Jungmair 1947), das „letzte Siegel urgewisser Ewigkeit“ (Kratzmann) und wird gleichgesetzt mit Weisheit/Gesetz, Inkarnation, Sakrament usw. Erst in unseren Tagen hat Bruckner endgültig die Divinisation geschafft: In einem Gedicht (um 1980) von David Radavich (* 1949) ist er nicht mehr nur Prophet oder Heilsbringer, sondern wird zum Gott erhoben: „I demand the last word on Anton Bruckner! / He‘s my god, after all“.

4. Das „Künstlerschicksal“

Die Darstellung des Themenkreises Künstlertum/Inspiration/Schaffensvorgang innerhalb des vorliegenden Materials ergibt ein nahezu einheitliches Bild, das in allen Zügen den gängigen Trivialschemata entspricht; wenige Ausnahmen fallen desto positiver auf.

Bereits zu Lebzeiten Bruckners, erst recht in den ersten Jahren nach seinem Tod wurde die Polarisierung Künstler / verständnislose Umwelt bzw. Kritik zum Inhalt von poetischen Produkten gemacht (Kerschbaum 1886; Anonymus; Hruby). Bruckners Musik zu lieben hieß, zu einer kleinen eingeweihten Gemeinde zu gehören („Geb‘ das Geschick, daß Wen‘ge Dich verstehen! / Gemeinverständlich sein – heißt untergehen“, Hruby). Hier muss angemerkt werden, dass diese Haltung unter Umständen vielleicht sogar Bruckners eigener Sicht entsprach („das Finale […] gilt nur späteren Zeiten und zwar für einen Kreis von Freunden und Kennern“, Bruckner 1891 an Felix Weingartner [Briefe II, 910127/2]).

Eine drastische Schilderung des Inspirations- und Kompositionsvorgangs, der weit eher einer schweren gastro-intestinalen Störung gleicht als einem geistigen Prozess, gibt Lissauer: „Und fühlt sich schwellen dennoch dumpf von Klängen, / Die hart anschlagen wider des Leibes Wand, / Und drängen, ihn zu dehnen und zu sprengen, / Die Seele bebt, zerreißlich angespannt, / Da, noch gebückt den stumpfen Rücken, / Da muß er donnern, und er selbst erschrickt, / Fahl Wändeblitze aus ihm zittern“ usw.

Häufig wird der Topos „Per aspera ad astra“ angesprochen (so von Max von Millenkovich in seinem Festspruch, 1924).

Resümee

Obwohl das hier zwangsläufig so komprimiert vorgestellte Material überwiegend nicht die Ergriffenheit, sondern eher die Erheiterung des heutigen Lesers zur Folge hat, obwohl Weihestimmung zumeist in Kitsch und vermeintliche Expression des Ausdrucks in geschmacklose und drastische Groteske zu entarten das Unglück hatten, ist es mit bloßem Hohn hier nicht getan. Alle diese – zumindest für unser heutiges Empfinden – kaum noch ertragbaren lyrischen Äußerungen waren Ausdruck der Verehrung, der Dankbarkeit, des Sich-beschenkt-Wissens durch einen großen Künstler. Das Moment des Sich-Anbiederns, wie es in Anekdoten so häufig der Fall ist, fehlt bei den vorliegenden Gedichten fast völlig. Der literarisch nicht nur dürftige, sondern meist geradezu niederschmetternde Befund weist auf die zugrundeliegende Tatsache hin, dass sich jede subjektive deskriptive Annäherung an ein großes Kunstwerk letzten Endes dem Ins-Wort-Bringen entzieht, insofern es sich bei dem Beschreibenden nicht um einen ebenbürtigen Künstler handelt.

Quellen
  • Akademie zum Besten des Linzer Verschönerungs-Vereines und des Linzer Bruckner-Denkmal-Fondes im Landschaftlichen Theater in Linz am 17. und 18. Mai 1900. [Linz 1900], S. 17 [Anonymus, Huldigung an Bruckner]
  • Carl Hruby, Meine Erinnerungen an Anton Bruckner. Wien 1901, S. 3 [Carl Hruby, An der Bahre Anton Bruckners]
  • Ernst Lissauer, Gloria Anton Bruckners. Verse und Prosa. Stuttgart 1921
  • Bruckner-Gedenkfeier in Steyr. Steyr, 17. Oktober. [Gregor Goldbacher, Festgedicht], in: Steyrer Zeitung 18.10.1921, S. 1
  • Max Auer, Bruckner (Almathea-Bücherei 33/34). Wien 1923, S. 15f. [Maurice Reinhold von Stern, Anton Bruckner]
  • Robert Hohlbaum, Bruckner, in: Der getreue Eckhart 1 (1923/24), S. 645
  • Franz Gräflinger, Bruckner-Denkmalenthüllung in Ansfelden. [Hans Haberl, Anton Bruckner!], in: [Linzer] Tages-Post 21.5.1924, S. 4f.
  • Max Morold [eigentl. Max von Millenkovich], Festspruch (Anton Bruckner), in: Der Kunstgarten. Wiener Volksbildungsblätter 2 (Juni 1924) H. 9, S. 324ff.
  • Heinrich Weil, An Meister Anton Bruckner, in: Musica Divina 12 (1924) H. 3, S. 87
  • Otto Jungmair, Präludium, in: Deutsche Klangwelt. Zeitschrift für Musik 94 (1927) H. 11, S. 674
  • Wilhelm Fladt, Hymne an Anton Bruckner, in: 1. Badisches Brucknerfest in Karlsruhe 6.–10.11.1929 (Sondernummer der Karlsruher Wochenschau), S. 26
  • Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 3/1, S. 296 [Moritz Edler von Mayfeld, „Von der Gottheit einstens ausgegangen“], 635 [Edward Samhaber, Anton Bruckner]
  • Wilhelm Vernekohl, Anton Bruckner, in: Welser Anzeiger 12.6.1937
  • Karl Laux, Anton Bruckner. Leben und Werk. Leipzig 1940, S. 5 [Karl Laux, Bekenntnis]
  • Ernst Kratzmann, Anton Bruckner. In memoriam, in: Der getreue Eckhart 18 (1940/41) H. 1, S. 92
  • Otto Jungmair, Berufung, in: Heimat-Kalender für Oberösterreich. Ried 1947, S. 44
  • Karl Kobald, Anton Bruckner, in: Konzertblatt der Gesellschaft der Musikfreunde 3 (1948/49) H. 2, S. 1
  • Georg Strnadt, Aus da mitlan Lod. Wien–München 1965, S. 40 [Georg Strnadt, Anton Bruckner]
  • Hermann Schramayr, Zu Anton Bruckners 8. Symphonie, in: Kunstkalendarium. Linz 1980, Nr. 3, S. 48
  • David Radavich, riding high [um 1980 zur 1. Linzer Klangwolke; s. Bruckner im GedichtRenate Grasberger/Elisabeth Maier/Erich Wolfgang Partsch (Hg.), Anton Bruckner im Gedicht. Ein Rezeptionsphänomen (Anton Bruckner. Dokumente und Studien 16). Wien 2005, S. 92]
Literatur

ELISABETH MAIER

Prosa

Die Verarbeitung Bruckners als literarische Gestalt spielt mit zweierlei Motiven, dem des „hässlichen Entleins“, das sich zuletzt als strahlender Schwan entpuppt, und dem als „typisch österreichisch“ erachteten Motiv des „verkannten Genies“, das trotz widriger Verhältnisse und äußerster Selbstbeschränkung seine Möglichkeiten ausschöpft, um letztlich späte Anerkennung zu erringen, analog zu der lateinischen Redewendung „per aspera ad astra“. Formal kann zwischen Romanen und Erzählungen über Bruckner unterschieden werden. Beide Untergattungen können sowohl auf biografische als auch auf musikalische oder auf beide Aspekte zugleich fokussiert sein und Bruckner entweder als Haupt- oder als Nebenfigur oder als literarische Vorlage für eine Figur anderen Namens behandeln. Aber auch Oswald Panagls Vorschlag, Musikerromane nach ihren Intentionen zu ordnen, ist ein durchaus brauchbarer Ansatz: ob sie bisher wenig beachtete Züge in Persönlichkeit und Leistung eines Künstlers freilegen, ob sie sich um die Wiederentdeckung oder gerechte Würdigung eines verschollenen oder verkannten Künstlers bemühen oder ob sie ein Versuch des Autors sind, eigene Lebensprobleme auf eine fremde Biografie zu projizieren (vgl. Panagl).

Lediglich Erwähnung findet Bruckner in vier weltliterarisch bekannten Werken: in Thomas Manns (1875-1955) Musikerroman Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde (1947) verweist der Organist Wendell Kretzschmar seinen Schüler Adrian Leverkühn sowohl auf Brucker als Symphoniker als auch auf dessen Freude an bloßen Dreiklängen, in Friedrich Dürrenmatts (1921–1990) Kriminalroman Justiz (1985), wo seine Siebente Symphonie allerdings nur als Hintergrundmusik dient, in Thomas Bernhards (1931–1989) Roman Alte Meister. Komödie (1985), wo der Musikphilosoph Reger Bruckners Frömmigkeit, Begabung und Musik heftig kritisiert, und in Elfriede Jelineks (* 1946) Roman Die Klavierspielerin (1983), wo Erika Kohut ihrem Schüler Walter Klemmer sehr widersprüchliche Anweisungen über einen richtigen Zugang zu Bruckners Musik gibt.

22 Jahre nach seinem Tod war Bruckner erstmals Vorbild für einen Musikerroman, der jedoch keine biografische Aufarbeitung sein wollte, sondern lediglich von ihm inspiriert war. Der gleich nach dem Ersten Weltkrieg erschienene Roman Das Brausen der Berge (1918) von dem unter Einfluss von Kants und Weiningers Philosophie stehenden Schriftsteller Emil Lucka (1877–1941) handelt von zwei sensiblen, freundschaftlich miteinander verbundenen Ausnahmemenschen, dem Tiroler Komponisten Kapruner, einem Anagramm, hinter dem sich der Name Bruckner verbirgt, und dem armen Bauernbuben Veit Volderauer. Beide verschlägt es nach Wien, um am Ende enttäuscht vom Großstadtleben wieder in die Bergwelt Tirols zurückzukehren.

Fünf Jahre später erschien Bruckner, eine biografische und musikzentrierte populärwissenschaftliche Darstellung (Biografien) des oberösterreichischen Lehrers, Musikers und Brucknerforschers Max Auer, der auch die Fertigstellung der umfangreichen Bruckner-Biografie des zur selben Zeit verstorbenen August Göllerich bewerkstelligte und die Internationale Bruckner‑Gesellschaft gründete, der er als erster Präsident vorstand. Das kompakte, einbändige und schon 1923 auf den Markt gebrachte Bruckner-Buch soll – laut Auers Vorwort – Forschungsergebnisse über Leben und Werk des Komponisten auf verständliche Weise für Kunstjünger, Musikfreunde und weitere wissenschaftliche Forschungen aufbereiten, wobei allerdings nicht näher auf Bruckners unveröffentlichte Jugendwerke eingegangen und kleinere, veröffentlichte Chorwerke im Anhang besprochen werden, auf eine gesondert erschienene, ausführliche Behandlung der kleineren geistlichen Werke hingewiesen wird und sich Auer hauptsächlich auf das von August Göllerich zusammengetragene Quellenmaterial, aber auch auf andere ihm zugängliche Unterlagen stützte. Die biografischen Hintergründe sind dabei eher kurz, aber sehr informativ skizziert, während auf die Symphonien sehr ausführlich eingegangen wird, wiewohl im Vorwort eine Kurzcharakteristik der Werke angekündigt und deren Symbolcharakter sowie die Subjektivität jeglicher sprachlicher Darstellung von Musik hervorgehoben wird. Diese selbstkritische Haltung erklärt, warum Auer seine Musikbeschreibungen zusätzlich mit zahlreichen Notenbeispielen im Text belegt. Der Anhang enthält auch den Versuch einer „psychologische[n]“ (S. 373) Begründung für Bruckners Ausgestaltung der symphonischen Form.

Das ein Jahr danach entstandene Theaterstück Der Musikant Gottes (1924) mit seiner völlig unhistorischen und deformierten Darstellung Bruckners übte in weiterer Folge einen verheerenden Einfluss auf das sich in der Belletristik entwickelnde Bruckner-Bild aus. Die hier bereits im Titel deutlich werdende Bezugnahme auf das Metaphysische wurde in weiterer Folge immer wieder aufgegriffen, so etwa auch in der kleinen, musikzentrierten Erzählung Die Herrgotts-Symphonie. Eine Brucknernovelle (1925) des Germanisten, Schriftstellers und Bibliothekars Robert Hohlbaum (1886–1955). Sie beschränkt sich auf die Schilderung des Lebenshintergrunds zu Bruckners faustischem Ringen um die Entstehung der Neunten Symphonie, das letztlich durch dessen Tod beendet wird. Dem ehemaligen Österreich-Schlesier und Offizier im Ersten Weltkrieg, dessen Hauptmovens für sein Schaffen während der Ersten Republik für gewöhnlich von großdeutschem Gedankengut geprägt war, ging es dabei um die plastische Darstellung von Charakterstudien der handelnden Personen, indem er die Lebenswege von Anton Bruckner, Hugo Wolf und Johannes Brahms wie musikalische Motive erst gegeneinander stellt, dann miteinander verknüpft und zuletzt harmonisch zusammenführt.

Der in der Schweiz geborene, promovierte Musikhistoriker Gustav Renker (1889–1967) war in der Zwischenkriegszeit ein vielgelesener Autor von antimodernen, mythisch-magischen Heimatromanen, hatte sich Kärnten zur Wahlheimat erwählt und siedelte auch etliche seiner Romane im Kärntner Kulturraum an. So etwa auch den biografischen Roman Der See (1926), in dem ein schmaler Erzählrahmen die Geschichte des Medardus von Lodron, des letzten Sprosses eines alten Kärntner Adelsgeschlechts einleitet. Entgegen vielen anderen Schriftstellern seiner Zeit war Renker Pazifist, was auch an der Figur des Medardus deutlich wird, dessen Erfahrungen beim Militär und im Revolutionsjahr 1848 keineswegs positiv dargestellt werden. Sein Wanderleben führt ihn unter anderem auch nach St. Florian, wo er Bruckner kennen und schon früh seine Musik begreifen lernt. Er erfasst das Antithetische in Bruckners Wesen, das nach außen hin devot und angepasst, nach innen hin aber revolutionär ist und fest in seinem Künstlertum ruht. Die auftretende Bruckner-Figur sagt von sich selbst: „Er hat mir einen friedsamen Sinn gegeben und meiner Musik alle Kraft und Wildheit.“ (S. 113) und: „mich treibt ein Dämon, der in Tönen spricht, von da fort“, also in die Welt, „dich jetzt ein Dämon in Frauengestalt zurück an deinen See“ (S. 160f.), also in die Kärntner Heimat. Für Medardus ist Bruckner der Erwählte „zu einem größtem [sic] Werk und zu einem tiefsten Leid. Du – mein heiliger Anton Bruckner, du!“ (S. 175). Am Ende seines Lebens bewirtschaftet Medardus, wie seine Ahnen vor ihm, das ererbte Land und stirbt in der Gewissheit, Bruckners Wesen zur Gänze erfasst zu haben.

Der Heiligsprechung Bruckners in Renkers Roman folgte wenig später die Vergöttlichung seiner Musik durch den Musiker und Musikschriftsteller und ‑kritiker Herbert Hiebsch (1905–1948), der 1942–1945 Musikreferent bei der Kulturabteilung des Deutschen Staatsministeriums für Böhmen und Mähren in Prag war. Sein Musikerroman Das göttliche Finale. Ein Buch vom Erleben Bruckners (1931), noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland erschienen, rückt nicht Bruckners Person, sondern seine Musik als Inspirationsquelle für den aus dem Erzgebirge stammenden, jungen, begabten Musiker Gerhard Deubler in den Mittelpunkt. Deubler reift in der Zwischenkriegszeit als Regens chori durch seine Aufführungen und – indem er Bruckners Musik als das Absolute für sich entdeckt – zum wahren Musiker und Menschen heran und gewinnt auf diese Weise die Zustimmung der Öffentlichkeit.

Von Bruckners Tod und Verklärung handelt die dem magischen Realismus verhaftete, biografisch ausgerichtete Kleine Brucknernovelle (1933) von dem steirischen Schriftsteller und oft vertonten Lyriker Rudolf List (1901–1979), der sie noch vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, den er lebhaft begrüßte, verfasst hatte. In fünf Abschnitten schildert ein personaler Erzähler, der immer wieder in den inneren Monolog und in die erlebte Rede abgleitet, die zwei letzten Tage in Bruckners Leben, beginnend mit einem symbolisch überhöhten Herbstspaziergang im Belvedere-Garten, bei dem sich sein Tod bereits in dreierlei Gestalt ankündigt. Schmerzliche Erinnerungen und wirre Träume, die ihm offenbaren, dass das noch fehlende Finale seiner Neunten Symphonie letztlich sein Te Deum sein wird, quälen den alten Mann. Dessen Plan, das Finale der Neunten zu vollenden, erfüllt sich nicht. Der Tod nimmt dem bis zum letzten Atemzug faustisch ringenden Komponisten die Feder aus der Hand, aber durch das errungene Werk wird der Allesüberwinder überwunden: Es sichert im Himmel wie auf Erden Bruckners Nachleben.

Der Werktitel Der Ehrfürchtige (1935) soll die metaphysisch ausgerichtete Innerlichkeit Bruckners betonen, denn der Badische Lehrer Fritz Grüninger betitelt seine Musikerbiografien stets nach dem intendierten Hauptcharakterzug der jeweils von ihm behandelten Komponisten. Im Falle Bruckners wollte er – laut Untertitel – Anton Bruckners Leben dem Volk erzähl[en] und gesteht in seinem Vorwort, dass er „weder eine Biographie noch ein[en] Roman“ bieten, sondern „die Zeichnung des innern [sic] Bruckner“ darstellen wolle, weswegen „[s]einem Wesen […] kein einziger Zug angedichtet [sei], wohl aber den äußern Umständen, jedoch nur, um das Gemälde des Genius so lebendig als möglich zu gestalten“. Bruckners Leben wird als ein Gezerre zwischen den Ansprüchen der Welt, des Glaubens und der Kunst dargestellt. Die Betonung des Volkes als Adressat zeigt, dass Grüningers Anliegen die Popularisierung Bruckners war. Bruckners frühe Anerkennung in Deutschland, die Rolle Richard Wagners als „Geburtshelfer“ für Bruckners eigentliches Genie und der dem Oberösterreichischen nachempfundene Dialekt zeigen – neben dem Hang zum Anekdotischen – eine Tendenz, auch dem Völkischen und Deutschen in Bruckners Vita einen gebührenden Platz einräumen zu wollen.

Biografisch und musikzentriert ausgerichtet ist Bruckner. Der Roman der Sinfonie (1938). Er stammt von der Wiener Sängerin, Organistin und Lehrerin Louise George Bachmann, die – trotz tief empfundener Katholizität – noch im Jahr des Anschlusses Österreichs an das Großdeutsche Reich der NSDAP (Nationalsozialismus) beitrat. Sie versuchte nicht nur Bruckners Lebensstationen, sondern auch seinen musikalischen Schaffensprozess nachzuzeichnen, wobei sie – wie der Untertitel bereits intendiert – die Weiterentwicklung und Vollendung der Symphonie durch den Komponisten Bruckner in den Mittelpunkt stellt. Wie Grüninger betont Bachmann das Anekdotische, das Volkstümliche, Naturverbundene sowie Bruckners tiefe Religiosität, aber auch in ganz besonderem Maße seine bei aller Ehrbarkeit ungemein täppischen Annäherungsversuche an kaum den Kinderschuhen entwachsene Mädchen (Frauen). Am entlarvendsten ist jene Stelle, in der der Kritiker Eduard Hanslick Bruckner mit seiner Cousine verkuppeln möchte, die sich letztlich nicht nur als über vierzig Jahre alt und geschieden, sondern – horribile dictu – auch noch als Jüdin entpuppt.

In der 1943 erschienenen Erzählsammlung Der Bilderschnitzer von Kefermarkt des oberösterreichischen Erzählers, Dramatikers, Hörspielautors und Essayisten Karl Hans Watzinger (1908–1994) ist Der dritte Satz. Eine Bruckner-Novelle enthalten, die 1944 auch separat, in der Reihe der Karlsbader Feldposthefte erschien, die zur Unterhaltung der Frontsoldaten dienten. Geschildert wird die Vollendung des 3. Satzes von Bruckners Achter Symphonie während eines Heimaturlaubs im Oberösterreichischen im Jahre 1886. Der Heimaturlaub – Wunschtraum eines jeden Frontsoldaten – zeigt Bruckner als schlichten, urwüchsigen und heimatverbundenen Menschen, der bei aller kindlichen Unbeschwertheit dennoch schwer an der Bürde seines Ingeniums zu tragen hat. Diese friedvolle Heimat mit ihrer schönen Landschaft, in der Freunde, Verehrer und Gönner liebe- und verständnisvoll den Besucher empfangen, wird als wahrer locus amoenus beschrieben, in dem auch die göttliche Inspiration in Gestalt eines engelhaften jungen „Baronesserls“ nicht fehlt. Die Verklärung der Heimat sollte den Frontsoldaten als Rezipienten anspornen, sein Äußerstes für ihre Verteidigung zu leisten, um möglichst bald in sie zurückkehren zu können.

Vom Wiener Musikwissenschaftler und Kulturredakteur der Wiener Zeitung Norbert Tschulik (1927–2012) stammt das Jugendbuch Spielmann seines Herrn (1966). Der Klappentext betont an Bruckner die „Einfachheit seines Wesens“ und „Geradlinigkeit seines Lebens“, die „auch schon der Schuljugend verständlich“ sei. Tschuliks Anliegen ist es, den „auch in seinem Heimatland noch immer zu wenig gekannt[en] und geschätzt[en]“ Künstler bekannt zu machen und über seine Biografie die „Zwölf- bis Vierzehnjährigen“ für seine Musik zu interessieren, transportiert aber insgeheim auch eine dem neuen, nach 1945 entstandenen Österreich angepasste Staats- und Heimatidee. Seine didaktische Absicht tritt besonders deutlich hervor, wenn an Bruckner all jene Tugenden gelobt werden, die auch der adoleszierenden Jugend vor der Jugendrevolte der 1968er Jahre gut zu Gesichte standen, wie etwa Fleiß, Gemütlichkeit und Bodenständigkeit, wobei die Kapitelüberschrift „Genie ist Fleiss“ sehr eindeutig diese Tendenz entlarvt. Verbundenheit mit der Heimat vermittelt der oberösterreichische Dialekt in den direkten Reden, allerlei nützliche kulturhistorische Erklärungen und erbauliche Anekdoten dienen dem didaktischen Impetus. Auffällig ist auch, dass Tschulik all jene Bruckner nachgesagten unglücklichen Liebesgeschichten zensuriert, um die heranwachsende Jugend nicht auf unnötige Gedanken zu bringen.

Der Herausgeber, Schriftsteller und Übersetzer Rudolf Stirn (1938–2004) verfasste die geistreiche Spielerei Anton Bruckner wird Landvermesser (1995) nach Vorbild von Kafkas Schloß-Roman, wozu sich zahlreiche Parallelen, aber auch viele Abweichungen feststellen lassen. In einer verschwommen, zwischen Realität und grotesker Überzeichnung changierenden Welt eines nun weltberühmten Festspielorts wird auch die Existenz selbst in ihrer ausweglosen Geworfenheit fragwürdig. Ohne jeglichen Grund trägt sich Grauhammer, der offensichtlich über keine Identität stiftenden Erinnerungen verfügt, im Wirtshaus als Anton Bruckner ein, erhält – obwohl er kein Landvermesser ist – vom Grafen die Identität eines Landvermessers verpasst und möchte – obwohl auch kein Musiker, aber vereinnahmt von Erinnerungen an eine fremde Identität als Komponist und Dirigent – seine Symphonie aufführen.

Unterdessen finden sich Anspielungen auf Bruckners Musik auch in den kulinarischen Krimis des Kriminal- und Sachbuchautors, Journalisten und Gastro-Kritikers Carsten Sebastian Henn (* 1973), etwa in seinem Regional-Krimi aus der Eifel In vino veritas (2002), in dem sich der Ahrtaler Spitzenkoch und Hobbydetektiv Julius Eichendoff durch Abspielen von Mahler- und Bruckner-CDs vergeblich Inspiration für die Kreation einer neue Suppe erhofft. Der Zyklus rund um den Kulinaristik-Professor und Hobby-Aufdecker Adalbert Bietingheim spielt jeweils in einer anderen Feinschmeckerkapitale Europas. Im 2. Band, Der letzte Aufguss (2012), übernimmt Bietingheim den durch Morde freigewordenen Lehrstuhl für Kulinaristik in Cambridge, wo ihn Bruckners Christus factus est, gesungen vom Chor im St. John’s College zum Mitsummen animiert, da „Das Stück […] richtig Schwung“ hat.

Quellen
  • Emil Lucka, Das Brausen der Berge [Roman]. Berlin–Wien 1918
  • Max Auer, Bruckner (Amalthea-Bücherei 33/34). Zürich–Leipzig–Wien 1923
  • Robert Hohlbaum, Die Herrgotts-Symphonie. Eine Bruckner-Novelle. Leipzig 1925
  • Gustav Renker, Der See [Roman]. Leipzig 1926
  • Herbert Hiebsch, Das göttliche Finale. Ein Buch vom Erleben Bruckners. Zürich–Leipzig–Wien 1931
  • Rudolf List, Kleine Brucknernovelle. Wien 1933
  • Fritz Grüninger, Der Ehrfürchtige. Anton Bruckners Leben dem Volk erzählt. Freiburg im Breisgau 1935
  • L[ouise] G[eorge] Bachmann, Bruckner. Der Roman der Sinfonie. Paderborn 1938
  • Karl Hans Watzinger, Der dritte Satz. Eine Bruckner-Novelle (Karlsbader Feldposthefte). Karlsbad 1944
  • Thomas Mann, Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde. Stockholm 1947
  • Norbert Tschulik, Spielmann seines Herrn. Wien–München 1966
  • Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin [Roman]. Reinbek bei Hamburg 1983
  • Thomas Bernhard, Alte Meister. Komödie. [Roman]. Frankfurt am Main 1985
  • Friedrich Dürrenmatt, Justiz [Roman]. Zürich 1985
  • Rudolf Stirn, Anton Bruckner wird Landvermesser. Ein Schloss-Roman. Weissach im Tal 1995
  • Carsten Sebastian Henn, In vino veritas. Köln 2002
  • Carsten Sebastian Henn, Der letzte Aufguss. München 2012
Literatur

Drama

1924, zum 100. Geburtstag Anton Bruckners, wurde das Theaterstück Der Musikant Gottes. Vier volkstümliche Bilder aus dem Leben Anton Bruckners, ein Gemeinschaftswerk von Victor Léon und Ernst Decsey, erstmals aufgeführt, wobei – wie der Zusatz zum Titel verrät – „[d]ie zur Handlung gehörige Musik aus Kompositionen von Anton Bruckner“ genommen wurde. Die vier Bilder sind der Form, nicht ihrer Abfolge nach einer Symphonie nachgebaut und tragen als Überschriften die musikalischen Begriffe Präludium, Andante con moto, Adagio und Scherzo, während das im Untertitel intendierte Volkstümliche durch die dem Oberösterreichischen angenäherte Sprache sowie das Auftreten von Bruckners Verwandtschaft und des Bürgermeisters von Ansfelden im 1. und 4. Bild zustande kommt, aber auch durch Bruckners Schwester Nanni im 3. und 4. Bild. Obwohl die vier Bilder vorgeben, vier historisch belegbare Stationen aus Bruckners Leben näher zu beleuchten, besteht deren Zusammenstellung und Ausgestaltung doch aus einem Flickwerk aus operettenhaft ausgeschmückten Geschichtsklitterungen, die dem damaligen Publikum ein gänzlich verzerrtes, aber leicht fassbares Bruckner-Bild vermittelten, das teilweise sogar heute noch lebendig ist. Die katholisch-konservativen Tendenzen dieses Stücks verweisen auf seine Entstehungszeit. Das hier geschaffene Bruckner-Bild eines ländlich-naiven, tief katholischen, tollpatschigen Genies im Lodenanzug wirkte sich in besonderem Maße auf die Belletristik aus. Dass Bruckner sehr wohl imstande gewesen sei, Liebe im Herzen einer Frau – hier der sangesbegabten Lehrertochter Benedikta Haupt – zu erwecken, er jedoch nicht fähig war, diese im rechten Maße zu erkennen und zu würdigen, ist im Kontext betrachtet zwar gleichfalls nur eine – wenngleich originelle – Erfindung, wurde aber in den nachfolgenden Werken, die immer wieder Bruckners Fixierung auf Kindfrauen wiederholten, nicht wieder aufgegriffen. Am Ende kehren alle im 1. Bild angeschlagenen Hauptmotive erneut wieder: Bruckners unentwegte und sein gesamtes Leben absorbierende Suche nach musikalischer Inspiration, seine darauf beruhende Liebesunfähigkeit und sein Entsagen-Müssen. Nicht zur Aufführung gelangte 1924 die Richard-Wagner-Episode, die im Textheft von 1926 am Ende nachgereicht wird, denn Wagner besucht Bruckner hier in Begleitung der berühmten Primadonna Lamarra, hinter deren Namen sich niemand anderer als die Lehrertochter Benedikta Haupt verbirgt, die in Bayreuth eine internationale Sängerinnenkarriere startete, wobei der Name Lamarra wohl an die um 1800 als größte deutsche Primadonna geltende Gertrud Elisabeth Mara (1749–1833), genannt La Mara, anspielt.

Quellen
  • Victor Léon/Ernst Decsey, Der Musikant Gottes. Vier volkstümliche Bilder aus dem Leben Anton Bruckners (Tagblatt-Bibliothek 107/108). 3., revidierte Aufl. Wien 1926
Literatur

Opernlibretto

Der oberösterreichische Schriftsteller und Dramatiker Harald Kislinger (* 1958) übt sowohl mit seinem provokativ unkonventionellen Zugang zu seinen – einer grotesk verzerrten Realität entnommenen – Themen, als auch mit seiner bilderreichen Sprache Gesellschafts- und Sozialkritik. Er verfasste das Libretto zu Peter Androschs (* 1963) Oper Geschnitzte Heiligkeit – Anton Bruckner und die Frauen, die 1996 im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz zur Aufführung gelangte. Die surrealistische Prämisse des Stückes beruht auf der Annahme, dass Bruckner durch eine Zeitmaschine in die Gegenwart „gebeamt“, gänzlich auf sein ihn konstituierendes Selbst in seiner reinen und exemplarischen Form zurückgeworfen ist. Als vom Katholizismus besessener, religiös pubertärer, zur erwachsenen Liebe und Erotik unfähiger, gleichsam Nicht-zu-Ende-Geborener versucht er, sein Inneres rein zu halten, indem er alle echte und vermeintliche sexuelle Bedrohung mittels eines Panzers an äußerer Ordnung von sich abwehrt. In Zusammenschau mit Rudolf Stirns 1995 erschienener Erzählung Anton Bruckner wird Landvermesser wird deutlich, dass in den 1990er Jahren die Themen Identität, Identitätszuschreibung und Entfremdung in der Entwicklung des Bruckner-Bildes dominierten.

Quellen
  • Geschnitzte Heiligkeit. Anton Bruckner und die Frauen. Eine Oper von Peter Androsch (ATMU CD-97002) 1997

Bruckner in der nicht-deutschsprachigen Literatur

Der Executive Secretary der Bruckner Society of America, John F. Berky, führt auf seiner Bruckner-Homepage (www.abruckner.com) auch eine Rubrik Bruckner References in Literature, die eine von verschiedenen Beiträgern zusammengetragene und beständig ergänzbare, alphabetisch angeordnete, verlinkte englischsprachige Sammlung von 33 literarischen Hinweisen mit Bruckner-Bezug bzw. ‑Nennung enthält, die jedoch keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Von den bis dato (2019) 27 nicht-deutschsprachigen Nennungen sind 23 englischsprachig, zwei niederländisch, eine polnisch, eine französisch und eine japanisch, wobei allerdings unter den Namen Bukowski und t‘Hart mehrere Werke aufgelistet sind. Etwa die Hälfte davon enthält zumeist nur Erwähnungen von Bruckners häufig durch Medien vermittelte Musik, die andere Hälfte befasst sich ausschließlich entweder mit dem Komponisten oder seinem Werk.

Kürzere Erwähnungen finden sich in folgenden chronologisch nach ihrer Entstehung gereihten Werken:
Im 1945 erschienenen Roman Three Men in New Suits von dem britischen Schriftsteller, Journalisten und Literaturkritiker John Boynton Priestley (1894–1984) finden sich drei aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammende Heimkehrer aus dem Zweiten Weltkrieg mit der Welt der Zuhausegebliebenen konfrontiert, wobei besonders die Kriegsgeneration wenig Verständnis für die alte Generation, verkörpert durch Uncle Rodney und sein Grammophon, aufbringt, dessen Vorliebe für klassische Musik, besonders für Bruckners Vierte Symphonie, mit stark negativen Konnotationen behaftet, als „frightfully long, monotonous, mournful thing. […] Goes on and on and on. Like most of Bruckner“ wahrgenommen wird, und zwar wohl hauptsächlich aufgrund der missbräuchlichen Rezeption in der Zeit des Nationalsozialismus.
Ganz anders dagegen elf Jahre später der US-Amerikaner Edward Albee (1928–2016), Verfasser von Who‘s afraid of Virginia Woolf? und Pulitzer-Preisträger: In seiner Jugend hatte es ihn zur Komposition gedrängt, daher erscheint Bruckners Musik in seinem Theaterstück A Delicate Balance (1966), am Broadway uraufgeführt, als Reich der Freiheit und der Fantasie, das eine Art Gegenwelt zur Enge und Leere der sogenannten guten Gesellschaft in einer typischen amerikanischen Vorstadt bildet. Im 1. Akt wird die Einsamkeit Tobys dergestalt zum Ausdruck gebracht, dass es niemanden in seinem gesamten Umfeld gibt, der gemeinsam mit ihm Bruckners Musik hören würde.
In der 1968 erschienenen Erzählung A Raging Calm des britischen Romanciers, Stücke- und Skriptschreibers Stan Barstow (1928–2011) werden die romantisch übersteigerten, sehr positiven Gefühlswahrnehmungen beim Hören einer Schallplatte mit Bruckners Siebenter Symphonie in einer Musikvorführkabine als „beauty that in its very loveliness enfolded the heart in melancholy“ beschrieben.
Auch im 1969 erschienenen, spekulativ wissenschaftliche, philosophische und okkulte Ideen miteinander verflechtenden Fantasy-Roman The Philosopher‘s Stone des britischen Science-fiction-Autors Colin Henry Wilson (1931–2013) spielen Gefühle auslösende Wahrnehmungen eine große Rolle, denn zunächst findet der jugendliche, aus der Unterschicht kommende, aber intellektuell aufstrebende Held Bruckners Musik auf Schallplatte nur „melodious but hopelessley long winded and repetitive that most of his symphonies need to be cut by a half“, später jedoch vermittelt ihm das Hörerlebnis von Bruckners Siebenter und Achter einen tiefen, bewusstseinserweiternden Eindruck, der „evolutionary throws forward“, da es – gleich der Mystik – „the super natural real“ mache.
Der aus Australien stammende und ab 1951 bis zu seinem Tod in Großbritannien lebende Lyriker Peter Porter (1929–2010) griff in seinem Sonett May 1945 im Zusammenhang mit dem Versinken Hitler-Deutschlands im Inferno des Untergangs erneut auf den Missbrauch Bruckners zur Zeit des Nationalsozialismus zurück und endet mit den Worten des ‚Gespensts der Geschichte‘: „The Radio will broadcast Bruckners Eighth / so that good and evil may die in equal hope.“
Im 1987 erschienenen fiktiv-historischen Roman The Center Ring des US-amerikanischen Schriftstellers Gary Jennings (1928–1999), Band 2 der Buchserie Spangle, wird in den fantastischen Wien-Episoden unter anderem Anton Bruckner als Person in seiner Funktion als „the emperor‘s organist at the Hofburg“ angeführt, um damit gewissermaßen den genius loci zu illustrieren.
Mit einer eher ungewöhnlichen editorischen Annäherung an das Bruckner-Motiv überrascht der Roman Partita des französischen Schriftstellers, Journalisten, Radio-, Film- und Fernsehautors Roger Grenier (1919–2017), eines Weggefährten von Albert Camus (1913–1960): Hier wird eine Instrumentationsretusche, nämlich der oft in Frage gestellte Beckenschlag auf dem Höhepunkt des Adagios in Bruckners Siebenter, mit dem Jahr 1944 in Verbindung gebracht: „Et il se demandait si, à la mesure 177, il valait mieux maintenir ou supprimer le coup de cymbale. Bruckner avait hésité, raturé. Le bois de 1940 retentissait d‘un fracas métallique et la cymbale y eût été tout à fait à sa plac. Mais le petit bois de la Vallée Heureuse, avec ses chats d‘oiseau, qu‘avait-il à faire d'un coup de cymbale?“
Im 1993 erstmals auf Japanisch erschienenen Roman Hard-boiled Wonderland and the End of the World des mit surrealistischen und Pop-Elementen arbeitenden Erzählers Haruki Murakami (* 1949) wird Bruckners Musik dagegen gleichsam relativiert und zum reinen Illustrationsmittel degradiert: In der Art einer Momentaufnahme wird der kulinarische Genuss eines bestellten Biers mit Austern und Zitrone von der im Hintergrund spielenden Radiomusik einer beliebigen Bruckner-Symphonie untermalt, die schließlich von Maurice Ravels (1875–1937) Boléro abgelöst wird.
Der Niederländer Maarten t‘Hart (* 1944), Träger des Multatuli-Literaturpreises, dessen Werke immer wieder um Themen des Widerstands und der Kollaboration in der Zeit des Nationalsozialismus, der schwankenden sexuellen Ausrichtung sowie um Fragen der Theodizee kreisen, thematisiert zudem vielfach auch seine tiefe Wertschätzung für klassische Musik. Bruckner als neurotisches oder gar wahnsinniges Genie taucht gleich in zweien seiner Romane auf: 1993, in der Mischung aus Entwicklungs- und Kriminalroman Het woeden der gehele wereld ist im Kapitel über den jüdischen Musiker Aaron Oberstein von Bruckners Sechster auf Schallplatte die Rede, die auf den Helden wie eine Offenbarung wirkt, und 1996, im Roman De nakomer, in dem das Leben des Helden von Anfang an von Bruckners Vierter überschattet ist: Ein Fortissimo löst in seiner schwangeren Mutter eine so heftige Kindesbewegung aus, dass sie bei der Geburt ihrer Zwillinge glaubt, dass dabei der zweitgeborene Sohn den erstgeborenen Bruder totgetreten habe. Später steht für den Helden Bruckners Sechste wie ein Vorgeschmack der himmlischen Seligkeit mit seinem ersten Liebeserlebnis in engem Zusammenhang, zudem symbolisiert sie für ihn innere Ruhe, denn „Het adagio van deze symfonie is een kathedraal vol muziek. Muziek van de allerhoogste orde, gepuurd uit de reinste sfeer.“
Weniger emphatisch empfunden wird Bruckners Musik dagegen im 2004 erschienenen Roman The Closed Circle des Engländers Jonathan Coe (* 1961), zumal ihr hier nur der Stellenwert einer Momentaufnahme zukommt: Benjamin Trotter, der vormals kindlich-unschuldige, introvertierte Held des Romans The Rotter‘s Club (2001), der im Birmingham der 1970er Jahre spielt, ist nun ein Erwachsener des Millennium-Zeitalters, der darum ringt, einen Roman zu schreiben. Aus dem Schlaf geschreckt, kommt es zu einer kurzen nächtlichen Musikeinlage aus dem Radio, die er rasch beendet, denn „it was the second movement of Bruckner‘s fourth symphony: his least favourite movement from his least favourite work by his least favourite composer“.
Von brillanter Unterhaltsamkeit ist dagegen der komisch-burleske Bildungsroman The Education of Arnold Hitler aus dem Jahr 2005 von dem US-Schriftsteller, Cellisten und politischen Aktivisten Marc Estrin (* 1939): Der Schachmeister, Linguist und in Liebesangelegenheiten anfangs noch unerfahrene Athlet jüdischer Abstammung mit dem unglückseligen Namen Arnold Hitler stolpert durch die Rassenspannungen des Bible Belts der 1950er Jahre, die Antikriegsbewegung in Harvard, die Upper East Side und die Bowery in New York und trifft Noam Chomsky, Al Gore und Leonard Bernstein auf dem Weg zu seiner Selbstfindung, die er zuletzt durch die Performance-Künstlerin Evelyn Brown in einem selbstgebauten bunkerartigen Liebesnest unter der Auffahrt zum Bruckner Expressway in der Bronx erfährt: In ihr findet er seine Eva Braun, die ihn zur Liebe und mit der Ankündigung: „Next to Wagner, Hitler‘s favorite“, zum Adagio von Bruckners Siebenter führt, was Arnold Bemerkungen wie „nice“ und „beautyful but so sad“ entlockt.
Auch in die Kriminalliteratur hat Bruckner Eingang gefunden, etwa als rein untermalende, beständig im Hintergrund plätschernde Geräuschkulisse, wie es bei Murakami der Fall ist: Set in Darkness des schottischen Schriftstellers und Kriminalautors Ian Rankin (* 1960) stammt aus dem Jahr 2000 und ist dessen elfter Roman über John Rebus, einen geschiedenen, kettenrauchenden und dem Alkohol verfallenen Edinburgher Inspektor, wofür er 2005 mit dem Grand prix de littérature policière ausgezeichnet wurde.
Eine ähnliche Reaktion auf Bruckners Musik wie in t‘Harts Roman De nakomer findet sich im Kriminalroman Leaving the World des New Yorker Romanciers, Reiseschriftstellers und Bestsellerautors Douglas Lawrence Kennedy (1963–2018) aus dem Jahr 2009, denn auch hier fühlt im 5. Kapitel die Heldin, als sie sich die „cathedrals of sound“ von Bruckners Neunter, dirigiert von Nikolaus Harnoncourt auf einer CD anhört, eine Sogwirkung, die sie in „worlds beyond your own“ entführt und erkennen lässt „the search for the divine amid the whirliging of the quotidian, the notion that there are large eternal forces at work in the universe“, was in ihr den Wunsch erweckt, gläubig zu sein.
Von beinahe schon grotesk übersteigerter Bruckner-Verehrung handelt der im selben Jahr (2009) erschienene philosophische Liebesroman Fantasia on a Theme by Thomas Tallis von dem aus Massachusetts stammenden, Literatur-, Kunst- und Klassische Musik-Liebhaber Vaughn Petterson (* 1956): Kapitel 28 rückt die an den Rollstuhl gefesselte Mary ins Bild, die auf ihrer Hochzeitsreise nach Ansfelden vor dem Grab Bruckners ihren Kotau auf mitgebrachten Handtüchern vollführt. Ihre Lieblingsmusikstücke sind dabei das Orchesterwerk Fantasia on a Theme by Thomas Tallis und die Vierte Symphonie des englischen Organisten, Komponisten und Dirigenten Ralph Vaughan Williams (1872–1958) sowie Bruckners Neunte, die sie allerdings – unter Einbeziehung zweier Jugendwerke – als Elfte bezeichnet.

Von einer der berühmtesten Stimmen des Nahen Ostens, dem heute in den USA und Beirut lebenden, englisch schreibenden libanesischen Maler und Schriftsteller Rabih Alameddine (* 1959) stammt der Roman An Unnecessary Woman (2014), der zwei Tage aus dem Leben Aaliya Salehs, einer alleinstehenden, kunstliebenden 72-jährigen Buchhändlerin aus Beirut behandelt, die seit Jahrzehnten Romane der Weltliteratur ins Arabische übersetzt, um sie anschließend in Kartons in ihrer Dienstbotenkammer zu lagern. Doch nun überkommt sie erstmals Unschlüssigkeit, welches der vielen Werke sie in der ihr noch verbleibenden Lebenszeit übersetzen soll. Als ein Wasserrohrbruch die Kartons durchnässt, gerät ihr stilles Leben in Bewegung. Die Handlung des Romans ist ein sensibler Rückblick auf ein Frauenleben in Beirut, das seinen Sinn aus der Beschäftigung mit Literatur und Musik bezieht. Dabei wird hinsichtlich Bruckner, dessen Musik in die Nähe Gustav Mahlers und Hugo Wolfs gerückt wird, vielfach auf Louise George Bachmanns altbekannte Topoi zurückgegriffen, was etwa seine Obsession für blutjunge Mädchen, seine lebenslange Keuschheit und seine Frömmigkeit betrifft, da er aus Dankbarkeit für die Überwindung einer Nervenkrise (Bad Kreuzen) die Messe Nr. 3 „in c-moll“ (tatsächlich jedoch f-moll) schuf.

Seit kurzem fand Bruckner in der von Lawrenc Brown begonnenen Serie David: Savakerrva, Book I (2017) sogar Eingang in eine Mischung aus Science-fiction- und Fantasy-Literatur. Sie handelt von dem elternlosen 14-jährigen Heimkind Garth Miller aus Detroit, das erfährt, dass sein Vater ein Außerirdischer, der König eines fernen Planeten ist, der ihn schon als Baby entführen wollte, weswegen ihn seine Mutter zu seinem Schutz anonym im Heim abgab. Bei der neuerlichen Wiederkehr der Außerirdischen wird Garth nun als Träger der königlichen Blutslinie entführt, da – zufolge einer uralten Prophezeiung – nur er den in Gefahr befindlichen Planeten seines Vaters zu retten vermag. Unter dem Namen David begibt er sich auf eine transgalaktische abenteuerliche Odyssee und macht dabei eine Entwicklung durch, wobei verschiedentlich Anspielungen auf Bruckner gemacht werden, wenn er etwa aufgrund seiner Authentizität als „great“ bezeichnet wird, da „his sound has power, no fluff“.

Ausschließlich mit Bruckners Musik befassen sich zumeist kürzere lyrische Textgebilde:
Der niederländische Lyriker, Übersetzer, Essayist und Literaturkritiker Martinus Nijhoff (1894–1953) veröffentlichte 1916 in seiner Lyriksammlung De Wandelaar das Sonett Bruckner, das mit den pathetischen Schlussworten „Een nieuwen dag, een nieuwen dag van strijd“ Bruckners kämpferisches Schöpfergenie beschwört.
Der bei klassischer Hintergrundmusik im Radio ungemein produktive amerikanische Dichter, Novellist und Kurzgeschichtenschreiber Henry Charles Bukowski (1920–1994) gilt als ein wahrer „laureate of American low life“. Laut Robert Sandarg in The Musicality of Charles Bukowski bezog er sich in seinem Werk rund 13-mal auf Bruckner, wobei er ihn als Komponisten in einem Brief aus dem Jahr 1966 „quite graciously good“ fand und in einem späteren aus dem Jahr 1975 „terribly underestimated“. Er befasste sich in vier Gedichten ausschließlich mit seiner über das Medium Radio empfangenen Musik: In Defeat aus den 1970er Jahren empfindet er sie als „peaceful“, in Help Wanted and Received, erstmals 1988 erschienen, erfüllt sie ihn mit Dankbarkeit, in Bruckner, vor 1994 entstanden, schmerzt ihn Bruckners Tod und in Bruckner (2), aus der Zeit vor 1979, kann er ihn nicht verurteilen, auch wenn er vor Wagner gekniet hatte.

Das von dem US-amerikanischen, häufig auch mit Musikern zusammenarbeitenden, vielseitigen und oftmals übersetzten Dichter, Schriftsteller und Kritiker Michael Dana Gioia (* 1950) stammende Gedicht Lives of the Great Composers erschien erstmals im Herbst 1981 in The Hudson Review. Als Anhänger des amerikanischen Neuen Formalismus in der Lyrik, der die Rückkehr zu traditionellen Formen und erzählenden, nicht-autobiografischen Inhalten vertritt, versucht er, Lyrik in das Alltagsleben der Amerikaner zu integrieren, indem er für ihre Förderung im Hochschulunterricht wirbt. In Lives of the Great Composers mischt er assoziativ zum Teil groteske Vorstellungen über die unsterblichen Seelen verschiedener Komponisten mit menschlichen, teils auch banalen Reaktionen sowie optischen und akustischen Impressionen aus der Alltagswelt. Lorenzos Worte in der 1. Strophe: „Such harmony is in immortal souls… We cannot hear it“, aus Shakespeares The Merchant of Venice (5. Akt, 1. Szene) wird in den folgenden drei Strophen variiert und soll den poetisch-atmosphärischen Zauber einer von Sphärenharmonie durchzogenen nächtlichen Natur beschwören, der den Alltagsmenschen verschlossen bleibt. Gleich zu Beginn wird indirekt auf Bruckners barock anmutende Trost- und Trauer-Frömmigkeit angespielt: „Herr Bruckner often wandered into church to join the mourners at a funeral“, die in Strophe 3 durch die versöhnliche Vermutung: „Herr Bruckner would have smiled“ harmonisiert wird.


Der in Lemberg geborene polnische Schriftsteller, Lyriker und Essayist Adam Zagajewski (1945–2021), über den aufgrund seiner oppositionellen Haltung 1976 ein Publikationsverbot verhängt worden war und der seitdem im Ausland wirkt, veröffentlichte 1991 in Paris seine Lyriksammlung Płótno mit dem Gedicht Anton Bruckner, das mit den barocken Eindrücken und ländlichen Geräuschen rund um den unscheinbaren Knaben Anton anhebt und schließlich im beinahe orchestralen Zusammenklang verschiedener Musikinstrumente endet, wenn er seine Heimat verlässt: „Anton Bruckner opuzszcza rodzinny dom“.
Von der US-amerikanischen Dichterin russisch-walisischer Abstammung, Denise Levertov (1923–1997), stammt der in der Sammlung Sands of the Well aus dem Jahr 1996 enthaltene Dreizeiler Bruckner, der den Komponisten in der Gleichstellung „Angel with heavy wings […] listening heavenward“ sakralisiert.
Die aus dem Jahr 1998 stammende Sammlung Songs for Relinquishing the Earth der kanadischen Dichterin, Philosophin und Violinistin Jan Zwicky (* 1955) enthält unter der Überschrift Kant and Bruckner: Twelve Variations eine Art Vorwort, in dem sie beide Persönlichkeiten miteinander in Beziehung setzt und vergleicht, während die darauf folgenden Variationen eine Art polyphone Mischung aus assoziativ zusammengesetzten Splittern darstellen. Ursprünglich waren sie 1984–1988 im Magazin Descant in Toronto erschienen.
Das Gedicht A Letter des US-Schriftstellers und Dichters Morton Marcus (1936–2009) ist enthalten in dem Gedichtband Shouting Down the Silence, der Texte aus dem Zeitraum 1988–2001 enthält. Formal ist das Gedicht ein fiktionaler Brief, der von einem fiktionalen Brief berichtet: Am 21.12.1885 schreibt ein gewisser Wilhelm, ein Mitarbeiter Albert J. Gutmanns aus Wien, der Bruckners Vierte 1889 herausgab, seiner Freundin Sophie, der er von einer fiktionalen Übersendung eines Schreibens von Kaiser Franz Joseph I. an Bruckner berichtet.
Die 2006 von dem aus Kanada stammenden Literaturprofessor und Dichter Ian Sowton (1929–2021) erschienene, im Titel auf den Existentialisten Albert Camus anspielende Sammlung Imagining Sisyphus Happy enthält unter der Überschrift Fables and Twice-Told Tales eine Zusammenstellung von acht burlesk-satirischen Gedichten. An letzter Stelle findet sich Tewler among Bruckner Fans, ein satirischer Beobachtungsbericht über eine frei erfundene „Southwark Cathedral and Docklands Branch of the Anton Bruckner Society“, angeblich aus dem Jahre 1590, mit Einwürfen von Hühnern und Hähnen und einem Zitat von Denise Levertov, wobei es über Bruckner heißt „Neo-Baroque is what he is […]“.
Das vierstrophige Gedicht Bruckner‘s Ninth aus der Sammlung The Pumpkin Lantern (2007) des englischen, in Schottland lebenden Dichters John Hudson (1958–2007) handelt dagegen von Bruckners Obsession für Zahlen und davon, seine Neunte fertigzustellen: „The notes, he cried, that fill these staves / Must number heaven‘s countless stars!“

Nur zwei Erzählungen befassen sich zur Gänze mit Bruckners Person:
Theresa Weisers historischer Roman Music for God, a Portrayal of the Life of Anton Bruckner, 1951 in New York erschienen, fußt – laut Angaben der Verfasserin – auf Ernst Decseys Bruckner – Versuch eines Lebens (1920) und Max Auers Leben und Werk (1923) sowie Gabriel Engels frühester in englischer Sprache erschienener Bruckner-Biographie (New York 1931), aber auch auf Louise George Bachmanns Bruckner-Roman (1938) sowie zusätzlich noch auf Thomas F. Woodlocks The Catholic Pattern (1942) und Oswald Spenglers 1922/23 in englischer Sprache erschienenem Werk The Decline of the West und möchte das Leben und den Charakter des großen Musikers und „heiligen Mannes“ in einer Mischung aus Dichtung und Wahrheit näher beleuchten. Da sowohl Decseys als auch Auers und Bachmanns Werke niemals in englischen Übersetzungen erschienen sind, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei Weiser um eine aus Österreich stammende Auswanderin oder Asylantin gehandelt haben dürfte. Darauf deutet nicht nur ihr tiefer Bezug zur musikalischen Klassik und zu Bruckner hin, sondern generell auch ihre Kenntnis der deutschen Sprache und Verwendung von in Österreich entstandenen Biografien und Romanen.
The Forbidden Lecture 10 trägt den Titel Bruckner innerhalb des Romans Fantasia for a String Quartet des in Ottawa lebenden Architekten Jerzy Chwiałkowski: Der kurz vor seiner Entlassung stehende Konservatorium-Professor Altmann plant, mit Hilfe von vier begabten, aber gefährdeten Musikstudenten die mysteriöse Botschaft zu entschlüsseln, die sich hinter Ludwig van Beethovens letztem Streichquartett verbirgt und die den Gang der Musikgeschichte grundlegend geändert hätte. Bruckner ist Teil einer höchst unkonventionellen zwölfteiligen Vorlesungsreihe über Komponisten klassischer Musik und ihre Werke, die dabei auf amüsant-respektlose und übertriebene Weise durch den Kakao gezogen werden, etwa Joseph Haydn als Wagenmacher, Wolfgang Amadeus Mozart als Innendekorateur, Franz Schubert als Bildereinrahmer oder Bruckner als Heißluftballonfahrer. Die nun einsetzende Schnitzeljagd nach der Spiritualität in der klassischen Musik führt die jungen Musiker zurück in altbekannte Auseinandersetzungen zwischen Tonalisten und Modalisten, Kunst und Wissenschaft, Perfektion und Schönheit, Rationalität und Spiritualität.

Quellen
  • Martinus Nijhoff, De wandelaar: verzen. Amsterdam 1916, S. 9 [Martinus Nijhoff, Bruckner]
  • John Boyton Priestley, Three Men in New Suits. London u. a. 1945, S. 83
  • Theresa Weiser, Music for God, a portrayal of the life of Anton Bruckner. New York 1951
  • Edward Albee, A Delicate Balance, a play in three acts (Pocket Books 95072). New York 1967
  • Stan Barstow, A Raging Calm. London 1968
  • Colin Wilson, The Philosopher‘s Stone. A Novel. London 1969, S. 18, 35f.
  • Peter Porter, Preaching to the Converted. London u. a. 1972, S. 7 [Peter Porter, May 1945]
  • Henry Charles Bukowski, Love is a Dog from Hell. Poems from 1974–1977. Santa Barbara 1977, S. 108 [Henry Charles Bukowski, Defeat]
  • Dana Gioia, Lives of the Great Composers, in: The Hudson Review 34 (1981), H. 3, S. 334f.
  • Adam Zagajewski, Płótno. Paris 1990, S. 27 [Adam Zagajewski, Anton Bruckner]
  • Roger Grenier, Partita [Roman]. Paris 1991, S. 48
  • Henry Charles Bukowski, Screams from the Balcony. Selected Letters 1960–1970. Hg. v. Seamus Cooney. Santa Barbara 1993, S. 281
  • Maarten t‘Hart, Het woeden der gehelen wereld [Roman]. Amsterdam 1993, S. 237–240
  • Haruki Murakami, Sekai no owāri to Hadoboirudo Wandārando. Tokyo 1993 [Haruki Murakami, Hard-boiled Wonderland and the End of the World. A Novel. Translated by Alfred Birnbaum. London 1993, S. 342]
  • Henry Charles Bukowski, Living on Luck. Selected Letters 1960s–1970s. Bd. 2. Hg. v. Seamus Cooney. Santa Rosa 1995, S. 204
  • Maarten t‘Hart, De Nakomer [Roman]. Amsterdam 1996, S. 17ff., 148f., 250
  • Denise Levertov, Sands of the Well. Newcastle upon Tyne 1996, S. 85 [Denise Levertov, Bruckner]
  • Jan Zwicky, Songs for Relinquishing the Earth. London–Ontario 1998, S. 17–31 [Jan Zwicky, Kant and Bruckner: Twelve Variations]
  • Henry Charles Bukowski, What Matters Most is How Well You Walk through the Fire. Santa Barbara 1999, S. 124 [Henry Charles Bukowski, Bruckner]
  • Gary Jennings, The Center Ring. Spangle. New York 1999, S. 428
  • Henry Charles Bukowski, Open All Night: New Poems. Santa Rosa 2000, S. 137 [Henry Charles Bukowski, Bruckner (2)]
  • Ian Rankin, Set in Darkness, an Inspector Rebus Novel. London u. a. 2000, S. 274
  • Morton Marcus, Shouting Down the Silence. Verse Poems 1988–2001. Berkeley 2002, S. 68 [Morton Marcus, A Letter]
  • Henry Charles Bukowski, The Flash of Lightning Behind the Mountain. New York 2004, S. 129 [Henry Charles Bukowski, Help Wanted and Received]
  • Jonathan Coe, The Closed Circle. London 2004, S. 261
  • Marc Estrin, The Education of Arnold Bruckner. A Novel. Denver 2005
  • Ian Sowton, Imagining Sisyphus Happy. Victoria, Canada 2006, S. 37
  • John Hudson, The Pumpkin Lantern. Selected poems 1985–2003 (Markings Poetry). Gatehouse of fleet 2007, S. 41 [John Hudson, Bruckner‘s Ninth]
  • Douglas Kennedy, Leaving the World. London 2009, S. 415ff.
  • Vaughn Petterson, Fantasia on a Theme of Thomas Tallis. Bloomington 2010
  • Jerzy Chwiałkowski, Fantasia for a String Quartet [The Forbidden Lecture 10]. Lexington 2011
  • Rabih Alameddine, An Unnecessary Woman. New York 2014
  • Lawrence Brown, David: Savakerrva, Book I. 2017
Literatur

MARGARETE WAGNER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 19.7.2019

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