Schaumann, Franz (Josef Friedrich)
* 12.8.1852 Stockerau, Niederösterreich/A, † 4.10.1915 Wien/A. Jurist, Librettist, Textdichter, Tenor.
Sohn des Fabrikinhabers Karl Schaumann (1805–1873). 1862–1870 Besuch des Gymnasiums in Wien sowie in Kremsmünster. Vermutlich bereits als Konviktist erste musikalische Ausbildung im Gesang. 1870–1873 Jusstudium an der Universität Wien. Dabei belegte Schaumann auch Vorlesungen zur Musikgeschichte bei Eduard Hanslick. Nach dem Studium zunächst Rechtspraktikant am Oberlandesgericht in Wien und 1875 Ernennung zum unadjutierten niederösterreichischen Auskultant. 1876 Aufgabe sämtlicher beruflicher Tätigkeiten zugunsten eines Studiums (1876–1878) am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien in den Fächern Gesang bei Victor von Rokitansky (1836–1896) und Klavier im Nebenfach bei Leopold Landskron (1842–1900) sowie dramatische Darstellung bei Leo Friedrich (1842–1908) und Harmonielehre bei Robert Fuchs.
Es folgten zahlreiche Aufführungen unter Schaumanns Beteiligung. 1880 Rückkehr in den Justizdienst, zunächst als Auskultant beim Bezirksgericht Sechshaus (Wien 6), nach erfolgreich absolvierter Richteramtsprüfung bei der Staatsanwaltschaft Wien. Darauffolgend war Schaumann als Gerichtsadjunkt am Bezirksgericht in Haag (1887–1890), Meidling (Wien 12, 1890–1896) und Wieden (Wien 4, 1896–1897) tätig. 1897 Aufstieg zum Gerichtssekretär und 1898 zum Landesgerichtsrat. Weiterhin wirkte Schaumann 1899–1906 als Untersuchungsrichter, ab 1910 als Oberlandesgerichtsrat sowie ab 1913 im Senatsvorsitz im Straflandesgericht. Schaumann war zudem in vielen Funktionen im Wiener Akademischen Gesangverein sowie im Wiener Akademischen Wagner-Verein tätig: Für den Akademischen Gesangverein als Kassier (1871–1874), Vorstand-Stellvertreter (1874–1877), Ausschuss-Mitglied (1877–1879), Vorstand-Stellvertreter (1879–1881) sowie als Vorstand (1881–1887) und für den Wiener Akademischen Wagner-Verein als Archivar (1883), Obmann-Stellvertreter (1884–1886), Beirat (1892–1893) sowie als Obmann (1894–1904 und 1909–1913, 1915). In beiden Vereinen erhielt Schaumann die Ehrenmitgliedschaft jeweils nach Niederlegung der Vorstands- bzw. Obmanntätigkeit (1887 bzw. 1904). Außerdem war Schaumann auch langjähriges Mitglied der Deutschen Wiener Turnerschaft (seit 1889).
Einschneidend in Schaumanns Leben war dessen Entscheidung, zur Uraufführung von Richard Wagners Ring des Nibelungen am 13.8.1876 nach Bayreuth zu reisen und dafür seinen bisherigen Beruf aufzugeben. Die anekdotisch überlieferte Zusammenkunft mit Wagner, bei der sich Wagner für die übermittelten Beiträge des Wiener Akademischen Wagner-Vereins bedankte, überlieferte Schaumann noch Jahre nach dem Zusammentreffen. Im Anschluss an die Aufführung des Rings reiste Schaumann weiter nach Leipzig, um mit Josef Sucher (1843–1908) über sein Libretto für Suchers Oper Ilse zu sprechen. Da sich Bruckner aufgrund von Schaumanns Erzählungen für das Sujet – die Zeit Heinrichs I. ca. 900 – und das in Suchers Besitz befindliche Libretto interessierte, schlug Schaumann Bruckner die Erstellung eines neuen Librettos vor. Bruckner antwortete auf Schaumanns Vorschlag, mit der inhaltlichen Vorgabe: „is scho’ recht, aber a Jagd und a Orgel in aner Kirch’n muaß drin vorkommen!“ (Göll.-Auer, Bd. 4/1, S. 628f.). Das von Schaumann 1886 gelieferte Libretto Die Bürgerreuth fand aufgrund der Darstellung religiöser Lebensweisen nur bedingt Bruckners Wohlwollen, sodass Schaumann 1889 auf Anfrage von Wilhelm Kienzl (1857–1941) Bruckner um die Rückgabe bat. Inwieweit dieses Kompositionsprojekt von Bruckner tatsächlich begonnen wurde, ist nicht überliefert, jedoch finden sich nach aktuellem Forschungsstand weder Skizzenmaterial noch weitere Belege dafür, dass Bruckner mit der Kompositionsarbeit begonnen hätte. Auch Kienzl setzte das Libretto letztlich nicht um. Ein weiteres, letztlich nicht umgesetztes Libretto sollte Schaumann auf Vermittlung von Gustav Schur (1849–1919) – langjähriger Kassenwart des Wiener Akademischen Wagner-Verein – über die Novelle Der Dreispitz von Pedro Antonio de Alarcón (1833–1891) für Hugo Wolf anfertigen, welches Wolf – laut Ernst Decseys Bericht – wortlos zurückgab. Ein weiterer Einakter Schaumanns, der Wolf durch Schur angetragen wurde, fand zwar Wolfs Gefallen, wurde jedoch auch nicht umgesetzt. Letztlich lieferte Schaumann dennoch einige Libretti, die in Musik gesetzt wurden, u. a. für Richard Heuberger und Rudolf Weinwurm.
Schaumanns aktive Teilnahme im Wiener Akademischen Gesangverein sowie im Wiener Akademischen Wagner-Verein zeigt sich in einer Vielzahl an in den jeweiligen Jahresberichten dokumentierten Vereinskonzerten, Kneipabenden und Liedertafeln, bei denen Schaumann als Tenor Solopartien übernahm, wie beispielsweise im Rahmen der internen Vereinsabende am 22.5./14.6.1883 (zunächst 1. Akt, am darauffolgenden Termin 2. und 3. Akt), bei der Schaumann, am Klavier begleitet von Robert Erben, den Parsifal gab und Bruckner höchstwahrscheinlich anwesend war. Ein Jahr zuvor am 26.7.1882 hatte Schaumann an der Uraufführung in Bayreuth teilgenommen.
Ob auch Schaumann in die Vorbereitung zur am 15.1.1891 stattfindenden Grillparzer-Feier an der Universität Wien eingebunden war, ist nicht bekannt. Schaumann übernahm sowohl für die Uraufführung des Chores Träumen und Wachen als auch für die Wiederholung im Rahmen des II. satzungsmäßigen Vereinskonzertes am 4.3.1891 im Großen Musikvereinsaal unter der Leitung Raoul Maders das Tenor-Solo. Zu dieser Aufführung berichtet der Rezensent der Österreichischen Volkszeitung: „Es scheint uns, als ob der Verein nicht stark genug wäre, um mächtige Kompositionen, wie z. B. Bruckner’s ‚Träumen und Wachen‘ (welches für die Grillparzer-Feier an der Universität komponi[e]rt wurde und dem Rektor Dr. Hartel gewidmet ist) in einem großen Saale zur Geltung zu bringen. Auch störte die Aufdringlichkeit einzelner Stimmen. […] Das Solo der letztgenannten Komposition trug Herr Schaumann mit etwas gepreßter Stimme vor.“ (Österreichische Volkszeitung 12.3.1891, Nr. 70, S. 4).
Am 11.12.1891 anlässlich des Festkommerses zur Ernennung Bruckners zum Ehrendoktor der Universität Wien im Sophiensaal hielt Schaumann die Festrede. Der ursprünglich geplante Redner, August Göllerich, wurde kurzfristig ersetzt: ob dies aufgrund der deutsch-nationalen und antisemitischen Einstellung Göllerichs und der damit verbundenen Sorge vor einem Skandal (Provokation gegenüber dem eingeladenen Rektor Adolf Exner, der jüdischer Abstammung war) oder doch auf Wunsch Bruckners, der eine politische Vereinnahmung seiner Person sowie der Veranstaltung entgegenwirken wollte, hin geschah, lässt sich vermutlich ambig beantworten. In seiner Festrede, die Schaumann teils an das Publikum sowie an direkt Bruckner richtete, umreißt er biographische Stationen im Leben Bruckners, zitiert einen Brief Paul Heyses, setzt Spitzen gegen die Bruckner ablehnende Musikkritik und beschwört die Verbindung Bruckners zur akademischen Jugend, dem Wiener Akademischen Gesangverein sowie zu Bruckners Verortung als „deutscher Komponist“.
Eine weitere Rede hiel Schaumann anlässlich des Trauerkommerses des Wiener Akademischen Gesangsvereins am 28.10.1896 im Ronacher, in der er neben einem Charakterbild Bruckners eine von Josef Schalk vorbereitete Zusammenfassung zu sämtlichen Symphonien Bruckners vortrug. Auch in dieser verwies Schaumann auf den Parteienstreit sowie die zugehörige Ablehnung Bruckners durch die Musikpresse. Zur Bruckner-Feier am 25. Oktober 1906 im Großen Festsaal der Universität zum 10. Todestag des Komponisten wurde von Georg Reimers (1860–1936) ein von Schaumann verfasster Nachruf auf Bruckner verlesen.
Gewissermaßen als Zeichen der Dankbarkeit für seine Verdienste um Bruckner sowie vermutlich seine Vereinstätigkeit erhielt Schaumann Bruckners autografe Partitur der Graduale-Vertonung Christus factus est (WAB 10, heute A-Wn Mus.Hs.44227).
Sein älterer Bruder Karl (1847–1917), musikalischer Autodidakt, war als Komponist tätig. Zu seinen Werken zählten neben Chören, Walzern und Polkas die Oper Die Thurmschwalbe und das Singspiel Die Soldatenbraut.
Schriften
- Aus der Burschenzeit. Der Roman eines Freundes. Eine lyrische Novelle von F. S. 1874, Wien 1880.
- Ad dies festos. Statistische Daten zur Erinnerung an die Maitage 1883. Wien 1883
Libretti
- O diese Tenore: Scenen aus dem studentischen Sangesleben. Operette in einem Akt von Rudolf Weinwurm für Männerstimmen mit Begleitung des Pianoforte, Wien 1884
- Abenteuer einer Neujahrsnacht. Komische Oper in drei Akten von Richard Heuberger, op. 29, Mainz 1886
- Aus dem Naßwald
- Die Bürgerreuth (nicht vertont)
- Der Turm mit sieben Pforten [1909, Musik von Arthur Felkl]
- Zahlreiche Kneipstücke und Bieropern (u. a. König Ottokars Glück und Ende [1873, zusammen mit Staniek und Haymerle], Der letzte Ichthyosaurus [1874], Die Bürgschaft [1877, zusammen mit Karl Fischer], Barus, der Selbstmörder [1877], Jost vom Horste, der Bluthund [1878], Maro ni Arostiti [1878, Musik von C. Conradin], Sesostris oder Altägyptische Liebe rostet nicht [1879, Musik von C. Conradin], Quidquopropter oder Siehe Theaterzettel [1879], Kara Mustaphas Todesangst [1883],)
Literatur
- Taufbuch 1846–1855 der Pfarre Stockerau, fol. 192
- Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Gesellschaftsakten, Matrikel Franz Schaumann, Schuljahr 1876–1878
- Jahresberichte des Wiener Akademischen Wagner-Vereines. Hg. v. Wiener Akademischen Wagner-Verein. Wien 1873–1900
- Jahresberichte des Wiener Akademischen Gesangvereines. Hg. v. Wiener Akademischen Gesangverein. Wien 1873–1900
- Neue Freie Presse, 25.1.1880, S. 5
- Die Presse 34. Jg., 22.5.1881 S. 15
- Jahresbericht des Wiener Akademischen Gesangvereines über das vierunddreissigste Vereinsjahr (67. und 68. Semester) vom 1. October 1891 bis 30. September 1892. Wien 1892, S. 28–35
- Deutsches Volksblatt 12.12.1891, Abendausgabe, S. 2f.
- Jahresbericht des Wiener Akademischen Gesangvereines über das neununddreißigste Vereinsjahr (77. und 78. Semester) vom 1. October 1896 bis 30. September 1897. Wien 1897, S. 12–18
- Ernst Descey, Hugo Wolf. III. Band: Der Künstler und die Welt (1892–1895). Leipzig 1904, S. 147ff.
- René Gerber (Red.), 100 Semester Akademischer Gesangverein Wien 1858–1908. Festschrift herausgegeben aus Anlass des 50. Stiftungsfestes des Akademischen Gesangvereines in Wien, 29. Mai bis 1. Juni 1908. Wien 1908
- Karl Lorenz, Franz Schaumann, in: Mitteilungen des AGV und seiner alten Herren, 13. Jg. H. 2–3, Dezember 1915, Wien 1915, S. 25–31
- Eduard Khittel, Franz Schaumann als Richter, in: Mitteilungen des AGV und seiner alten Herren, 13. Jg. H. 2–3, Dezember 1915, Wien 1915, S. 31–34
- Alois Höfler, Franz Schaumann der Kunstfreund und Künstler, in: Mitteilungen des AGV und seiner alten Herren, 13. Jg. H. 2–3, Dezember 1915, Wien 1915, S. 34–38
- Franz Brunner, Franz Schaumann als Dichter und Schriftsteller, in: Mitteilungen des AGV und seiner alten Herren, 13. Jg. H. 2–3, Dezember 1915, Wien 1915, S. 39–48
- Josef Weinberger, Schaumann und der Akademische Gesangverein, in: Mitteilungen des AGV und seiner alten Herren, 13. Jg. H. 2–3, Dezember 1915, Wien 1915, S. 48–53
- Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 4/1, S. 628f.
- Ernst Decsey, Ruhm nach dem Tode. Tragik und Ende Hugo Wolfs, in: Neues Wiener Tagblatt (Wochen-Ausgabe) 18.4.1936, S. 10
- 100 Jahre Wiener Akademische Sängerschaft. Festschrift hrsg. zum 100. Stiftungsfest der Wiener Akademischen Sängerschaft Barden 1858–1958. Wien 1958, S. 34f.