Tilgner, Viktor (Victor Oskar)
* 25.10.1844 Pressburg/Ungarn (Bratislava/SK), † 16.4.1896 Wien/A. Bildhauer.
1859–1871 Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Die von ihm geschaffene Büste der Hofschauspielerin Charlotte Wolter (1834–1897) wurde bei der Weltausstellung Wien 1873 mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. 1880 Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste. Neben zahlreichen dekorativen Statuen und Büsten im Kontext der Ringstraßenbauten schuf er u. a. die berühmten Denkmäler für den Fabrikanten Josef Werndl (1831–1889) in Steyr und für Wolfgang Amadeus Mozart in Wien.
Anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorates führte Carl Almeroth Bruckner zu Tilgner, der in wenigen und – für den bei solchen Vorhaben meist ungeduldigen Komponisten – kurzweiligen Sitzungen (beginnend am 7.11.1891) die inzwischen berühmte Bruckner-Büste (IKO 55; Ikonografie) schuf: Bei diesen Modellsitzungen kam Bruckner mit interessanten Persönlichkeiten ins Gespräch, darunter mit Hans Graf Wilczek (1837–1922) von der österreichischen Nordpolexpedition und dem damaligen Fürsterzbischof von Prag, Franz Kardinal Graf Schönborn (1844–1899). Worüber dabei im Einzelnen gesprochen wurde, ist nur teilweise bekannt; jedenfalls muss Bruckner von den Unterhaltungen innerlich berührt gewesen sein, sein lebendiger Gesichtsausdruck ist in dem Kunstwerk Tilgners eingefangen. Der Grafiker Alfred Cossmann stellte dazu fest: „Mir ist nicht bekannt, ob der Bildhauer Tilgner, der im gleichen Jahre 1896, sechs Monate vor Bruckner, starb, die Vorträge des Tondichters besucht hat. Jedenfalls ist die Auffassung Bruckners meisterhaft, die Tilgner zum Ausdruck brachte durch Festhalten jener beschriebenen, vielleicht nur einmal gesehenen Stellung des visionär in eine andere Welt entrückten Künstlers, der, bescheiden im Leben, sich seines Könnens wohl bewußt war“ (Cossmann, S. 54). Der Kunsthistoriker Lothar Schultes (* 1955) verglich die Büste mit den gemalten Bildnissen Bruckners und kam zu dem Ergebnis, dass Bruckner bei Tilgner „angespannt, inspiriert, fast seherisch“ (Schultes, S. 50) erscheine. Die Büste diente als Vorbild für Cossmann, Alfons Siber (IKO 134) u. a.
Die Bruckner-Büsten Tilgners der beiden Denkmäler in Steyr und in Wien stehen auf je einem Sockel von Fritz Zerritsch, der Mitarbeiter von Tilgner war und auch dessen Atelier weiterführte.
Das Denkmal in Wien wurde immer wieder beschädigt oder besprüht (u. a. als „frauenfeindliches Denkmal“), so dass es abgebaut und restauriert werden musste. Sein endgültiger neuer Standort ist nach wie vor nicht bestimmt. Das Denkmal, das heute im Stadtpark (an anderer Stelle) steht, hat einen neuen Sockel von Stefan Kameyeczky. Auch dieser einfache Marmor-Stein, der eine Kopie der Tilgner-Büste trägt, wurde schon von Sprayern beschädigt.
Literatur
- Carl Almeroth, Wie die Bruckner-Büste entstand (Zum Bruckner-Denkmal). Nachdruck hg. von Leopold Nowak. Wien 1979
- Alfred Cossmann, Ein Wiener Künstlerleben. Wien 1945
- Franz Gräflinger, Wie die Bruckner-Büste von Tilgner entstand, in: OÖNOberösterreichische Nachrichten. Linz 1945ff. 21.6.1949, S. 5
- Lothar Schultes, Ein zweiter Seneca – Die Bruckner-Büste Viktor Tilgners im Rahmen des neuzeitlichen Geniekults, in: Bruckner-Symposion 1990Othmar Wessely (Hg.), Bruckner-Symposion. Musikstadt Linz – Musikland Oberösterreich. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1990. 19.–23. September 1990. Bericht. Linz 1993, S. 47–56
- Bruckner-Ikonographie IRenate Grasberger, Bruckner-Ikonographie. Teil 1: Um 1854 bis 1924 (Anton Bruckner. Dokumente und Studien 7). Graz 1990
- Walter Krause, Art. „Tilgner, Victor (Viktor) Oskar“, in: www.biographien.ac.at [16.5.2019]
- Fritz Pollak, Art. „Tilgner, Viktor Oskar“, in: www.deutsche-biographie.de [16.5.2019]