Universität Wien
Die Universität Wien stellte für Bruckner schon früh eines der Ziele seiner Lebensplanung dar. Dahinter stand wohl die Vorstellung von „Wissenschaft“, wie sie im 18. Jahrhundert die perfekte theoretische Durchdringung der „Kunst“ bezeichnete. Unter dieser Voraussetzung ist es sicherlich zu verstehen, dass Bruckner am 2.11.1867 noch von Linz aus, ein Jahr vor der Übersiedlung nach Wien, an die dortige Universität ein Gesuch um „Aufnahme als Lehrer der musikalischen Composition“ (Briefe I, 671102) richtete. Es wurde, wie schon einige Jahre zuvor eine ähnliche Eingabe des akademischen Chormeisters und Gesangslehrers Rudolf Weinwurm, mit der im Gutachten Eduard Hanslicks ausgeführten Begründung, dass der Kompositionsunterricht Sache eines Konservatoriums und nicht der Universität sei, abgewiesen. Gleiches widerfuhr einem weiteren Gesuch vom 18.4.1874. Dessen Adressierung an das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht und die nachfolgenden Vorgänge lassen vermuten, dass Bruckner diesmal mit Wissen des Ministers Karl Anton Franz von Stremayr handelte. Die Fakultät entschied, wieder aufgrund einer Stellungnahme Hanslicks, abermals für die Ablehnung. Auch ein neuerlicher Vorstoß wenige Wochen später (10.5.1874) blieb trotz recht deutlicher Hinweise auf die Protektion des Ministers erfolglos; dabei erlangte ein Antrag des Slavisten Franz Miklosich (1813–1891) auf Verleihung einer unbesoldeten Lehrstelle (was den Intentionen Bruckners vermutlich nicht entsprach) nur die Zustimmung einer Minderheit. Eben diese Lösung wurde jedoch im folgenden Jahr (29.10.1875), nachdem Bruckner wieder ein Gesuch an das Ministerium gerichtet hatte, ohne in den Akten erkennbaren Widerstand angenommen. Dass allerdings Hanslick bei der Sitzung nicht anwesend war (was aber auch sonst häufig der Fall war) und dass sein zustimmendes Gutachten, das noch dazu einem Aktenvermerk zufolge „in Verstos gerathen“ (Lach, S. 43) war, nur vom Dekan referiert wurde, dürfte darauf hinweisen, dass diese Entscheidung unter dem Druck des Ministers erfolgte. Am 26.7.1876 bat Bruckner den Obersthofmeister Konstantin Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst um Fürsprache bei Kaiser Franz Joseph I. bezüglich der Verleihung einer „mit einem jährlichen dotirten Gehalte verbundene außerordentliche Professur für Harmonielehre und Contrapunkt an der hiesigen kk. Universität“ (Briefe I, 760726). Ein halbes Jahr später versuchte Bruckner beim Ministerium wenigstens die fixe Besoldung zu erreichen (Briefe I, 770112), was allerdings auch vom Minister abgelehnt werden musste. Hingegen erhielt er mit Befürwortung Hanslicks die für Lektoren übliche semesterweise Remuneration.
Bruckner begann seine Vorlesungstätigkeit (Lehrtätigkeit) mit Sommersemester 1876 und beendete sie Anfang November 1894. Eine interessante Übersicht hierzu bietet Ernst Schwanzara (S. 113). In den Nationalen der philosophischen Fakultät sind insgesamt 166 Studenten (davon nur etwa sechs Prozent Musiker) nachweisbar, die Lehrveranstaltungen bei Bruckner belegten. Dazu kommen noch solche, die an anderen Fakultäten (für die juristische Fakultät konnten 230 Bruckner-Hörer erhoben werden; die Nationalen der medizinischen und theologischen Fakultät wurden dahingehend noch nicht untersucht) oder gar nicht inskribiert waren. Im Wintersemester 1876/77 hatte Bruckner nach eigenen Angaben 70 Hörer. In den Nationalen der philosophischen und juristischen Fakultät fanden sich für dieses Semester allerdings nur 30 Studenten, die eine Bruckner-Lehrveranstaltung inskribierten. Es ist daher anzunehmen, dass zahlreiche Bruckner-Schüler aufgrund fehlender Inskriptionsblätter auch in Zukunft nicht als solche nachweisbar sind. Prominente Hörer Bruckners an der Universität Wien waren Friedrich Eckstein, Max Graf, Alois Höfler (1853–1922), Viktor Junk (1875–1948), Karl Kobald, Gustav Mahler, Josip Mantuani (1860–1933), Max von Oberleithner und Rudolf Steiner.
Wie sich Schwanzara erinnerte, waren die Vorlesungen „auf ‚Publikum‘, also auf eine Hörerschaft abgestimmt, die größtenteils keine erheblichen Vorkenntnisse besaß.“ (S. 5). Über die Art und Weise der Lehrtätigkeit Bruckners existieren verschiedene Berichte, in denen das Anekdotische (Anekdoten) vom Tatsachenbericht nicht zu trennen ist. Übereinstimmung besteht im Wesentlichen in den Berichten vom patriarchalisch-herzlichen Verhältnis Bruckners zumindest zu einer ausgewählten Schar seiner Studenten (er nannte sie „Gaudeamus“ [Spitznamen]), der er gelegentlich ihn beschäftigende Lebens- und Schaffensprobleme anvertraute und auch aus seinen Werken vorspielte. Kein Grund zum Zweifel besteht auch an der Tatsache, dass er seine Erklärungen mit drastisch-urwüchsigen Formulierungen und Vergleichen vorbrachte. So mag es auch stimmen, dass ein Teil der Hörer weniger des Lernens wegen kam als um der „Hetz“ willen oder einfach um die Gelegenheit zu nützen, dem Komponisten nahezukommen.
1891 erfuhr Bruckner von der Universität Wien jene Ehrung, die er, wenigstens für längere Zeit, für die höchste ihm erreichbare hielt: das Ehrendoktorat.
Nach Bruckners Tod fanden in der Universität Wien verschiedene ihm gewidmete repräsentative Veranstaltungen statt. Im Wintersemester 1902/03 arrangierte Theodor Helm Bruckner-Abende in der Kleinen Aula mit Einführungsvorträgen und vierhändigen Klavieraufführungen von Symphonien. 1912 wurde auf Antrag des Wiener Akademischen Gesangvereins im Arkadenhof ein Denkmal von Josef Tautenhayn errichtet (IKO 126). Am 1.3.1951 fand eine Akademische Feier statt, in deren Rahmen die Originale der im Jahr zuvor im Druck veröffentlichten Mitschriften von Bruckner-Kollegien von Schwanzara der Universität übergeben wurden.
Literatur
- Robert Lach, Die Bruckner-Akten des Wiener Universitäts-Archives. Wien–Prag–Leipzig 1926
- Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 4/3
- Ernst Schwanzara (Hg.), Anton Bruckner, Vorlesungen über Harmonielehre und Kontrapunkt an der Universität Wien. Wien 1950
- Theophil Antonicek, Bruckners Universitätsschüler in den Nationalien der philosophischen Fakultät. Mit einem Verzeichnis der Hörer von Vorlesungen über musikalische Gegenstände vom Sommersemester 1875 bis zum Wintersemester 1896/97, in: Bruckner-Studien 1975Othmar Wessely (Hg.), Bruckner-Studien. Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum 150. Geburtstag von Anton Bruckner (Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung/Philosophisch-Historische Klasse 16). Wien 1975, S. 433–487
- Theophil Antonicek, Anton Bruckner und die Universität, in: Bruckner‑Symposion Leipzig 1987Steffen Lieberwirth (Hg.), Kongreßbericht zum V. Internationalen Gewandhaus-Symposium. Anton Bruckner – Leben, Werk, Interpretation, Rezeption. Anläßlich der Gewandhaus-Festtage 1987. Leipzig, 9.–11. Oktober 1987. Leipzig 1988, S. 28–33
- Elisabeth Hilscher, Bruckner als Gelehrter – Bruckner als Geehrter. Der Akademische Gesangverein als studentische Verehrergemeinde Bruckners, in: Bruckner‑Symposion 1988Othmar Wessely (Hg.), Bruckner-Symposion. Anton Bruckner als Schüler und Lehrer. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1988. 21.–25. September 1988. Bericht. Linz 1992, S. 119–127
- Bruckner-Ikonographie IRenate Grasberger, Bruckner-Ikonographie. Teil 1: Um 1854 bis 1924 (Anton Bruckner. Dokumente und Studien 7). Graz 1990
- Theophil Antonicek/Kurt Mühlberger (Hg.), Anton Bruckner, Lektor für Harmonielehre und Kontrapunkt an der Universität Wien 1875–1896. Dokumentation zum 100. Todestag, 11. Oktober 1996. Wien 1996
- Elisabeth Maier, „… wählte ich mir die musikalische Wissenschaft …“. Zu Anton Bruckners künstlerischem Selbstverständnis, in: Vom Ruf zum NachrufHelga Ritschel (Red.), Vom Ruf zum Nachruf. Künstlerschicksale in Oberösterreich. Anton Bruckner. Landesausstellung Oberösterreich 1996 [Katalog]. Linz 1996, S. 202–213
- Briefe IAndrea Harrandt/Otto Schneider (Hg.), Briefe von, an und über Anton Bruckner. Bd. I. 1852–1886 (NGA XXIV/1). 2., rev. und verbesserte Aufl. Wien 2009
- www.demos.ac.at [12.6.2017]