Generalpause

Der Generalpause kommt im Werk Bruckners eine signifikante und wichtige Rolle zu. Dieser Umstand hat auch der Zweiten Symphonie, in der die Generalpause ein geradezu hervorstechendes Merkmal darstellt, den spöttisch-abwertenden Beinamen „Pausensymphonie“ eingetragen. Häufig wurden diese markanten Ruhepunkte oberflächlich kritisch zu seinem angeblichen Mangel an Formsinn (Form) hinzugerechnet; so meinte etwa Alfred Einstein (1880–1952) in seinem Buch Größe in der Musik, ob sie „wirklich mit Form geladen“ oder nicht doch als „bloß leer“ aufzufassen wären (S. 38).

Genauer betrachtet gehören diese Pausen jedoch in den Bruckner-typischen Bauplan, ja sie bilden ein wesentliches Merkmal darin. Diese spezifische Art der Strukturierung wird grundsätzlich durch Bruckners reihendes, „additives“ Verfahren ermöglicht. Schon 1925 hat Ernst Kurth treffend das gestalterische Moment von Bruckners Pausensetzung im Rahmen eines generell dynamischen Formkonzepts herausgestellt und konkret am Beispiel der Zweiten differenziert: „Gerade die Pausen trennen hier gar nicht immer, oft verbinden sie, indem der weiterwirkende Kraftstrom sie durchzieht; wo sie hingegen abschließend wirken, da sind sie durch langes Abklingen vorbereitet, das sie organisch fortsetzen, und auch in dieser einfachen dynamischen Wirkung unterscheiden sie sich wesentlich von den bloß rhythmisch-symmetrischen Ergänzungspausen, die man gewohnt war.“ (Bd. 2, S. 777f.).

Die Pausen befinden sich an dramaturgisch bedeutsamen Stellen, an denen bestimmte Formabschnitte zu ihrem Abschluss gelangen (z. B. der Hauptthemenkomplex in der Exposition des Kopfsatzes oder nach dem durch das 3. Thema erreichten Expositionshöhepunkt). Als leerer Platz für Satzzeichen (vgl. Manfred Wagner) besitzen sie gliedernde Funktion in Bruckners dynamischen Steigerungszügen (Stilmerkmale). Sie ermöglichen thematische Neuansätze, indem sie abrupt den Weg frei geben für Kommendes.

Es ist interessant, dass Bruckner in Erstfassungen von Symphonien durch Generalpausen dem Nachhall ein Ausklingen ermöglicht hat, das dann in späteren Fassungen (als Überleitung) auskomponiert erscheint (z. B. Vierte, vor dem Beginn des 2. Themas, Buchstabe B).

Eine detaillierte Analyse zum Themenkreis „Generalpause“ – auch zu möglichen von Franz Schubert her kommenden Einflüssen – steht bislang noch aus.

Von Seite der Germanistik stellt Helmut Müller-Sievers (* 1957) zur Generalpause bei Bruckner fest: „Je größer und lauter das Orchester, desto länger ist die physiologische Brücke, die durch das Erzittern und die Tonschwingungen der Musik auf die andere Seite des Abgrunds hilft. Doch irgendwo ist die Grenze, an der die Musik abstirbt, das Metrum verstummt und nichts als Stille bleibt.“ (S. 128f.).

Literatur
  • Ernst Kurth, Bruckner. 2 Bde. Berlin 1925
  • Alfred Einstein, Größe in der Musik. München 1980
  • Manfred Wagner, Zur Interpunktion in der Musik Anton Bruckners, in: Bruckner-JahrbuchBruckner-Jahrbuch. (Wechselnde Herausgeber). Linz 1980ff. 1981, S. 53–56
  • Helmut Müller-Sievers, Generalpause. Ein langer Umweg von Hegel zu Bruckner, in: Bettina Lindorfer/Dirk Naguschewski (Hg.), Hegel: Zur Sprache. Beiträge zur Geschichte des europäischen Sprachdenkens. Festschrift für Jürgen Trabant zum 60. Geburtstag. Tübingen 2002, S. 121–129

ERICH WOLFGANG PARTSCH

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 1.9.2017

Medien

Kategorien

Links

ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft