Vierte Symphonie in Es‑Dur (WAB 104)

2 Fl., kl. Fl. (nur im Finale der 3. Fsg.), 2 Ob., 2 Klar., 2 Fg., 4 Hr., 3 Trp., 3 Pos., Btb. (nicht in der 1. Fsg.), Pk., Becken (nur im Finale der 3. Fsg.), Str.

Sätze: 1. Fsg. 1874: 1. Satz: „Allegro“; 2. Satz: „Andante quasi Allegretto“; 3. Satz: „Sehr schnell“, „Trio. Im gleichen Tempo“; 4. Satz: [Allegro moderato]
2. Fsg. 1878/80: 1. Satz: „Bewegt, nicht zu schnell“; 2. Satz: „Andante quasi Allegretto“; 3. Satz: „Scherzo. Bewegt“, „Trio. Nicht zu schnell. Keinesfalls schleppend“; 4. Satz: Fsg. 1878: „Allegro moderato“, Fsg. 1880: „Finale. Bewegt, doch nicht zu schnell“
3. Fsg. 1888: 1. Satz: „Ruhig bewegt (nur nicht schnell)“; 2. Satz: „Andante“; 3. Satz: „Scherzo. Bewegt“, „Trio. Gemächlich“; 4. Satz: „Finale. Mäßig bewegt“
EZ: 1. Fsg.: 1874; Revision 1876
2. Fsg.: 1877/78; neues Finale 1880; weitere Änderungen vor und nach der UA am 20.2.1881; einige Retuschen im Sommer 1886
3. Fsg.: Umarbeitung 1887/88
W: Konstantin Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst („Sr Durchlaucht Constantin Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Erster Obersthofmeister Sr Majestät des Kaisers, kk. Wirklicher geheimer Rath, Oberst sämmtlicher kk. Leibgarden, General der Cavalerie, Regiments-Inhaber, Mitglied des Herrenhauses, Inhaber vieler Orden etc. etc. etc. in tiefster Ehrfurcht gewidmet […]“)
UA: 1. Fsg.: 12.12.1909 in Linz (3. Satz; III. statutenmäßiges Konzert des Linzer Musikvereines; August Göllerich), 20.9.1975 in Linz, Brucknerhaus (gesamte Symphonie; Münchner Philharmoniker; Kurt Wöss)
2. Fsg.: 4.2.1880 in Wien, Bösendorfersaal (1. und 3. Satz in einer Bearbeitung für Klavier vierhändig; Felix Mottl und Johann Paumgartner); 20.2.1881 in Wien, Musikvereinssaal (Wiener Philharmoniker; Hans Richter)
3. Fsg.: 22.1.1888 in Wien, Musikvereinssaal (Wiener Philharmoniker; H. Richter)
Aut.: 1. Fsg.: ÖNB‑MS (Mus.Hs.6082)
2. Fsg.: ÖNB‑MS (Mus.Hs.19476, mit Finale von 1880); Wienbibliothek, Musiksammlung (MH6778, Finale 1878); Columbia University in the City of New York, Butler Library (MN 98-8029, As. mit autografer Widmung)
3. Fsg.: in Privatbesitz (As. mit autografen Eintragungen, Stichvorlage)
ED: 3. Fsg.: Gutmann, Wien 1889/90
AGA: 2. Fsg.: Band 4/1 (Robert Haas, 1936, mit Finale 1880, ergänzend Finale 1878 beigegeben)
NGA: 1. Fsg.: Band IV/1 (Leopold Nowak, 1975; 2. verbesserte Aufl. 1990)
2. Fsg.: Band IV/2 (Nowak, 1953; 2. verbesserte Aufl. 1991); Finale 1878: zu Band IV/2 (Nowak, 1981)
3. Fsg.: Band IV/3 (Benjamin Marcus Korstvedt, 2004)

Zur Entstehung

Bruckner arbeitete knapp elf Monate an der Partitur der 1. Fassung. Er begann den 1. Satz am 2.1.1874 zu skizzieren, das Finale schloss er am 22.11.1874 ab. Seine Bemühungen um eine Aufführung hatten aber keinen Erfolg. Auch die für das Frühjahr 1877 geplante Uraufführung in Berlin durch Vermittlung Wilhelm Tapperts kam nicht zustande. Bruckner war mit der 1. Fassung schon unzufrieden, weswegen er sich nur wenig später zu einer Neufassung entschloss. So schrieb er am 12.10.1877 an Tappert: „Ich bin zur vollen Überzeugung gelangt, d[a]ß meine 4. romant. Sinfonie einer gründlichen Umarbeitung dringend bedarf. Es sind z B. im Adagio zu schwierige, unspielbare Violinfiguren, die Instrumentation hie u. da zu überladen u. zu unruhig.“ (Briefe I, 771012). Diese Umarbeitung begann er vor der missglückten Uraufführung der Dritten Symphonie. Die Neugestaltung des 1. Satzes war vor Sommer 1877 fertig, während der langsame Satz und das Finale den Zeitraum von 18.1.–30.9.1878 in Anspruch nahmen. In seiner neuen Gestalt war das Finale ziemlich gekürzt. Im November 1878 fügte er ein neukomponiertes Scherzo, „welches die Jagd vorstellt“ (Briefe I, 781009), hinzu. Bevor die Symphonie in dieser Gestalt zur Aufführung kam, entschied sich Bruckner im November 1879, das Finale erneut umzukomponieren. Die Arbeit daran schloss er am 5.6.1880 ab. Die vorhandenen Sätze mit diesem neuen Finale bilden die 2. Fassung, in welcher die Symphonie ihre erste Aufführung erlebte.

Doch Bruckner beschäftigte sich – nicht unähnlich seinen Arbeiten an der Dritten – ständig weiter mit dem Werk. Bald nach der Uraufführung revidierte er das Finale (bes. um T. 337–350), was einen Sprung von T. 350 nach T. 431 forderte. Er kürzte das Andante um 20 Takte und brachte einige Verbesserungen in der Instrumentation an. Nach zwei erfolglosen Versuchen, diese Fassung zu veröffentlichen, gab Bruckner 1886 eine mit autografen Eintragungen versehene Abschrift an Anton Seidl. Seidl dirigierte am 4.4.1888 (Göll.-A. 4/4, S. 237; in Göll.-A. 4/2, S. 591 wird der 9.4.1888 genannt) in New York die amerikanische Erstaufführung der Symphonie, aber in einer von ihm gekürzten Fassung. Heute befindet sich diese Partitur, mit Änderungen von Bruckner und von Seidl, in der Bibliothek der Columbia University in New York. Nowak, der diesen Text mit den autografen Instrumentationsretuschen als Haupttext seiner Ausgabe benutzte, sah darin die „letzte, endgültige Gestalt, in der Bruckner seine IV. Symphonie der Nachwelt überliefert und gedruckt wissen wollte“ (Vorwort, in: NGA IV/2). Diese Schlussfolgerung ist aber sicher ein Irrtum.

Schon 1887 entschied Bruckner, dass die Symphonie noch einer Umarbeitung bedurfte. Zunächst revidierte er das Finale, vielleicht mit editorischer Unterstützung von Ferdinand Löwe. Dann begann Löwe mit Zustimmung und sicher Beratung des Komponisten eine Uminstrumentierung. Eine Abschrift der ganzen Symphonie in dieser neuer Fassung – zumeist eine Bearbeitung der 2. Fassung – wurde von Löwe sowie Franz Schalk und Josef Schalk geschrieben. Vor und nach der ersten Aufführung dieser Fassung im Jänner 1888 arbeitete Bruckner selbst sorgfältig einige Male die Partitur durch. Die Tempoangaben sind besonders wichtig und klarer als in den früheren Fassungen. In einem Brief an Hermann Levi vom 27.2.1888 beschreibt Bruckner jene Partitur als „neu instrumentiert u[nd] zusammengezogen“, in der er nach der Aufführung „aus eigenem Antriebe noch Veränderungen gemacht“ hatte (Briefe II, 880227). Die von R. Haas aufgestellte, faktisch unbegründete Behauptung, dass die 3. Fassung Bruckners künstlerisches Wollen verfälsche, fand zwar jahrzehntelange Akzeptanz, ist nun aber durch die von neuen philologischen Forschungen zutage geförderte Quellenlage widerlegt. In der Tat betrachtete Bruckner die Fassung von 1888 als seine Endfassung.

Durch Levis Vermittlung wurde die Symphonie im Verlag Albert J. Gutmanns 1889 endlich gedruckt. Eine korrigierte, aber noch etwas fehlerhafte Ausgabe folgte 1890, die gedruckten Orchesterstimmen erst 1892.

Charakteristik

Wenn zu Beginn der Symphonie über dem Streichertremolo der Quintruf im Horn einsetzt, sind damit zwei Aspekte vorgegeben: zum einen Assoziationen in intervallischer („Naturklang“) und klangfarblicher Hinsicht (Horn), zum anderen eine motivische Dichte, die das gesamte Werk beherrscht. Denn die Quint erweist sich als ein Strukturintervall in allen Sätzen, wie auch dessen rhythmische Pointierung immer wiederkehrt, allerdings in wechselnden Zusammenhängen und von verschiedenen Seiten her beleuchtet.

Notenbeispiel 1: Vierte Symphonie (1. Fsg.), 1. Satz, Hr. 1, T. 3–9.

Die Nähe zu Natur und Romantik scheint angesichts charakteristischer Topoi bestätigt, allerdings trug Bruckner selbst durch Erklärungen viel zu dieser Auslegung bei (s. u.). Grundsätzlich klingt aber in der Vierten eine neue, ungewohnte Stimmung, eine Klang-Aura (erstmals in Dur) und melodische Sprache an, die manche Schroffheit kaschiert und damit insgesamt zu einem ausgeglicheneren, „homogenen“ Werkeindruck führt. Was der negativ eingestellte Kritiker Max Kalbeck „Unordnung eines Gelehrtenzimmers, wo alles über‑ und durcheinander liegt“ (Göll.-A. 4/1, S. 642) nannte, war nichts anderes als ein Angriff auf Bruckners vielfältige Variantentechnik, die das Werk durchzieht und – gewissermaßen in additiver Form – immer neue Hörperspektiven eröffnet. So kommt auch der relativ breit ausgeführten Coda im Kopfsatz die Funktion zu, in diese Vielfalt gewissermaßen ordnend einzugreifen.

Obwohl alle Sätze der Vierten Sonatenform-Prinzipien (Sonatenhauptsatzform) angenähert sind (d. h. von durchführungsartigen Passagen und Variantenbildungen durchdrungen), besitzt jeder seinen eigenständigen Typus: Umrahmt von den monumentalen, typisch Bruckner‘schen Steigerungszügen, von Bruckner-Rhythmus und markanten Themen geprägte Ecksätzen stehen der trauermarschartige langsame Satz in c‑Moll und das sogenannte „Jagd-Scherzo“ mit einem stilisierten Ländler als Trio. Die beiden frühen Fassungen des Finales haben eine episodische Form (mit phantastischen Terzverwandtschaften in der Coda von 1874), aber in den Fassungen von 1880 und 1888 gewinnt dieser Satz eine besondere Synthese von erhabener Macht und ausdrucksvoller Lyrik.

Notenbeispiel 2: Vierte Symphonie (1. Fsg.), 1. Satz, Fl. 1 und 2, Hr. 1, T. 43–47.

Zur Rezeption

Bruckner selbst betrachtete die Vierte als eine seiner fasslichsten Symphonien. Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass die große Popularität der Vierten mit der auf Bruckner selbst zurückgehenden Bezeichnung „Romantische“ und den damit verknüpften Assoziationen zusammenhängt. Die häufige Präsenz im Konzertsaal, auf Tonträgern, im Musikschrifttum und nicht zuletzt in Schulbüchern weist – im Vergleich etwa zur Zweiten, Fünften oder Sechsten – auf die leichte Verständlichkeit der Symphonie hin. Schon der Komponist selbst schuf ja durch weitere Begriffe wie „Kohlmeise Zizipe“ (1. Satz, Seitenthema), „Jagd“ (Scherzo), „Rehbrad‘l“ (Trio) oder „Volksfest“ (Finale 1878) Voraussetzungen für eine illustrativ-verständliche Sicht. Zum 1. Satz existiert sogar Bruckners berühmte programmatische Darstellung der „mittelalterlichen Stadt“ mit „Morgenweckrufen“, „Rittern“ und „Waldesrauschen“ (vgl. Constantin Floros). Natürlich schloss die frühe Musikkritik und Interpretation an diese Quellen an und es entstand eine Vielzahl pseudopoetischer Beschreibungen. Hinzu kommt, dass Struktur und Musiksprache des Werks in ihrer Fasslichkeit zu einer günstigen Aufnahme beitrugen. Schon die Uraufführung 1881 war ein auffallend großer Erfolg. Nach dieser schrieb z. B. Eduard Kremser: „Bruckner ist der Schubert unserer Zeit. Es ist ein solcher Strom von Empfindungen in seinem Werke, und eine Idee drängt so die andere, daß man den Reichthum seines Geistes wahrhaft bewundern muß“ (Beilage zu Nr. 61 des Vaterland 3.3.1881, S. 10f.).

Bereits zu Bruckners Lebzeiten wurde die Vierte in Österreich und Deutschland relativ häufig gespielt. Auch in Brünn und Troppau fanden Aufführungen statt und 1888 die amerikanische Erstaufführung in New York. In der Deutschen Zeitung hieß es nach einer Aufführung in München: „Der gewaltige erste Satz der ‚Romantischen Symphonie‘ wurde stürmisch zur Wiederholung verlangt!! Ein in den Annalen der Concertgeschichte fast unerhörter Fall“ (Deutsche Zeitung 29.1.1897, S. 6). Bis 1900 erklang sie rund fünfzigmal (Göll.-A. 4/4, S. 237f.). Erst 1909 allerdings wurde zumindest das Scherzo in der Fassung 1874 in einem Linzer Konzert aufgeführt.

Heute zählt die Vierte unvermindert zu den beliebtesten Werken Bruckners. Weltweit gehört sie zum gängigen Orchesterrepertoire. Es liegen mehrere Einspielungen jeder Fassung vor. Bruckners Bemerkung an Tappert von 1878, dass diese Symphonie – nach der Umarbeitung – „ihre Wirkung machen wird“ (Briefe I, 781009), hat sich bewahrheitet.

Literatur

BENJAMIN M. KORSTVEDT, ERICH WOLFGANG PARTSCH

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 22.7.2020

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Quellen (Werkverzeichnis)

Erstdruck

AGA

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