Stilmerkmale

Bruckners Musik, speziell seine Symphonik, ist gekennzeichnet von einem „grossen monumentalen Styl“ (Briefe II, 910623), wie es Hermann Levi 1891 formulierte. Levi sah Bruckner damit im Gegensatz zur romantischen Richtung von Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann (Briefe II, 910624). Bruckner selbst formulierte seine Vorstellung gleichsam ex negativo, indem er die Symphonien Schumanns, dessen Musik er gleichwohl schätzte, als „Sinfonietten“ bezeichnete (Göll.-A. 4/1, S. 312). Bruckners Symphonien folgen, so modern sie in ihrer Zeit erschienen, einem alten Modell. In Johann Georg Sulzers (1720–1779) Allgemeiner Theorie der Schönen Künste (1794) heißt es im Artikel „Symphonie“, sie sei „zu dem Ausdruk des Großen, des Feyerlichen und Erhabenen vorzüglich geschikt“ (Bd. 4, S. 478). Diese von Johann Abraham Peter Schulz (1747–1800) stammende Einschätzung, die für die Gattungsgeschichte der Symphonie insgesamt von nachhaltiger Wirkung war, beschreibt wesentliche Züge der Bruckner‘schen Symphonie. Unmittelbar erkennbar ist dies an der Anweisung „Feierlich“, die sich als Ausführungsanweisung in der Zweiten, Dritten sowie Sechsten bis Neunten Symphonie findet, und zwar überwiegend als Bestandteil von Satzbezeichnungen bzw. Tempovorschriften. Sie tritt auch im Kyrie der Messe in e‑Moll, im Te Deum („Aeterna fac“) und im Psalm 150 auf. Bruckner schreibt „Feierlich“ vornehmlich für die langsamen Symphoniesätze (Langsamer Satz) vor, aber auch für Finali, und selbstverständlich für Satzteile wie im 1. Satz der Siebenten Symphonie (Coda, T. 399: „Sehr feierlich“). Der 1. Satz der Neunten Symphonie verzichtet sogar auf eine ausdrückliche Tempoangabe und verknüpft „Feierlich“ zudem noch mit „Misterioso“, einer Vorschrift, die den intendierten Charakter steigert und vertieft. „Misterioso“ begegnet auch in der Dritten Symphonie (1. und 2. Satz) und in der Messe in f‑Moll (Credo: „Et incarnatus est“). Während die ebenfalls in diesen Zusammenhang gehörende Bezeichnung „Maestoso“ nur selten begegnet – im 1. Satz der Sechsten Symphonie (hier „Majestoso“) und im Sanctus der Messe in d‑Moll – sind Anweisungen wie marcato, „markiert“, „sehr markiert“, „markig“, „breit und markig“ oder die entsprechenden Akzent- oder marcato-Zeichen sehr häufig anzutreffen. Sie alle fordern, dass die Musik mit dem gehörigen Nachdruck gespielt wird, gewichtig und bedeutungsvoll, wie es der Ausdruck „des Großen, des Feyerlichen und Erhabenen“ verlangt.

Charakteristisch für Bruckners Musik ist der große Gestus. Die großen, nicht die kleinen Notenwerte bestimmen den Gang des Geschehens; als symptomatisch kann der Allabreve-Takt in den Ecksätzen ab der Dritten Symphonie gelten. Damit dort aber nicht etwa dennoch die Viertelnote zur Zählzeit wird, streut Bruckner fast regelmäßig Vierteltriolen ein, die die Halbe als Grundschlag gleichsam einfordern. In Verbindung mit den normalen Vierteln entsteht dabei der berühmte Bruckner-Rhythmus (2+3 oder 3+2 Viertel). Die große Geste eignet v. a. den Themen, allen voran dem Hauptthema des Kopfsatzes. Schon die Tatsache, dass der Satz nicht mit dem Thema beginnt, sondern diesem ein Klang oder ein Rhythmus vorausgeschickt wird, stellt es als etwas Besonderes heraus. Die Exposition ist als Ereignis komponiert. Die Themen selbst sind nicht nur prägnant gestaltet, sondern stets mit einem Zug ins Große und Großartige versehen. Verantwortlich dafür ist das Elementare des Rhythmus wie der Grundintervalle, voran Quinte und Oktave, die auch die Nebenstimmen beherrschen. Hinzu kommt der oft große Ambitus der konstituierenden Intervalle, eine fallende verminderte Septime etwa (Dritte, 4. Satz) oder eine aufsteigende kleine None (Neunte, 3. Satz). Auch weitgespannte melodische Bögen (Siebente, 1. Satz), heraldisch-exemplarische Instrumentation (Dritte, 1. Satz, Trompete) oder gewaltige Tutti-Unisoni wie bei den 3. Themen vermitteln den Eindruck von Größe und Großartigkeit. Der Gang der Harmonik unterstützt dies. Themen, die nahezu den gesamten Kreis der möglichen Töne und Tonarten durchlaufen (Siebente, 4. Satz; Dritte, 2. Satz, Mittelteil), erscheinen umfassend-universal. Auf den Eindruck des Großen und Großartigen setzen v. a. die Apotheosen, auf die die Musik immer wieder zuläuft, in den Ecksätzen mit dem Gipfelpunkt am Ende (nur der Kopfsatz der Achten Symphonie in der 2. Fassung verzichtet darauf). Hier wird geradezu eine Feier des Klangs veranstaltet, deren Träger die ostinatohaft repetierten Hauptthemen oder -motive sind (Motivik). Die Folge sind Klangausdehnungen respektive Klangflächen.

Dem großen Gestus entspricht die Ruhe der Bewegung. Bruckners Musik hat einen langsamen Duktus. Das folgt bereits aus der Tatsache, dass die großen Notenwerte bestimmend sind. Die häufig geforderten Vierteltriolen erzwingen nicht nur das Atmen in größeren, übergeordneten Einheiten, sondern sie tendieren zudem zur Dehnung oder Weitung der Bewegung, insbesondere dann, wenn aus den Vierteltriolen solche in Halbenoten werden. Ein quirliges Allegro, in dem die Viertelnote bestimmend wäre (oder gar ein noch kleinerer Wert), gibt es bei Bruckner nicht. Die Tendenz zum langsamen Duktus ist an den Tempovorschriften ablesbar, und sie wird mit fortschreitendem Werk deutlicher. Gibt es in den frühen Symphonien noch Angaben wie „Bewegt, feurig“ (Erste, 4. Satz) oder „Ziemlich schnell“ (Zweite, 1. Satz), so finden sich ab der Vierten Symphonie fast ausnahmslos tempodrosselnde Vorschriften wie „Bewegt, nicht zu schnell“ (Vierte, 1. Satz), „Bewegt, doch nicht zu schnell“ (Vierte, 4. Satz; Sechste, 4. Satz), „Bewegt, doch nicht schnell“ (Siebente, 4. Satz) oder „Allegro moderato“ (Vierte, 1. Fassung, 4. Satz; Fünfte, 4. Satz; Siebente, 1. Satz; Achte, 1. Satz). Der 1. Satz der Dritten Symphonie wechselt in seinen drei Fassungen von „Gemäßigt, misterioso“ über „Gemäßigt, mehr bewegt, misterioso“ zu „Mehr langsam, misterioso“. Vielsagend erscheint die Kombination von „Feierlich, nicht schnell“ im 4. Satz der Achten Symphonie. Nicht zufällig tritt „Feierlich“ vornehmlich in den langsamen Sätzen auf, verknüpft nicht nur mit „Adagio“, sondern auch mit „langsam“ und „sehr langsam“.

Die Anweisungen „gezogen“ und „gestrichen“ in den Streichinstrumenten versieht Bruckner gern mit suggestiven Zusätzen wie „breit“, „lang“ oder „ruhig“. Als tatsächlich schneller Satz erweist sich allein das Scherzo (einschließlich Trio). Es ist auch der einzige Satz, der durchgehend eine andere Taktart als 4/4 oder Allabreve aufweist. Der 3/4‑Takt im 1. Satz des Streichquintetts in F‑Dur erscheint als Ausnahme, die vermutlich der anderen Gattung geschuldet ist. In den langsamen Symphoniesätzen wechselt Bruckner bisweilen zum 3/4‑Takt (Erste; Dritte; Siebente; Achte), sonst aber herrschen 4/4 oder Allabreve, Bruckners gleichsam genuine Taktarten (die 12/8 im 2. Satz der Zweiten Symphonie sind ein verkappter 4/4‑Takt). Im Scherzo gilt der traditionelle 3/4‑Takt, im Trio begegnen einige Male auch 2/4 (Fünfte; Sechste; Achte). In der Kirchenmusik verfährt Bruckner zunächst deutlich anders. Die Missa solemnis weist ein großes Spektrum von 3/8 über 6/8, 9/8 und 12/8, zu 2/4, 3/4 und 4/4 auf, eine Vielfalt, die in den letzten drei Messen reduziert ist. Hier herrscht weithin der 4/4- oder der Allabreve-Takt und nur einzelne besondere Passagen weisen den 3/4‑Takt auf (Messe in d‑Moll und Messe in e‑Moll, Beginn des Credo und „Et in spiritum“; Messe in f‑Moll, „Qui tollis“, „qui cum Patre“, „et expecto“, „Pleni sunt“, „Hosanna“). Das Te Deum und der Psalm 150 stehen bezeichnenderweise im 4/4- bzw. Allabreve-Takt.

Zum großen Gestus gehört der „große“ Klang. Bruckner war kein „Freund von der staden (leisen) Musik“ (Göll.-A. 4/3, S. 549). Es geht dabei jedoch weniger um die geballte Klanggewalt, die reine Lautstärke, als vielmehr um das Volumen des Klangs, seine Kraft und seinen Nachdruck. Die Hauptthemen erklingen bei ihrer Exposition meist mehrere Male, zunächst in kleinerer Orchesterbesetzung, entsprechend in leiser oder mittlerer Lautstärke, dann im Tutti und dabei oft im f oder ff. Oder Bruckner unterscheidet von vornherein zwischen einem p- und einem f-Thema wie im 1. Satz der Dritten und Vierten Symphonie. Besonders die Apotheosen sind dynamische Aufgipfelungen, in denen die Themen in großer Klangentfaltung auftreten. Die häufigen Bogenwechsel in den Streichinstrumenten sowie Vorschriften wie „breit gestrichen“ bedingen Klangfülle, ebenso das in vielfältigen Varianten auftretende marcato. Es ist charakteristisch, dass für die Choräle im 1. Satz der Vierten und im 4. Satz der Fünften Symphonie keine legato-Bögen vorgeschrieben sind. Sie sollen nicht als Melodielinie präsentiert werden, sondern als Folge von Klangquadern, Ton nach Ton, Akkord nach Akkord.

Unterstützt wird dieses unverbundene Nebeneinander durch die Harmonik. So wenig sich Bruckner der modernen Harmonik seiner Zeit verschließt, etwa den durch Richard Wagners Tristan-Chromatik schier unendlich erweiterten Modulationsmöglichkeiten, so weit ist er doch von Wagners „Kunst des Überganges“ entfernt. Auch Wagners Neigung zur Verschleierung der Harmonik, zur Mehrdeutigkeit der Klänge ist Bruckner fremd. Er stellt die Klänge oder Akkorde meist unvermittelt nebeneinander, häufig in Gestalt reiner Grundakkorde. Eingeschlossen dabei ist eine Verwendung der Stufen der Tonleiter jenseits ihrer Funktion, modal, ähnlich wie im Palestrinastil, sowie die Einbeziehung der Medianten. Es gibt jedoch nicht nur das Nebeneinander von F- und Des‑Dur oder E- und C‑Dur an der Schnittstelle zwischen Haupt- und Seitensatz (Vierte, 1. Satz; Sechste, 4. Satz) oder das unvermittelte Aufeinandertreffen von f‑Moll und A‑Dur (wie etwa in der Sechsten, 4. Satz, T. 384f.), sondern auch das unverbundene Nebeneinander von F- und Ges‑Dur, A- und B‑Dur in der Introduktion der Fünften Symphonie (T. 14f., 21ff.) oder das gänzlich unvorbereitete Eintreten von F‑Dur in eine Ges‑Dur-Melodie wie bei der Exposition des Chorals im Finale der Fünften (T. 177). Bruckner hatte keine Bedenken, den Nachsatz einer klassisch-achttaktigen Periode in G‑Dur zu beginnen und in Ges‑Dur enden zu lassen (Vierte, 2. Satz, T. 55–58), bereitete dies jedoch durch die Wendung des Vordersatzes von G- nach B‑Dur vor (T. 51–54).

Einerseits weckt die Klarheit des geschiedenen Nebeneinanders der Akkorde den Eindruck der elementar-blockhaften Fügung, andererseits wirkt das unvermittelte Aufeinandertreffen von Ungewöhnlichem befremdlich oder auch, wenn die Harmonien sich funktionslos folgen, archaisch-altertümlich. Ziel ist auch hier der Eindruck „des Großen, des Feyerlichen und Erhabenen“.

Eine „leichte, lustige Sinfonie, eine in Dur, ohne Posaunen und doppelte Hörner“ (zit. n. Kreisig, Bd. 1, S. 426), wie sie Schumann sich vorstellte, kam für Bruckner nicht in Frage. Seine Symphonien stehen überwiegend in Moll, sie sind weder leicht noch lustig, und gerade die Blechblasinstrumente spielen darin eine besondere Rolle (Bläser in der Orchestermusik Bruckners). Bei Bruckner erfahren sie nichts Geringeres als ihre Emanzipation von der Begleit- und Füllfunktion, die sie bis dahin im Symphonieorchester innehatten. Der Ausdruck „des Großen, des Feyerlichen und Erhabenen“ ist für Bruckner offenkundig keiner anderen Orchestergruppe so adäquat wie den Blechbläsern. Sie ist es daher, die er stetig vergrößert und erweitert. In der Ersten, Zweiten und in der Symphonie in d‑Moll („Anullierte“) sowie in den Messen umfasst die Gruppe vier Hörner, zwei Trompeten und drei Posaunen, dann kommen mit der Dritten Symphonie die 3. Trompete, mit der Vierten (2. Fassung), Fünften und Sechsten Symphonie die Basstuba hinzu, an deren Stelle in den letzten drei Symphonien, im Te Deum und im Psalm 150 – als besserer Garant für ein tragfähiges Klangfundament – die Kontrabasstuba tritt. Als besonderen Ausdrucksträger führt Bruckner schließlich in den letzten drei Symphonien die vier aus dem Ring des Nibelungen bekannten und semantisch entsprechend bestimmten Wagnertuben ein. Sie alternieren mit Hörnern, so dass in der Achten und Neunten Symphonie zeitweise acht Hörner erklingen.

Wichtiger als die Vergrößerung und Erweiterung der Blechbläsergruppe erscheint ihre Handhabung. Bruckner macht die Blechblasinstrumente, v. a. Horn und Trompete, zu mitbestimmenden oder auch dominierenden Instrumenten. Die Erfindung der Thematik geht oft von ihnen aus (Musterbeispiel ist das 1. Thema im 1. Satz der Dritten) und in der substantiellen Beteiligung am Vortrag der Komposition insgesamt stehen die Blechbläser völlig gleichberechtigt neben den anderen Orchestergruppen. Bruckner bevorzugt einen kompakten Blechbläsersatz, was heißt, dass die den Klang bildenden Töne meist dicht beieinander liegen. Diesen Satz setzt er mit Vorliebe unvermittelt-direkt ein, was dem Klang besondere Präsenz und den Charakter des Großartigen verleiht.

Man hat Bruckners kompakten Klang oft aus der Tatsache abgeleitet, dass Bruckner Organist war, und es steht außer Frage, dass manche Klangwechsel, v. a. jene zwischen den Orchestergruppen, an die Registerwechsel der Orgel erinnern. Sie sind jedoch die Ausnahme, nicht die Regel. Andererseits hat der Bruckner‘sche Orchesterklang mit dem Wagner‘schen Verschmelzungsideal wenig gemeinsam. Dem entspricht, dass die dreifache Holzbläserbesetzung erst in der Achten und Neunten Symphonie an die Stelle der klassischen zweifachen tritt – und zwar als Gegengewicht gegen die vergrößerte Blechbläsergruppe und nicht wegen der Einheitlichkeit des Klangs. Auch Bruckners Verzicht auf kleine Flöte, Englischhorn, Bassklarinette und Kontrafagott, die zwischen den Registern vermitteln, hat diesen Hintergrund. Es ist der Ausschluss der Vielfalt des Opernorchesters, was für Bruckner geradezu Programm gewesen zu sein scheint. Die Harfe, die er allerdings in der Achten Symphonie dann doch zum Einsatz brachte, hielt er jedenfalls „für zu theatralisch“ (Göll.-A. 4/2, S. 695). Aus den gleichen Gründen dürfte ihn auch das Schlagzeug nicht interessiert haben (Ausnahmen sind in der Siebenten und Achten Symphonie die Triangel und das Becken).

So wenig Bruckner einen geschmeidigen Klang sucht, so wenig interessiert ihn der brillante. Er hat eine unverkennbare Vorliebe für die tiefen Lagen der Streichinstrumente, für den dunklen, abgetönten Klang. Charakteristisch sind Tremoli in dieser Lage wie zu Beginn der Vierten Symphonie. Dabei wird auch ein gesteigerter Geräuschanteil in Kauf genommen. Für die kantablen 2. Themen, in seiner Terminologie die „Gesangsgruppen“, bevorzugt er die G‑Saite der Violinen oder überhaupt die tieferen Streichinstrumente. Indem er Bratschen und Violoncelli in hohen Lagen spielen lässt, solchen, in denen man gewöhnlich Violinen erwartet, ersetzt er deren Glanz und Schmelz durch gleichsam gedeckte Farben, was v. a. die Expressivität steigert bzw. die Intensität des Klangs erhöht. Bei den Blechblasinstrumenten werden die hohen Lagen geradezu gemieden. Trompeten führt Bruckner nur bis zum 10., Hörner nur bis zum 12. Oberton. Symptomatisch ist, dass ab der Vierten Symphonie (1. Fassung) nur noch F-Trompeten Verwendung finden, die weicher und matter klingen als die bis zur 2. Fassung der Dritten Symphonie eingesetzten Instrumente in C-, D- oder Es-Stimmung.

Die Monumentalität der Bruckner‘schen Symphonie ist v. a. eine der äußeren Form und der zeitlichen Ausdehnung. Bruckner hält an der traditionellen Satzfolge und den herkömmlichen Formmodellen der einzelnen Sätze fest, nicht zuletzt, weil er die Symphonie in alter Weise als Gattung begreift. Das einzelne Werk ist darum nicht nur Individuum, sondern auch oder sogar vor allem Erfüllung der Forderungen und Gesetze der Gattung. Dieses Verständnis dürfte der Grund sein für das oft kritisierte Festhalten am einmal gewählten Modell. Den Rahmen bilden Sätze in Sonatenhauptsatzform, die Mitte Adagio und Scherzo (mit Trio) nach dem Modell der Liedformen. Ihre Reihenfolge ist in der Zweiten Symphonie (1. Fassung), im Streichquintett in F‑Dur sowie in den letzten beiden Symphonien vertauscht. Die formale Anlage ist stets übersichtlich. Bruckner erfüllt die Form geradezu penibel, bis hin zur Setzung des Doppelstrichs, den er in den Partituren zwischen Exposition und Durchführung zieht. Er zeigt, dass Bruckner die Sonatenhauptsatzform im alten Sinne zweiteilig auffasst und nicht modern dreiteilig, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass er von 1. und 2. Teil bzw. Abteilung zu sprechen pflegt.

Seine „Vorliebe für ‚quadratische‘ Anordnungen“ (Korte, S. 39), wie Werner Korte (1906–1982) die fast zwanghaft anmutende Orientierung an der klassischen Periodik nannte, führt nicht zu dem Eindruck einer Musik von vollendet symmetrischer Ausgewogenheit und apollinisch-klassizistischem Charakter. Die große Form hebt die Form im Kleinen gleichsam auf. Bruckner dehnt die Formteile durch Entfaltung und Variation ihrer motivisch-thematischen Substanz. V. a. aber verfolgt er eine stete Tendenz zur großen Steigerung. Deren Eigenart besteht darin, dass sie nicht auf unmittelbarem Wege zum Ziel führt, sondern mehrfach oder sogar oft unterbrochen wird und neu ansetzen muss. Der Weg zum Höhepunkt ist daher weit und lang, jedoch lebt die Bruckner‘sche Form gerade von der auf diese Weise erzeugten Spannung.

Die Dehnung der Formteile führt dazu, dass ganze Themengruppen oder „Felder“ (Steinbeck, S. 26) entstehen und auf Haupt- und Seitenthema noch ein 3. Thema folgt.

Die drei Themengruppen repräsentieren idealtypisch die gesamte Palette der Arten mehrstimmigen Musizierens: Das 1. Thema, das „Hauptthema“, ist meist homophon gestaltet nach dem Muster von Melodie und Begleitung; das 2. Thema, die „Gesangsperiode“, stellt dem in aller Regel einen polyphonen Satz entgegen, und das 3. Thema ist entweder ein „Unisonothema“ (Steinbeck, S. 30), oder es fällt in die meist genauer zutreffende Kategorie der Heterophonie. Das ist ganz im Sinne von Bruckners Vorstellung vom Endzweck der Symphonie. Um „des Großen, des Feyerlichen und Erhabenen“ willen muss sie universal sein.

Literatur

EGON VOSS

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 4.2.2020

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