Asperges (WAB 3/1–2 und 4) „Domine, hyssopo, et mundabor“
„Besprenge mich, Herr, mit Ysop, dann werde ich rein: wasche mich, dann werde ich
weißer als Schnee“ ist der aus Psalm 51,9 (Ps 50,9) stammende Text der Antiphon, die während der Aussprengung des
Weihwassers vor Hochämtern an Sonntagen außerhalb der österlichen Zeit gesungen
wurde. Der Priester beginnt mit der Intonation „Asperges me“, der Chor setzt mit
„Domine, hyssopo“ fort. Bruckner vertonte diese Antiphon mit dem zugehörigen Vers
(„Erbarme Dich meiner, Herr, in Deiner großen Barmherzigkeit“; Ps 51,3 [Ps 50,3])
insgesamt dreimal.
Asperges (WAB 3/1)
Vierstimmiger gemischter Chor mit Orgel, aeolisch
EZ: |
zwischen 1843 und 1845 in Kronstorf
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UA: |
wahrscheinlich in Kronstorf, zur Zeit der Entstehung
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Aut.: |
ÖNB‑MS (Mus.Hs.28247, fünf autografe Stimmen; Mus.Hs.19706,
Partitur-As. mit handschriftlichen Eintragungen von Max Auer)
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ED: |
Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 2/2, S. 67–73
(1928)
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NGA: |
Band XXI (Hans Bauernfeind/Leopold
Nowak, 1984) und Revisionsbericht (1984)
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Diese Komposition ist, zusammen mit dem Asperges WAB 3/2,
mit einem Titelblatt versehen, das außer der Überschrift „Zwey Asperges“ noch den
Vermerk „N. 1. Gewidmet auf die Sonntage v. Septuagesimä bis 4. Sonntag in
der Fasten. N. 2. Auf den 5. Sonntag in der Fasten. Für vier Singstimmen
und Orgel. Anton Bruckner m.p.ria. Comp.[onist]“ trägt.
Das erste Asperges ist als ein früher Versuch des gerade bei
Leopold von Zenetti studierenden
Bruckner anzusehen, verschiedene Satztechniken als Stilmittel einzusetzen: Während
der 1. Teil (T. 1–19) mit fugierten Einsätzen (Alt – Sopran – Bass – Tenor) gestaltet
ist, rezitiert der Chor den Psalmvers und einen Großteil der Doxologie (T. 20–44)
unisono. Das „Sicut erat“ ist wieder imitatorisch, vielleicht als Rückgriff auf den
beliebten Usus, die Unendlichkeit als Kanon auszudrücken. Den Schluss der Doxologie
(ab „nunc et semper“, T. 58) bildet eine akkordische Partie. Die Orgelstimme ist als
bezifferter Bass geschrieben. Besondere Beachtung verdient Bruckners neben seinem
Namen geschriebene, vielleicht im Bewusstsein der erwachenden schöpferischen Begabung
erstmals gewählte stolze Selbstbezeichnung „Comp.[onist]“ (nach Meinung einiger
Autoren aber vielleicht auch nur die Abkürzung für „Comp.[onirt]“).
Asperges (WAB 3/2)
Vierstimmiger gemischter Chor mit Orgel in F‑Dur
Der liturgischen Zeit angemessen, für die es komponiert wurde (s. o.), ist das
zweite Asperges um vieles asketischer als das erste. Es wird
mit einer im Stil der Gregorianik gehaltenen Phrase angestimmt (der Nachweis, ob es
sich vielleicht doch um ein genaues Choralzitat handelt, konnte bis jetzt noch nicht
erbracht werden), worauf sich ein schlichter akkordischer Satz anschließt. Der
Choralvers („Miserere mei, Domine“) ist unisono lydisch (d. h., das von
Bruckner – allerdings nur in der ersten Zeile – vorgeschriebene b müsste in
ein h umgewandelt werden). Die Doxologie entfällt; die Wiederholung des
Antiphontextes ist musikalisch nicht ebenfalls eine Wiederholung, sondern eine
Neukomposition, wiederum in der schlichten akkordischen Setzweise. Die begleitende
Orgelstimme ist auch hier als bezifferter Bass notiert.
Asperges (WAB 4)
Vierstimmiger gemischter Chor a cappella (Orgel ad lib.?) in F‑Dur,
„Moderato“
EZ: |
wahrscheinlich um 1843/44 in Kronstorf
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UA: |
?; früheste bekannte Aufführung am 11.7.1897 in Linz, Alter Dom
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Aut.: |
verschollen; ÖNB‑MS (Mus.Hs.33194, As. von
Arthur Bauer, Urfahr 26.4.1907; gelangte vermutlich über Johann Baptist
Burgstaller an August
Göllerich, später an Max
Auer)
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ED: |
Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 3/2, S. 140f.
(1930)
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NGA: |
Band XXI (Hans Bauernfeind/Leopold
Nowak, 1984) und Revisionsbericht (1984)
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Diese Komposition wurde, wohl wegen der späten Erwähnung bei Göll.-A. 3/1, vielfach
Bruckners Linzer Jahren zugeschrieben (vgl. WAB, S. 8: Linz, um 1868). Die
unruhige, chromatisch verschärfte und stellenweise „gesuchte“ Harmonik lässt das Werk jedoch eher als eine
Schularbeit erscheinen und ist unter Umständen noch in die Kronstorfer (1843–1845)
oder ersten St. Florianer Jahre Bruckners
einzureihen. Der in Viertelnoten geschriebene akkordische Satz (fast durchwegs Note
gegen Note) muss als ein langsames Psalmodieren des Chores ausgeführt werden. Bei
„Asperges me“ zitiert Bruckner die gregorianische Intonation; der Psalmvers „Miserere
mei“ ist durch das vorgeschriebene p bzw. pp von der durchwegs f zu singenden Antiphon deutlich abgegrenzt. In Linz wurde
dieses Asperges (WAB 4) am 11.7.1897, 22.8.1897,
21.6.1903, 20.7.1904 und 1.6.1907 gesungen (Klugseder/Kaiser, S. 10).
Literatur
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Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 2/1, S. 58ff., 3/1,
S. 503f.
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WABRenate Grasberger, Werkverzeichnis Anton Bruckner (WAB) (Publikationen des Instituts für Österreichische Musikdokumentation 7). Tutzing 1977
- Robert Klugseder/Ikarus Kaiser, Wiederentdeckung eines umfangreichen Korpus
an Abschriften des Linzer Dom-Musikarchivs, in: ABIL-MitteilungenABIL-Mitteilungen. Hg. v. Anton Bruckner Institut Linz. Linz 2008ff. Nr. 17 (Juni 2016), S. 4–10