Messen

Messe, lat. Missa: Bezeichnung für die Liturgie (nach deren Schlussworten „Ite, missa est“, „Gehet, Ihr seid gesandt“) der römisch‑katholischen Kirche. Das Wort wird als „pars pro toto“ seit dem 4. Jahrhundert für den ganzen Gottesdienst gebraucht. Als Messe im engeren Sinn wird jedoch zumeist nur das Ordinarium (die feststehenden Teile Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus, Agnus Dei, im Unterschied zum Proprium, den mit dem Kirchenjahr und/oder dem jeweiligen Anlass wechselnden Gebeten und Gesängen, wie Gradualien, Offertorien etc.) verstanden. Eine Sonderform bildet die „Missa pro defunctis“, die Messe für die Verstorbenen, die nach ihrem Anfangswort „Requiem“ genannt wird.

Bruckner vertonte den Messzyklus bzw. einzelne Teile daraus mehrmals, sowohl das Ordinarium als auch Sätze aus dem Proprium. In der Missa solemnis sind Kyrie und Gloria noch nach dem Typus der „Nummernmesse“ vertont, während alle anderen Sätze dieser Messe und aller folgenden Messen durchkomponiert sind, wobei jedoch die Textausdeutung die Möglichkeit einer Binnendifferenzierung eröffnet.

Trotz der Individualität ihrer Charaktere lassen sich an den großen Messen Bruckners gewisse gemeinsame musikalische Gestaltungselemente feststellen (vgl. Wald-Fuhrmann, bes. S. 242ff.). In ihnen allen steht die motivische Arbeit im Dienste eines „neu intensivierten und zu enormer theologischer Bedeutungshaltigkeit“ gesteigerten Ausdrucks, wobei „trinitarische Glaubensaussagen (etwa Christe-Motiv als Umkehrung des Kyrie-Motivs, selbes Motiv zu den Credo-Bekenntnissen zu Vater, Sohn und Heiligem Geist), das Geheimnis von Menschwerdung und Passion sowie Schuld und Sühne“ (Wald-Fuhrmann, S. 243) inhaltlich zentral sind.

In allen Kyrie-Sätzen schlägt Bruckner einen „verhaltenen, flehenden, nur sporadisch ins Großartige ausbrechenden Charakter[ an] und eint sie auch durch den gemeinsamen Moll-Ton. Damit weicht er vom klassischen Typus der Festmesse ab und orientiert sich an der theologischen Funktion des Kyrie, das zuallererst Einsicht in die Schuldhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen ist.“ (Wald-Fuhrmann, S. 243). Besondere Aufmerksamkeit erfahren der Gedanke an die Passion (Gloria, Credo) sowie die Bitte um Erbarmen (Kyrie, Gloria, Agnus Dei). Die Majestät Gottes wird immer mit ähnlichen musikalischen Mitteln vertont (homophone Deklamation, Unisoni, plötzlich einsetzendes ff, Oktavsprünge), ebenso die Schilderung der Gestalt Christi, die stets einen intimeren, innigeren Ton anschlägt.

Beim Sanctus reiht sich Bruckner stets in die Tradition des Verständnisses ein, das diesen Ordinariumsteil als die Vereinigung der himmlischen mit der irdisch vollzogenen Liturgie begreift. Das Benedictus wird stets sehr meditativ als Ort der Anbetung gestaltet.

„Die auffälligsten kompositorischen Mittel wie Homophonie, Deklamation, Polyphonie, harmonische Ausweichungen und der Einsatz von Solisten werden durch typische Textmarken erzeugt: Homophonie und Deklamation reagieren auf die Verherrlichung und Darstellung von Gottes Ruhm und Erhabenheit, die Polyphonie dient der betrachtenden Versenkung oder dem heilsgewissen Bekenntnis, Solisten färben die wiederum v. a. auf Christus, sein Leiden und Erbarmen bezogenen Aussagen individueller. Besondere harmonische Abläufe finden sich vor allem bei den Momenten der Menschwerdung, des Marienbezugs und der zweimaligen Erwähnung der ‚mortuorum‘. Viele immer wiederkehrende und daher schematisch anmutende Formlösungen stehen zudem in einem unmittelbaren Bezug zum liturgischen Ablauf […]. Ein nicht unwesentlicher Teil der plötzlichen, kleiner- oder weiterräumigen Veränderungen im Gewebe des Tonsatzes muss daher auch als komponierte Handlungsanweisung für den Messbesucher sowie als Hörbarmachung priesterlicher Handlungen verstanden werden.“ (Wald-Fuhrmann, S. 243f.), wie etwa subito p‑Effekte, die auf die liturgisch geforderten Verneigungen Bezug nehmen.

So kann man resümieren: „Bruckners Messen sind zwar auf ihrer klanglichen Ebene ein ausgesprochen individueller Gattungsbeitrag, doch stellen sie dezidiert keine subjektivistischen Auslegungen dar, sondern bleiben in der Auslegung des Messtextes unbedingt zeitkonform und von großer theologischer Präzision.“ (Wald-Fuhrmann, S. 244).

Die als „Messe“ oder „Missa“ bezeichneten Werke Bruckners sind hier nach ihrer Entstehungszeit aufgelistet; eine eingehendere Besprechung findet sich jeweils unter den einzelnen Werken.

Chronologie der Messvertonungen Bruckners:

1842/43 Messe in C‑Dur (WAB 25, „Windhaager Messe“)
1843/45 Missa pro Quadragesima in g‑Moll (WAB 140), Fragment
1844

Messe ohne Gloria in d‑Moll (WAB 146, „Kronstorfer Messe“)
Messe für den Gründonnerstag in F‑Dur (WAB 9), Mischung aus Ordinariums- und Propriumssätzen

1845 Kyrie und Gloria (WAB 227), verschollen
um 1845 Requiem (WAB 133), verschollen
um 1846 Messe in Es‑Dur (WAB 139), Fragment
1849 Requiem in d‑Moll (WAB 39)
1854 Missa solemnis (WAB 29)
1864 Messe in d‑Moll (WAB 26)
1866 Messe in e‑Moll (WAB 27,1‑2)
1867/68 Messe in f‑Moll (WAB 28)
1875 Requiem in d‑Moll (WAB 141), Fragment
Literatur

ELISABETH MAIER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 16.9.2020

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