Fragmente

Unvollendet gebliebene Kompositionen sind im Gesamtschaffen Bruckners mit Ausnahme der frühen Zeit selten zu finden. Diese Fragmente sind unterschiedlich motiviert und zum Teil als Skizzen zu bewerten. Zu zyklisch geplanten Werken, denen Einzelteile fehlen, zählen die unvollendete Neunte Symphonie und die Messe ohne Gloria in d‑Moll („Kronstorfer Messe“). Für die Fastenzeit bestimmt, fehlt der Messe ohne Gloria in d‑Moll lediglich das Credo, für das jedoch in der Handschrift Platz ausgespart ist. Jeweils noch im Kyrie abgebrochen wurden die Messe in Es‑Dur und die Missa pro Quadragesima in g‑Moll. Bruckners Bezeichnungen als „Missa“ beweisen allerdings seine Intention, diese Werke weiter ausführen zu wollen. Skizzenhaft erscheinen der im Klavierauszug notierte Symphonie-Entwurf in B‑Dur, das Duetto sowie ein weiterer Liedentwurf „Mild wie Bäche“. Auch Vorspiel und Fuge in c‑Moll für Orgel sind im Versuchen verschiedener Kontrapunkte (vgl. Autograf, Stift Seitenstetten, Musiksammlung, Fxv3a2, fol. 1r) als Übung lückenhaft geblieben.

Der Umfang der Fragmente schwankt beträchtlich. So sind beispielsweise vom Requiem in d‑Moll (WAB 141) lediglich die ersten 18 Takte ausgeführt, der oben erwähnte Symphonie-Entwurf in B‑Dur umfasst 68 Takte; von anderen Werken hingegen ist der größte Teil vorhanden.

Manches aus den Fragmenten ist in andere Kompositionen eingeflossen: so das Sanctus aus der Messe ohne Gloria in d‑Moll in die Messe für den Gründonnerstag in F‑Dur. Das Duetto weist denselben Text und ähnliche Melodik wie das Ständchen auf, das thematisch-rhythmische Material des Symphonie-Entwurfs in B‑Dur lässt sich in Manchem auf spätere (vollendete) Symphonien beziehen und das Adagio für Orgel in H‑Dur (Skizze in H‑Dur) wurde von Bruckner für den langsamen Satz der Neunten herangezogen.

Im Kitzler-Studienbuch sind viele Stücke situationsbedingt fragmentarisch geblieben. Das bedeutsamste Fragment darin ist die Sonate für Klavier in g‑Moll, deren 1. Satz, mit dem Bruckner die Sonatensatzform-Aufgabe gelöst hatte, nahezu komplett erhalten ist. In diesem Sinne ist hier auch die Bezeichnung als Fragment problematisch. Einen Spezialfall stellen schließlich die in Mitschriften von Studenten überlieferten Fugen-Fragmente aus Bruckners Kontrapunktunterricht (Harmonielehre- und Kontrapunktunterricht) dar.

Für manche Werke sind die Gründe für ihre Unvollständigkeit kaum bekannt, allenfalls existieren darüber Spekulationen. In Hinblick auf die Messe in Es‑Dur wurde beispielsweise von Göll.‑A. die „allzugroße Familienähnlichkeit“ (Göll.‑A. 2/1, S. 64) mit Wolfgang Amadeus Mozarts Jugendmessen ins Treffen geführt. Einige nicht fertig gestellte Stücke wurden offenkundig als Übungen oder Vorstadien zu anderen Kompositionen niedergeschrieben.

Inwieweit bei der Neunten Symphonie wirklich nur Bruckners labiler Gesundheitszustand (Krankheiten und Tod Bruckners) für die Nichtvollendung maßgeblich war oder doch mehr das grundsätzliche kompositorische Problem eines Finalsatzes nach der Achten, ist nach wie vor diskussionswürdig.

Literatur
  • Eigene Forschungen

ANDREA HARRANDT, ERICH WOLFGANG PARTSCH

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 22.9.2017

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ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft