Requiem (WAB 39, 133 und 141) „Requiem aeternam dona eis, Domine“

Totenmesse („Missa pro defunctis“; Messen) der römisch‑katholischen Kirche, in der Ordinariums- und Propriumssätze abwechseln. Sie hat ihren Namen nach den Eingangsworten des Introitus, „Requiem aeternam dona eis, Domine“ („Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr“), auf den die Sätze Kyrie, Graduale („Requiem aeternam dona eis, Domine“), Tractus („Absolve Domine“), Sequenz („Dies irae“), Offertorium („Domine Jesu Christe“), Sanctus, Agnus Dei und Communio („Lux aeterna“) folgen. Bei feierlichen Anlässen ist als Responsorium ad absolutionem noch ein „Libera me Domine“ als Abschluss möglich. – Bruckner hat den Requiem-Text insgesamt dreimal vertont bzw. zu vertonen begonnen.

Requiem in d‑Moll (WAB 39)

Soli, vierstimmiger gemischter Chor, Hr. (nur im Benedictus), 3 Pos., Str. und Orgel

Sätze: Requiem: „Andante“; Dies irae: „Allegro“; Domine Jesu: „Andante“, Hostias: „Adagio“, Quam olim: „Con spirito“; Sanctus: „Andante“; Benedictus: „Andante“; Agnus Dei: „Adagio“; Requiem; Cum sanctis: „Alla breve“
EZ: 1848/49 in St. Florian, vollendet 11.3.1849 bzw. 14.3.1849; verbessertes Manuskript, überarbeitet 1892 (Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974: 1894)
W: Franz Sailer; die verbesserte Fassung Franz Xaver Bayer (1895)
UA: 15.9.1849 in St. Florian
Aut.: ÖNB‑MS (Mus.Hs.2125, vom 14.3.1849); Stift St. Florian, Bruckner‑Archiv (19/3, unvollständige Partitur vom 11.3.1849, mit Besitzvermerk von Karl Aigner und autografen Eintragungen von Robert Haas)
ED: Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 2/1, nach S. 76 (1928; Faksimile der 1. S. von Stift St. Florian, Bruckner‑Archiv, 19/3); AGAAnton Bruckner. Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe. (Wechselnde Herausgeber). Wien u. a. 1930–1944. [= Alte Gesamtausgabe] 15
AGA: Band 15 (Haas, 1930; zusammen mit Missa solemnis)
NGA: Band XIV (Leopold Nowak, 1966) und Revisionsbericht (Rüdiger Bornhöft, 2000)

Der aktuelle Anlass dieses Werkes war der plötzliche Tod des Gerichtsaktuars und Hofschreibers im Stift St. Florian, Franz Sailer, der Bruckner sehr gefördert hatte und ihn sogar nach Wien ins Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien schicken wollte. Durch das Vermächtnis seines fast neuen großen Bösendorfer-Flügels (Instrumente Bruckners) an den jungen Komponisten setzte sich diese Förderung über den Tod hinaus fort. Aus Dankbarkeit komponierte Bruckner dieses Requiem in d‑Moll (WAB 39), das am 1. Jahrestag von Sailers Tod uraufgeführt wurde, mit großer Orgel, was sonst nicht gebräuchlich war, „außer beim Ableben eines Prälaten“ (Göll.-A. 2/1, S. 69). Weitere frühe Aufführungen erfolgten am „Stiftertage“, dem 11.12.1849, in Kremsmünster, sowie am 10.3.1852 und am 2.11.1888 in St. Florian. In seinen letzten Lebensjahren (vermutlich im Sommer 1892) nahm Bruckner sein Jugendwerk wieder vor, kam nach genauer Durchsicht und einigen wenigen Korrekturen zu dem Schluss „Es is net schlecht!“ (Göll.-A. vermuteten die genaue Durchsicht erst 1894, vgl. 2/1, S. 70), widmete das Werk und schenkte die Partitur seinem Freund, dem Regens chori und Musikdirektor Bayer in Steyr, der das Werk mit großem Erfolg beim Trauergottesdienst für Bruckners Gönner Johann Evangelist Aichinger, Stadtpfarrer von Steyr, am 4.12.1895 aufführte.

Am Tag nach Bruckners Beerdigung wurde das Requiem in d‑Moll (WAB 39), um das „Hostias“ und „Benedictus“ verkürzt und mit zwei Kompositionen von Giovanni Pierluigi da Palestrina (Choral, „O bone Jesu“) erweitert, unter der Leitung des damaligen Regens chori von St. Florian, Bernhard Deubler, wieder mit Begleitung der großen Orgel, aufgeführt.

Das Requiem in d‑Moll (WAB 39) und die Missa solemnis sind jene beiden großen Werke aus der Zeit vor den Studien bei Simon Sechter, die einen bleibenden Platz im Aufführungsrepertoire erringen konnten. Das Requiem in d‑Moll (WAB 39), Bruckners erstes für Chor und Orchester geschaffenes Werk, ist ein besonders sprechender Beweis der für Bruckner so typischen Auseinandersetzung mit der Tradition, insbesondere jener der Vorklassik und der Wiener Klassik, in die ihn zur Zeit der Komposition gerade Leopold von Zenetti einführte (Einflüsse und Vorbilder). Die Zitate aus Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem (KV 626) sind derart auffallend, dass sie geradezu den Charakter einer Hommage annehmen, wie die folgenden Beispiele zeigen:

Notenbeispiel 1: W. A. Mozart, Requiem, Introitus, B, T. 8-9

Notenbeispiel 2: Requiem in d‑Moll (WAB 39), "Requiem aeternam", S, T. 5-6

Notenbeispiel 3: W. A. Mozart, Requiem, Recordare, B, T. 26-29

Notenbeispiel 4: Requiem in d‑Moll (WAB 39), Dies irae, SATB, T. 7-8

Das ganze Werk ist durch eine gelungene Synthese von mit großer Könnerschaft gehandhabten traditionellen Topoi (z. B. synkopierte gehende Streicherbewegung als Ausdruck von Unruhe und Angst, scharf herniederfahrende „Blitz“-Figuren, Einsatz der Posaunen für die Gerichtsszene, Tonrepetitionen für das Erbeben des Sünders im „Dies irae“) und durchbrechendem starkem persönlichem Ausdruck (wie z. B. im Duettino zwischen Sopran und Alt auf die Worte „Qui Mariam absolvisti“, im innigen „sed signifer sanctus Michael“ des Solo-Soprans, im p einsetzenden Sanctus) gekennzeichnet. Die kleine Orchesterbesetzung, der über weite Strecken schlicht homophon geführte Chor und die überschaubaren Ausdehnungen der einzelnen Sätze (Gesamtdauer 35–37 Minuten) sind nicht nur ein Spiegel der Bruckner vorgegebenen musikalischen Möglichkeiten St. Florians, sondern begünstigen auch die liturgische Verwendung des Werkes.

Literatur

ELISABETH MAIER

Requiem (WAB 133)

Vierstimmiger Männerchor und Orgel

verschollen

EZ: angeblich März 1845 in Kronstorf
UA: angeblich 1845 in Kirchberg bei Eferding

Bruckner soll dieses Werk zur Erinnerung an seinen verstorbenen Freund Johann Nepomuk Deschl, der Schulmeister in Kirchberg bei Linz und 28 Jahre älter als Bruckner war, komponiert haben. Bei der Uraufführung in der Pfarrkirche von Kirchberg spielte Bruckner selbst die Orgel. Es wurde bislang angenommen, dass sich die Partitur später im Besitz Karl Seiberls befunden hat. Das Werk gilt heute als verschollen (Verschollenes). Neueste Forschungen legen jedoch die Vermutung nahe, Johann Baptist Weiß könnte der Komponist des Requiems sein (Incerta und Falsa), wofür nicht nur der Umstand der räumlichen Nähe (Hörsching und Kirchberg sind etwa 6 km voneinander entfernt) und die Bekanntschaft von Weiß mit Deschl sprechen würde, sondern auch die Tatsache, dass sich ein entsprechendes Werk von Weiß im Stift St. Florian erhalten hat.

Literatur

KLAUS PETERMAYR

Requiem in d‑Moll (WAB 141)

18‑taktige Skizze auf je 3 Systemen

EZ: 19.9.1875
Aut.: ÖNB‑MS (Mus.Hs.2105, Skizze)
ED: AGAAnton Bruckner. Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe. (Wechselnde Herausgeber). Wien u. a. 1930–1944. [= Alte Gesamtausgabe] 15, Revisionsbericht, S. IV (Robert Haas, 1930)
AGA: Band 15 (Haas, 1930; zusammen mit Missa solemnis)

Aus welchem Anlass Bruckner diese Vertonung der Totenmesse begann, lässt sich heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Das Werk war offensichtlich großangelegt geplant, wie die erhaltene Skizze der Instrumental-Einleitung zum Introitus erahnen lässt: Über einem 16‑taktigen Bass-Ostinato, das aus einer Quint-Oktav-Pendelbewegung besteht (ein für Bruckner besonders charakteristisches Motiv, vgl. etwa in der „annullierten“ Symphonie in d‑Moll und im Te Deum), erhebt sich eine weitgeschwungene Melodie, der eine Gegenstimme in synkopierten (Seufzer‑)Vorhalten beigegeben ist.

Literatur

ELISABETH MAIER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 4.2.2020

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