Messe in f‑Moll (WAB 28)

Soli, vierstimmiger gemischter Chor, Orchester (2 Fl., 2 Ob., 2 Klar., 2 Fg., 2 Hr., 2 Trp., 3 Pos., Pk., Str.) und Orgel

Sätze: Kyrie: „Moderato“; Gloria: „Allegro“; Credo: „Allegro“; Sanctus: „Moderato“; Benedictus: „Allegro moderato“; Agnus Dei: „Andante Moderato“
EZ: 14.9.1867 – 9.9.1868 in Linz; Überarbeitungen 1868/69, 1872/73, 1876 (metrische Ziffern), 1877, 1881, 1883 und 1893 in Wien
W: Anton Imhof von Geißlinghof („Seiner Hochwohlgeboren dem Herrn Herrn k. k. wirklichen Hofrathe und Kanzlei-Direktor, Ritter des kais: oesterr: Leopold-Ordens, Besitzer des osm: Medschidié-Ordens III. Cl. Commandeur des churfürstlich-hessischen Wilhelm-Ordens und des grossherzoglich toskanischen Civil-Verdienst Ordens etc. Anton Ritter von Imhof-Geisslinghof in tiefster Ehrfurcht gewidmet […]“)
UA: 16.6.1872 in Wien, St. Augustin (Hofmusikkapelle; Bruckner)
Aut.: ÖNB‑MS (Mus.Hs.2106, mit Eintragungen der Kopisten Johann Noll und Anonymus W42; Mus.Hs.31246, As., Widmungsexemplar)
ED: Doblinger, Wien 1894 (Josef Schalk, in dessen Bearbeitung; mit autografer Widmung von Bruckner an die Hofmusikkapelle, ÖNB‑MS, MS66933-4°)
AGA: Band 14 (Robert Haas, 1944 und 1952)
NGA: Band XVIII (Leopold Nowak, 1960; Paul Hawkshaw, 2005) und Revisionsbericht (2004)

Entstehungs- und Aufführungsgeschichte

Nach dem großen Erfolg seiner Messe in d‑Moll am 10.2.1867 in der Wiener Hofburgkapelle erhielt Bruckner, wie er selbst in seinem Aufnahmegesuch als Exspektant in die Hofmusikkapelle am 14.10.1867 schrieb, „die höchst ehrende Einladung und Aufforderung, eine zweite Messe für die kk. Hofkapelle zu komponiren“ (HHStA Wien, HMK 27, 1868, fol. 142a–142b). Ein direkter Auftrag von Johann Herbeck ist bisher jedoch nicht bewiesen. Unmittelbar darauf brach die schwere Nervenkrise aus, von der Bruckner in Bad Kreuzen Heilung suchen musste. Obwohl ihm der Arzt auch nach der Rückkehr nach Linz jede geistige Anstrengung verboten hatte, begann er am Fest Kreuzerhöhung (14.9.), zwei Tage nach der Beerdigung (12.9.1867) seines Lehrers Simon Sechter in Wien, der er mit Sicherheit beigewohnt hatte, mit den Skizzen zum Kyrie. Wie Bruckner erst später bekanntgab, hatte er sich damals noch als „kranker Mann“ gefühlt (Göll.-A. 3/1, S. 473), dennoch schritt die Arbeit zügig voran. Von wiedergewonnenem Mut zeugt auch die Bewerbung um Aufnahme in die Hofmusikkapelle.

Am Weihnachtsabend 1867 soll ihm die Melodie des Benedictus eingefallen sein. Zum Dank arbeitete Bruckner eine Stelle aus diesem Benedictus in den 2. Satz seiner Zweiten Symphonie ein. Datierungen im Autograf verweisen auf die Reihenfolge der Entstehung der einzelnen Sätze (Credo, Kyrie, Gloria, Sanctus, Benedictus, Agnus Dei). Knapp ein Jahr nach der ersten Skizze war die gesamte Komposition abgeschlossen.

Die ersten Proben fanden in Wien im November 1868 und im Jänner 1869 statt, aber erst am 16.6.1872 kam es zu einer ersten öffentlichen Aufführung in St. Augustin unter Mitwirkung der Hofmusikkapelle. Bruckner dirigierte die Uraufführung selbst, vermutlich weil Herbeck das Werk für „zu lang und unsingbar“ (Göll.-A. 4/1, S. 78) hielt. Ein zweites Mal stand Bruckner bei der Aufführung am 8.12.1873 in der Hofkapelle am Pult. Im Rahmen der Liturgie stand die Messe bis zum 8.12.1885 im Repertoire der Hofkapelle.

Das Werk ist das erste, an dem das für Bruckner so typische Phänomen der Überarbeitungen ausdrücklich beobachtet werden kann. Vermutlich schon nach den ersten Proben begann Bruckner mit der Umarbeitung. Lt. Hawkshaw wurde die Messe in ihrem ursprünglichen Zustand (EZ 1867/68) im Rahmen der Neuen Gesamtausgabe nicht in einem separaten Band ediert, „weil Bruckner die Partitur von 1868 nie als eine aufführbare Version betrachtete“ (Hawkshaw 2004, S. 13). Vielmehr beschäftigte die Messe Bruckner seit ihrer Entstehung bis in seine letzten Jahre immer wieder, wovon zahlreiche Änderungen kleineren oder größeren Umfangs zeugen (vgl. Hawkshaw 2004). 1876 verbesserte Bruckner die Periodisierung aller drei großen Messen – Messe in f‑Moll, Messe in d‑Moll, Messe in e‑Moll (Wald-Fuhrmann, S. 263). Inwieweit alle diese Überarbeitungen als eigenständige Fassungen bezeichnet werden können, muss in der Forschung umstritten bleiben.

Der von J. Schalk und Max von Oberleithner betreute und in Zusammenhang mit den Aufführungen des Wiener Akademischen Wagner-Vereins erschienene Partiturdruck von 1894 enthält zahlreiche, v. a. die Instrumentation betreffende Änderungen der Herausgeber, die nicht mit Bruckner abgesprochen waren und diesen sehr verärgerten.

Das Werk

Stilistisch knüpft die Messe in f‑Moll an den mit der Messe in d‑Moll beschrittenen Weg symphonischer Ausdrucksweise an, was im Grunde eine logische Weiterentwicklung des von Franz Schubert geprägten Typus der Großkonzeption darstellt. Sie zeigt jedoch auch Zeichen der intensiveren Orientierung am gregorianischen Choral (insbesondere im Gloria und im Credo), wie sie in der Messe in e‑Moll zum Tragen kam. Die Kontrapunktik gewinnt einen breiteren Raum als in den vorausgegangenen großen Messen, die Themen werden prägnanter formuliert und äußerst ökonomisch verarbeitet, was dem Werk eine große Geschlossenheit und Stringenz verleiht. Bestimmend sind ein Quartfall bzw. -aufstieg (so etwa im Kyrie und im Agnus Dei), sowie die aufsteigende Terz (Gloria, Credo), vielleicht angeregt durch die Intonation des gregorianischen Credo I (vgl. Graduale Romanum).

Das Credo, mit dem Bruckner die Komposition begann, ist „der Schlüssel zur Anlage des ganzen Werks, das in der Tat als eine Credo-Messe bezeichnet werden kann“ (Wald-Fuhrmann, S. 264). Besonders charakteristisch sind die eingeschobenen „Credo, credo!“-Rufe, die mit vier Akkordblöcken insgesamt achtmal die Intensität der Zustimmung zu den Glaubenssätzen verdeutlichen. Dazu tritt, wie schon bei der Messe in d‑Moll, ein „theatralisches“ Element, das ganze Szenen nachzeichnet, wie etwa das „Moderato misterioso“ überschriebene „Et incarnatus est“ mit seiner innigen Schilderung von Verkündigung und Menschwerdung, die zunehmend abgedunkelt wird und in das schmerzliche „Crucifixus“ mündet.

Besonders eindrucksvoll und theologisch mit großer Reflexionstiefe gestaltet Bruckner auch den Kontrast zwischen dem „passus et sepultus est“ und dem „et resurrexit“: Den vom Chor beantworteten Klagen des Solobassisten in Seufzermelodik („passus, passus“) folgen eine a cappella-Kadenz des Chores und eine einem Aequale ähnliche Bläserstelle sowie eine „erstarrte“ Pause, in die (wieder mit einem „Erdbeben“-Paukenwirbel wie in der Messe in d‑Moll) das Allegro der Auferstehung förmlich hereinbricht, von der „dunklen“ Tonart (Tonartencharakteristik) Es nach E gerückt (gleichsam ohne Übergang in eine „andere Existenzform“), begleitet von Bläserfanfaren und Quint-Oktav-Figurationen der Streicher, dem alten „Majestas“-Symbol.

Eine der ausdrucksstärksten und schönsten Eingebungen unter allen Werken Bruckners ist der Beginn des Benedictus mit seiner weitgeschwungenen instrumentalen Einleitung, während dessen Komposition am Weihnachtsabend 1867 Bruckner nach eigenen Angaben die endgültige Genesung von seiner schweren psychischen Erkrankung erfahren hat.

Literatur

ELISABETH MAIER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 12.5.2017

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Quellen (Werkverzeichnis)

Erstdruck

AGA

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ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft