Missa solemnis (WAB 29)

Soli, vierstimmiger gemischter Chor, Orchester (2 Ob., 2 Fg., 2 Trp., 2 Hr., 3 Pos., Pk., Str.) und Orgel

Sätze: Kyrie: „Andante“; Gloria: „Allegro“; Credo: „Allegro moderato“; Sanctus: „Moderato“; Benedictus: „Moderato“; Agnus Dei: „Adagio“
EZ: April/Mai bis 8.8.1854 in St. Florian
W: Friedrich Mayer („[…] zur hochfeierlichen Infulirung des Hochwürdigsten Herrn Praelaten Friederich I. […]“, fol. 1r; „Seiner Hochwürden und Gnaden dem Hochwohlgebornen, Hochgelehrten Herrn Friederich Theophilus Mayr [sic], Probste des regulirten Chorherrnstiftes St. Florian, lateranens‘schen Abte, Seiner k: k: apostolischen Majestät Rath und Oberst-Erbland-Hofcaplan, Mitglied des löblichen Praelatenstandes in Oesterreich ob der Enns etc. […]“, fol. 2r)
UA: 14.9.1854 in St. Florian
Aut.: Stift St. Florian, Bruckner‑Archiv (19/7, Widmungsexemplar)
ED: Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 2/2, S. 189–228 (1928; Faksimile)
AGA: Band 15 (Robert Haas, 1930, zusammen mit Requiem in d‑Moll [WAB 39]) bzw. Band 15/2 (Haas, 1931)
NGA: Band XV (Leopold Nowak, 1975) und Revisionsbericht (1977)

Die Missa solemnis steht am Ende von Bruckners zweitem St. Florianer Aufenthalt und auch am Ende eines für sein künstlerisches Wachstum ganz wesentlichen Lebensabschnitts: des Unterrichtes bei Leopold von Zenetti, dem Organisten und Regens chori in Enns. Äußerer Anlass für dieses großangelegte Werk war die Infulierung (Verleihung der Abt-Insignien Infel [Mitra], Stab, Ring und Pectorale) an den neuen Propst des Stiftes St. Florian, F. Mayer, den Nachfolger des verstorbenen Prälaten Michael Arneth. Bruckner war nicht nur diesem, der ihn seinerzeit als Sängerknabe ins Stift aufgenommen hatte, sondern auch dem neuen Propst zu großem Dank verpflichtet: Mayer hatte ihm gleichzeitig mit der sich so positiv auswirkenden Versetzung von Windhaag nach Kronstorf eine spätere Anstellung als Lehrer in St. Florian in Aussicht gestellt und dieses Versprechen auch eingelöst, als Bruckner (der sich zusätzlich mit der Widmung der Kantate Vergißmeinnicht in Erinnerung brachte) die notwendige Qualifikation erlangt hatte.

Erste Entwürfe zu einer großangelegten Orchestermesse stammen noch aus der Kronstorfer Zeit (Messe in Es‑Dur, Fragment). Nach August Göllerich soll Bruckner auch schon ganz konkret das Kyrie und Gloria der Missa solemnis in Kronstorf skizziert haben.

Stilistisch stellt diese Messe, die ganz in der Nachfolge Ludwig van Beethoven‘scher Orchestermessen steht, die Summe der bisherigen Auseinandersetzung Bruckners mit der Tradition dar. Trotz zahlreicher Schönheiten im Detail verleihen die vielen Einflüsse dem Werk auch eine gewisse Uneinheitlichkeit, in der die Fugentechnik (Fuge) Johann Sebastian Bachs, Elemente der Vorklassiker und der Wiener Klassiker sowie der Frühromantik (Romantik, Franz Schubert) etwas unamalgamiert nebeneinanderstehen. Besonders auffallend sind hier (neben traditionellen Topoi wie z. B. dem „Erdbeben“ bei der Auferstehung im Credo, dem Unisono bei „et unam sanctam ecclesiam“) wieder – wie schon im fünf Jahre zuvor entstandenen Requiem in d‑Moll (WAB 39) – die Zitate aus Werken Joseph Haydns und Wolfgang Amadeus Mozarts, die der Messe fast den Charakter einer Hommage verleihen. So unterlegt Bruckner – lediglich im Metrum verändert – dem Credo seiner Missa solemnis jene charakteristische Streicherbegleitung, die Mozart im „Recordare“ seines Requiem gebrauchte, und das „Quoniam tu solus Sanctus“ stammt analog – sogar in der Tonart übereinstimmend – aus Haydns Heiligmesse. Auch vieles, was später als typisch für die Bruckner‘sche Themenbildung angesehen wird – etwa das charakteristische, aus dem gregorianischen Choral stammende Kleinterzmotiv (vgl. das Kyrie der Messe in f‑Moll und, dieses zitierend, den 1. Satz der Neunten Symphonie) – begegnet bereits im Kyrie dieses Frühwerks, tritt aber auch schon bei J. Haydn (Kyrie der Harmoniemesse) auf.

Notenbeispiel 1: W. A. Mozart, Requiem, Recordare, Vc., T. 1-6

Notenbeispiel 2: Missa solemnis, Credo, Orgel, T. 1-6

Simon Sechter, dem Bruckner die Messe vorlegte, war von dem sich darin zeigenden Talent, insbesondere von der Fugenarbeit, so beeindruckt, dass er Bruckner als Schüler annahm. Weit weniger, so sehnlich erwünschten Erfolg hatte Bruckner im Stift selbst. Ordensfeste waren eine lediglich die Ordensgemeinschaft betreffende Angelegenheit, zu der die Stiftsangestellten keinen Zutritt hatten. Trotzdem – so wird erzählt – hatte sich Bruckner erwartet, zum feierlichen Mittagsmahl an die Tafel des neuen Propstes eingeladen zu werden – vergeblich. Zum Trost habe er dann für sich allein im vis-à-vis des Stiftes gelegenen Gasthaus Sperl ein fünfgängiges Mahl mit „dreierlei Arten Wein“ bestellt und zu sich gesagt: „Die Mess‘ verdient‘s!“ (Göll.-A. 2/1, S. 176).

Literatur

ELISABETH MAIER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 4.2.2020

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AGA

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