St. Anna, Lehrerbildungsanstalt, Wien

Altes Klostergebäude in Wien, Annagasse 3 (1. Bezirk). 1514–1518 wurde neben dem Pilgerhaus (Kärntnerstraße 37) und dem Pilgerspital (Annagasse 3a), die beide 1418 gestiftet worden waren, eine spätgotische vierjochige Saalkirche (Annagasse 3b) erbaut. 1531 wurde der Gebäudekomplex den Clarissen, 1582 von Rudolf II. den Jesuiten übergeben. 1627–1629 wurde das Jesuitennoviziat neu erbaut und umfasste die heutigen Gebäude Annagasse 3 und 3a, Kärntnerstraße 37 sowie Johannesgasse 4 und 4a. 1629–1633 wurde die Kirche barockisiert und ein Teil des Noviziatsgebäudes in die Kirche einbezogen. 1694 erfolgte die Gründung der „Bruderschaft zur hl. Anna“ durch Leopold I., 1696 der Anbau der Kapelle des hl. Franz Xaver (der heutigen Anna-Kapelle). Die ab 1716 erfolgte hochbarocke Ausstattung der Kirche ist nach einem verheerenden Brand im Jahr 1747 nur mehr zum Teil erhalten. Ab 1751 erfolgte eine Renovierung unter maßgeblicher Beteiligung Daniel Grans (1694–1757).

Nach Aufhebung des Jesuitenordens 1773 betreuten Weltgeistliche die Kirche. 1774 wurde das Noviziatsgebäude in ein Schulgebäude umgewidmet und diente zunächst als Normalschule von St. Stephan, ab 1805 als „Normal- und Hauptschule zu St. Anna“ (ab 1824 war hier Ferdinand Schubert [1794–1859] zunächst als Lehrer, ab 1851 als Direktor tätig) und seit 1870 als Lehrerbildungsanstalt; bereits 1774 zogen eine „Realhandlungsakademie“ (bis 1818) und ein Gymnasium (bis 1807) mit ein, 1775 außerdem die Bossier-, Zeichnungs- und Gravierschule sowie die Orientalische Akademie (bis 1786). Zusätzlich war hier 1786–1876 auch die Akademie der Bildenden Künste untergebracht. Die Lehrerbildungsanstalt übersiedelte 1877 in ein neues Gebäude im 3. Wiener Bezirk (Sophienbrückengasse, heute Kundmanngasse). 1887 wurde der Komplex Annagasse 3 und 3a, Kärntnerstraße 37, Johannesgasse 4 und 4a abgebrochen. 1906 erfolgte die Übergabe der Kirche und des Wohnhauses an den Orden der Oblaten des hl. Franz von Sales. Das Archiv der Schule befindet sich seit 2000 auf Betreiben von Theophil Antonicek im Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Der Normalschule St. Anna war ab 1840 eine vom Verein zur Beförderung und Verbreitung echter Kirchenmusik gegründete Lehranstalt angegliedert, die bis 1848 einen neunmonatigen Kurs in theoretischer und praktischer Kirchenmusik anbot. St. Anna wurde durch diesen Verein unter der Leitung der Kapellmeister Augustin Duck (1798–1845) und dessen Nachfolger Ferdinand Schubert um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem kirchenmusikalischen Zentrum Wiens.

Als Bruckner am 18.10.1870 (vermutlich durch Protektion Johann Herbecks) den Unterricht in den Fächern Klavier- und Orgelspiel sowie Harmonielehre mit einem Jahresgehalt von 540 fl an der Lehrerbildungsanstalt übernahm, waren seine Fächer durch eine Neuregelung der Lehrerausbildung zu „unobligaten“ geworden. Er selbst galt als „Hilfslehrer“ und hatte sowohl vom Fächerkanon als auch von den Lehrzielen her mit keinerlei Unterstützung durch die Schulleitung zu rechnen. Dies sollte sich schon bald fatal auswirken, denn zu Beginn des Schuljahres im Herbst 1871 geriet Bruckner nach seinem erfolgreichen Gastspiel in London in eine peinliche und demütigende Affaire:

Als er sich zum Dienstantritt meldete, konfrontierte man ihn mit belastenden Anschuldigungen, er habe sich im Unterricht einer Schülerin unziemlich genähert und sie ungerechterweise vor anderen bevorzugt. Bruckner sah dadurch nicht nur seine Anstellung an St. Anna, sondern durch personelle Querverbindungen seine Posten an der Hofmusikkapelle und am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (und darüber hinaus auch seinen guten Ruf in Wien und Linz) gefährdet. Schulrat und Landesschulinspektor Moritz Alois Becker hatte nämlich als ehemaliger Erzieher des Kronprinzen Rudolf und der Erzherzogin Gisela nicht nur beste Verbindungen zum Hof, sondern war von 1859–1867 auch Direktionsmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Der Direktor der Lehrerbildungsanstalt St. Anna, Theodor Vernaleken (1812–1907), verfügte über gute Kontakte nach Linz.

Zunächst wollte Bruckner gegen die anonyme Denunziation klagen, doch auf den Rat Karl Seiberls hin, der ihm zu bedenken riet, ob er nicht etwa doch „ein Handerl zärtlich gestreichelt“ (Göll.-A. 4/1, S. 180) habe, unterließ Bruckner gerichtliche Schritte. Sein Ruf war aber – vor allem durch sensationslüsterne und/oder satirische Zeitungsberichte (so erschien etwa in Die Bombe [22.10.1871, S. 3] ein fingierter Brief einer Wiener Prostituierten an ihre Freundin, den amourösen Klavier- und Orgelunterricht bei Bruckner schildernd) – für die nächste Zeit beschädigt, seine Privatsphäre dem Spott preisgegeben.

Amtlicherseits dürfte die „Affaire“ weit weniger Kreise gezogen haben, als Bruckner befürchtete: Im Aktenlauf zwischen der Lehrerbildungsanstalt und dem Ministerium findet die Angelegenheit keinerlei Erwähnung – ob aus nobler Diskretion gegenüber Bruckner, sei dahingestellt. Die erhaltenen Dokumente lassen eher den Eindruck entstehen, man habe versucht, in einer Zeit der Neu- und Umorganisation seinen Posten einzusparen. Durch eine neuerliche Intervention Herbecks wurde Bruckner jedoch wieder in seine Stelle eingesetzt. Er unterrichtete an St. Anna bis Juli 1873 weiterhin als Hilfslehrer für das Klavierspiel, allerdings – das hatte er sich ausgebeten – nur mehr an der Abteilung für männliche Kandidaten. Am 29.9.1873 wurde er mit einem Dankschreiben der Direktion verabschiedet, seinen Posten übernahm der Übungsschullehrer Andreas Weiß. Eduard Kremser (er hatte Gesangsunterricht erteilt) beendete zur gleichen Zeit seine Lehrtätigkeit an St. Anna; seine Stelle erhielt Rudolf Weinwurm.

Literatur

ELISABETH MAIER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 12.12.2017

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