Seiberl, Familie
In Oberösterreich gab es mehrere Lehrerfamilien mit dem Namen Seiberl. Nur bei vier Personen dieses Namens ist ein Kontakt zu Bruckner überliefert. Zwischen Josef, Karl und Alois Seiberl (* 26.4.1788 Reichenthal, Oberösterreich/A), unehelicher Sohn der Franziska Seiberl, Schulmeister in St. Gotthard, besteht eine Verwandtschaft über den gemeinsamen Urgroßvater.
Vinzenz (Philipp): * 14.4.1787 Reichenthal, Oberösterreich/A,
† 4.4.1870 St. Marienkirchen an der Polsenz, Oberösterreich/A. Lehrer und
Kirchenmusiker.
Sohn des Müllers Franz Seiberl. Nach Absolvierung der Linzer
Präparandie (1803) Schulgehilfe in Gramastetten und Ottensheim (jeweils Bezirk Urfahr-Umgebung),
Lehrbefähigungsprüfung 1808, vom Sommer 1808 bis November 1861 Schulmeister und damit
zugleich Mesner und Organist in St. Marienkirchen an der
Polsenz; sein Sohn Josef wurde sein Nachfolger.
Die Bekanntschaft mit Bruckner ergab sich höchstwahrscheinlich über seine Söhne. Bei einer Aufführung einer Messe von Joseph Preindl 1839 in der Ortskirche spielte Bruckner den Orgelpart, wobei Seiberl vom Geigenpult aus dirigierte (Göll.-A. 1, S. 136). Weitere Begegnungen sind nicht überliefert, doch recht wahrscheinlich.
Seine Söhne
Josef: * 23.10.1824 St. Marienkirchen an der
Polsenz, Oberösterreich/A, † 2.12.1908 St. Marienkirchen an der Polsenz. Lehrer
und Kirchenmusiker.
Nach Absolvierung der Linzer Präparandie Schulgehilfe
(1843–1847) in Hörsching bei Johann Baptist Weiß, in Kirchberg
bei Kremsmünster, in Eferding (dort auch Mitglied der Liedertafel Eferding) bis September 1856 und zuletzt in
St. Marienkirchen. Dort war er als Nachfolger des Vaters zuerst Provisor und ab
September 1862 Schulmeister (bis 1890) sowie Kirchenmusiker, Mesner jedoch nur bis
1870.
Bruckner schätzte ihn schon im Rahmen der Lehrerausbildung als seinen besten „College[n]“ (Göll.-A. 1, S. 144) und stand von St. Florian aus über längere Zeit nur mit ihm in näherem Kontakt: „Ich habe zwar wenige Freunde, die ich wirkliche Freunde nennen kann u[nd] darf; von einem solchen aber etwas verlangt wird gewiß nicht vergessen. Und vorzüglich von Dir!!“ (Briefe I, 520319). Diese Freundschaft hielt über Jahrzehnte. Seiberl war Adressat mehrerer Bruckner-Kompositionen: Den bestellten Männerchor Die Geburt übersandte Bruckner mit seiner Gratulation zu Seiberls Namenstag am 19.3. (Briefe I, 520319); die zwei Sängersprüche (Motti) „Ein jubelnd Hoch in Leid und Lust“ und „Lebt wohl, ihr Sangesbrüder“ entstanden auf Ersuchen Seiberls für die Liedertafel Eferding; die zwei Totenlieder dienten sicherlich für den praktischen Gebrauch, wenngleich nicht geklärt ist, für wessen Begräbnisse sie bestimmt waren. Seiberl schenkte dem Stadtmuseum Wels 1908 mehrere Bruckner-Manuskripte aus seinem Besitz (heute im Stadtarchiv aufbewahrt).
Karl: * 19.6.1830 St. Marienkirchen an der Polsenz,
Oberösterreich/A, † 4.8.1918 Wels, Oberösterreich/A. Jurist, Musiker,
Komponist.
Von 1839 an als Sängerknabe ein Kollege Bruckners im Haus von
Schulmeister Michael Bogner in
St. Florian. Nach dem Besuch des Staatsgymnasiums in Linz Jus-Studium an der Universität Wien. Staatsbeamter im
Justizdienst in St. Florian, Linz (1855/56 auch Mitglied der Liedertafel
„Frohsinn“), Weyer an der Enns, Vöcklabruck, 1858–1870 in Wels (1864–1868
auch Chormeister des Männergesangs-Vereins Wels), ab 1870
in Wien, dann in Wiener Neustadt und ab 1878
wieder in Wels; 1897 Pensionierung.
Seiberl war Bruckner zeit seines Lebens in treuer Freundschaft verbunden, stand ihm u. a. mit beruflichen und juristischen Ratschlägen bei und besuchte ihn, soweit es die durch den Beruf bedingten Versetzungen zuließen. Anfang der 1850er Jahre wollte Bruckner wie Seiberl Jurist werden. In künstlerischen Belangen kamen die beiden zu unterschiedlichen Auffassungen (Seiberl blieb ein begeisterter Verehrer Wolfgang Amadeus Mozarts).
Karl Seiberls Erinnerungen v. a. an Bruckners frühe Jahre in St. Florian und Linz sind eine wichtige, für Franz Gräflingers Bruckner-Biografie am 13.5.1910 in Wels verfasste Quelle, in der er u. a. folgende Charakterisierung bringt: „Bruckner war eine sittlich hohe Persönlichkeit, ein frommer Mann, edel und gut, dabei von einer Offenheit, dass man fast sagen könnte, er hat laut gedacht. Auf der anderen Seite seine grosse Bescheidenheit, sein submisses Auftreten. […] Bruckner war sehr gut veranlagt und von unermüdlichem Fleisse und rastlosem Bestreben, es vorwärts zu bringen. Auch der Ehrgeiz war ein starker Faktor in ihm.“ (Gräflinger 1911, S. 105).
Alois Seiberls Sohn aus zweiter Ehe
Josef (Eduard): * 7.2.1836 St. Gotthard, Oberösterreich/A,
† 10.6.1877 Karlsbad/Böhmen (Karlovy Vary/CZ). Schullehrer,
Organist.
Vermutlich auf Vermittlung Ignaz Traumihlers, der Seiberls
musikalisches Talent erkannte, Aufnahme als Chorknabe im Stift Kremsmünster.
Weiterer Musikunterricht (nach dem Stimmwechsel) bei Bruckner, sowie im Rahmen der
Ausbildung an der Linzer Präparandie durch Johann Nepomuk
Pauspertl Wladýk von Drachenthal und Johann August Dürrnberger.
Schulgehilfe in St. Florian 1855/56, Stiftsmusiker in St. Florian ab 1.10.1855,
Stiftsorganist als Nachfolger Bruckners ab 1.1.1856, Komponist, vorzüglicher
Tenorsolist und Mitglied des in ganz Oberösterreich bekannten Florianer
Quartetts.
Für die Zeitgenossen war Seiberl „einer der tüchtigsten Orgel-Improvisatoren jetziger Zeit“ (Neue Freie Presse 3.7.1877, S. 1). Erst als Bruckner in Wien Fuß gefasst hatte und nur mehr auf Besuch nach St. Florian kam, soll er Seiberl „besonders zugetan“ (Petermayr, S. 21) gewesen sein. 1872 übernahm Seiberl die Gutachtertätigkeit bei der Kollaudierung der Mauracher-Orgel im Stift Admont; am 18.10.1875 waren Bruckner und Seiberl die ersten, welche bei der feierlichen Einweihung der umgebauten St. Florianer Chrismann-Orgel auf dieser spielten. Seiberl reiste Anfang Juni 1877 zur Heilung eines Leberleidens nach Karlsbad und starb dort an einem Lungenödem (Lindner, S. 173f.). Rückblickend bezeichnete Bruckner Seiberl in einem Schreiben an Traumihler als großen „Künstler, Freund u[nd] Kollege[n]“ (Briefe I, 770614). Bei der Enthüllung einer Gedenktafel für den Verstorbenen in der St. Florianer Stiftskirche am 28.10.1877 stand u. a. die Uraufführung des Männerchores Nachruf mit Bruckner an der großen Orgel auf dem Programm.
Literatur
- Kleine Chronik, in: Neue Freie Presse, Abendblatt 3.7.1877, S. 1
- Schulleiter i. R. Josef Seiberl †, in: Linzer Volksblatt 4.12.1908, S. 7
- Franz Gräflinger, Anton Bruckner. Bausteine zu seiner Lebensgeschichte. München 1911, S. 100–106
- Oberlandesgerichtsrat i. R. Karl Seiberl †, in: Linzer Volksblatt 7.8.1918, S. 2
- Franz Gräflinger, Anton Bruckner. Leben und Schaffen (Umgearbeitete Bausteine). Berlin 1927, S. 275–283
- Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 1, S. 134–137, 144
- Andreas Lindner, Josef Eduard Seiberl (1826–1877). Leben und Wirken des Florianer Stiftsorganisten und Nachfolgers Anton Bruckners, in: OÖ. HeimatblätterOberösterreichische Heimatblätter. Linz 1947ff. 56 (2002) H. 3/4, S. 161–214
- Andreas Lindner, Der Florianer Stiftsorganisten [sic] Josef Seiberl (1836–1877) und Anton Bruckner, in: IBG-MitteilungsblattMitteilungsblatt der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Studien & Berichte. Hg. v. der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Wien 1971ff. Nr. 58 (Juni 2002), S. 14ff.
- Andreas Lindner, Musikpflege in den oberösterreichischen Stiften: Aufbau, Organisationsstruktur und Personal vom 17. bis zum 19. Jahrhundert (Veröffentlichungen des RISM Österreich, Reihe A/9). Wien 2008
- Briefe IAndrea Harrandt/Otto Schneider (Hg.), Briefe von, an und über Anton Bruckner. Bd. I. 1852–1886 (NGA XXIV/1). 2., rev. und verbesserte Aufl. Wien 2009
- Klaus Petermayr, Ein Aquarell von Josef Eduard Seiberl, in: ABIL-MitteilungenABIL-Mitteilungen. Hg. v. Anton Bruckner Institut Linz. Linz 2008ff. Nr. 12 (Dezember 2013), S. 21
- ABCD
- Taufbuch 1785–1835 der Pfarre Reichenthal, pag. 115, 219