London

Haupt- und Residenzstadt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland. Mit dem Aufstieg Großbritanniens zur Weltmacht wurde London zum Mittelpunkt des Welthandels und des Geldverkehrs und ist heute eines der wichtigsten Kultur-, Finanz- und Handelszentren der Welt. Seit dem 17. Jahrhundert ist die Stadt Anziehungspunkt für Musiker aus ganz Europa. 1871: 3,7 Mio., 2018: ca. 8,9 Mio. EW.

Die Kommission der für 1872 geplanten Weltausstellung in London lud 1871 die bedeutendsten Organisten der Welt zur Prüfung der neu in der Royal Albert Hall aufgestellten Riesen-Orgel von Henry Willis ein. Das Konkurrenzspiel um die Entsendung eines österreichischen Organisten am 18.4.1871 in der Wiener Piaristenkirche, an dem auch noch der Wiener Rechtsanwalt Karl Hausleithner (1842–1905) und Eduard Gerstberger (ca. 1845/47–1902) aus Prag teilnahmen, gewann Bruckner, und zwar mit einstimmigem Beschluss der Jury (Eduard Hanslick, Johann Herbeck, Joseph Hellmesberger d. Ä., Franz Krenn, Leopold Alexander Zellner, Gottfried Preyer, Eduard Schelle [1841–1882] und als Vertreter der für die Ausstellungsbeteiligung Österreichs zuständigen Handels- und Gewerbekammer Rudolf Panzer [ca. 1827–1887]).

Bruckner, der englischen Sprache nicht mächtig, suchte nach einem Begleiter für die Reise nach England, allerdings dürfte der brieflich kontaktierte Linzer Kaufmann Anton Reißleithner nicht mitgefahren sein. So fuhr Bruckner vermutlich allein am 20.7.1871 nach Linz und am nächsten Tag weiter nach Nürnberg, wo er im Bleistiftfabrikanten Franz Zimmermann, den er beim Nürnberger Sängerfest 1861 kennengelernt hatte, einen Reisebegleiter fand (nach anderen Berichten soll P. Otto Fehringer [1844–1930] aus Seitenstetten Bruckner begleitet haben). Am 29.7.1871 trafen sie in der Charing Cross Station in London ein und stiegen im Seyds Hotel, einem deutschen Gasthof am Finsbury Square 39, ab. Noch am selben Abend begab sich Bruckner in die Royal Albert Hall, um die viermanualige Orgel (über 10.000 Pfeifen) des riesigen, 5.000 Sitzplätze fassenden und heute noch bestehenden Konzertgebäudes südlich vom Kensington Park kennenzulernen. Die zum Gedenken an Queen Victorias (1819–1901) im Jahre 1861 verstorbenen Mann Prince Albert (1819–1861) errichtete Royal Albert Hall war erst am 29.3.1871 eröffnet worden. Am 2., 3., 4., 8., 11. und 12.8. spielte Bruckner dort Werke von Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel (1685–1759) und Felix Mendelssohn Bartholdy sowie eigene Improvisationen, abwechselnd mit dem Organisten der Royal Albert Hall, William Thomas Best (1826–1897). Über Bruckners Auftritte wurde in Tages- und Musikzeitungen berichtet. Am 6.8.1871 soll er ein angebliches Wettspiel der Organisten, zu denen noch Georg Wilhelm Haintze (1849–1895) aus Stockholm, Johann Lohr (1828–1892) aus Pest (Budapest) und Alphonse J. E. Mailly (1833–1918) aus Brüssel gehörten, gewonnen haben. Danach hatte Bruckner eine Woche Zeit für Besichtigungen. Sein besonderes Interesse galt dem Tower, dessen Gefängnisse seinen Hang zum Schauerlichen befriedigten. Besondere Freude bereiteten ihm die Fahrten mit den Stockautobussen, die ihn einmal auch von einem Zugsunglück der Untergrundbahn fernhielten.

Die großen Erfolge in der Royal Albert Hall führten zu einem Sonderengagement für mehrere Konzerte im Crystal Palace im August 1871. Das für die Weltausstellung 1851 zunächst im Hyde Park errichtete, 1852–1854 im Sydenham Park wiedererrichtete Bauwerk aus Glas und Stahl (1936 niedergebrannt) besaß einen 4.000 Sitze fassenden Konzertsaal mit einer Orgel mit über 4.500 Pfeifen (Gray & Davison, 1857). Seit 1855 war August Manns (1825–1907) dort Chefdirigent. Der Organist des Crystal Palace, James Coward (1824–1880), schenkte Bruckner aus Hochachtung einen Band mit Madrigalen. Ein weiterer Zeuge von Bruckners Erfolgen war Charles Ainslie Barry (1830–1915), der später zu den Konzerten von Hans Richter in London die Programmbücher verfasste.

Bruckner, der für 1872 zu Orgelkonzerten in allen größeren Städten Englands eingeladen wurde, berichtete in einem Brief an Moritz von Mayfeld (Briefe I, 710823) selbst über seine Erfolge als Organist in London und sah sich ermutigt, Versuche zu unternehmen, auch als Komponist in England Anerkennung zu finden. So schickte er 1872 seine Messe in d‑Moll nach London, allerdings ohne Erfolg. Am 13.7.1875 erhielt Bruckner, wie auch alle anderen Teilnehmer des Organisten-Wettspiels, eine Medaille von der königlich großbritannischen Ausstellungs-Kommission übermittelt. Zur Erinnerung an seinen Aufenthalt wurde 1996 am (inzwischen neu gebauten) Haus Finsbury Square 39–45 eine Gedenktafel angebracht.

Bruckners Werke erklangen in London erstmals am 23.5.1887 mit der Siebenten und am 29.6.1891 mit der Dritten Symphonie unter H. Richter (St. James‘s Hall). Dieser leitete auch das London Symphony Orchestra in dessen Gründungsjahr 1904 mit der Erstaufführung der Achten Symphonie. Im Rahmen der 1895 gegründeten Proms wurde am 15.10.1903 die Siebente vom New Queen‘s Hall Orchestra unter Henry Wood (1869–1944) mit mäßigem Erfolg aufgeführt. Erst ab 1961 steht Bruckner bei den nunmehr BBC Proms genannten Konzerten in der Royal Albert Hall wieder regelmäßig auf dem Programm. Heute ist Bruckner fixer Programmbestandteil der Londoner Orchester: des BBC Symphony Orchestra (gegr. 1930), des London Philharmonic Orchestra (gegr. 1932), des Philharmonia Orchestra (gegr. 1945), des Royal Philharmonic Orchestra (gegr. 1946) sowie zahlreicher Gastorchester. 1964 fand das London Bruckner Festival mit zahlreichen Erstaufführungen statt; 1997 leitete Sir Colin Davis ein Bruckner-Mozart-Festival. Der 1966 gegründete London Symphony Chorus widmet sich ebenso wie der seit 1995 bestehende Anton Bruckner Choir den kirchlichen Vokalwerken (Chormusik) Bruckners.

Literatur

RENATE GRASBERGER, ANDREA HARRANDT

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 7.9.2020

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