Ave Maria (WAB 6)

Offertorium für siebenstimmigen gemischten Chor (S, 2 A, 2 T, 2 B) a cappella in F‑Dur, „Andante (Sehr langsam)“

EZ: vor dem 12.5.1861 in Linz
UA: 12.5.1861 in Linz, Alter Dom (Liedertafel „Frohsinn“; Bruckner)
Aut.: verschollen; Stift St. Florian, Bruckner‑Archiv (19/10a und 19/10b, Partitur-As. und Stimmen von Franz Schimatschek)
ED: 2 Kirchen-Chöre. Wetzler (Julius Engelmann), Wien 1887 (zusammen mit „Tota pulchra es, Maria“)
NGA: Band XXI (Hans Bauernfeind/Leopold Nowak, 1984) und Revisionsbericht (1984)

Am 26.3.1861 schloss Bruckner seine Studien bei Simon Sechter ab. Während dieser Zeit der Ausbildung hatte das Schöpferische weitgehend geschwiegen, das Ave Maria (WAB 6) ist das verblüffende Erstlingswerk des reifen Bruckner, von außerordentlicher Dichte der Wirkung bei gleichzeitig sparsamstem Einsatz der Mittel. Die als Offertorium zu einer Vokalmesse von Antonio Lotti (1667–1740) komponierte Motette wurde unter der Leitung Bruckners von der Liedertafel „Frohsinn“ anlässlich ihres Gründungsfestes uraufgeführt und erntete uneingeschränkte Zustimmung seitens der Kritik: „Das Offertorium, ,Ave Maria‘ 7stimmig componirt von Herrn Bruckner, ist ein religiös empfundenes, streng contrapunktisch durchgeführtes Werk, welches auf die Anwesenden mächtig wirkte. Prachtvoll klingt die Repetition ,Jesus‘ im feierlichen A dur Accord.“ (Linzer Zeitung 15.5.1861, S. 454).

So sehr dem Rezensenten in Bezug auf die Ausdrucksdichte der Motette beizupflichten ist, so irreführend ist jedoch der Hinweis auf den „streng kontrapunktisch“ durchgeführten Satz: Dieses Ave Maria (WAB 6) gewinnt seine Wirkung gerade durch einen feierlichen, ruhig schwebenden, gleichsam „betrachtenden“ Satz, der „fast durchweg homophon deklamierend [ist], mit Generalpausen nach einzelnen Textphrasen und ohne jede rhythmisch-melodische Prägnanz. Stattdessen geht es Bruckner – und das wird für alle seine folgenden geistlichen Chorstücke gelten – um eine ausgesprochen klare Art der Textdarstellung und um die Verlagerung des Ausdrucks in Dynamik und Harmonik [...]“ (Wald-Fuhrmann, S. 273).

Der Satz wird durch die Frauenstimmen („Engelsgruß“) eröffnet, die Männerstimmen setzen im pp mit dem Gruß an die „fructus ventris tui“ fort. Die dreimalige Anrufung des Namens „Jesus“, vom pp bis zum ff gesteigert, in einem sich auftürmenden, strahlenden A‑Dur-Akkord, ist von außerordentlich eindringlicher Wirkung. Der in die folgende Generalpause nachhallende Akkord stellt eine Zäsur in der Satzstruktur und Stimmung dar; die flehenden Bitten („Sancta Maria ...“) sind imitatorisch gestaltet, wobei auch hier Ober- und Unterchor einander gegenübergestellt werden (T. 21–26). Ab „pro nobis peccatoribus“ wird der Satz wieder akkordisch-homophon, die beiden Chöre sind nicht mehr getrennt und vereinigen sich zum gemeinsamen Gebet.

ELISABETH MAIER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 23.5.2017

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ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft