Kammermusik
Bruckner schrieb als ausgewiesener Kirchenmusiker und Symphoniker nur sehr wenig Kammermusik. Davon sind die Abendklänge für Violine und Klavier als frühes Gelegenheitswerk sowie das viersätzige Streichquartett in c‑Moll und das Scherzo für Streichquartett in g‑Moll für dieselbe Besetzung als Studienwerke einzustufen. Einzig das Streichquintett in F‑Dur beansprucht Gültigkeit für den Konzertsaal. Das Rondo für Streichquartett in c‑Moll hängt entstehungsgeschichtlich mit dem Streichquartett in c‑Moll zusammen; das Intermezzo in d‑Moll ist ein Alternativsatz zum Scherzo des Streichquintetts in F‑Dur.
Bruckners berufliche Laufbahn, seine künstlerische Entwicklung, aber ebenso das aufführungspraktische Umfeld standen einer eingehenden Beschäftigung mit der Gattung Kammermusik entgegen. So kam es auch nie zu eigenen kammermusikalischen Erfahrungen. Zudem war die Symphonie als öffentlich hochrepräsentative Gattung in Bruckners persönlichem Lebensplan zentral.
Repräsentiert das Werk Abendklänge den im 19. Jahrhundert beliebten Typus des Charakter‑ bzw. Salonstücks, so hängt das Streichquartett in c‑Moll mit Bruckners musikalischer Ausbildung zusammen. Nicht zufällig steht es im Kitzler-Studienbuch. Bruckner erprobte anhand der Gattung gängige Formmodelle, zweifellos von klassischen Traditionen beeinflusst (Einflüsse und Vorbilder).
Das Streichquintett in F‑Dur schließlich stellt eine höchst individuelle Auseinandersetzung mit den Gattungsnormen dar. Es weist eine durchsichtige Stimmführung mit kontrapunktischen Strukturen auf, ist aber ebenso von Erfahrungen des Symphonikers geprägt. Indem er dieses Werk testamentarisch eigens zu den Nachlass-Manuskripten für die Hofbibliothek (Österreichische Nationalbibliothek) zählte, dokumentierte er auch dessen Bedeutung im Gesamtschaffen.
Literatur
- Hans Jancik, Anton Bruckner in seiner Kammermusik, in: Bruckner-Studien 1964Franz Grasberger (Hg.), Bruckner-Studien. Leopold Nowak zum 60. Geburtstag. Wien 1964, S. 45–51
- Othmar Wessely, Anton Bruckner und die Kammermusik, in: Bruckner-Vorträge 1983/84Othmar Wessely (Hg.), Bruckner-Vorträge. Budapest 1983/84. Österreichisch-Ungarisches Bruckner-Symposion. Franz Liszt-Musikhochschule Budapest. 18. Mai 1983 und 3. April 1984. Bericht. Linz 1985, S. 41ff.
- Rainer Cadenbach, Versuch der Wahrnehmung von Bruckners Streichquintett als „symphonische Kammermusik“ auf der Ebene eines Vergleichs mit César Franck, in: Bruckner-Probleme 1996Albrecht Riethmüller (Hg.), Bruckner-Probleme. Internationales Kolloquium 7.–9. Oktober 1996 in Berlin (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 45). Stuttgart 1999, S. 104–114
- Torsten Blaich, Anton Bruckner: Das Streichquintett in F-Dur. Studien zur Differenz zwischen Kammermusik und Symphonik Bruckners (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft 53). Hildesheim 2009
- Wolfgang Rathert, Die Kammermusik, in: Bruckner-Handbuch 2010Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.), Bruckner-Handbuch. Stuttgart–Weimar 2010, S. 310–321