Tonsymbolik
Ein überaus wichtiges, aber bislang nur wenig erforschtes Gebiet bei Bruckner. Er war mit der tonsymbolischen Verwendung der technischen Mittel bestens vertraut und machte sich darüber Gedanken. Seine Vorlesungen an der Universität Wien enthalten interessante Bemerkungen über die tonsymbolische Bedeutung der Klänge. Aufschlussreich ist zum Beispiel die Äußerung: „Der Quartsextakkord ist aber doch keine Dissonanz, weil die Quart […] verdoppelt werden kann (sogar am besten) und Dissonanzen nicht verdoppelt werden dürfen. Nur im Orchester oder wenn etwas Grauenhaftes darzustellen ist, dann werden die Dissonanzen stark verdoppelt.“ (Schwanzara, S. 151).
In seiner geistlichen Musik knüpft Bruckner in der Nachfolge Wolfgang Amadeus Mozarts, Franz Schuberts und Franz Liszts an eine bestimmte tonsymbolische Tradition (Einflüsse und Vorbilder) an, die er weiterführt. Selbstverständlich kannte er zumindest einige der musikalisch-rhetorischen Figuren, wie die Anabasis und die Katabasis. In seinen großen Orchestermessen (Messen) hebt er bedeutungsvolle Textstellen (wie „Et incarnatus“, „Crucifixus“, „passus et sepultus est“, „Et resurrexit“ und „et iterum venturus est“) durch besondere Behandlung hervor. So wird im Credo der Messe in d‑Moll der Einsatz des „Et resurrexit“ mit einem gewaltigen und überaus langen Crescendo des Orchesters (28 T.) vorbereitet. Bei der Darstellung des Jüngsten Gerichts setzt Bruckner Signale, Fanfaren und ostinat beibehaltene rhythmische Figuren ein, die alle leitmotivische Bedeutung besitzen. Im Credo der Messe in f‑Moll stiftet er subtile leitmotivische Beziehungen dadurch, dass er beim Abschnitt „et exspecto resurrectionem“ die Musik des „Et resurrexit“ aufgreift. In seinen reifen kirchenmusikalischen Werken hebt er übrigens auch die Worte „Jesu Christe“ in auffallender Weise aus ihrer Umgebung heraus.
Sowohl in Bruckners Messen als auch in seinem Te Deum kehren besondere Intervallkonstellationen und Akkordfolgen gleich musikalischen Vokabeln mit symbolischer Intention wieder. Z. B. findet sich im Kyrie der Messe in d‑Moll wie der Messe in f‑Moll und zu Beginn der Neunten Symphonie der Oktavfall als Symbol der göttlichen Größe.
Der Quint-Oktav-Sprung dient als Majestätssymbol.
Die verminderte Sept fungiert als Symbol des Todesstachels.
Und der Tritonus (diabolus in musica) fungiert als Symbol des Jüngsten Gerichts.
Von Liszts 1862 vollendeter und 1865 uraufgeführter Legende von der heiligen Elisabeth übernahm Bruckner das „tonische Symbol des Kreuzes“ (Floros 1980, S. 167–170) – ein überaus wichtiges charakteristisches Motiv. In seinen Werken behandelt Bruckner das Motiv auf besondere Weise und lässt es an exponierten Stellen der Sätze auftreten. Besonders gern lässt er es von den Trompeten im zweifachen oder dreifachen Forte intonieren. Sofern die Wendung als Begleitmotiv zu Worten des Chores oder im Chor selbst erscheint, treten im Text Bilder wie Kreuzigung, Auferstehung oder Gottvater im Himmel hervor. Eine besondere Rolle spielt das Motiv im Adagio der Neunten Symphonie (1894). Hier erscheint es in der Trompete auf den beiden ersten Höhepunkten des Satzes (bei A und H), und zwar mehrmals nacheinander.
Mehrere Beobachtungen deuten schließlich darauf hin, dass zahlensymbolische Erörterungen und Zusammenhänge nicht nur in Bruckners geistlichen Werken, sondern auch in seinen Symphonien eine Rolle spielen (Zahlensymbolik).
Literatur
- Ernst Schwanzara (Hg.), Anton Bruckner, Vorlesungen über Harmonielehre und Kontrapunkt an der Universität Wien. Wien 1950
- Manfred Wagner, Der Quint-Oktavschritt als „Maiestas“-Symbol bei Anton Bruckner, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 56 (1972), S. 97–103
- Alfred Dokalik, Anton Bruckners Symphonien. Auswahl und Darbietung an der AHS (I–III), in: Musikerziehung 28 (1974/75) H. 1, S. 8–14, H. 3, 109–113, H. 5, 206–212
- Constantin Floros, Brahms und Bruckner. Studien zur musikalischen Exegetik. Wiesbaden 1980
- Leopold Nowak, Der Name „Jesus Christus“ in den Kompositionen von Anton Bruckner, in: Über Anton BrucknerLeopold Nowak, Über Anton Bruckner. Gesammelte Aufsätze 1936–1984. Wien 1985, S. 77–87
- Leopold Nowak, Studien zu den Formverhältnissen in der e‑Moll-Messe von Anton Bruckner, in: Über Anton BrucknerLeopold Nowak, Über Anton Bruckner. Gesammelte Aufsätze 1936–1984. Wien 1985, S. 160–175
- Constantin Floros, Diskussionsbeitrag zum Thema Bruckner und Liszt, in: Bruckner‑Symposion 1986Bruckner-Symposion. Bruckner, Liszt, Mahler und die Moderne. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1986. 17.–21. September 1986. Bericht. Hg. v. Anton Bruckner Institut Linz/Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH. Linz 1989, S. 181–188
- Constantin Floros, Anton Bruckner. Persönlichkeit und Werk, Hamburg 2004
- Hartmut Krones, Art. „Tonsymbolik“, in: www.musiklexikon.ac.at [30.5.2017]