Choral (WAB 17,1-2) „In jener letzten der Nächte“

Choral in f‑Moll, „Andante“
1. Fsg.: für Singstimme und Orgel
2. Fsg.: für vierstimmigen gemischten Chor a cappella

Text: s. u.
EZ: vermutlich 1848 in St. Florian
UA: vermutlich Gründonnerstag oder Karfreitag 1848 in St. Florian
Aut.: 1. Fsg.: Stadtarchiv Wels (Inv.Nr.2693, Skizze und Reinschrift)
2. Fsg.: ÖNB‑MS (Mus.Hs.19723, As.; Mus.Hs.33199, As.)
ED: 1. Fsg.: s. NGAAnton Bruckner. Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe. Hg. v. der Generaldirektion der Österreichischen Nationalbibliothek und der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Wien 1951ff. (Editionsleitung: Leopold Nowak, auch als Neue Gesamtausgabe bezeichnet)
2. Fsg.: Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 2/2, S. 97f. (1928); Böhm & Sohn, Augsburg–Wien 1931 (A. M. Müller)
NGA: Band XXI (Hans Bauernfeind/Leopold Nowak, 1984; beide Fsg.) und Revisionsbericht (1984)

Dass der von Bruckner vertonte Text aus dem evangelischen Erbauungsbuch Die heilige Passion, herausgegeben vom christlichen Verein für das nördliche Deutschland (Eisleben), stammen soll, darauf verwies schon Göll.-A. (2/1, S. 94). Allerdings lag August Göllerich hier nur eine spätere Ausgabe vor. Die ersten (drei?) Auflagen erschienen in Halle 1840, 1841 und 1843 mit dem Titel und Impressum: Die heilige Passion, gefeiert in Liedern, Betrachtungen und Gebeten. Herausgegeben von dem christlichen Vereine im nördlichen Deutschland. Halle, zu finden im Waisenhause. 1840, und erschienen in mehreren Heften mit zusammen 285 oder 286 Seiten. Erst spätere Ausgaben des beliebten Betrachtungsbuches, so etwa jene von 1858, 1883, 1894 und 1903, erschienen bei Klöppel in Eisleben und Schulze in Leipzig. Auf eine dieser späteren Ausgaben bezog sich offensichtlich Göllerich, und auf dessen Angaben (bzw. auf das Zitat des originalen Impressums bei Wilhelm Heinsius, Allgemeines Bücherlexikon, Bd. 9, Leipzig 1846, S. 111a) stützte sich dann in der Folge auch Nowak bei seiner Herausgabe in der Neuen Gesamtausgabe (NGA). Keinem der Autoren lag offenbar jedoch der ursprüngliche Text vor, deshalb sei er hier so wiedergegeben, wie ihn Bruckner offenbar kennenlernte (S. 63ff. des Erbauungsbuches):

„In jener letzten der Nächte, / Da ich am Oelberg gebetet, / War ich vom Blutschweiß geröthet, / Goß ihn in Strömen für Dich: / [Refrain:] Weh! und wer weiß, ob wohl je / Du auch nur denkest an mich!

Laß es die Engel dir sagen, / Wie viele Streiche und Wunden, / An eine Säule gebunden, / Schweigend ich litte für Dich: / [Refrain]

Da ich als König verspottet, / Schmerzlich mit Dornen gekrönet, / Angespien ward und verhöhnet, / Dacht ich nur immer an dich: / [Refrain]

Schmählich zum Tode verdammet, / Hart mit der Kreuzlast beschweret, / Blutig vom Dornkranz versehret, / Schleppt ich zum Berg mich für dich / [Refrain]

Ach! an das Kreuzholz geheftet, / Nägel in Armen und Beinen, / Leidend, wie du noch sahst keinen, / Wollte ich sterben für Dich: / [Refrain]

Als grimmer Speer in der Seite / Weit mir das Herz hat gespalten, / Quoll draus mit Liebesgewalten / Wasser des Lebens für dich: [Refrain]

Schau all die Striemen und Wunden, / Siehe nun, ob ich Dich liebe, / Wenn mir kein Blutströpflein bliebe, / Das ich nicht hingab für dich: [Refrain]

Sterbend noch fleht‘ ich zum Vater, / Dir deine Schuld zu vergeben; / Mutter und Freunde und Leben / Ließ ich auch, Liebe! für dich: / [Refrain]

Himmel und Erde voll Schrecken / Haben den Schmerz mit empfunden, / Als in den dunkelen Stunden / Ich bin verschieden für dich: / [Refrain]

Was blieb zu thun mir noch übrig, / Wenn ich aus Liebe ohn‘ Schranken / Selber mich gab ohne Wanken, / Ganz mich dahin gab für dich? / [Refrain]

Ward dir Genosse und Bruder, / Da mich Maria geboren; / Und auf dem heil‘gen Altare / Ward ich auch Speise für dich: / [Refrain]

Wenn ich zum Lös‘geld am Kreuze / Für deine Schuld mich gegeben, / Will ich im ewigen Leben / Selber der Lohn sein für dich: / [Refrain]

Dacht‘ ich im Sterben noch Deiner, / Werd‘ ich im Himmel nicht minder, / Herrschend als Weltüberwinder, / Immer noch denken an Dich: [Refrain].“

Die 1. Strophe des Textes lehnt sich an eines der neun Responsorien der Trauermette des Gründonnerstags, „In monte Oliveti“, an; die weiteren Strophen sind frei gedichtet. Inhaltlich kann der Text als eine volkstümliche Paraphrase der Improperien, der „Heilandsklagen“, angesehen werden.

Der ganze Text ist in dem evangelischen Erbauungsbuch als offenbar schon existierendes, vermutlich weit verbreitetes „frommes Lied“ (S. 63) wiedergegeben. Im Nachlass Ignaz Traumihlers fand sich ein bei Karl Siegler in Komorn herausgegebener Einblattdruck von einem Passionslied. Aus dem Italiänischen [sic], das in seinem Aufbau und in seinem Refrain starke Anklänge an den hier wiedergegebenen Text aufweist. Der Refrain lautet hier: „Weh! und wer weiss, ob wohl je / Du auch nur denkest an Ihn!“

In neuerer Zeit wird die Komposition Bruckners in der vierstimmigen Fassung vermehrt bei „Ölbergandachten“ am Gründonnerstag gesungen, so etwa im Dom zu St. Stephan in Wien. Der bei diesen Gelegenheiten verwendete Text stammt aus dem von Hermann Kronsteiner im Veritas-Verlag Linz herausgegebenen Sammelband Unser Kirchenchorbuch. Die 1. Strophe lautet wie bei Bruckner, die 2. und 3. Strophe, vermutlich auch Neudichtungen, heißen hier:

„Bangen ergriff meine Seele, / Angst vor den schrecklichen Qualen, / die deine Schuld sollte zahlen / doch ich litt es liebend für dich. / [Refrain]

‚Vater!‘ so rief ich zur Stunde, / ‚siehe dein Wille geschehe.‘ / Mein war all Leiden und Wehe. / Dies alles tat ich für dich. / Du aber Seele sag an, / was du für mich schon getan.“

Auch die Überlieferungsgeschichte des Notentextes ist etwas kompliziert: Eine durchgestrichene autografe, jedoch unvollständige Skizze in d‑Moll mit anderer als der vertrauten Melodie findet sich in Wels auf fol. 2 eines zertrennten Bogens, dessen fol. 1 heute im Stift St. Florian, Bruckner‑Archiv (20/12) verwahrt wird. (Dieses fol. 1 enthält die unvollständige Skizze des Duetto [WAB 84,1].) Auf der Rückseite des Welser Blattes findet sich die Reinschrift von „In jener letzten der Nächte“ mit der vertrauten Melodie, allerdings in f‑Moll. Darüber setzte jemand die Beglaubigung „Anton Bruckner‘s eigene / Handschrift“.

Im Bruckner‑Archiv des Stiftes St. Florian wird weiters eine Abschrift (22/5) mit der Überschrift „Passionslied“, ohne Angabe eines Komponisten, verwahrt. Die in NGA XXI, Nr. 15, Revisionsbericht (S. 46) noch angeführte Handschrift mit der Signatur Stift St. Florian, Bruckner‑Archiv 20/70, fehlt seit etwa 1999. Nowak verwechselte diese Signatur mit 22/5.

Weiters existieren Partiturabschriften der 2. Fassung, eine des Kopisten „H“ für Göllerich (s. Erstdruck in Göll.-A. 2/2), auf deren Rückseite Göllerich selbst die Skizzen des Autografs notierte, und eine eines anonymen Kopisten, ebenfalls für Göllerich, der die Komposition mit „Am Oehlberg“ [sic] überschrieb.

Vielleicht ist dieses Lied im Rahmen der Studien bei Leopold von Zenetti entstanden, der seinen Schüler u. a. mit dem evangelischen Kirchenlied bekanntmachte. Der Text des kurzen, nur 22 Takte langen Stückes sprach Bruckner, der sich zeitlebens vom Geschehen der Karwoche, speziell der Gründonnerstags-Nacht, zutiefst berührt zeigte (Vexilla regis), wohl besonders an.

Literatur

ELISABETH MAIER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 12.5.2017

Medien

Kategorien

Digitalisate

Quellen (Werkverzeichnis)

Erstdruck

Links

ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft