St. Stephan, Wien

Dom- und Metropolitankirche (Stephansplatz, Wien), Sitz des Erzbischofs von Wien; eines der bedeutendsten Bauwerke der mitteleuropäischen Hoch- und Spätgotik, Wahrzeichen Wiens (besonders der 136,7 m hohe Südturm, „Steffl“ genannt). Erster Bau 1147 geweiht, zunächst zum Bistum Passau gehörig, seit 1469 Domkirche durch die Erhebung Wiens zum Bistum. Wegen ihrer Armut wurde die neue Diözese aber zunächst nur von Administratoren geleitet. Erst mit Bischof Georg von Slatkonia (1456–1522), der gleichzeitig „obrister Capellmeister“ Kaiser Maximilians I. (1459–1519) war und mit der Leitung der Hofmusikkapelle beauftragt wurde, residierte in Wien ein offizieller Bischof.

Die Musik nahm an St. Stephan seit jeher, bereits seit dem Stiftbrief von 1365 durch Rudolf IV. (1339–1365), eine bedeutende Stellung ein. Eine erste Hochblüte erreichte sie unter Bischof Slatkonia durch die regen Kontakte zwischen Dommusik und Hofmusikkapelle. Im 18. Jahrhundert erreichte die künstlerische Produktivität ihren Höhepunkt; damals gab es zwei Kapellmeister mit jeweils eigener Dommusik.

Bruckner wollte sich im Jahre 1883, wie er dem damaligen Stiftsorganisten von St. Florian, Josef Gruber, anvertraute, um die Domorganistenstelle bei St. Stephan bewerben, „doch wurde er dafür gar nicht in Betracht gezogen“ (Göll.-A. 4/2, S. 83), und die Stelle war auch gar nicht vakant: Im betreffenden Jahr übten Carl Schüller (Domorganist 1875–1898) und sein Adjunkt Franz Dirnbacher (1881–1897) diese Funktion aus.

Wenige Jahre später war der Stephansdom am Nachmittag des 6.10.1886 Schauplatz einer feierlichen Orgelkollaudierung: An diesem Tag fand ein Konzert mit Bruckner, Rudolf Bibl und dem Leipziger Gewandhausorganisten Paul Joseph Maria Homeyer (1853–1908) statt. Anlass zu diesem Konzert, das viele Musikfreunde anlockte und den Dom zur Gänze füllte, war die neue Orgel der Firma E. F. Walcker aus Ludwigsburg. Bruckner hatte sich sein Improvisationsthema, das Anklänge an melodisches Material der Achten Symphonie zeigt, auf einer Visitenkarte notiert, die im Besitz der Familie seiner Schwester Rosalia Hueber (Bruckner, Familie) in Vöcklabruck erhalten blieb und von deren Nachkommen dem Würzburger Organisten Erwin Horn geschenkt wurde.

Es ist nur selbstverständlich, dass die Domkirche als geistliches Zentrum Wiens für den gläubigen Christen Bruckner besondere Bedeutung hatte, ohne dass dies in seinen Briefen oder persönlichen Aufzeichnungen wesentlichen Niederschlag fand. Für unsere Kenntnis des „spekulativen“ Anteils an der musikalischen Inspiration Bruckners interessant ist ein Bericht in der Stuttgarter Neuen Musik-Zeitung aus dem Frühjahr 1892, als Bruckner gerade an seiner Neunten Symphonie arbeitete: „Unser Anton Bruckner, der altehrwürdige Sinfoniker, trägt sich mit der Absicht, seinen neun Symphonien eine zehnte hinzuzufügen, und zwar die ‚gotische‘. Um in die richtige Stimmung zu kommen, geht er seit Tagen stundenlang in und um die Stephanskirche und studiert deren edle Bauformen.“ (Neue Musik-Zeitung 13 [1892] H. 16, S. 187). Wahrscheinlich bezogen sich die Studien der „edlen Bauformen“ nicht so sehr auf den stimmungsmäßigen, emotionellen Anteil (wie der Korrespondent vermutete), sondern auf die zugrunde gelegten Proportionen des Bauwerkes und die in vielen Details eingesetzte, dem mittelalterlichen Menschen noch vertraute Zahlensymbolik. Kenntnisse darüber dürften Bruckner u. a. vermutlich auch durch Friedrich Eckstein und den Dombaumeister Friedrich Schmidt (1825–1891) vermittelt worden sein.

Bruckners geistliche Musik hat heute im Repertoire der Dommusik Wien einen festen Platz; sogar die Messe in f‑Moll gelangt im Rahmen der Liturgie zur Aufführung.

Literatur

ELISABETH MAIER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 1.7.2020

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Abbildungen

Abbildung 1: St. Stephan, in: Allgemeine Kunst-Chronik 10 (1886) Nr. 40, S. 788

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ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft