Erinnerung (WAB 117)
Charakterstück für Klavier zu zwei Händen in As‑Dur, „Langsam, innig“
EZ: | vermutlich um 1868 in Linz |
W: | Alexandrine von Soyka? |
UA: | ? – nachweisbar erst am 16.3.1901 in Wien (Konzert des Wiener Akademischen Gesangvereines; Ella Kerndl) |
Aut.: | ÖNB‑MS (Mus.Hs.38845) |
ED: | Doblinger, Wien 1900 (August Stradal) |
NGA: | Band XII/2 (Walburga Litschauer, 1988) mit Revisionsbericht (in verbesserter Aufl. 2000) |
Laut Göll.-A. (3/1, S. 508) ist Erinnerung Alexandrine von Soyka, Tochter eines höheren Offiziers und Klavierschülerin Bruckners in Linz, gewidmet. Sie berichtete in der Linzer Tages-Post von „zwei kleine[n] Klavierstücke[n], die er für mich komponiert hatte“ (3.1.1923, S. 3).
Das undatierte Stück, dessen orchestraler Stil auf eine Entstehungszeit um 1868 hindeutet, ist wohl die bedeutendste unter Bruckners Klavierkompositionen (Klavierwerke). An der Kompositionstechnik kann man bereits den angehenden Symphoniker erkennen, der sich hier mit den Grenzen der technischen Möglichkeiten der Klaviere seiner Zeit konfrontiert sah (s. v. a. den pathetischen Teil ab T. 41 mit fff und Akzenten).
Grundlage der Komposition ist ein achttaktiges Thema mit einem charakteristischen Doppelschlagmotiv, bei dem sich „aufgrund des Zusammenspiels jener dichten Melodieführung mit der vergleichsweise weitausgreifenden Harmonik der Begleitung die Assoziation an Chopin einstellt“ (Jacob, S. 326). Vorder- und Nachsatz werden melodisch bzw. harmonisch variativ weiterentwickelt. So erfährt nach der ersten, ornamental leicht veränderten Wiederholung des Vordersatzes der Nachsatz eine umfangreiche, durchführungsartige Erweiterung. Nach einer Überleitungspassage setzt wiederum das Hauptthema in gesteigerter Variation ein (T. 29): Die nunmehr in Oktavparallelen verlaufende Melodiestimme wird in der linken Hand mit Staccato-Sechzehntelbewegungen mit großem Ambitus begleitet. Der Höhepunkt bringt eine Reduktion auf die ersten drei Töne in rhythmisierter Gestalt. „Langsamer“ (ab T. 45) erscheinen am Schluss absteigend motivische Teile des Themas bei ständig abnehmender Dynamik.
Der Titel verweist also zum einen, traditionsgemäß allgemein, auf ein lyrisch gehaltenes Klavierstück, zum anderen vielleicht auf die am Schluss kompositorisch prononciert gesetzten Motivfragmente im Rückverweis.
Fridolin Dallinger und Harald Heilmann bearbeiteten Erinnerung für Streichorchester und Harfe (Bearbeitungen). Thomas Doss arrangierte u. a. Erinnerung für Bläser.
Literatur
- Theodor Helm, Ein unbekanntes Clavierstück Anton Bruckners. (Erschienen bei L. Doblinger [B. Herzmansky], Wien, 1. Bezirk, Dorotheergasse Nr. 1), in: Deutsche Zeitung 1.1.1901, S. 9
- Alexandrine Soika, Persönliche Erinnerungen an Anton Bruckner, in: [Linzer] Tages-Post 3.1.1923, S. 3
- Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 3/1, S. 508–511
- Ernst Kurth, Bruckner. Berlin 1925, Bd. 2, S. 1182ff.
- Hendrik Eduard Reeser, Bruckner‘s Pianostuk „Erinnerung“, in: De muziek 6 (1931/32), S. 352–358
- Walburga Litschauer, Bruckner und das romantische Klavierstück, in: Bruckner‑Symposion 1987Bruckner-Symposion. Bruckner und die Musik der Romantik. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1987. 16.–20. September 1987. Bericht. Hg. v. Anton Bruckner Institut Linz/Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH. Linz 1989, S. 109f.
- Andreas Jacob, Die Klavier- und Orgelwerke, in: Bruckner-Handbuch 2010Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.), Bruckner-Handbuch. Stuttgart–Weimar 2010, S. 326f.