Schenker, Heinrich (Pseud. Arthur Niloff)

* 19.6.1868 Wiśniowczyk/Galizien (Vyšnivčyk/UA), † 14.1.1935 Wien/A. Musiktheoretiker, Herausgeber und Komponist.

Schenker übersiedelte 1884 nach Wien, wo er an der Universität Wien Jus (Promotion 1890) und 1887–1889 am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Klavier (bei Ernst Ludwig) und Musiktheorie (Harmonielehre und Kontrapunkt bei Bruckner) studierte. Er knüpfte Kontakte zu Johannes Brahms und seinem Kreis (Eduard Hanslick, Max Kalbeck), aber auch zu Protagonisten der Wiener Moderne wie Hermann Bahr (1863–1934) und Arnold Schönberg (1874–1951). Er erteilte als Privatlehrer in Wien Klavier‑ und Theorieunterricht. Nach anfänglicher Tätigkeit als Komponist, Musikschriftsteller und Klavierbegleiter wandte sich Schenker nach der Jahrhundertwende zunehmend der Edition von Urtextausgaben und der Musiktheorie zu. Im Mittelpunkt seines theoretischen Ansatzes steht das Prinzip der Klangprolongation, die melodische Entfaltung eines Klanges durch Brechungen oder Skalenausschnitte (Züge). Das komplizierte Beziehungsgeflecht von tonaler Musik wird von Schenker als imaginärer Prozess dargestellt, in dem aus einem elementaren „Ursatz“ durch fortgesetzte Prolongation das konkrete Werk generiert wird. Sein Hauptwerk Neue musikalische Theorien und Phantasien erschien, über Jahrzehnte verteilt, in mehreren Bänden (Harmonielehre 1906, Kontrapunkt 1910 und 1922, Der freie Satz 1935).

Schenker war mit Bruckners Kompositionen wohl vertraut. Nach eigenen Angaben besprach er die Werke im Unterricht und spielte sie vierhändig mit Schülern. Mit Anhängern Bruckners pflegte Schenker wiederholt intensiven Austausch. Zwischen 1906 und 1915 traf er sich regelmäßig mit den befreundeten Dirigenten Ferdinand Löwe und Franz Schalk. In der Korrespondenz mit Karl Grunsky und August Halm war von Bruckner häufig die Rede. Schenker verstand Bruckner als einen Künstler, durch dessen Wesen „bei großer, ja genialer Anlage ein tiefer Riß ging“ (Kontrapunkt I, S. 136). Während er die thematische Erfindung bewunderte – die Achte Symphonie beginne so großartig „wie der Anfang der Welt“, schrieb er wenige Monate vor Bruckners Tod in der liberalen Wochenzeitung Die Zeit –, kritisierte er die Schroffheit mancher orchestraler Begleitfiguren, einen Mangel an Mannigfaltigkeit und vor allem das unvermittelte nebeneinander Setzen der Formteile. Bruckner schaffe „grandiose Isolirzellen“ (1893). Um das Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis bei seinem einstigen Lehrer zu dokumentieren, überlieferte er einen Ausspruch Bruckners: „Segn‘s, meini Herrn, dos is die Regl, i schreib‘ natirli net a so.“ (Harmonielehre, S. 228).

Schenkers Analysemethode diente in jüngerer Zeit gelegentlich zur Untersuchung und Darstellung harmonischer Verläufe und weitreichender linearer Beziehungen etwa in der Siebenten oder Neunten Symphonie (Bruckner Studies 1997, S. 140–208, S. 209–255).

Werke
  • Klavierstücke
  • Kammermusik
  • Lieder
Schriften
  • Anton Bruckner, in: Die Zukunft 5 (1893), S. 135ff.
  • Der Geist der musikalischen Technik. Leipzig 1895
  • Anton Bruckner, in: Die Zeit 3 (1895/96, 20.6.1896), S. 184ff.
  • Beethovens Neunte Sinfonie. Eine Darstellung des musikalischen Inhaltes unter fortlaufender Berücksichtigung auch des Vortrages und der Literatur. Wien 1912
  • Neue musikalische Theorien und Phantasien. Bd. 1: Harmonielehre. Bd. 2: Kontrapunkt. Teil I: Cantus firmus und zweistimmiger Satz. Teil 2: Drei- und mehrstimmiger Satz, Übergänge zum freien Satz. Bd. 3: Der freie Satz. Wien u. a. 1906–1935
  • Das Meisterwerk in der Musik. Ein Jahrbuch. 3 Bde. München u. a. 1925–1930
Literatur

MARTIN EYBL

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 21.1.2019

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Schenker, Heinrich: 118607154

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