Grunsky, Karl (Wilhelm Siegfried)
* 5.3.1871 Schornbach (heute Stadtteil von Schorndorf), Baden-Württemberg/D, † 2.8.1943 Stuttgart, Baden-Württemberg/D. Journalist, Musikschriftsteller.
Der Sohn des evangelischen Pfarrers Karl Moriz Grunsky (* 7.9.1815 Ostelsheim, Baden-Württemberg/D, † 19.5.1892 Heilbronn, Baden-Württemberg/D) besuchte die evangelischen Seminare in Maulbronn, Blaubeuren und Tübingen, war 1889–1892 als Zögling des evangelisch-theologischen Stiftes eingeschrieben und studierte anschließend an der philosophischen Fakultät der Universität Tübingen (1893 Promotion bei Karl Reinhold von Köstlin [1819–1894]). Zunächst politischer Journalist in Stuttgart, dann viele Jahre lang Musikschriftsteller: 1895–1908 Musikreferent der Tageszeitung Schwäbischer Merkur in Stuttgart, 1904–1905 Mitglied der Musikredaktion der Münchener Zeitschrift Kunstwart. Ab 1908 freier Journalist, zunächst vorrangig auf dem Gebiet der Musikwissenschaft, später auch wieder auf politischem Gebiet, wobei er zu den Propagandisten des NS-Regimes (Nationalsozialismus) gehörte.
Im Umfeld von Universitätsmusikdirektor Karl Emil Kauffmann (1836–1909) und bei den dortigen Begegnungen mit Hugo Wolf lernte er seit 1890 in Tübingen die Musik Bruckners kennen und setzte sich fortan bis ins vorgerückte Alter leidenschaftlich für deren Verbreitung in größeren Publikumskreisen ein. 1903 begann er sämtliche Symphonien Bruckners für zwei Klaviere einzurichten (Bearbeitungen), wobei er mit großer Entschiedenheit gegen „die leidige Gewohnheit der Kürzungen“ (Anton Bruckner 1922, S. 47) anging. Im Rahmen von Brucknerfesten hielt Grunsky zahlreiche Vorträge über Persönlichkeit und Werk Bruckners; anhand seiner Klavier-Transkriptionen führte er gemeinsam mit einem Partner wiederholt in nachfolgende Orchester-Aufführungen von Bruckner-Symphonien ein (z. B. in Stuttgart und Bochum 1921, in Aachen und in Düsseldorf). Er setzte sich auch publizistisch mit der Interpretation der Symphonien auseinander und kritisierte u. a. die häufige „mangelnde Durchlüftung des großen Zusammenhangs“: „Überlegte und gut festgehaltene Zeitmaße müssen das Gefüge auch der kleinsten Teile regeln“ (Anton Bruckner 1922, S. 48).
Als Musikschriftsteller hatte Grunsky in der Fachwelt einen guten Ruf. Seine Technik des Klavierauszugs (1911) beruht auf den Erfahrungen, die er mit der Bearbeitung von Bruckner-Symphonien gesammelt hatte. Führer zu bestimmten Symphonien Bruckners und seine 1922 erstmals erschienene Biografie Anton Bruckner beweisen seine ungebrochene Vorliebe für diesen Komponisten. In den Jahren zwischen 1899 und 1936 sind knapp 60 Publikationen erschienen, die sich mit Bruckner befassen (vgl. Bruckner-Bibliographie I). In seinen Werkbeschreibungen (vgl. Bruckner‘s Symphonien) hob er neben grundsätzlichen Einflüssen von Ludwig van Beethoven und Richard Wagner den Reichtum der Harmonik, eine transparente Kontrapunkttechnik (Kontrapunkt und Polyphonie) und meisterhafte Instrumentation hervor.
1926 gründete er in Stuttgart den Württembergischen Brucknerbund, dessen Vorsitzender er bis 1929 war. Dank Grunsky gilt Württemberg als „das erste deutsche Land, in welchem eine systematische Mission für das Werk des Meisters durchgeführt wurde“ (Göll.-A. 4/4, S. 72). Er gehörte auch zu den Gründungsmitgliedern der 1927 in Leipzig gegründeten Bruckner-Gesellschaft, die 1929 nach Wien verlegt wurde (Internationale Bruckner-Gesellschaft).
Schriften
- Der Reim. Diss. Tübingen 1893
- Spemanns goldenes Buch der Musik. Eine Hauskunde für jedermann. Berlin–Stuttgart 1900
- Musikästhetik. Leipzig 1907
- Klavierauszüge zu Werken Bruckners, in: Neue Musik-Zeitung 28 (1907) H. 8, S. 167f.
- Bruckner‘s Symphonien (und Te Deum) erläutert mit Notenbeispielen. Berlin–Wien 1908
- Die Technik des Klavierauszugs entwickelt am dritten Akt von Wagners Tristan. Leipzig 1911
- Mozart (1756-1791) als Symphoniker. Berlin–Leipzig 1914
- Das Christus-Ideal in der Tonkunst. Leipzig 1920
- Aus Anton Bruckners Lebensweg, in: Brucknerfestbuch. Stuttgart 1921, S. 17–20
- Bruckners Symphonien am Klavier, in: Brucknerfestbuch. Stuttgart 1921, S. 25–28
- Anton Bruckner (Musikalische Volksbücher 3). Stuttgart 1922
- Hugo Wolf (Die Musik 52). Leipzig 1928
- Aus der Bruckner-Bewegung, in: Neue Musik-Zeitung 49 (1928) H. 23, S. 753–756
- Bruckner als Künder einer neuen Zeit, in: Die MusikDie Musik. Stuttgart–Berlin–Leipzig 1901/02–1914/15 und 1922/23–1942/43. Zusatz ab 1934: Amtliches Organ der NS-Kulturgemeinde; Zusatz ab 1937/38: Organ des Amtes für Kunstpflege beim Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung und Schulung der NSDAP; Zusatz ab 1939: Organ der Hauptstelle Musik beim Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung und Schulung der NSDAP; Zusatz ab 1940/41: Organ der Hauptstelle Musik beim Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP 24 (1931/32) H. 5, S. 328–334
- Luthers Bekenntnisse zur Judenfrage (Der Aufschwung, Deutsche Reihe 2). Stuttgart 1933
- Volkstum und Musik. Eßlingen am Neckar 1934
- Fragen der Bruckner-Auffassung. Zum 6. Internationalen Bruckner-Fest in Zürich, 20. bis 28. Juni 1936. Zürich 1936 u. d. T. Fragen der Bruckner-Auffassung. Nach einem Vortrag in Zürich, Juni 1936. Stuttgart 1936
Literatur
- Zum Andenken an Karl Moriz Grunsky, Pfarrer a. D. Heilbronn 1892
- Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 4/4
- Wolfgang Irtenkauf, Anton Bruckner und seine südwestdeutschen Freunde, in: Schwäbische Heimat 25 (1974) H. 2, S. 136–142
- Bruckner-Bibliographie IRenate Grasberger, Bruckner-Bibliographie (bis 1974) (Anton Bruckner. Dokumente und Studien 4). Graz 1985
- Rolf Keller, Bruckner-Rezeption in Südwestdeutschland, in: Bruckner-Symposion 1991Othmar Wessely (Hg.), Bruckner-Symposion. Bruckner-Rezeption. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1991. 18.–22. September 1991. Bericht. Linz 1994, S. 113–126
- Rolf Keller, Frühe Freunde Bruckners im deutschen Südwesten. Der Beginn der Brucknerpflege in Baden-Württemberg, in: Bruckner-Symposion 1994Othmar Wessely u. a. (Hg.), Bruckner-Symposion. Bruckner-Freunde – Bruckner-Kenner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1994. 21.–25. September 1994. Bericht. Linz 1997, S. 151–160
- Fred K. Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. Auprès des Zombry ²2009 [CD-ROM], S. 2720ff.
- Mitt. Universitätsarchiv Tübingen