Dittrich, (Franz) Rudolf (August)

* 25.4.1861 Biala/Galizien (Bielsko-Biała/PL), † 16.1.1919 Wien/A. Musiker, Komponist, Musikpädagoge.

Sohn des Kapellmeisters Johann Anton Julius Dittrich (1825–1914) und seiner Frau Sophie Beate, geb. Frassek. Erste musikalische Ausbildung durch den Vater, ab 1873 Oboe-Studium bei Carl Pöck (1825–1888) sowie Klavier und Allgemeine Musiklehre am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, 1876/77 Entlassung aus disziplinären Gründen. 1878 Wiederaufnahme des Studiums am Konservatorium (bis 1882) in den Fächern Violine (Joseph Hellmesberger d. J.), Klavier (Wilhelm Schenner) und Kontrapunkt (Bruckner). Zudem Orgel-Unterricht zunächst privat bei Bruckner auf dessen Pedalharmonium, dann 1881–1882 auch am Konservatorium. 1883–1888 gehörte Dittrich als Harmoniumspieler (Nachfolger: Carl Führich) der Kapelle von Nathaniel von Rothschild (1836–1905) an. 1888 ging Dittrich als einer der ersten europäischen Musiker nach Japan. Dort lehrte er in seiner Funktion als artistischer Direktor an der kaiserlichen Musik-Akademie Tokio (heute National University of Fine Arts and Music) bis 1894. Neben seiner pädagogischen Bedeutung als Violin-, Klavier-, Orgel- und Musiktheorie-Lehrer, die er vor allem für die Vermittlung westlicher Musiktradition nutzte, trat er (wie seine erste Frau Petronella Josefine Leopoldine Lammer Edle von Castell Rombaldo [1860–1891]) auch als praktizierender Musiker in Erscheinung. Nach seiner Rückkehr nach Wien wirkte er als Organist, Bratschist und Chormeister von Gesangvereinen und publizierte 1894 und 1895 seine bekannten Sammlungen japanischer Lieder Nippon Gakufu. Six Japanese Popular Songs collected and arranged for the Pianoforte (Breitkopf & Härtel, Leipzig) und Nippon Gakufu. Ten Japanese Songs collected and arranged for the Pianoforte. Bedeutung erhielten einige der in westlicher Klangsprache arrangierten Lieder nicht zuletzt durch ihre Verwendung in Giacomo Puccinis (1858–1924) Madama Butterfly. 1901 wurde er in der indirekten Nachfolge seines Lehrers Bruckner Hoforganist und 1906 Professor für Orgel am Konservatorium in Wien. Für den Neubau der Orgel im großen Saal des Musikvereins entwarf er die Pläne. Ab 1907 unterrichtete er auch die Hofsängerknaben im Klavierspiel. Des Weiteren engagierte er sich für die Entwicklung der Musikpädagogik in Österreich und arbeitete als II. Präsident beim II. Österreichischen Musikpädagogischen Kongress 1914 in Wien mit. 1916 kam es während eines Konzertes infolge eines Schlaganfalls zu einem unglücklichen Sturz, von dem sich Dittrich nicht mehr erholte. Als er 1919 starb, hinterließ er aus der Beziehung mit der Japanerin Kiku Mori den Sohn Otto Mori (1893–1984), der Geiger wurde. Der Enkel Fujio Mori (1923–2005) machte unter dem Künstlernamen Jun Negami als Schauspieler Karriere. Der im Jahr 1900 geschlossenen 2. Ehe mit Katharina Kriegl entstammten die Söhne Oswald Franz (1901–1966) und Rudolf Peter Ferdinand (1903–nach 1928).

Der Name „Dietrich“ scheint (falsch geschriebenen) 1878 – vielleicht schon 1877 – in Bruckners Taschen-Notizkalender auf. Dittrich selbst berichtete über seine musikalische Ausbildung: „Im Herbst 1878 wurde ich Bruckners Schüler; im Conservatorium in Contrapunkt, privat in Orgel, da mein Conservatoriums-Hauptfach Violine war. Im ersten Jahrgang Contrapunkt waren wir 6 Jungen; unter anderen auch Eduard Rosé und Franz Schalk. Einige fielen ab, Schalk trat aus, sodaß ich im II. Jahrgang allein war. 1881 durfte ich Orgel als 2. Hauptfach nehmen und absolvierte 1882 an einem Tage in Violine mit Bach‘s Ciaconna und in Orgel mit der großen G-Moll-Fuge von Bach. – Ich war aus Schlesien gekommen und die Wiener Gemütlichkeit, die auch zwischen Lehrer und Schüler manchmal ihr Unwesen treibt, war mir fremd. Der angebetete Lehrer war für mich ein Gott. Das sah steif aus, und flugs nannte mich Bruckner den ,Deutschen Michel‘.“ (Göll.-A. 4/1, S. 587). Einem weiteren bei Göll.-A. abgedruckten Bericht Dittrichs zufolge erlebte er als Privatschüler unmittelbar die Entstehung von Bruckners Streichquintett in F-Dur: „Als ich noch als Privatschüler in seine Wohnung ging, komponierte er an dem Quintett, und da spielte er mir oft vor, was er gerade in Arbeit hatte. Er war von Hellmesberger aufgefordert worden, ein Kammermusikstück zu schreiben. Und da verließ ihn nicht der Gedanke, nur recht viel Sextengänge zu schreiben, denn der Herr Hofkapellmeister hätte die Sexten so gerne. – Und eines Tages spielte er mir etwas in Ges-Dur vor; das sollte das Adagio sein. Ich hörte und machte wahrscheinlich ein ganz gleichgültiges Gesicht, denn plötzlich brach er ab und sagte: ‚Na, mir scheint, ihm g‘fallt‘s nöt?‘ Ich sagte ehrlich, daß ich nichts besonderes daran fände, worauf er erwiderte: ‚Sie san mir no‘ lieber‘. – Hierauf begann er anders – improvisierend. Ich winkte ab; ich fände auch daran nichts. So noch ein zweites und ein drittes Mal. Und plötzlich erklangen die ersten Takte des gegenwärtigen Adagio. Nach wenigen Takten rief ich: ‚Ausgehalten, Herr Professor, das ist das Wahre‘. Und das wurde sofort notiert und wird noch Viele begeistern, wie es mich sofort packte. Ganz besonders freute es mich, daß er das nicht vergessen hatte, denn als ich ihn 1894 im Herbst besuchte, erinnerte er mich daran, daß ich eigentlich die Ursache sei, daß das Adagiothema so geworden sei.“ (Göll.-A. 4/1, S. 536f.).

Eine ebenso schöpferisch-kreative Kooperation zwischen dem Schüler Dittrich und seinem Lehrer Bruckner ist belegt durch die Edition eines Konzertstückes für Orgel (Böhm & Sohn, Augsburg 1913). Es handelt sich um die Dittrich-Doppelfuge in B-Dur, deren Thema, Fugenplan und Modulationen gemeinsam mit Bruckner im Kontrapunkt-Unterricht des Schuljahres 1879/80 entworfen wurden. Was zudem, wie auch durch andere Schülermitschriften von P. Oddo Loidol oder Viktor Christ nachweisbar, Bruckners kreatives Potential andeutet, das offensichtlich auch im Unterricht zumindest partiell vom schulmeisterlichen Plan abwich und personalstilistische Elemente miteinbrachte.

Werke
  • Schlesier-Hymne (Männerchor)
  • Orgelwerke (u. a. Paraphrase über das Kaiserlied „Gott erhalte“)
  • Klavierwerke
  • Bearbeitungen japanischer Lieder
Literatur

RAINER BOSS

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 4.3.2020

Medien

Kategorien

Normdaten (GND)

Dittrich, (Franz) Rudolf (August): 119419475

Links

ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft