Afferentur (WAB 1) „Afferentur regi virgines post eam“
Offertorium für vierstimmigen gemischten Chor mit (später hinzugefügten) 3 Pos. (ad lib.?) in F‑Dur, „Andante“
EZ: | 7.11.1861 in Linz |
W: | Johann Baptist Burgstaller („Sr Hochwürden Herrn Chor-Director Johann Burgstaller.“) |
UA: | 13.12.1861 in St. Florian |
Aut.: | Stift Kremsmünster, Musiksammlung (C57/7, Entwurf); Anton Bruckner Institut Linz (o. Sign., As., Widmungsexemplar); ÖNB‑MS (Mus.Hs.37288, As. mit autografen Eintragungen) |
ED: | Beilage zur Musica Divina (1922) H. 11/12; Universal Edition, Wien 1922 (Josef Venantius von Wöss) |
NGA: | Band XXI (Hans Bauernfeind/Leopold Nowak, 1984) und Revisionsbericht (1984) |
Der Text, dem Offertorium (Messen) der Missa pro Virgine et Martyre entnommen, schildert den von festlichem Jubel begleiteten Zug der Königsbraut und ihres Gefolges zum Palast des Königs (vgl. Ps 45,15f. und Mt 25,1–13). Da auch der Gradualvers fast identisch ist, die Motette daher als Graduale wie als Offertorium Verwendung finden kann, erklärt sich die etwas ungewöhnliche von Bruckner der Widmungspartitur für Burgstaller vorangestellte Bezeichnung „Offertorium/Graduale“ (Anton Bruckner Institut Linz, o. Sign., As. mit autografer Widmung und Beglaubigung durch den Widmungsträger: „NB. daß diese Schrift die Handschrift des berühmten Verfassers, k. k. Hoforganist und Professor am Conservatorium in Wien ist, bezeuge ich hiemit durch meine eigene Handschrift. Joh. B. Burgstaller mpr. Chordir. a. Mar.[iä] E.[mpfängnis] D.[om] in Linz. 1885.“) bzw. „Offertorium als Graduale“ (ÖNB‑MS, Mus.Hs.37288).
Die Motette ist dreiteilig (A‑B‑A‘), die Stimmführung überwiegend imitatorisch, an vier Stellen verstärken drei Posaunen (ad lib.?) die Alt-, Tenor- und Bassstimme. Thematisch bestimmend für die ganze Motette ist das Kopfmotiv (Quintsprung abwärts – Quartsprung aufwärts). Der Grundcharakter der Motette, die textlich doch ein freudenvolles, festliches Geschehen schildert, ist mit Ausnahme eines einzigen ff-Höhepunktes (bei „afferentur tibi in laetitia“) zurückhaltend und herb.
Bruckner ließ die kurz vor seiner Orgel-Prüfung (21.11.1861) in der Wiener Piaristenkirche komponierte und wohl deshalb vom Bruckner-Schrifttum (u. a. Max Auer) als wenig persönliche Schularbeit eingestufte Motette nicht nur am Fest der hl. Lucia von Syrakus (13.12.1861) in St. Florian und bei der Uraufführung (20.11.1864) seiner Messe in d‑Moll singen, sondern widmete sie viele Jahre später (1885) Burgstaller, dem Chordirektor des Neuen Domes , was bei Bruckners Selbstkritik wohl als deutlicher Ausdruck der Identifikation mit dem Werk gewertet werden kann.
Literatur
- Max Auer, Anton Bruckner als Kirchenmusiker (Deutsche Musikbücherei 54). Regensburg 1927, S. 14, 17, 64, 102
- Erwin Horn, Anton Bruckner. Geistliche Motetten: Afferentur, in: Musica sacra 102 (1982) H. 3, S. 165–173
- Elisabeth Maier, Neue Bruckneriana aus Privatbesitz, in: IBG‑MitteilungsblattMitteilungsblatt der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Studien & Berichte. Hg. v. der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Wien 1971ff. Nr. 36 (Juni 1991), S. 6–13
- Melanie Wald-Fuhrmann, Geistliche Vokalmusik, in: Bruckner-Handbuch 2010Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.), Bruckner-Handbuch. Stuttgart–Weimar 2010, S. 224–289
- Robert Klugseder/Ikarus Kaiser, Wiederentdeckung eines umfangreichen Korpus an Abschriften des Linzer Dom-Musikarchivs, in: ABIL-MitteilungenABIL-Mitteilungen. Hg. v. Anton Bruckner Institut Linz. Linz 2008ff. Nr. 17 (Juni 2016), S. 4–10