Kaiserhaus
Die große musikalische Tradition des Hauses Habsburg endete – die kaiserliche Linie betreffend – nach 1800. Kaiser Franz Joseph I. war nach Meinung des Zeitgenossen Friedrich Scherber (1844–1944; u. a. Komponist und Schriftsteller, ab 1901 Mitarbeiter, sowie 1910–1912 Leiter der Musiksammlung der k. k. Hofbibliothek) offenbar ebenso unmusikalisch wie Kaiserin Elisabeth (1837–1898) und Kronprinz Rudolf. Die Kaiserin spielte allerdings Zither, wie diverse Berichte belegen (z. B. Linzer Tages-Post 21.9.1881, S. 3; Prager Tagblatt 8.8.1887, S. 3), aber wohl eher für den Hausgebrauch und nicht so gewandt wie ihr Vater, Herzog Max in Bayern (eigentl. Maximilian Joseph, 1808–1888), gleichwohl ein Versuch der Kaiserin, „ein Stück für die Zither zu komponiren“ (Neuigkeits-Welt-Blatt 18.11.1888, S. 4), überliefert ist. Der Kronprinz dürfte durch seinen Cousin, König Ludwig II. von Bayern, immerhin Kontakt mit der Musik des bekanntlich vom König bewunderten Richard Wagner bekommen haben (Hamann 1978, S. 105; Biba 1984, S. 356f.; Bled, S. 51). Alle drei bevorzugten die Volksmusik. Dass der Kaiser – meist ohne seine Frau – bei zu Staatsbesuchen o. ä. stattfindenden musikalischen Veranstaltungen erschien, (vom Mitarbeiterstab empfohlene) Ehrungen vornahm, Bewerbungen entgegennahm, im Fall Bruckner auch eine Wohnung zuwies etc., ist selbstverständlich. Laut Scherber können „die Tonkünstler […] es dem Kaiser nicht genug danken, daß er sie in ihrem Reiche so ungestört schalten und schaffen ließ“ (Scherber, S. 189). Zu einer anderen Meinung kam 2016 eine Ausstellung im Wiener Musikverein, die aber nur abzubildende Belege von schriftlichen oder auch persönlichen „Begegnungen“ mit Musik und Musikern zeigte. Dies alles bedeutet aber nicht, dass der Hof – und da ist als Verantwortlicher zuerst der Kaiser zu nennen – die musischen Künste, besonders die ältere Musik, vernachlässigte. Scherber erwähnt hier besonders die großartige finanzielle Unterstützung der Denkmäler der Tonkunst in Österreich durch Vorbestellungen vieler Exemplare und sogar auf Büttenpapier gedruckte „eigene sogenannte ‚Hofexemplare‘“ (Scherber, S. 191). Er bezeichnet die Regierungszeit Kaiser Franz Josephs I. als „eine Zeit reichen musikalischen Gewinnes“ und das auf allen Gebieten von der Musikpraxis über die Musikwissenschaft bis zur Musikjournalistik (Scherber, S. 191f.).
Entgegen alter habsburgischer Tradition erhielten die Kinder von Franz Joseph I., dem schon in der Kindheit systematisch seine musischen Interessen abgewöhnt wurden, und Elisabeth keine gründliche musikalische Ausbildung. Dass sich die beiden Töchter des Kaiserpaares, Gisela und Marie Valerie, dann doch und besonders für Bruckner engagierten, ging auf die Initiative der hochmusikalischen Münchner Verwandtschaft zurück, v. a. der jungen Amalie Maria, Herzogin in Bayern, einer Nichte der Kaiserin Elisabeth.
Es gab in Bruckners Zeit nur ein wirklich musikalisches Mitglied des Kaiserhauses: die aus der ungarischen Habsburgerlinie stammende Erzherzogin Elisabeth (1831–1903), deren Tochter mit dem bayerischen Thronfolger Ludwig verheiratet war. Doch Elisabeth, die große Förderin von Johannes Brahms, war am Wiener Hof ohne Einfluss.
Immerhin machten einige Mitglieder des Kaiserhauses Bruckner die Freude, sich gelegentlich freundlich über seine Musik zu äußern. Kronprinzessin Stephanie (1864–1945) besuchte eine Aufführung des Te Deum am 22.1.1888 in Wien (Der Alpen-Bote 29.1.1888, S. 3) und erschien auch bei der Uraufführung der dem Kaiser gewidmeten Achten Symphonie Bruckners als Vertreterin des Kaiserhauses neben Erzherzogin Maria Theresia (1849–1919), einer Schwägerin des Kaisers. Bruckners Orgelspiel bei der Hochzeit der Kaisertochter Marie Valerie 1890 in Bad Ischl (Volkshymne) trug ihm die Verehrung des jüngsten Kaiserbruders, Erzherzog Ludwig Viktor (1842–1919) ein. Dieser war zwar kunstsinnig und großzügig, doch wegen zahlreicher Skandale vom Wiener Hof verbannt und ohne Einfluss.
Eine Sonderstellung nahm bei Bruckner stets das Andenken an den 1867 ermordeten Maximilian, Kaiser von Mexiko ein. Bruckner beschäftigte sich mit der Geografie und Geschichte Mexikos, um dem Schicksal Maximilians näherzukommen. Eines der wenigen Bücher, die Bruckner besaß, war die Geschichte dieses unglücklichen Habsburgers.
Literatur
- Franz Hammerer, Spezifizirung des „Zithern“, in: [Linzer] Tages-Post 21.9.1881, S. 1ff.
- Kaiserin Elisabeth als Zitherspielerin, in: Prager Tagblatt 8.8.1887, S. 3
- Bruckner-Concert in Wien, in: Der Alpen-Bote 29.1.1888, S. 3
- Der Vater unserer Kaiserin †, in: Neuigkeits-Welt-Blatt 18.11.1888, S. 3f.
- Ferdinand Scherber, Kaiser Franz Joseph und die Musik, in: Bühne und Welt. Zeitschrift für Theaterwesen, Literatur und Musik 11 (1908/09) 1. Hj., S. 189–192
- Brigitte Hamann, Rudolf – Kronprinz und Rebell. Wien–München 1978
- Otto Biba, Musik, in: Harry Kühnel (Hg.), Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs. Niederösterreichische Landesausstellung, Schloß Grafenegg 1984. 1. Teil: Von der Revolution zur Gründerzeit 1848–1880. Wien 1984, S. 352–359
- Otto Biba, Musik, in: Harry Kühnel (Hg.), Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs. Niederösterreichische Landesausstellung, Schloß Grafenegg 1987. 2. Teil: 1880–1916. Glanz und Elend. Wien 1987, S. 222–231
- Brigitte Hamann, Musikalisches aus dem Tagebuch der Prinzessin Amélie in Bayern, in: Bruckner-Symposion 1994Othmar Wessely u. a. (Hg.), Bruckner-Symposion. Bruckner-Freunde – Bruckner-Kenner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1994. 21.–25. September 1994. Bericht. Linz 1997, S. 19–30
- Brigitte Hamann, Der Organist des Kaisers, in: Vom Ruf zum NachrufHelga Ritschel (Red.), Vom Ruf zum Nachruf. Künstlerschicksale in Oberösterreich. Anton Bruckner. Landesausstellung Oberösterreich 1996 [Katalog]. Linz 1996, S. 234–244
- Jean-Paul Bled, Kronprinz Rudolf. Wien–Köln–Weimar 2006
- Theophil Antonicek, Bruckner im Belvedere. Akten des Obersthofmeisteramtes, in: Bruckners Wiener JahreRenate Grasberger/Elisabeth Maier/Erich Wolfgang Partsch (Hg.), Anton Bruckners Wiener Jahre. Analysen – Fakten – Perspektiven (Wiener Bruckner-Studien 1). Wien 2009, S. 19–30