Wagner, Familie
Richard: * 22.5.1813 Leipzig, Sachsen/D, † 13.2.1883 Venedig/I.
Komponist, Dirigent.
Neuntes Kind des Polizeibeamten Karl Friedrich Wilhelm Wagner (1770–1813) und dessen
Frau Johanna Rosine, geb. Pätz (1774–1848). Lebenslange Begeisterung für die antike
griechische Mythologie und Literatur, für mittelalterliche Dichtungen Wolfram von
Eschenbachs (1160/80–1220) und die Werke William Shakespeares (1564–1616). Nach dem
gescheiterten Versuch, das Komponieren autodidaktisch anhand der Kompositionslehre
Johann Bernhard Logiers (1777–1846) zu erlernen, nach der Anfertigung von Abschriften
von Ludwig van Beethovens
Fünfter und Neunter Symphonie zu
Studienzwecken und der Immatrikulation als Musikstudent an der Leipziger Universität fand Wagner seinen
Kompositionslehrer im Thomaskantor Christian Theodor Weinlig (1780–1842).
Kurzfristige Anstellungen als Theaterkapellmeister und Konzertdirigate (u. a. in
Würzburg, Bad Lauchstädt, Königsberg [Kaliningrad/RUS] und Riga) brachten nicht die gewünschte
finanzielle Absicherung, sodass Wagner vor seinen Gläubigern – über London – nach Paris flüchtete, wo er Franz
Liszt und Giacomo Meyerbeer (1791–1864) begegnete. Letzterer empfahl ihn
nach Dresden, wo er 1843 zum
Königlich-Sächsischen Hofkapellmeister ernannt wurde. Die Beteiligung an den
Barrikadenkämpfen der Revolution führten zu Wagners Flucht vor der Polizei nach
Weimar zu Liszt und anschließend ins Exil nach Zürich (1849). Die unglückliche (und
kinderlose) Ehe mit der Schauspielerin Minna Planer (1809–1866) sowie sein Verhältnis
zu Mathilde Wesendonck (1828–1902) trieben Wagner erneut in die Flucht (1858 nach
Venedig), worauf fast sechs Jahre „ruheloses, von Enttäuschungen, Mißerfolgen und
Rückschlägen geprägtes Umherirren“ (Langer u. a., Sp. 296f.) folgte. 1862 fühlte sich
Eduard Hanslick bei einer Lesung aus
den Meistersingern nicht zu Unrecht in der Figur Beckmesser parodiert und wurde zu einem der mächtigsten Gegner
Wagners. 1864 befreite König Ludwig
II. mit finanziellen Zuschüssen den Dichterkomponisten von seinen
Geldsorgen. Er ehelichte nach der Geburt dreier gemeinsamer Kinder Cosima von Bülow
nach deren Scheidung von Hans
Guido von Bülow. 1876 wurde nach vier Jahren Bauzeit das Bayreuther
Festspielhaus mit Wagners Ring des Nibelungen eröffnet,
allerdings mit einem Defizit, sodass die nächsten Festspiele erst wieder 1882
stattfanden.
Bruckners Beziehungen zu dem von ihm als „Meister aller Meister“ (Briefe I, 850410/2) titulierten Wagner und dessen Familie beruhten rückblickend wohl eher auf Einseitigkeit: Der um Anerkennung als Komponist Werbende bewunderte den berühmten Musikdramatiker grenzenlos und aus tiefstem Herzen („O Meister ich bethe Sie an!!!“, in einem Brief an Hans Paul Freiherr von Wolzogen, Briefe II, 910211/2) – und der „Meister“ ließ es sich wie von allen anderen Verehrern gerne gefallen, ohne sich weiter um die (zum Teil gönnerhaft von ihm geweckte) Hoffnung auf Unterstützung bei der Ermöglichung von Aufführungen Bruckner‘scher Werke zu kümmern.
Bruckner sah in Wagners Musik ein Vorbild, Wagner sah im Symphoniker Bruckner vor allem keinen Konkurrenten und leistete sich daher einen kollegialen Umgang ohne Verpflichtungen. Entgegen der älteren Bruckner-Literatur bestand also zwischen Bruckner und Wagner keine Künstlerfreundschaft. Es existieren auch lediglich zwei Briefe (30.1.1868: Wagner an Bruckner, 20.5.1878: Bruckner an Wagner), ein Telegramm (21.5.1882: Bruckner an Wagner) sowie das Doppelautograf aus Anlass der Widmung der Dritten Symphonie 1873. Ob Wagners angeblicher Vergleich der Bruckner’schen Symphonien mit jenen Beethovens im selben Jahr erfolgte („Nur Einen kenne ich, der an Beethoven hinanreicht – und der ist Bruckner“, Göll.-A. 4/2, S. 41f.), ist unklar.
Mit Wagners Werken kam Bruckner erstmals durch seinen Lehrer Otto Kitzler in Kontakt, der am 13.2.1863 in Linz den Tannhäuser erstaufführte. Anlässlich der Aufführung von Tristan und Isolde in München lernte Bruckner im Mai 1865 Wagner auch persönlich kennen und erhielt eine Fotografie gewidmet. Am 4.4.1868 konnte Bruckner, damals Chormeister der Liedertafel „Frohsinn“, mit Wagners Erlaubnis den Schlusschor mit der Ansprache des Hans Sachs aus den Meistersingern von Nürnberg – zweieinhalb Monate vor der ersten Gesamtaufführung in München – in Linz uraufführen. Im September 1873 reiste Bruckner, von der Kur in Marienbad kommend (wo er das Finale der Dritten Symphonie vollendet hatte), zum ersten Mal nach Bayreuth, um Wagner die Zweite und die – schließlich gewählte – Dritte Symphonie, in die er Anklänge an Wagner-Themen (Zitate) verarbeitet hatte, zur Widmung vorzulegen. Von dieser Zusammenkunft existieren zahlreiche Berichte, auch von Augenzeugen. Am 4.3.1875 war Bruckner bei der Götterdämmerung-Lesung Wagners in der Wohnung von Josef Standthartner gemeinsam mit Maria Gräfin Dönhoff , Emil Heckel (1831–1908) und Josef Rubinstein (1847–1884) anwesend. Wagner lud Bruckner 1876 zu den ersten Bayreuther Festspielen ein. Während der Festspiele des Jahres 1882 trafen die beiden Komponisten zum letzten Mal zusammen. Unter dem Eindruck von Wagners Tod schrieb Bruckner im Februar 1883 die letzten Takte des Adagio (ab T. 185, Buchstabe X) seiner Siebenten Symphonie. Das Grab Wagners in Bayreuth wurde nun zur ersten Pilgerstätte für Bruckner.
Auch in Wien besuchte Bruckner Wagner-Aufführungen in der Hofoper, meist auf der vierten Galerie und ohne Blickkontakt zur Bühne. Seine besondere Liebe galt dem Siegfried. Inhalt und Text interessierten Bruckner wenig, er scheint den Zugang zu Wagners Werken nur über die Musik gefunden zu haben, wobei seine Aufmerksamkeit vor allem der Behandlung des Orchesters und der Motivverarbeitung galt. Verbürgt ist Bruckners Besuch der Walküre-Vorstellung am 11.3.1877.
Seine von manchen einflussreichen Zeitgenossen kritisierte Begeisterung für Wagner wirkte sich in Wien durchaus negativ auf die Anerkennung Bruckners aus. Vom Wiener Akademischen Wagner-Verein und den deutsch-nationalen Kreisen quasi „vereinnahmt“, von der Studentenschaft des Wiener Akademischen Gesangvereins verehrt, hatte Bruckner die Rezensenten der konservativen Presse (mit Hanslick an der Spitze) gegen sich.
Werke
- Opern
- Orchesterwerke
- Kammermusik
- Klavierwerke
- Chorwerke
- Lieder
- Bearbeitungen von Werken Ludwig van Beethovens, Christoph Willibald Glucks, Wolfgang Amadeus Mozarts u. a.
Schriften
- Die Kunst und die Revolution. Leipzig 1849
- Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig 1850
- Oper und Drama. 3 Bde. Berlin 1851–1852
- Über die Aufführung des Tannhäuser. Eine Mittheilung an die Dirigenten und Darsteller dieser Oper vom Dichter und Tonsetzer derselben. Zürich 1852
- Bericht an Seine Majestät den König Ludwig II. von Bayern über eine in München zu errichtende deutsche Musikschule. München 1865
- Deutsche Kunst und deutsche Politik. Leipzig 1868
- Das Judentum in der Musik. Leipzig 1869
- Beethoven. Leipzig 1870
- Ueber das Dirigieren. Leipzig 1870
- Ueber die Bestimmung der Oper. Ein akademischer Vortrag. Leipzig 1871
- Über Schauspieler und Sänger. Leipzig 1872
- Gesammelte Schriften und Dichtungen. 10 Bde. Leipzig 1871–1883
- Religion und Kunst nebst einem Nachtrage „Was nützt diese Erkenntniss?“ (Bayreuther Blätter 4). Bayreuth 1881
- (gem. mit Hans von Wolzogen), Thematischer Leitfaden durch die Musik des Parsifal. Nebst einem Vorworte über den Sagenstoff des Wagner’schen Dramas. Leipzig 1882
Seine Frau
Cosima: * 25.12.1837 Bellagio/I, † 1.4.1930
Bayreuth, Bayern/D.
Wuchs als Tochter der Gräfin Marie d‘Agoult (1805–1876) und Franz Liszts in
Paris auf, wo sie 1853 erstmals Wagner traf, und wurde später von der Baronin
Elisabeth von Bülow in Berlin erzogen. 1857
heiratete sie Hans Guido Bülow, dessen Leidenschaft für Wagner sie teilte. Nach
ersten Annäherungen an Wagner, denen heftige Auseinandersetzungen mit Bülow
folgten, kam 1865 als erstes Kind Cosimas und Wagners Isolde (* 10.4.1865 München, Bayern/D, † 7.2.1919 München), 1867 als
zweites Kind Eva zur Welt. Nach der Geburt des dritten Kindes, Siegfried, nach
dem Tod von Wagners erster Frau und der Scheidung von Bülow heiratete sie
Wagner am 25.8.1870 in Luzern. Cosima ordnete sich der Persönlichkeit und dem
Werk Wagners unter und arbeitete von Beginn an am Aufbau der Bayreuther Festspiele mit. Nach dem Tod ihres Mannes übernahm sie
deren Leitung und führte auch Regie. Erst 1908 gab sie die Direktion an
Siegfried ab, blieb jedoch bis zu ihrem Tod die eigentliche „Herrin von
Bayreuth“. 1911 erhielt sie die Ehrenbürgerwürde der Stadt Bayreuth.
Bruckner lernte Cosima Wagner anlässlich seines Aufenthaltes in Bayreuth im September 1873 kennen und traf mit ihr später bei den Wahnfried-Soiréen während der Festspiele zusammen. Von Cosimas Hand stammt der in verbindlichem Ton gehaltene Antwortbrief (Briefe I, 740624) auf Bruckners Übersendung des Widmungsexemplars der Dritten Symphonie vom 24.6.1874, in dem auch die Einladung zu den ersten Festspielen 1876 ausgesprochen wurde. Nach Wagners Tod sandte Bruckner im Februar 1883 ein Beileidsschreiben. Auf Wunsch Cosimas spielte Bruckner beim Requiem für ihren Vater Franz Liszt am 4.8.1886 in der Bayreuther Schlosskirche die Orgel. In den erst 1976–1982 veröffentlichten Tagebüchern Cosimas wird „der arme Organist Bruckner aus Wien“ (Gregor-Dellin/Mack, Bd. 2, S. 894) nur zweimal, eher am Rande, erwähnt.
Schriften
- Martin Gregor-Dellin/Dieter Mack (Hg.), Die Tagebücher. Bd. 1: 1869–1872, Bd. 2: 1873–1877, Bd. 3: 1878–1880, Bd. 4: 1881–1883. München 1976–1982
- Franz Liszt. Ein Gedenkblatt von seiner Tochter. München 1911
- Bertha Schemann (Hg.), Briefe an Ludwig Schemann (Von deutscher Musik 59). Regensburg 1937
- Dietrich Mack (Hg.), Das zweite Leben. Briefe und Aufzeichnungen 1883–1930. München 1980
Deren Kinder
Eva: * 17.2.1867 Tribschen bei Luzern/CH,
† 26.5.1942 Bayreuth, Bayern/D.
Heiratete 1908 den englischen Kulturkritiker
und Rassentheoretiker Houston Stewart Chamberlain
(1855–1927). Sie war die engste Vertraute ihrer Mutter, ab 1906 ihre Sekretärin,
Vorleserin und Reisebegleiterin und verwahrte deren Tagebücher.
Bruckner lernte Eva bei seinen Aufenthalten in Bayreuth kennen und verehrte sie schon als kleines Mädchen. Im März 1885 sandte er ihr ein mit Widmung versehenes Foto, am 10.5.1885 übermittelte er Eva eine Abschrift seines Wagner-Briefes, der ihm „so kostbaren Reliquie“ seines „unerreichbaren Ideales“ (Briefe I, 850410/2). 1901 berichtete Eva in einem Brief an August Göllerich über Bruckners Aufenthalte in Wahnfried.
Siegfried: * 6.6.1869 Tribschen bei Luzern/CH, †
4.8.1930 Bayreuth, Bayern/D. Komponist, Dirigent.
Erziehung durch den Hauslehrer Heinrich Freiherr von Stein (1857–1887). Nach
dem Gymnasium in Bayreuth wurde er als Schüler von Engelbert Humperdinck
(1854–1921) in Mainz und Felix Mottl in Karlsruhe selbst Komponist und Dirigent.
1892–1896 war er Assistent, ab 1896 Dirigent, Regisseur und 1908–1930 Leiter
der Bayreuther Festspiele. 1915 heiratete er die
Engländerin Winifred Williams (* 23.6.1897 Hastings/GB, †
5.3.1980 Überlingen, Baden-Württemberg/D), die Adoptivtochter des
Liszt-Schülers Karl Klindworth,
mit der er vier Kinder hatte: Wieland (1917–1966), Friedelind (1918–1991),
Wolfgang (1919–2010) und Verena (1920–2019).
Mit Siegfried Wagner kam Bruckner während seiner Besuche bei den Bayreuther Festspielen in Kontakt und traf ihn auch bei der Uraufführung seiner Achten Symphonie 1892 in Wien. Später dirigierte Siegfried Werke Bruckners beim Heidelberger Bach-Verein (1907) und besuchte 1928 u. a. Linz und Bruckners Grab in der Stiftskirche St. Florian.
Werke
- Opern (u. a. Der Bärenhäuter; An allem ist Hütchen schuld)
- Orchesterwerke
- Chorwerke
- Lieder
Schriften
- Erinnerungen (Musikalische Volksbücher). Stuttgart 1923
- Reisetagebuch 1892. [Bayreuth 1935]
Literatur
- Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 4/1–4
- Bruckner. Musik und LebenLeopold Nowak, Anton Bruckner. Musik und Leben. Linz 1973
- George R. Marek, Cosima Wagner. Ein Leben für ein Genie. Bayreuth 1981
- Martin Gregor-Dellin/Michael von Soden (Hg.), Richard Wagner. Leben, Werk, Wirkung (Hermes-Handlexikon). Düsseldorf 1983
- Egon Voss, Wagner und Bruckner. Ihre persönlichen Beziehungen anhand der überlieferten Zeugnisse, in: Studien zu Werk und WirkungChristoph-Hellmut Mahling (Hg.), Anton Bruckner. Studien zu Werk und Wirkung. Walter Wiora zum 30. Dezember 1986 (Mainzer Studien zur Musikwissenschaft 20). Tutzing 1988, S. 219–233
- Peter P. Pachl, Siegfried Wagner. Genie im Schatten. München 1988
- Andrea Harrandt, Bruckner und das Erlebnis Wagner, in: IBG-MitteilungsblattMitteilungsblatt der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Studien & Berichte. Hg. v. der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Wien 1971ff. Nr. 38 (Juni 1992), S. 5–15
- Ausstellungskatalog Bruckner in Bayreuth 1994. Bayreuth 1994
- Egon Voss, „Wagner und kein Ende“. Betrachtungen und Studien. Zürich–Mainz 1996, S. 377–391
- Briefe IIAndrea Harrandt/Otto Schneider (Hg.), Briefe von, an und über Anton Bruckner. Bd. II. 1887–1896 (NGA XXIV/2). Wien 2003
- Dieter David Scholz, Richard Wagner. Eine europäische Biographie. Berlin 2006
- Oliver Hilmes, Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner. München 2007
- Arne Langer u. a., Art. „Wagner, Familie“, in: MGG²Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. 29 Bde. (Sach- und Personenteil). 2. neubearb. Ausgabe. Kassel u. a. 1994–2008 17 (2007), Sp. 286–374
- Briefe IAndrea Harrandt/Otto Schneider (Hg.), Briefe von, an und über Anton Bruckner. Bd. I. 1852–1886 (NGA XXIV/1). 2., rev. und verbesserte Aufl. Wien 2009
- Daniel Brandenburg (Hg.), Das Wagner-Lexikon. Laaber 2012
- www.richard-wagner.org [11.6.2019]
- www.richardwagnerverband.at [11.6.2019]
- www.siegfried-wagner.org/ [11.6.2019]
- Franz Muncker, Art. „Wagner, Richard“, in: www.deutsche-biographie.de [11.6.2019]
- Oswald Panagl, Art. „Wagner, Familie“, in: www.musiklexikon.ac.at [11.6.2019]