Instrumentation

Einführung

„Das einzig sinnlich-weltliche in seinem Wesen war eine geradezu elementare Freude an der sinnlichen Pracht der Klänge, eine ursprünglich ungezügelte Lust an dem königlichen Prunk seines Orchesters und seiner Orgel.“ (Schalk, S. 86). Mit diesen Worten beschreibt Franz Schalk nicht nur eine hervorstechende Eigenart des Komponisten Bruckner, sondern erwähnt zugleich auch indirekt jenes bedeutsame Stilmittel ‚Klang‘, dem in Bruckners musikalischem Schaffen eine stetig gewichtigere Rolle als musikalisches Gestaltungselement zufällt. Vor allem ab 1864, wo Bruckners Individualstil schlagartig in ausgeprägter Form hervortritt, wurde für diesen die Instrumentation seiner Werke immer mehr zu einem zentralen Anliegen seines Kompositionsdenkens, wobei die Lösung dieser Aufgabe ihn zeitlebens beschäftigte und viel Schaffenskraft und ‑zeit kostete.

So findet man erstmals in seiner Messe in d-Moll eine völlig neuartige Satz- und Klangkonzeption, bei der zwar die Priorität des Vokalsatzes gegenüber dem Orchestersatz noch weitgehend unangetastet bleibt, dabei aber oft subjektiv ausdeutende, tonmalerische oder auch szenisch-dramatische Klanggestaltungen unmittelbar hervorbrechen und den Ausdruck, die Bildhaftigkeit und die Symbolik des liturgischen Textes in plastischer Weise mitgestalten. Hierbei formte Bruckner zahlreiche individuelle Satz- und Klangmodelle, die auch später die Klangarchitektur seiner Monumentalsymphonik in entscheidendem Maße prägten und bis heute als wesentliche Charakteristika seines Personalstils gelten (Abbildung 1 und Abbildung 2).

Voraussetzungen, Einflüsse und Vorbilder

Bruckner verfügte zwar schon in seinen Linzer Schaffensjahren über ein weitentwickeltes, vor allem an den Werken von Michael und Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven geschultes Klangbewusstsein, es waren aber erst der Unterricht in den Fächern Instrumentation und Formenlehre bei Otto Kitzler (Ausbildung und Lehrer Bruckners) sowie der Gedankenaustausch mit Ignaz Dorn und Wilhelm Gericke von entscheidender Bedeutung für seine weitere kompositorische Entwicklung. Besonders bei Kitzler und Dorn lernte er die neuartige Instrumentation und Klangwelt der Moderne seiner Zeit (Hector Berlioz, Franz Liszt, Richard Wagner, Neudeutsche Schule) bewusst kennen, ein Erlebnis, das sofort Einfluss auf seine eigene Klangvorstellung nahm.

Grundlage des Instrumentationsunterrichts bei Kitzler waren – neben einer Formenlehre von Ernst Friedrich Richter (1808–1879) – der vierte Teil der Kompositionslehre von Adolf Bernhard Marx (1795–1866) sowie der zweite Band (Die Lehre von der Instrumentation) von Johann Christian Lobes (1797–1881) Lehrbuch der musikalischen Komposition, zwei handwerkliche Kunstlehren, die weitgehend – ergänzt durch einzelne modernere Klangbilder von Luigi Cherubini, Gioachino Rossini (1792–1868), Carl Maria von Weber (1786–1826), Gaspare Spontini (1774–1851), Berlioz oder Giacomo Meyerbeer (1791–1864) – noch von klassischen Instrumentationsmodellen ausgehen. Ebenfalls prägend für die instrumentatorische Entwicklung Bruckners waren in den Linzer Jahren die Uraufführungen seiner eigenen Werke und die dafür nötige Probenarbeit mit den unterschiedlichsten Instrumentalisten, die seinen Kenntnisstand über die technischen Möglichkeiten und den verschiedenartigen Klang‑ und Ausdruckscharakter der einzelnen Instrumente in enormer Weise vertieften (Orchester und Instrumente zur Zeit Bruckners), sowie die Klangerlebnisse mit fremden Tonwerken, wobei man allerdings nicht vergessen darf, dass er schon in den Jahren der Präparandie (1840/41) bzw. während seines zweiten St. Florianer Aufenthaltes (1845–1855) zahlreiche Kompositionen in konzertanten Aufführungen in Linz gehört haben dürfte. So nutzte Bruckner nach eigener Aussage – während seiner sechs‑ bis achtwöchigen Studienreisen zu Simon Sechter – in Wien jede Gelegenheit zum „Anhören gediegener Musik“ (Briefe I, 611110).

Dabei empfing er u. a. durch Kompositionen von Beethoven (Vierte und Neunte Symphonie, König Stephan, Zur Namensfeier), Robert Schumann (Erste und Zweite Symphonie, Szenen aus Goethes Faust, Manfred, Julius Cäsar) und Felix Mendelssohn Bartholdy (Athalia, Die Hebriden) entscheidende Impulse für seinen eigenen späteren Klangstil. Auch seine zahlreichen Reisen (u. a. nach Budapest, München, Wien) zu außerordentlichen Konzert‑, Opern‑ oder Oratorienaufführungen zeigen ein reges Interesse an dem Musikleben seiner Zeit und der neuartigen Klangwelt der damaligen Moderne. Mit Recht verweist das Bruckner-Schrifttum immer wieder auf sein Urerlebnis mit Wagners Tannhäuser, den Kitzler 1863 in Linz aufführte und der zu einem schöpferisch-auslösenden Moment auf seinem künstlerischen Weg wurde. Vor allem die Klangerlebnisse mit Werken von Wagner (Tristan und Isolde, Der fliegende Holländer, Lohengrin, Die Meistersinger von Nürnberg), Liszt (Graner Festmesse, Faust-Symphonie, Die Legende von der Heiligen Elisabeth) und Berlioz (La damnation de Faust, Harold en Italie, Roméo et Juliette) waren von enormer Bedeutung hinsichtlich seiner eigenen instrumentatorischen Entwicklung, wobei deren Einfluss allerdings erst in seinen Wiener Schaffensjahren deutlicher hervortrat.

Das wichtigste instrumentationstechnische Weiterbildungsmittel blieb für Bruckner auch in späterer Zeit aber immer wieder der „lebendige Klang“ (Orel 1953, S. 257). Quellen dieser Hörerlebnisse, die durch das Partiturstudium häufig nochmals gedanklich intensiviert wurden, sind Bruckners zahlreiche Konzert‑, Hofopern‑ und Bayreuth-Besuche sowie die teilweise unter seiner persönlichen Leitung stattfindenden Proben bzw. Aufführungen von eigenen Werken. Sicherlich übte hierbei vor allem das Klangerlebnis mit den Wiener Philharmonikern bzw. dem großbesetzten Bayreuther Festspielorchester einen nicht unerheblichen Einfluss auf seine eigene Klangsprache aus. So ist es nicht verwunderlich, dass auch in Bruckners Wiener Werken noch zahlreiche Gemeinsamkeiten mit Klangbildern von Beethoven, Franz Schubert (Achte und Neunte Symphonie), Berlioz, Liszt oder auch Wagner festgemacht werden können. Ab 1880 lernte Bruckner in instrumentatorischer Hinsicht – neben Hörerfahrungen, die er mit eigenen Werken sammeln konnte – zweifelsohne nur noch von Wagners späten Musikdramen (Der Ring des Nibelungen, Parsifal), was sich in seinem Werk an manchem klanglichen Detail aufzeigen lässt (Abbildung 3). Völlig falsch wäre es allerdings, Bruckners Instrumentation diesbezüglich als eklektizistisch anzusehen, sind doch alle diese Fremdeinflüsse stets bruchlos mit seinem eigenen Satz‑ und Klangstil zu einer – im Bereich der symphonischen Musik bis dahin beispiellos dastehenden – neuartig-individuellen Klangkonzeption miteinander verschmolzen.

Instrumentationsmittel

Ein wesentliches Charakteristikum von Bruckners Instrumentation stellt die im Laufe seines Schaffens stetig zunehmende Vergrößerung der Instrumentalbesetzung dar. Erheblichen Anteil daran haben die Bläser, deren Zahl um mehr als die Hälfte gesteigert wurde. Ursache dieser Vergrößerung war dabei weniger Bruckners Wunsch nach immer mehr Verstärkung des Gesamtklangvolumens, als vielmehr sein Bedürfnis, innerhalb des Bläser‑ und auch des gesamten Orchestersatzes eine größtmögliche Homogenität und Klangfülle zu erreichen sowie sich der (durch die programmatische und dramatische Musik eroberten) neuartigen Ausdrucksmittel seiner Zeit auch im Bereich der Absoluten Musik zu bedienen.

Man darf nicht vergessen, dass Bruckner bei seiner Klangkonzeption größtenteils von anderen als den heute üblichen Instrumenten ausging. So rechnete er in seinen Wiener Schaffensjahren – angeregt durch das Klangerlebnis mit den Wiener Philharmonikern – mit dem typischen Klangausdruck der Wiener Flöte und des Wiener Horns in F. Er ging anfangs noch von dem Instrumententyp der Deutschen Oboe im 19. Jahrhundert und erst ab ca. 1885 von jenem der Wiener Oboe aus, bevorzugte eindeutig die alte, lange Ventiltrompete, die zweifelsohne von allen damaligen Ventiltrompeten die besten Klangeigenschaften besaß, und forderte bei der Posaunenfamilie konsequent die Alt‑, Tenor‑ und Bassposaune, deren verschiedenartige Klangcharaktere ihm spätestens seit seinen St. Florianer Jahren bestens vertraut waren.

Orientierte sich seine Instrumentalbesetzung bis einschließlich der Zweiten Symphonie (1872) noch weitgehend am späten Schubert‘schen bzw. Schumann‘schen Orchesterklang (mit paariger Holzbläserbesetzung, 2 Trp., 4 Hr., 3 Pos., Pk. und Str.), so gehören ab der Dritten Symphonie (1873) die 3. Trompete und ab der Fünften Symphonie (1876) die Basstuba zum festen Bestand seines Klangapparates. Die im Rahmen dieser Entwicklung als Ausnahme anzusehende Einführung der 3. Flöte im Adagio (Langsamer Satz) der Ersten Symphonie (1866) zeigt allerdings schon früh ein vorsichtiges Ausbrechen aus traditionellen Schienen und ein zaghaftes Experimentieren mit neuen klangfarblichen Möglichkeiten, die Bruckner in Wagners Tannhäuser („Der Tag brach an, da läuteten die Glocken“) bzw. in Liszts Heiliger Elisabeth („Das ist nicht Erdennacht“) oder auch in dessen Faust-Symphonie (Gretchen-Satz) kennengelernt haben könnte (Abbildung 4). Mit der Einführung von zwei Tenortuben, zwei Basstuben, der Kontrabasstuba (anstelle von bzw. alternierend mit der Basstuba), Triangel und Becken ab der Siebenten Symphonie (1883), dem Einbau von Piccoloflöte und Harfe im Adagio bzw. des Kontrafagotts im Finale der Achten Symphonie (1887) – bei gleichzeitiger Vergrößerung der Holzbläserfamilie auf drei bzw. der Hörner auf acht Vertreter, wobei die 3. Flöte mit der Piccoloflöte, das 3. Fagott mit dem Kontrafagott sowie das 5. bis 8. Horn mit den vier Wagnertuben alternierend eingesetzt wurden – vollzog Bruckner eine sicherlich durch die Klanggestaltungen der Wagner‘schen Musikdramen angeregte enorme Erweiterung seines Instrumentenapparates.

Dabei kann das Auftreten bestimmter Instrumentalfarben gelegentlich auch mit mehr oder minder konkreten außermusikalischen Ideenassoziationen oder Bildvorstellungen verknüpft sein, wobei sich hierbei allerdings bei Bruckner kein festes Schema nachweisen lässt. Er verband gelegentlich mit dem Harfen-Klang einen sphärisch-transzendenten bzw. mit dem Klang heller Flöten oder hochdisponierter Oboen und Klarinetten einen verklärten und entrückt-visionären Stimmungscharakter, mit dem Horn-Klang manchmal einen träumerischen Ausdruck bzw. – bei entsprechender Melodiestruktur – eine bildhafte Vorstellung („Morgen-Weckrufe eines Thürmers“, „Jagdstück“ [Ostdeutsche Rundschau 15.11.1891, S. 6]), mit dem sonoren Tuben-Klang oft eine häufig weihevoll-erhabene, teilweise aber auch melancholische Ausdrucksstimmung („Trauermusik“ [Briefe I, 850315]; „Abschied vom Leben“ [Göll.-A. 4/3, S. 488]) sowie mit dem dunkel-schweren Posaunen‑ bzw. hohl-dumpfen Pauken-Klang häufig zugleich eine religiöse Semantik („Todtenmarsch“, „Todesverkündigung“ [Briefe II, 910127/2]; „Totenuhr“ [Göll.-A. 4/3, S. 15; Graf, S. 187]).

Sicherlich übten diesbezüglich Wagners späte Musikdramen den stärksten Einfluss auf Bruckners Klangdenken aus, wobei allerdings nicht übersehen werden sollte, dass allzu theatralisch wirkende Klangfarbenträger, wie das Englischhorn oder die Bassklarinette, auch im Klangapparat von Bruckners späten Symphonien keine Aufnahme fanden. Auch instrumentatorischen Vorschlägen von befreundeten Dirigenten (Johann Herbeck, Wilhelm Floderer, Arthur Nikisch, Hans Richter) oder fachkompetenten Schülern (Franz und Josef Schalk, Ferdinand Löwe) stand Bruckner gelegentlich nicht abgeneigt gegenüber. So geht der Einsatz der Solo-Violine im Andante der Zweiten Symphonie (1873) eindeutig auf Herbeck zurück, während die Anregungen für den Harfen-Einsatz in der Achten Symphonie (1887) von Floderer sowie des (in der Bruckner-Literatur [Bibliografie] noch heute umstrittenen) Beckenschlags in der Siebenten Symphonie und in Helgoland nachweislich von Nikisch bzw. Löwe stammen. Dies gilt auch für den Wagner-Dirigenten H. Richter, dessen Vorschläge hinsichtlich einzelner charakteristischer Farbkopplungsmöglichkeiten Bruckner übernommen haben soll. Zur beratenden Funktion der Brüder Schalk sowie Löwe in Fragen der Instrumentation wird im Bruckner-Schrifttum mehrfach und teilweise kontrovers Stellung genommen, wobei sich heute allerdings kaum mehr genauer recherchieren lässt, wie viele bzw. welche Änderungen das Ergebnis dieser Beratungsgespräche waren. Oberste Entscheidungsinstanz bei diesen (gutgemeinten) instrumentatorischen Vorschlägen blieb allerdings immer Bruckner selbst, der letztlich bei kompositorischen Fragen nicht manipulierbar war.

Instrumentationstechnik

Bruckners Instrumentation weist eine deutliche Entwicklung auf, wobei der Suche nach einer persönlichen Klangsprache (Experimentierphase von 1861–1869) sowie deren konsequenter Ausformung (Vervollkommnungsphase von 1870–1880) dann eine subtile klangfarbliche Erweiterung und Verfeinerung dieser neuentwickelten Klangkonzeption folgt (Differenzierungsphase von 1881–1896). Orientierte sich die Streicher-Behandlung in Bruckners Linzer Werken noch weitgehend an traditionellen Modellen, so findet man doch auch hier schon – wie beim fünfstimmigen Streichersatz am Benedictus-Beginn der Messe in f-Moll sowie beim dunkel konzipierten Choralgedanken am Andante-Beginn der Symphonie in d-Moll (Abbildung 2) – zahlreiche eigenständig-individuelle Klanglösungen.

Hervorgerufen durch die polyphone Quintettstruktur, die mehrfach-thematische Satzanlage, die Bevorzugung der weiten Lage, die häufige Mittelstimmenmelodik (oft mit Viola und Violoncello als Melodieträger), die zahlreichen Klangeffekte (Spiel auf der G-Saite, pizzicato, Dämpfer, Solo-Violine, zwei‑ bis vierfache Teilung einzelner Streicherstimmen u. a.) sowie die genauen Aufstrich‑ bzw. Abstrich-Angaben oder Phrasierungs‑ bzw. Artikulations-Vorschriften (z. B. ,breit gestrichen‘ und ‚lang gezogen‘ für das portato-Spiel, unterschiedliche Spielweisen und Zeichen für das marcato-Spiel; Spielanweisungen, Dynamik, Artikulation) kommt es ab Bruckners Zweiter Symphonie zu jenen klangprächtigen Streichersätzen, deren Klangfülle, Sonorität und klangräumliche Weite in der symphonischen Musik bis dahin beispiellos dastehen (Abbildung 7).

In Bruckners späteren Werken rückt dann wiederum das Moment der Farbe zunehmend in das Zentrum seines Klangdenkens, u. a. klar erkennbar an seinen reinfarbigen Streichersätzen, wo sich die Dominanz der Klang‑ gegenüber der Satzstruktur besonders plastisch an dem Zurückdrängen der Quintettpolyphonie zugunsten einer oftmals nur noch zwei‑ oder dreistimmigen Satzanlage, an den zunehmenden Farbkopplungen sowie an den häufigen, einer intensiven Erhöhung der Klangsubstanz dienenden Teilungen von Violine, Violoncello oder Kontrabass im Oktavabstand anschaulich zeigt (Abbildung 13).

Kann man auch bei Bruckners Holzbläser-Behandlung anfangs eine weitgehende Orientierung an klassisch-romantischen Satz‑ und Klangmodellen beobachten, so findet dieser erst ab der Zweiten Symphonie zu seinem charakteristischen Holzbläserklang, wobei der bedeutungsvolle Verzicht auf die – klangstärkemäßig ihm zu unausgewogene oder zu buntfarbig erscheinende – vollständige Holzbläsergruppe (bei gleichzeitiger Bevorzugung der homogenen Verbindungen zwischen den drei oberen bzw. den drei unteren Holzbläserfamilien) sowie die zunehmende Verwendung des tiefen Fagott-Registers – meist bei solistischem Gebrauch – auffällig hervorsticht. Nimmt bis einschließlich der Fünften Symphonie die Vervollkommnung der Satz‑ und Akkordstruktur des Holzbläsersatzes in Bruckners Instrumentationsdenken den höchsten Stellenwert ein, so bestimmen ab 1876 sowie in Bruckners später Symphonik weniger satztechnische als klangfarbliche Erwägungen seine Holzbläserbehandlung (Abbildung 7). Auffallend ist nun – ermöglicht durch die Auffüllung der Holzbläserfamilien von zwei auf drei Vertreter, die Einführung von Piccoloflöte bzw. Kontrafagott sowie durch die Erzeugung stetig neuartiger Farbkombinationen, Farbkopplungen oder spezifischer Klangeffekte (ostinate Trillerketten in den hohen Holzbläsern etc.) – wiederum ein enormer Zuwachs an klanglicher Farbigkeit (Abbildung 13 und Abbildung 14).

Auch Bruckners Blechbläser-Satz orientiert sich anfangs – trotz einzelner progressiver Züge in seiner Linzer Symphonie in d-Moll bzw. seiner Messe in e-Moll (Verschmelzung des dreistimmigen Posaunensatzes mit dem Hornsatz, Emanzipation der Trompete als Melodieträger und deren vorsichtiger Einbau in den Posaunen/Horn-Satz u. a.) – noch weitgehend an traditionell überlieferten Behandlungstechniken. Ab der Dritten Symphonie lässt sich dann eine kontinuierlich verlaufende Entwicklung aufzeigen, die darauf abzielt, alle Blechbläserfamilien sowie die verschiedenen Blechbläserverbindungen (bis hin zur gesamten Blechbläsergruppe) – gleichberechtigt neben dem Streicher‑ und Holzbläsersatz – am thematischen Geschehen zu beteiligen. Typische Kennzeichen sind nun u. a. die Vervollkommnung des vierstimmigen Hornsatzes, die zunehmende Integration der Trompete (bei immer häufigerer Ausnutzung ihres kantilenen bzw. chromatischen Vermögens) in den Posaunen‑ bzw. Horn-Satz, die Verwendung auffallender Klangeffekte (zahlreiche Trompeten-Soli, gedämpfte Horn-Töne), die homogene Verschmelzung der verschiedenen Blechbläserfamilien (bei gleichzeitiger Einführung des dreistimmigen Trompetensatzes und dann auch der Basstuba zur Verstärkung des Bassfundaments) in unterschiedlichen ‚reinfarbigen‘ Klang-Modellen sowie die Entwicklung eines (kontrapunktisch häufig streng durchgeformten) fünfstimmigen Blechbläsersatzes, an dessen klangfarbliche Durchsichtigkeit, strahlenden Glanz und voluminöse Pracht auch Berlioz‘sche, Liszt‘sche oder Wagner‘sche Blechbläsersätze kaum heranreichen.

Kann mit der Fertigstellung der Fünften Symphonie die satztechnische Entwicklung des Blechbläsersatzes als abgeschlossen gelten, so ging es Bruckner in den nachfolgenden Umarbeitungsphasen einzelner Symphonien vor allem darum, die hierbei gewonnenen Erkenntnisse in die klanglich mehr oder minder umfangreiche Neugestaltung dieser Werke einfließen zu lassen, daneben zugleich aber auch – ab der Sechsten Symphonie – dem Blechbläsersatz klanglich zunehmend subtilere und neuartigere Ausdruckswirkungen zu entlocken (Abbildung 14 und Abbildung 15). So findet man nun zahlreiche, meist dunkel gefärbte Verbindungen (Tuben-Quartett bzw. Tuben/Kontrabasstuba-Quintett, bei immer häufigerer Trennung von Posaune und Kontrabasstuba sowie auffälligem Zurücktreten der hellen Trompetenfarbe), klanglichen ‚Glanz‘ intensivierende Farbkopplungen (bevorzugtes Zusammengehen aller oder zweier Trompeten in einer Linie, Zusammenschluss von 2. Basstuba und Kontrabasstuba) sowie einige neuartige Klangeffekte (z. B. gestopfte Horn-Töne).

Dank ihrer fixierbaren Tonhöhe und ihrer vielfältigen dynamischen und klanglichen Nuancierungsfähigkeit findet die Pauke in Bruckners gesamtem orchestralen Schaffen in reichem Maße Verwendung, wobei ihre Behandlung durch eine stetige Erweiterung ihrer spieltechnischen Kompetenz und ihrer farblichen Ausdrucksweise gekennzeichnet ist. Wurde sie in den Linzer Werken noch weitgehend – bei Dominanz der Quint/Quart-Stimmung – mit einfach rhythmisierenden oder harmonisch-dynamischen Aufgaben (Akzentuierung des Tonika‑ bzw. Dominantbereichs) betraut, so zeigte ihre allmähliche Loslösung aus dem Verbund mit den Trompeten sowie zugleich ihre gelegentliche Beteiligung am modulatorischen oder auch thematischen Geschehen (Terzstimmung, Quartsprungmotivik) schon ein erstes Ausbrechen aus traditionell üblichen Behandlungspraktiken. Die fünf Pauken-Stimmungen im Kopfsatz der Fünften Symphonie, die zaghafte Einbindung der Pauke in das polyphone Stimmengeflecht der Satzstruktur sowie der zunehmende Gebrauch auffallender Klangeffekte (unterschiedliche Tremolo-Gestaltungen, häufige Pauken-Soli u. a.) führten ab 1870 zu einer immer stärkeren Individualisierung der Paukenfarbe und einer stetigen Erweiterung ihrer musikalischen Aufgabenbereiche. In den späten Symphonien erfährt diese Entwicklung eine nochmalige Verstärkung, wobei die autonome Einbindung der Pauke in das motivisch-thematisch Geschehen im Scherzo sowie die elf Paukenstimmungen im Finale der Achten Symphonie (1887) diesbezüglich einen absoluten Höhepunkt darstellen. Die durchdringende Klangwirkung von Triangel (dabei stets mit Tremolo-Spiel) und Becken nutzte Bruckner ausschließlich in den beiden langsamen Sätzen seiner Siebenten und Achten Symphonie, wo diese auffallenden Klangfarbeneffekte ihm dazu dienen, bedeutsame Steigerungsgipfel – wie beim markanten Höhepunkts-Quartsextakkord am Adagio-Gipfel in beiden Symphonien sowie bei dessen trugschlüssiger Auflösung im Adagio der Achten Symphonie – nochmals punktuell besonders akzentuiert zu betonen.

Auch bei den wenigen Harfen-Stellen in den Adagio-Sätzen beider Fassungen der Achten Symphonie sowie im Trio der 2. Fassung fällt auf, dass Bruckner sowohl auf den spezifischen Charakter dieses Instruments als auch auf die besonderen Bedingungen, denen das Harfenspiel bezüglich seiner Saitenstimmung und Pedaltechnik unterworfen ist, gezielt Rücksicht nahm, daneben aber auch ihren gesamten Tonumfang häufig vollkommen ausnutzte. Hierbei wird diese ausschließlich mit gebrochenen oder arpeggierten Dreiklangsfolgen betraut, deren wichtigste Funktion es ist – neben klanggrundierenden harmonischen Aufgaben – einzelne thematische Gedanken farblich bedeutsam hervorzuheben.

Orientierte sich Bruckners Tutti‑Behandlung in den Linzer Werken ebenfalls noch weitgehend an klassisch-traditionellen Modellen, wobei dem akkordisch-figurativen Typ eine dominierende Rolle zukam, so findet man daneben aber auch schon einzelne Tutti-Gestaltungen – z. B. ein klangvoll-erregtes variatives Klangfarben-Tutti am Hauptgedanken-Beginn (ab T. 92) der 3. thematischen Gruppe im Kopfsatz der Ersten Symphonie (1865/66), dessen weitgespannte Posaunen-Melodik Hans Guido von Bülow möglicherweise zu dem Ausruf „Ha, das ist dramatisch!“ (Göll.-A. 3/1, S. 316) hinreißen ließ, oder ein ebenfalls klangmächtig daherkommendes Unisono-Tutti am Hauptgedanken-Beginn (T. 19–22) der 1. thematischen Gruppe im Finale der Symphonie in d-Moll von 1869 –, die erst in späteren Schaffensjahren Bruckners Klangsprache bedeutsam prägten.

Ermöglicht durch den stetig zunehmenden Bedeutungszuwachs der Blechbläser (vor allem der Trompeten) gewinnt das thematische, das Unisono‑, das polyphone und das variative Klangfarben-Tutti ab der Dritten Symphonie zunehmend an Gewicht, während das akkordisch-figurative Tutti ab der Fünften Symphonie vollkommen aufgegeben wird. Dies zeigen besonders anschaulich Bruckners Tutti-Korrekturen in den 2. Fassungen der Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten Symphonie, die gegenüber den doch oft ‚reinen‘ Klangentladungen in ihren Erstfassungen eine thematisch deutlich größere Eigensubstanz aufweisen, was vor allem durch eine strengere motivisch-thematische Durchformung der einzelnen Linienführungen sowie die nachträgliche Einlagerung eines meist neuen ‚Motivkerns‘ hierbei erzielt wird. Typisch für die Tutti-Behandlung in Bruckners später Symphonik ist die vollkommene Anbindung jeder einzelnen Instrumentalstimme an die motivisch-thematisch nun streng durchgeformte Satzstruktur sowie eine zunehmend plastischere Klangraumschichtung. Bemerkenswert bleibt dabei ebenfalls die völlige Gleichgewichtigkeit der einzelnen Klangfarbenträger zueinander, wobei auffällt, dass die Streicher häufig nicht mehr die Funktion des tragenden Grundes übernehmen und ihre früher oft ‚neutral‘ wirkende Klangfarbe in den späten Symphonien gleichsam ‚neu entdeckt‘ zu sein scheint.

Aber auch hinsichtlich der mannigfaltigen Mischformen zeigt sich im Laufe von Bruckners kompositorischer Entwicklung eine unübersehbare Tendenz nach immer mehr Farbigkeit und klangräumlicher Differenzierung. Bilden dabei in den frühen Werken die Streicher die Basis des gesamten Satzes, zu dem die Holzbläser oder auch die Hörner oft in solistischer bzw. klangfärbender, die Posaunen oder Trompeten aber meist in klangverstärkender Weise hinzutreten, so sind ebenfalls schon früh jene spezifisch dunkel konzipierten Klangbilder auszumachen, die bevorzugt durch die auffallende Verbindung von tiefdisponierter Violine oder Viola, Violoncello, Kontrabass, tiefdisponierter Oboe oder Klarinette, Fagott, Horn und Posaune zustande kommen. Neben diesen charakteristischen dunkelfarbigen Klangmischungen (Abbildung 9) treten ab Bruckners zweiter Schaffensperiode ebenfalls oft ausgesprochen hellfarbig konzipierte Klanggebilde hinzu, die meist durch eine Verbindung von hochdisponierten Streichern und Holzbläsern (Abbildung 10) bzw. hochdisponierten Trompeten und Hörnern entstehen (Abbildung 14), während Klangmischungen zwischen allen Streichern und Holzbläsern nicht mehr zu finden sind.

Auffallend ist nun auch der Bedeutungszuwachs des vierstimmigen Horn‑ bzw. dreistimmigen Trompeten‑ oder Posaunensatzes, der immer häufiger mit Streicher‑ oder Holzbläserklängen kombiniert wird. Stetig neuartigere Farbkombinationen und ‑kopplungen bestimmen dann das Bild von Bruckners späten Klangfarbenmischungen. So verband er z. B. gerne hochdisponierte Violinen, Violen oder Violoncelli mit hochdisponierten Hörnern oder Trompeten, um spezifische Figur/Grund-Kontraste mit subtilen klangräumlichen Tiefenwirkungen zu erzeugen, oder er kombinierte verstärkt ausgesprochen helle (z. B. Violine, Flöte, Oboe, Klarinette, Trompete) mit dunklen Instrumentalfarben (z. B. Violoncello, Kontrabass, Fagott, Horn, Posaune, Tuba/Tuben, Pauke), um auffallende Hoch/Tief‑ bzw. Hell/Dunkel-Wirkungen mit diffizilen klangräumlichen Weitenwirkungen entstehen zu lassen.

Rezipierte Bruckner anfangs bei diesen mannigfaltigen Mischformen seine klanglichen Vorbilder mehr oder minder auffällig (Abbildung 4), so modifizierte er in späteren Jahren diese zunehmend in eigenständiger Weise, was man z. B. bei einem Vergleich der unterschiedlich gestalteten Adagio-Schlüsse in den zeitlich weit auseinanderliegenden Fassungen der Ersten Symphonie besonders plastisch erkennen kann (Abbildung 5 und Abbildung 6): Hierbei zeigt die Wiener (1890/91) gegenüber der Linzer Fassung (1866) nicht nur eine farblich differenziertere und substanzvollere Nachhall-Grundierung (Hinzutritt von dunklen Posaunen-Liegetönen bzw. Verbreiterung der Oboen-Haltetöne, Verlängerung der Violinen/Violen-Tremoli, pizzicato-Farbzuwachs mittels geteilter Violoncelli und Kontrabässe), sondern auch eine wesentlich prägnantere motivische Durchformung der einzelnen Linienführungen (Melodie-Verbreiterung in den 1. Violinen, individuellere Gestaltung des vormals allzu ‚epigonal‘ wirkenden dreistimmigen Flötensatzes).

Bruckner arbeitete zeitlebens an ‚seinem Klang‘, was vor allem die im Laufe seines symphonischen Schaffens mehr oder minder umfangreichen Korrekturen an seinen früheren Klangkonzeptionen anschaulich zeigen, wobei er fortwährend bestrebt war, seinen Klangstil zu ‚verbessern‘, d. h. seinem diesbezüglich stetig sich weiterentwickelnden und wandelnden Klangdenken anzupassen. Zweifellos kann man daher ohne Übertreibung sagen, dass er auf dem Gebiet der Instrumentation bis an sein Lebensende lernte und sich hier am meisten weiterentwickelte.

Klangarchitektur als symphonisches Bauprinzip

Bruckners Symphonik wird in entscheidendem Maße durch den ‚Klang‘ geprägt. So scheinen zahlreiche Partien – seien es einzelne Linienführungen oder auch vollständige Satzgebilde – weniger ‚instrumentiert‘, als unmittelbar aus der natürlichen Spieltechnik der Instrumente heraus entwickelt zu sein. Dies betrifft manche Spielfigur bei den Holzblasinstrumenten (Tonrepetitionen, Haltetöne) und der Harfe (Dreiklangsarpeggien) sowie vor allem bei den Blechblasinstrumenten, deren Linienführungen – trotz der mannigfaltigen Möglichkeiten, die der Ventilmechanismus ihnen damals schon eröffnet – weitgehend aus der natürlichen Obertonreihe abgeleitet bleiben.

Vor allem die zahlreichen fanfaren‑ oder signalartigen Motivstrukturen bei Trompete oder Horn zeigen unübersehbar Bruckners Bestreben, Ventilinstrumente – trotz zunehmender, stets aber behutsamer, Einbeziehung von chromatischen Zwischentönen – auch in späteren Jahren immer noch gerne wie Naturinstrumente zu behandeln. Bruckners diesbezügliche Zurückhaltung liegt (ganz im Sinne von A. B. Marx) sicherlich in dem unterschiedlichen Klangcharakter der verschiedenen Blechblasinstrumente begründet, verträgt sich doch der weiche Horn-Klang mehr, der metallisch-harte, prätentiöse Trompeten‑ oder Posaunenklang aber weniger mit einer allzu chromatischen Motivstruktur. Oft wird auch der kompositorische Fortgang bei Bruckner durch die (teilweise unvermittelte) Aneinanderreihung mehr oder minder kontrastierend gestalteter Klangblöcke entscheidend bestimmt, wobei diese im Laufe seiner symphonischen Entwicklung durch eine zunehmende Farbigkeit sowie einen immer subtileren Klangschichtenbau geprägt sind.

a) Farbigkeit

Ein wesentliches Charakteristikum von Bruckners Klangarchitektur ist die stetig zunehmende Farbigkeit der einzelnen Klanglinien und ‑flächen. Hierbei fällt die Veränderung zweier klangfarblicher Techniken auf: Einmal die Tendenz vom ‚reinfarbigen‘ zum ‚gemischtfarbigen‘ Klang, zum anderen – bei diesen ‚gemischtfarbigen‘ Klängen – die Tendenz von der ‚Farbkombination‘ zur ‚Farbkopplung‘.

Dieser Wechsel vom ‚Spaltklang‘ zum ‚Verschmelzungsklang‘ tritt besonders augenfällig bei den zeitlich weit auseinanderliegenden Fassungen von Bruckners Erster, Dritter oder Vierter Symphonie hervor, anschaulich erkennbar bei dem weniger in satztechnischer als in klangfarblicher Hinsicht neukonzipierten Hauptgedanken der 2. thematischen Gruppe im Kopfsatz der 2. Fassung der Vierten Symphonie (Abbildung 7), der sich zugleich an Wagners „Forderung nach Deutlichkeit“ (Voss, S. 43) orientiert, d. h. an einem Klangideal, das vor allem „auf dem drastischen Heraustreten der Melodie“ (Wagner 1898, S. 234) zielt, was Wagner nicht nur auf die Hauptstimme, sondern auch auf die begleitenden Nebenstimmen bezieht, die „durch eine deutlich sich abhebende Klangfarbe von der Melodiestimme getrennt“ (Voss, S. 43) sein sollen.

Bruckners Bestreben, mehr oder minder gleichbleibenden Satzstrukturen mittels wechselnder Farbgestaltungen zugleich immer neuartigere Ausdruckswirkungen zu entlocken, verdeutlicht beispielhaft die dreifach veränderte Klangstruktur des Hauptgedankens der Introduktion im Kopfsatz seiner Fünften Symphonie: Scheint am Kopfsatzbeginn (Abbildung 8) diese doppelthematische Satzstruktur weitgehend in einer Sphäre des Kirchlichen beheimatet zu sein, wobei der breit dahinströmende vierstimmige Oberstimmensatz der tiefdisponierten Violinen/Violen mit der Art seines kontrapunktischen Übergreifens von Stimme zu Stimme die Semantik eines ‚religiösen Gesanges‘, das im Tritonusrahmen stufenmäßig ab‑ und aufsteigende Violoncello/Kontrabass-pizzicato aber die Bedeutung eines ‚prozessionsartigen Schreitens‘ tragen könnte, erschließt Bruckner diesem Satzgebilde am Durchführungsbeginn (Abbildung 9) durch ein neues ‚Farbgewand‘ – das klangvolle und weiche Horn-Quartett übernimmt nun den polyphonen Oberstimmensatz, wodurch der Melodiecharakter zwar etwas an Klarheit und Reinheit verliert, zugleich aber auch ‚geheimnisvoller‘ und ‚träumerischer‘ wirkt – eine mehr ‚mystisch-naturhafte‘ Ausdrucksstimmung. An einer wenig später folgenden Stelle (Abbildung 10) kommt diesem Satzgebilde dann eine ausgesprochen ‚visionär-transzendente‘ Klangwirkung zu, erweckt das vom hellen vierstimmigen ‚Choral-Gesang‘ der hochdisponierten geteilten Violinen umspielte, leuchtend-glänzende Holzbläser-Unisono beim Hörer die bildhafte Assoziation, als würde – Bezug nehmend auf die beiden vorangegangenen, mehr im irdisch-realen Bereich beheimateten Klangbilder – nun gleichsam ‚von oben‘ aus einer ‚überirdischen Sphäre geantwortet‘.

Daneben bleibt in Bruckners späten Symphonien eine deutliche ‚klangfarbliche Ökonomie‘ bei dem Gebrauch spezifischer Klangfarben ebenfalls unübersehbar. So nutzte Bruckner in der Reprise des Finalsatzes der Achten Symphonie (1887) nur bei einem einzigen mehrperiodigen Klangbild (T. 523–575) – von ihm selbst (ab T. 533) als „Wasserfall“ (Göll.-A. 4/3, S. 20) bezeichnet – die auffallende Klangwirkung der grell-glänzenden Piccoloflöte gezielt zur farblichen Intensivierung einer achttaktigen Schlussperiode (T. 566–575) sowie möglicherweise auch zur tonmalerischen Darstellung einer machtvoll aufsteigenden ‚Wasserbewegung‘. (Auffallend ist die Ähnlichkeit dieser Klangstruktur mit einem Klangbild am Höhepunkt [T. 195–205] von Bruckners symphonischem Chorwerk Helgoland von 1893, wo bei der musikalischen Gestaltung der todbringenden, gewaltig emporsteigenden Welle ähnliche außermusikalische Semantik tragende Satz‑ und Klangfarbentechniken verwendet sind.)

Auch am Kopfsatz-Ende seiner Siebenten Symphonie zeigt sich Bruckners hochentwickelter Sinn für Klangfarben-Ökonomie (nebst deren oft formverdeutlichender Funktion) in plastischer Weise, spart er doch ein Pauken-Tremolo bis zur Coda (T. 391–443) bewusst aus, um dann dort diesen auffallenden Klangeffekt umso wirkungsvoller in Erscheinung treten zu lassen.

b) Klangschichtenbau

Wie wohl bei keinem anderen absoluten Symphoniker vor ihm gehört das Gestaltungsprinzip des anfangs meist zwei‑, später drei‑ oder mehrdimensionalen Klangschichtenbaus – d. h. der gezielten Instrumentaldisposition in verschiedenen Klangraumdimensionen beim zeitlichen Miteinander – zu den wichtigsten Kennzeichen von Bruckners Klangarchitektur. So findet man schon in seinen frühen Symphonien oft jene für ihn typische Hoch/Tief‑ bzw. Hell/Dunkel-Schichtungen mit meist immensen klangräumlichen Weitenwirkungen (Abbildung 11).

Ab Bruckners zweiter symphonischer Schaffensperiode treten – nun bei ausschließlich hellfarbig oder dunkelfarbig konzipierten Klangflächen – diffizile Figur/Grund-Kontraste mit plastischen klangräumlichen Tiefendimensionen (Abbildung 8, Abbildung 9 und Abbildung 10) auf, beispielsweise im Scherzo-Mittelteil der Vierten Symphonie (1878/80), wo einem hellen, mittels Klarinette (= Figur) und Violinen/Violen (= Grund) zweidimensional gestalteten Klangbild unmittelbar eine dunkle, mittels Violoncelli (= Figur) und Posaunen (= Grund) ebenfalls zweidimensional gebaute Klangstruktur folgt, was nicht nur einen plötzlichen Licht/Schatten-Kontrast, sondern zugleich auch eine abrupte Fern/Nah-Wirkung erzeugt (Abbildung 12). In Bruckners später Symphonik ist dann der Klangschichtenbau durch mehrdimensionale, oft über die ganze Klangbreite der Orchesterskala sich erstreckende Figur‑ oder Grundschichten bestimmt, die mit ihren unterschiedlichen Klangraumdimensionen zunehmend plastischere Klangraumwirkungen erzeugen (Abbildung 6).

Die dabei gleichzeitig oft zu beobachtende Neuentdeckung der ‚koloristischen Qualität‘ des Streichersatzes stellt zweifelsohne die auffälligste Veränderung dieses neuen Klangideals dar, womit Bruckner – u. a. neben Berlioz (Fee Mab), Liszt (Faust-Symphonie) und Wagner (Waldweben, Feuerzauber) – zum Wegbereiter eines farblich nicht mehr neutral wirkenden Streicherklanges avanciert. Kommende (impressionistische!) Instrumentationstechniken lassen sich schon deutlich erahnen. Anschaulich zeigt dies ein Klangschichtenbau in der Adagio-Coda der Neunten Symphonie (Abbildung 13), wo zwei räumlich unterschiedlich voneinander entfernte ‚Figur‘-Farbschichten mit drei, ebenfalls in verschiedenen Klangräumen angeordneten ‚Grund‘-Farbschichten kombiniert sind: Im Vordergrund des Klangbildes steht hier die fauxbourdonartig harmonisierte Umkehrung des Hauptgedankenbeginns („Miserere“-Motiv) der 2. thematischen Gruppe in der Oboe und den Klarinetten sowie – etwas weiter zurück – die rhythmische Imitation dieses Kopfmotivs in den Hörnern. Das mehr im Hintergrund angeordnete ostinate Fingertremolo der Violen scheint klangräumlich gesehen am nächsten, das substanzärmere Bogentremolo der hochdisponierten Violinen etwas entfernter, ganz zurück – da motivisch am unprägnantesten bzw. farblich am kältesten – die Liegetöne von Flöten und Oboen.

c) Klangblockgestaltung

Auch das im zeitlichen Nacheinander kontrastierende Gegenüberstellen mehr oder minder unterschiedlicher Farbstrukturen zählt zweifellos zu den hervorstechendsten Kennzeichen der Bruckner‘schen Klangarchitektur, der diese gruppenweisen Klangblockgestaltung bevorzugt nutzte, um formalen Baustrukturen (thematische Gedanken, Perioden, Phrasen) auch klanglich mittels wechselnden Farbflächen, überraschenden Licht/Schatten‑ oder plötzlichen Nah/Fern-Wirkungen eine noch größere ‚Plastizität‘ zu verleihen. Anschaulich zeigt dies eine Klangblockgestaltung am Durchführungsbeginn im Finalsatz der Achten Symphonie (1890), wo Bruckner bei der Verarbeitung einer aus dem Hauptgedanken der 2. thematischen Gruppe abgeleiteten viertaktigen Phrase mittels einer gruppenweise angelegten Klangblockgestaltung zugleich mehrfach gestaffelte Klangraumdimensionen erzeugt: So folgt anfangs einem aus dem ‚Mittelgrund‘ sich nähernder (= crescendo) Streichersatz – gleichsam als echoartiger Nachhall – ein substanzärmerer Oboen/Klarinetten-Satz im ‚Hintergrund‘, der selbst nochmals durch eine noch weiter zurückversetzte Soloflöte echoartig imitiert wird. Der daran anschließende dynamisch forcierte und substanzreiche, ganz im ‚Vordergrund‘ stehende Blechbläsersatz wird ebenfalls durch klangärmere, daher weiter zurückstehende helle Flöten grundiert, was wie ein letztmaliger Nachhall des Vorangegangenen wirkt (= rhythmische Augmentation, Motivabspaltung). Der abschließende, wieder im ‚Mittelgrund‘ disponierte Streichersatz erscheint (im Vergleich zum Anfang) etwas näher zum ‚Vordergrund‘ gerückt, was seine klangvollere weite Lagendisposition sowie seine reichere Klangsubstanz (jetzt mit Kontrabass-Beteiligung) bewirkt.

Neben ‚reinfarbigen‘ Farbwechsel treten dann vor allem in Bruckners späteren Symphonien Farbwechsel zwischen ‚reinfarbigen‘ und ‚gemischtfarbigen‘ sowie zwischen ausschließlich ‚gemischtfarbigen‘ Klangstrukturen in zunehmender Weise hervor, wobei besonders der Bedeutungszuwachs der Blechbläser auffällig hervorsticht. Unübersehbar bleibt auch, dass Bruckner im Laufe seiner symphonischen Entwicklung immer mehr einen Ausgleich zwischen diesen (früher oft kontrastierenden) Klangblöcken anstrebt und sich damit Wagners „Kunst des Überganges“ (Wagner in einem Brief an Mathilde Wesendonck vom 29.10.1859) bzw. dem Klangideal seiner Zeit annähert. Während der Arbeiten an der Achten Symphonie hat er sich darüber selbst geäußert und meint, dass es zum „Wichtigsten in der Instrumentation gehöre, daß man verstünde, jedes Instrument über seine Grenzen hinaus fortzuführen durch Ersatz mit anderen Instrumenten – zum Beispiel Trompeten durch Oboen und Klarinetten gemischt, sodaß der Hörer den Eindruck hätte, der Klang des ursprünglichen Instrumentes dauere noch fort“ (Göll.-A. 4/3, S. 22).

Diese deutliche Tendenz vom „Gruppenprinzip“ (Lorenz, in: ZfM 103 [1936] H. 11, S. 1318) zum ‚Übergangsprinzip‘ erkennt man z. B. am Ende der 1. thematischen Gruppe im Adagio der Siebenten Symphonie (Abbildung 15), wo drei mehr oder minder unterschiedliche Klangfarbenstrukturen fließend ineinander übergehen und eine fast unmerkliche Licht/Schatten‑ bzw. Nah/Fern-Wirkung hervorrufen: Beachtenswert erscheint hierbei einmal die gelungene Überführung der Melodie von den hochdisponierten Violinen zu den (allmählich in tiefere Klangregionen sich absenkenden) Klarinetten, was vor allem durch eine gezielte dynamische Reduzierung der Streicherlinie erreicht wird, zum anderen die fließende Weiterführung dieser Melodie von den Klarinetten auf das Solo-Horn mittels geschickter Ausnutzung der Klangverwandtschaft zwischen dem tiefen Chalumeau-Register der Klarinette und dem mittleren Horn-Register. Wie sorgfältig Bruckner die Klangstruktur dieser Melodie plante, erkennt man am Ende, wo er die Tuben/Kontrabasstuba-Begleitung so notierte, dass diese das melodieführende Solo-Horn – beachtenswert dabei die Akkordlücke mittels weiter Lage zwischen den beiden Tenortuben – nicht überdeckt und vollkommen mit diesem verschmilzt.

Bruckners Streben nach klanglichem Ausgleich zwischen unterschiedlichen Farbblöcken zeigt sich auch am Trio-Schluss der Neunten Symphonie (Abbildung 16), wo zwei gemischtfarbige Klangblöcke derart nahtlos ineinander überfließen, dass die motivisch-thematische Satzstruktur keinen störenden klanglichen Bruch erleidet, sondern nur (auf zweierlei Art) farblich neu beleuchtet erscheint: Dabei garantiert die dynamisch reduzierte Oboen-Linie eine fast unmerkliche Weiterführung der (in ihrem Mittelregister klanglich substanzschwächeren) Klarinetten-Linie, während das durch Streicher-Haltetöne abgedämpfte Trompeten-staccato eine ebenfalls unmerkliche Fortsetzung in der staccato/legato-Begleitung der Hörner findet.

Neben vorwiegend akzessorischen Aufgaben – u. a. der klanglichen Akzentuierung einzelner thematischer Gedanken, Perioden oder Phrasen – kommt Bruckners Klangblockgestaltungen gelegentlich auch eine ausgesprochen essentielle Funktion zu, erschließt sich der Fortgang des musikalischen Geschehens doch hierbei oft mehr von der klanglichen als von der motivisch-thematischen Struktur. Dies gilt vor allem für bedeutsame Nahtstellen des symphonischen Geschehens – wie z. B. beim Übergang von Exposition zur Durchführung (T. 270–300) im Kopfsatz der Dritten Symphonie (1873) –, wo prägnante thematische Gebilde klar zurücktreten bzw. motivisch weniger geformte, dafür aber farblich abwechslungsreiche Klangblöcke auffallend hervortreten.

Schließlich gibt es in Bruckners später Symphonik auch vereinzelt Klangblockgestaltungen, die – gleichsam autonom und ‚funktionslos‘ – nur an sich als integrales Klangbild wirken wollen, wobei sie keine andere Aufgabe zu haben scheinen, als Vorhergehendes ausklingen zu lassen, sich auszudehnen oder einfach nur ‚Atem zu holen‘: Momente, in denen der Klang nur für sich alleine wirken soll und die „tönend bewegte Form[ ]“ (Hanslick, S. 32) stillzustehen scheint, wobei der außermusikalische Aspekt („Der Michel träumt ins Land“/„Totenuhr“/„Verklärung“) aber oft zugleich auffallend zunimmt.

Dies zeigt eine über fünf Oktaven auseinandergezogene und dabei klangmächtig als variatives Klangfarben-Tutti konzipierte Klangblockgestaltung im Adagio der Neunten Symphonie, die – bei statisch beibehaltener Harmonik (Undezimakkord, verbunden mit Dur/Moll-Trübung) sowie Motivstruktur (in den Hörnern variiertes Kopfmotiv des Seitengedankens der 1. thematischen Gruppe, in den Trompeten „tonisches Symbol des Kreuzes“ [Liszt beschrieb damit eine bestimmte Ton‑ bzw. Intervallfolge – große Sekunde und kleine Terz, die er mehrmals in seinen Werken verwendete, vgl. Hamburger, S. 124, 172; Floros, Brahms und Bruckner, S. 167]) – ein retardierendes Moment im symphonischen Ablauf darstellt und zugleich, mittels eines dynamisch extremen bzw. farblich geringfügigen Wechsels, eine für Bruckners Spätstil so typische raumhafte Klangfernrückung erzeugt, die aus der Erkenntnis erwächst, dass ein von vielen Instrumenten ausgeführtes pianissimo deutlich an Schönheit, Intensität und Klangfülle gewinnt: Motivisch-thematische ‚Ereignisse‘ sind hierbei zurückgedrängt und werden durch primär klangliche überspielt.

d) Orgelklang als ‚Urerlebnis‘

Sicherlich ist Bruckners neuartige und in der symphonischen Musik des 19. Jahrhunderts weitgehend vorbildlos dastehende Klangarchitektur auf ein tiefempfundenes Erlebnis des Klangraumes zurückzuführen – ein ‚Urerlebnis‘, welches ihm in jungen Jahren und in der Zeit seines symphonischen Beginnens besonders auch der Orgelklang vermittelte.

Vor allem seine Klangerlebnisse mit den Chrismann-Orgeln in St. Florian oder Steyr bzw. mit der Mooser-Orgel in der Linzer Stadtpfarrkirche, mit den Buckow-Orgeln in der Wiener Piaristenkirche oder Hofburgkapelle, mit der Walcker-Orgel in St. Stephan bzw. der Ladegast-Orgel im Großen Musikvereinssaal der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien sowie mit einigen symphonischen Orgeln, die er auf den Konzertreisen in Nancy, Paris und London kennenlernte, sind zweifelsohne Inspirationsquellen für sein orchestrales Klangdenken und beeinflussten – neben ‚Klangraumerfahrungen‘, die er bei Konzertaufführungen einzelner Werke von Beethoven, Schubert, Berlioz, Mendelssohn Bartholdy, Liszt oder Wagner sammeln konnte – möglicherweise auch seine eigene symphonische Klangkonzeption.

Dazu meint Otto Biba (* 1946), Bezug nehmend auf den Klang der 1867 von Josef Breinbauer völlig neugestalteten ehemaligen Chrismann-Orgel im Alten Dom in Linz, die Bruckner nicht nur sehr schätzte, sondern auch nach eigene Klangvorstellungen umgestalten ließ: „So kann etwa Farbe nicht durch interessante weiträumige Harmonien, sondern in erster Linie nur durch das Registrieren erreicht werden. Die Farbmischungen, die hier mit den einzelnen Stimmen möglich sind, die vielfältigen Aequal-Registrierungen sowie die Kombinationen und Gegenüberstellungen von Prinzipalen, Weitchor und Streichern können zu vielfachen Studien über das Klangideal der österreichischen Orgelromantik einerseits und Bruckners Orgelstil (mit seinem Niederschlag in den Instrumentationscharakteristika des Symphonikers) andererseits anregen.“ (Biba 1982/83, S. 78).

Dass es zwischen Bruckners symphonischer Klangarchitektur und dem Orgelklang ein dichtes Netz von Beziehungen gibt, ist in der Bruckner-Literatur unbestritten, wobei drei ‚orgelgemäße‘ Gestaltungsweisen, die sich auch in seiner Symphonik in reichem Maße finden, herausragen:

1. Die durch unterschiedlichster Instrumentalkombinationen sowie ‑kopplungen stetig zunehmende Farbigkeit der Klanglinien und ‑flächen in seinen Symphonien, die der schier unerschöpflichen Kombinierbarkeit der Registerfarben auf der Orgel – vermehrt durch den Einsatz von Manual‑ oder Pedalkoppeln – nahesteht, wobei Bruckner gerne seine Instrumentation nach Farbaspekten disponierte, die deutlich an Registrierpraktiken improvisierender Organisten erinnert. (Ungeklärt ist dabei bislang noch die Frage, ob nicht umgekehrt – durch den Einbau zahlreicher neuer oder sich ähnelnder Registerfarben und Schwellvorrichtungen – die Entwicklung des ‚symphonischen Orgelbaues‘ eine Folge der Orchesterentwicklung im 19. Jahrhundert und die steigende Registrierkunst der Organisten quasi eine Imitation der immer farblicher geprägten romantischen Instrumentationstechnik ist.)

2. Bruckners häufig zwei‑ bis dreidimensionaler Klangschichtenbau mit seinen subtilen klangräumlichen Weiten‑ oder Tiefenwirkungen, die – bei Hoch/Tief‑ oder Nah/Fern-Disposition der einzelnen Klangfarbenträger – auffallende, gelegentlich mit außermusikalischer Semantik behaftete Hell/Dunkel‑ oder plastische Figur/Grund-Kontraste hervortreten lassen und damit an Klangschichten-Überlagerungen auf der Orgel erinnern, die beim gleichzeitigen Spiel auf zwei unterschiedlich registrierten Manualen und/oder dem Pedal entstehen und dem Organisten erlauben, zwei oder auch drei farblich verschiedene Klangstrukturen gleichzeitig nebeneinander zu führen.

3. Bruckners mehr oder minder kontrastive Klangblockgestaltungen, die (beim zeitlichen Nacheinander) mittels ihrer gruppenweisen, oft noch zusätzlich durch Generalpausen getrennten Anordnung gelegentlich überraschende Licht/Schatten‑ sowie plötzliche Nah/Fern-Wirkungen erzeugen und stark an ähnliche ‚orgelgemäße‘ Setzweisen – wie z. B. an eine (durch Manualwechsel ermöglichte) Aneinanderreihung kontrastiver Flöten‑, Streich‑ oder Zungenregister nebst Prinzipalen und Mixturen – erinnern.

Daneben gibt es in Bruckners Symphonik aber noch eine Vielzahl anderer Strukturen, denen eine ‚orgeltypische‘ Gestaltungsweise bzw. klare Beziehung zur Orgelimprovisationskunst nicht abgesprochen werden kann, die aber gleichzeitig auch bei anderen Symphonikern zum integrierten Bestand der musikalischen Sprachformeln gehören, wie u. a. die häufig geforderte ‚Terrassendynamik‘, lang ausgehaltene ‚Orgelpunkte‘ oder ‚liegende Stimmen‘, einzelne (mittels beharrlich beibehaltener ‚Tonkonstanz‘) als klanglich-statische Ausschwingvorgänge konzipierte Höhepunktgestaltungen, breit angelegte und teilweise mit religiöser Semantik behaftete ‚fauxbourdonartige Folgen‘ („Miserere“-Motiv) und ‚Sequenzen‘ (Himmelsleiter, Locus iste) sowie – vermehrt ab Bruckners Zweiter Symphonie – teilweise überlange ‚Generalpausen‘, deren Sinn nicht nur formal (= als gliederndes ‚Atemholen‘, bevor etwas ‚Neues‘ beginnt), sondern möglicherweise auch mit Bruckners praktischen Hörerfahrungen bei nachhalligen Kirchenräumen zu begründen ist.

Die von einigen Autoren daraus abgeleitete These, dass Bruckners Symphonien „großangelegten Orgelimprovisationen“ (Schütz 1975, S. 272) entsprechen, wobei dieser „das Orchester als großangelegte Orgel“ (Schütz 1975, S. 277) auffasst und dann „die Orgeltechnik einfach auf dieses große Instrument“ (Schütz 1975, S. 284) überträgt, ist schon von Ernst Kurth, Alfred Lorenz (1868–1939) u. v. m. sowie in jüngerer Zeit vor allem von Erwin Horn mit überzeugenden Argumenten widerlegt worden, wobei Letztgenannter dazu u. a. weiter ausführt: „Der Parameter »Orgelklang« gilt in Bruckners Symphonien für bestimmte Aspekte und Abschnitte, kann aber nicht generell als Strukturkriterium angelegt werden.“ (Horn, S. 76). „Das Orgelgemäße in Bruckners Orchesterstil liegt nicht in der Ähnlichkeit des Klanges, sondern in bestimmten Verfahrensweisen der klanglichen Disposition, wie Bruckner sie in analogem Sinn auch auf der Orgel praktizierte, und die mit der strukturellen und der formalen Gestaltung seiner Symphonien in enger Wechselbeziehung stehen.“ (Horn, S. 86).

Gestützt wird diese Ansicht ebenfalls durch zahlreiche ‚orgelfremde‘ Gestaltungsweisen in Bruckners Symphonik, die anteilsmäßig den ‚orgelverwandten‘ Elementen mindestens gleichgewichtig sind – z. B. weiträumig angelegten crescendo-Bewegungen, fünfstimmige polyphone und dabei in weiter Lage mit Mittelstimmenmelodik hervortretende Streichersätze, farblich fließend miteinander verschmolzene Übergangsgestaltungen sowie subtile, als „labile[s] Relief“ (Wiora 1966, S. 259) angelegte ‚Klangbilder‘, deren Aufgabe vor allem darin besteht, wechselnde Motivstrukturen (z. B. innerhalb einer Phrase, einer Periode oder eines Gedankens) mittels parallel dazu verlaufender Klangkopplungen auch farblich – gleichsam ‚chamäleonartig‘ – neu zu beleuchten (vgl. dazu die Klangfarbengestaltung am Adagio-Beginn der Neunten Symphonie).

Sicherlich hat „die Orgel für Bruckner die seiner von Anfang an auf das Orchester ausgerichteten Klangvorstellung am nächsten kommende Möglichkeit der unmittelbaren klanglichen Realisierung geboten“ (Antonicek, S. 39), doch letztlich hat Bruckner mit den klanglich eingeschränkteren Möglichkeiten dieses Instrumentes seine diffizilen Klangideen und neuartigen Klanggestaltungen auch nur bedingt, mit den subtilen Farb‑ und Ausdruckwirkungen des großbesetzten spätromantischen Orchesterapparates aber in vollkommener Weise verwirklichen können.

Zur Bedeutung

Die Bedeutung von Bruckners Instrumentation liegt zweifelsohne darin, dass es ihm gelingt, die zahlreichen, durch die programmatische und dramatische Musik eroberten neuartigen klanglichen Ausdrucksmittel seiner Zeit sowie einzelne stilisierte Klangelemente aus der Tanz‑, Militär‑ und Kirchenmusik mit der traditionellen Klangtechnik der Absoluten Musik zu einem eigenständig-individuellen Klangstil zu verschmelzen und diese neuartige ‚Klangarchitektur‘ – mit ihrer stetig größer werdenden instrumentalen ‚Farbigkeit‘, mit ihrem immer differenzierter konzipierten, subtile klangräumliche Tiefen‑ oder Weitenwirkungen erzeugenden ‚Klangschichtenbau‘ sowie mit ihrer anfangs meist kontrastiven, später farblich zunehmend fließender ineinander übergehenden, teils formunterstützend-akzessorische, teils völlig autonome Funktion tragende ‚Klangblockgestaltung‘ – zum dominierenden Bauprinzip seiner symphonischen Gestaltung zu machen. Somit kann man Bruckners Klangkunst nur dann vollkommen begreifen, wenn man sie als Ergebnis einer musikalischen Entwicklung ansieht, die ‚Altes‘ mit ‚Neuem‘ – d. h. die Klangtechnik der Absoluten Musik mit der der Programm-Sinfonie, der Programm-Ouvertüre, der Sinfonischen Dichtung, der Romantischen Oper, des Musikdramas, des Oratoriums, der Kirchenmusik, der Tanzmusik und der Militärmusik – zu verbinden versucht.

Durch seine künstlerische Entscheidung, diese neuartig-individuelle Klangkonzeption zum dominierenden Bauprinzip seiner symphonischen Gestaltung zu machen, steht Bruckner im Bereich der spätromantischen Symphonik nicht nur in krassem Gegensatz zu seinem künstlerischen Antipoden Johannes Brahms, sondern gehört zugleich zu den progressivsten Komponisten seiner Zeit und zu den Wegbereitern einer modernen und zukunftsträchtigen symphonischen Klang‑ und Formkonzeption, die später noch zahlreiche Komponisten – u. a. Hans Rott, Gustav Mahler, Jean Sibelius (1865–1957), Wilhelm Kienzl (1857–1941), Franz Schmidt, Richard Wetz (1875–1935), Wilhelm Petersen (1890–1957), Johann Nepomuk David, Paul Hindemith (1895–1963) oder Hendryk Górecki (1933–2010) – in ihrem eigenen musikalischen Schaffen mehr oder minder stark beschäftigte. Berufen die meisten von ihnen sich hierbei auch nicht ausdrücklich auf Bruckner, so finden sich doch in ihren musikalischen Werken zahlreiche ‚Bruckner‘sche Spuren‘, die sie – bewusst oder unbewusst – übernahmen.

Dies mag auch ein wesentlicher Grund für die ‚Modernität‘ von Bruckners Kompositionen sein, weist doch vor allem deren spezifische ‚Klangarchitektur‘ – trotz vieler individueller harmonischer, dynamischer, melodischer oder rhythmischer Lösungen in seinem Schaffen – am weitesten in musikalisches Neuland und damit in die Musik des 20. Jahrhunderts voraus. Wie kein anderer hat dieses ‚zukunftsweisende Phänomen‘ der Komponist und Schriftsteller Dieter Schnebel (1930–2018) erkannt, der dazu u. a. weiter ausführt: „Das Besondere an Bruckners Musik rührt in der Tat her von der eigenartigen Präsenz des Klangs: sei es sein Leuchten oder sein abgeblendetes Dunkel, sei es seine rohe Kraft oder die schmelzende Weichheit. Und ebenso ist es die Bewegung der Klänge, ihr Dahinstürmen oder ihr sanftes Fließen, das pochende Stoßen oder das quellende Pulsieren, was einen seltsamen Zauber ausübt. Die Themen sind in den Klang eingebunden, wirken eher als sein Äußeres: Gestalt seiner Materie, und nicht so sehr als eigene Gebilde und selbständig geformte Charaktere. Auch der musikalische Fortgang erschließt sich mehr vom Klang her als etwa von der thematischen Arbeit – die bei Bruckner oft merkwürdig unausgeführt, auch unlogisch, gar simpel erscheint – trotz aller kunstvollen kontrapunktischen Kombinationen. Bruckners Musik ist primär Klangkomposition, und das macht das Neuartige an ihr aus.“ (Schnebel, S. 15).

Literatur

DIETER MICHAEL BACKES

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 14.12.2018

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Abbildungen (Satz: D. M. Backes)

Abbildung 1: Messe in f-Moll, Gloria, SATB, T. 207–211

Abbildung 2: Symphonie in d-Moll, 2. Satz, Streicher, T. 1–4

Abbildung 3: Achte Symphonie (1. Fsg.), 3. Satz, Streicher, T. 3f. / Richard Wagner, Götterdämmerung, 2. Akt, T. 13f.

Abbildung 4: Erste Symphonie (urspr. Fsg.), 2. Satz, Fl 1–3 und Streicher, T. 101f. / Franz Liszt, Faust-Symphonie, 2. Satz, Fl. 1–3, Vl. 2, Vc., T. 143f.

Abbildung 5: Erste Symphonie (1. Fsg.), 2. Satz, Fl. 1–3, Ob. 1–2, Pk. und Streicher, T. 164–168

Abbildung 6: Erste Symphonie (2. Fsg.), 2. Satz, Fl. 1–3, Ob. 1–2, Pos. 1–3, Pk. und Streicher, T. 167–171

Abbildung 7: Vierte Symphonie (1. Fsg.), 1. Satz, T. 79f. / Vierte Symphonie (2. Fsg.), 1. Satz, T. 83f.

Abbildung 8: Fünfte Symphonie, 1. Satz, Streicher, T. 3–6

Abbildung 9: Fünfte Symphonie, 1. Satz, Hr. 1–4, Vc., Kb., T. 237–240

Abbildung 10: Fünfte Symphonie, 1. Satz, Holzbläser und Vl. 1–2, T. 253–256

Abbildung 11: Symphonie in d-Moll, 4. Satz, Fl. 1, Ob. 1–2, Kb., T. 298–303

Abbildung 12: Vierte Symphonie (2. Fsg.), 3. Satz, Kl. 1, Pos. 1–3 und Streicher, T. 121–124

Abbildung 13: Neunte Symphonie, 3. Satz, T. 219f.

Abbildung 14: Achte Symphonie (2. Fsg.), 4. Satz, T. 253–268

Abbildung 15: Siebente Symphonie, 2. Satz, Bläser und Vl. 1, T. 30–33

Abbildung 16: Neunte Symphonie, 2. Satz, T. 219–222

Links

ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft