München
Hauptstadt des deutschen Freistaats Bayern, bis 1918 Residenzstadt des 1806 ausgerufenen Königreichs Bayern. Bedeutendes Kunst- und Kulturzentrum mit Universität, Hofoper, Königlichem Konservatorium (ab 1874 Königliche Musikschule, ab 1892 Akademie der Tonkunst, heute Hochschule für Musik und Theater), Hof- und Staatsbibliothek. Unter Ludwig I. (1786–1868, regierte 1825–1848) entstanden die Bauten des „Isar-Athen“ (Pinakotheken, Glyptothek und Antikensammlungen am Königsplatz, die Ludwigstraße mit dem Bibliotheksbau), unter Maximilian II. Joseph (1811–1864, regierte 1848–1864) die Maximilianstraße mit Maximilianeum und Bayerischem Nationalmuseum. 1861: 130.122, 1885: 261.981, 2019: ca. 1,47 Mio. EW.
Neun Aufenthalte Bruckners in München sind bekannt: Im Herbst 1863 besuchte er das dreitägige 2. Münchner Musikfest (26.9–6.10.1863) und legte eigene Kompositionen bei Hofkapellmeister Franz Lachner (1803–1890) vor, der sich nicht abgeneigt zeigte, die Symphonie in f-Moll im kommenden Jahr aufzuführen, wozu es aber nach der Berufung Richard Wagners im Mai 1864 nicht kam.
Im Mai 1865 hielt sich Bruckner gemeinsam mit seinem Schüler Franz Schober (1843–1916) in München auf (14./15.–28./29.5.1865), um die (schließlich auf Juni verschobene) Tristan-Aufführung zu hören. Bruckner legte Anton Rubinstein (1829–1894) und Hans Guido von Bülow, nicht aber R. Wagner, den er mehrmals traf, einzelne Teile aus seiner Ersten Symphonie vor. Beide zeigten sich interessiert, Bülow allerdings mehr erstaunt. Am 25.5.1865 vollendete Bruckner das Trio des Scherzos der Symphonie. Am 19.6. besuchte Bruckner die dritte Tristan-Aufführung. Ursprünglich beabsichtigte Bruckner, die dritte und letzte Aufführung der Meistersinger am 29.6.1868 zu hören, doch sehr wahrscheinlich hielt er sich nur von 13.–20.(?)6.1865 in München auf.
Am 25.8.1880 nach dem Besuch des Passionsspiels in Oberammergau auf der Fahrt in die Schweiz sowie am 11.9.1880 von dort zurück machte er jeweils kurze Zwischenstationen in München (Schweizerreise).
Bei seinem München-Aufenthalt von 29.7. bis 5.8.1884 erhielt Bruckner auf Empfehlung von Vinzenz Egon Landgraf zu Fürstenberg eine Audienz bei Erzherzogin Gisela, Tochter Kaiser Franz Josephs I., in Anwesenheit von Herzog Maximilian Emanuel in Bayern (Widmungsträger des Streichquintetts in F-Dur), und besuchte außerdem den Generalintendanten der königlich bayerischen Hof- und Residenztheater, Karl von Perfall (1824–1907), wohl schon wegen der beabsichtigten Widmung der Siebenten Symphonie an König Ludwig II. Fritz von Ostini überbrachte die ihm im Auftrag Bruckners im August in Bayreuth übergebene Partitur Hofkapellmeister Hermann Levi. Dieser schrieb an Bruckner: „Ich habe Ihre mir durch Herrn von Ostini überbrachte Sinfonie mit grosser Aufmerksamkeit durchgelesen. Das Werk hat mich anfänglich befremdet, dann gefesselt, und schliesslich habe ich einen gewaltigen Respect vor dem Mann bekommen, der etwas so Eigenartiges und Bedeutendes schaffen konnte.“ (Briefe I, 841130).
In Begleitung von Friedrich Eckstein war Bruckner anlässlich der erfolgreichen Erstaufführung seiner Siebenten Symphonie durch das Hoforchester unter Levi im Odeon am 10.3.1885 in München (8.–14.3.1885). Der Aufführung wohnten u. a. Ferdinand Löwe, Franz Schalk und Carl Almeroth bei. Die Kritiken waren durchwegs positiv, doch laut der Ohrenzeugen Richard Strauss und August Schmid-Lindner (1870–1959) regte sich im Publikum neben großer Begeisterung auch Widerspruch, der sich aber nicht als störender Protest äußerte. Tags zuvor, am 9.3.1885, improvisierte Bruckner nach der Generalprobe auf der Odeon-Orgel (heute aufgestellt in der Pfarrkirche Halsbach). Abends gab es ein Treffen bei Konrad Fiedler. Am 11.3.1885 hörte Bruckner die Walküre. Durch Vermittlung von Perfall war er beim Allgemeinen Richard-Wagner-Verein (Vorsitzender Rittmeister a. D. Karl von Ostini [1830–1895]) und beim Wagner-treuen Orden vom heiligen Gral (im Gasthof „Goldener Löwe“ im Tal) geladen, sowie gefeierter Ehrengast am Festabend der Künstlergesellschaft Allotria (Vorsitzender Franz von Lenbach [1836–1904]). Hier traf Bruckner u. a. die Maler Franz von Defregger (1835–1921), Hermann Kaulbach, Lenbach, Fritz von Uhde, den Kunstschriftsteller Fiedler sowie Fritz (und Karl?) von Ostini. Kaulbach schuf ein Brustbild von Bruckner (IKO 19; Ikonografie), Uhde skizzierte dessen Kopf für sein Gemälde Das Abendmahl (IKO 23), Edgar Hanfstaengl fertigte auf Levis Veranlassung zwei Porträtfotografien (IKO 17 und 18). Am 14.3.1885 spielte das (erweiterte) Walter-Quartett – Benno Walter (1847–1901), Johann Ziegler (?–1933), Anton Thoms (1858–1888), Hans Wihan (1855–1920) und Heinrich Seifert ([?–1931] 2. Va.; Göll.-A. 4/2, S. 300, Bruckner in München, S. 225f.) – Bruckners Streichquintett in F-Dur im Hause Fiedler. Die öffentliche Aufführung am 31.3.1885 und die Probe am Vortag, wiederum bei Fiedler, bekam der bereits abgereiste Komponist nicht mehr zu hören. Levi, Fiedler und Waldemar Lobo da Silveira Graf von Oriola stifteten zusammen 1.000 Mark zur Drucklegung der Siebenten Symphonie.
Von 6. bis 8.4.1886 hielt sich Bruckner anlässlich der bejubelten Erstaufführung des Te Deum unter Levi in München auf. Am 6.4.1886 besuchte er zusammen mit Levi den Dichter Paul Heyse in dessen heute noch teilweise erhaltener Villa in der Luisenstraße 49. Am 8.4.1886 wurde das Streichquintett in F-Dur bei Fiedler erneut aufgeführt. Bei einer Probe zum Te Deum stellte Levi Bruckner der Herzogin Amalie von Bayern vor.
Am 4.8.1886 kam es zusammen mit August Stradal und dem ungarischen Musikverleger Nandor Taborsky (1831–1888) auf der Rückfahrt von Bayreuth zu einem kurzen Aufenthalt am Bahnhof in München, bevor die Fahrt weiter nach Zell am See ging.
In Abwesenheit Bruckners dirigierte Franz Fischer am 10.12.1890 für den erkrankten Levi die Vierte Symphonie, Levi selbst, ausnahmsweise im Hof- und Nationaltheater, am 3.2.1893 die Dritte Symphonie, und am 27.5. im zweiten Konzert des Tonkünstlerfestes 1893 das Adagio der Siebenten Symphonie. Nach Erhalt der Partitur der Achten Symphonie im September 1887 sah er sich nicht imstande, sie in der vorgelegten Form aufzuführen, was eine erst 1890 abgeschlossene Neufassung durch Bruckner zur Folge hatte. Heinrich Porges führte mit seinem 1886 gegründeten Chorverein am 1.12.1888 Bruckners Ave Maria (WAB 6) auf.
1868 und 1871 hatte der sich in Österreich verkannt fühlende Bruckner erwogen, in München, das er später seine „künstlerische Heimat“ nannte, eine Stellung zu erlangen – zunächst „als Hoforganist oder Vice-Hofkapellmeister“ (über eine erbetene, jedoch nicht erfolgte Fürsprache Bülows), dann als Lehrer am Konservatorium, was er aber trotz eines eigens von Joseph Hellmesberger d. Ä. angeforderten Zeugnisses nicht weiter betrieb.
Nicht näher ermittelt sind Bruckners flüchtige Frauen-Bekanntschaften in München: Cäthi Ernst, die Bruckner eine Fotografie sandte, Kathi Hirsch und eine Dame namens Eckel (möglicherweise aus der Familie des Münchner Weinhändlers Heinrich Eckel).
Münchner Musikkritiker, die sich frühzeitig für Bruckner einsetzten, waren: Porges, F. v. Ostini, Theodor Goering (1844–1907), Paul Marsop und Rudolf Louis, der auch die erste große Bruckner-Monografie (1905) verfasste (Biografien).
Bedeutende Bruckner-Dirigenten in München nach Levi und F. Fischer waren F. Löwe, mit dem hier 1897/98 die systematische Bruckner-Pflege begann, Felix Mottl, Herman Zumpe, Siegmund von Hausegger, Domkapellmeister Ludwig Berberich (1882–1965), Hans Knappertsbusch, Oswald Kabasta, Hans Rosbaud, Eugen Jochum und Sergiu Celibidache. München zählte zu den ersten Städten mit Bruckner-Aufführungen in zyklischer Form: 1909 Dritte, Vierte, Siebente und Neunte Symphonie im Beethoven-Brahms-Bruckner-Zyklus, Wiederholung 1910 (Löwe), 1919 (Schalk), 1931/32 (Hausegger, Jochum, Knappertsbusch, Heinrich Laber [1880–1950], Franz Moißl), 1946/47 (Rosbaud).
In München wurden mehrere Brucknerfeste und -feiern abgehalten: Erstes Brucknerfest 30.1.–21.2.1905, angeregt von Marsop (Max Erdmannsdörfer [1848–1905], Löwe); Brucknerfeier 25.9.–1.10.1924 (Löwe, Berberich, Hanns Rohr [1885–1942]); 1. Internationales Brucknerfest 27.–31.10.1930 (Schalk, Hausegger, Berberich, Adolf Mennerich [1902–1966]), 2. Internationales Brucknerfest 23.–30.10.1933 (Hausegger, Knappertsbusch, Berberich, Alfons Singer [1884–1951]); 12. Internationales Brucknerfest 29.4.–14.5.1954 (Jochum, Berberich, Fritz Rieger [1910–1978], Rudolf Kempe).
Bahnbrechend für die Rückbesinnung auf die im Manuskript vorliegenden Partituren im Gegensatz zu den Bearbeitungen durch Freunde und Schüler war die Uraufführung der (noch nicht ganz bereinigten) „Originalfassung“ der Neunten Symphonie durch S. v. Hausegger am 2.4.1932.
Literatur
- Heinrich Bihrle, Die musikalische Akademie München 1811–1911. München 1911
- Max Auer, Anton Bruckner und München, in: Bruckner-Blätter 2 (1930) H. 4, S. 59–67
- Friedrich Eckstein, Mit Bruckner in München, in: Die Propyläen 27 (1930), S. 187
- Paul Ehlers, Der Münchner Dirigentenkreis und Bruckner, in: Bruckner-Blätter 2 (1930) H. 4, S. 67ff.
- Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 3/1–2, 4/1–4
- Wilhelm Zentner, Anton Bruckner und München, in: Der Baiern-Kalender 1948. München 1948, S. 115–123
- Leopold Nowak, Anton Bruckner und München, in: Alfons Ott/Wolfgang Faehndrich (Hg.), Die Münchner Philharmoniker 1893–1968. Ein Kapitel Kulturgeschichte. München 1968, S. 47–51
- Jugendstil-Musik? Münchner Musikleben 1890–1918. Bayerische Staatsbibliothek Ausstellung 19.5.–31.7.1987. Wiesbaden 1987
- Bruckner-Ikonographie IRenate Grasberger, Bruckner-Ikonographie. Teil 1: Um 1854 bis 1924 (Anton Bruckner. Dokumente und Studien 7). Graz 1990
- Uwe Harten, Zu Anton Bruckners vorletztem Münchner Aufenthalt. Ein Mißgeschick vor dem Te Deum-Erfolg, in: Studien zur Musikwissenschaft 42. Tutzing 1993, S. 323–333
- Dietmar Holland, „... und gilt nur in späteren Zeiten.“ Der Weg zu den Original- und Frühfassungen der Symphonien Anton Bruckners. Aus der Bruckner-Tradition der Münchner Philharmoniker, in: Gabriele Meyer (Hg.), 100 Jahre Münchner Philharmoniker. München 1994, S. 156–187
- Robert Münster, Aus Anton Bruckners Münchner Freundes- und Bekanntenkreis, in: Bruckner-Symposion 1994Othmar Wessely u. a. (Hg.), Bruckner-Symposion. Bruckner-Freunde – Bruckner-Kenner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1994. 21.–25. September 1994. Bericht. Linz 1997, S. 161–173
- Robert Münster, Eine „Bruckner-Orgel“ in Halsbach/Oberbayern, in: IBG-MitteilungsblattMitteilungsblatt der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Studien & Berichte. Hg. v. der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Wien 1971ff. Nr. 45 (Dezember 1995), S. 21
- Bruckner in MünchenGertrude Quast-Benesch, Anton Bruckner in München. Tutzing 2006
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- Elisabeth Th. Hilscher/Stephan Hörner, Art. „München“, in: www.musiklexikon.ac.at [17.8.2020]
- Bayerische Staatsbibliothek, Handschriftenabteilung, Leviana I, Briefkopierbuch 1872–1894, S. 412