Amsterdam

Hauptstadt der Niederlande, gelegen in der Provinz Noord-Holland. Bedeutendstes Kulturzentrum des Landes (u. a. zwei Universitäten, 40 Museen), wichtige Hafen-, Industrie- und Handelsstadt. Um 1880: ca. 320.000, um 1890: ca. 427.000, 2019: ca. 864.000 EW.

Nach der Gründung des Koninklijk Concertgebouworkest 1888 bildete sich erst langsam eine Bruckner-Tradition aus. Nach Willem Kes (1856–1934) und Willem Mengelberg (1871–1951) war Eduard van Beinum ein spezifischer Bruckner-Interpret. Am 6.9.1931 stellte er sich als zweiter Dirigent – neben Mengelberg und Pierre Monteux (1875–1964) – mit Ludwig van Beethovens Achter Symphonie und Bruckners Achter vor. Die Tradition wurde von Bernard Haitink fortgesetzt und nach ihm auch von Riccardo Chailly. Viele Gastdirigenten, u. a. Eugen Jochum, setzten Bruckners Symphonien auf ihre Amsterdamer Programme.

Kurz vor der Gründung des Orchesters waren die ersten Bruckner-Aufführungen in Amsterdam von Daniël de Lange (1841–1918) dirigiert worden: die Dritte Symphonie am 15.10.1885 unter den Auspizien des Apollo-Vereins und, als niederländische Erstaufführung, die Siebente Symphonie beim 97. Konzert der Maatschappij Caecilia. De Lange, ein wichtiger Komponist, Dirigent und Organist, bekleidete viele musikalische Funktionen in den Niederlanden. So wurde er 1878 als Nachfolger des 1876 verstorbenen Jan Pieter Heye (1809–1876) Allgemein-Sekretär der Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst, die niederländische Komponisten unterstützte und mit vielen ausländischen Komponisten (Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann, Giuseppe Verdi [1813–1901], Richard Wagner) in Verbindung stand. Es war de Lange, der Bruckner einlud, korrespondierendes Mitglied der Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst zu werden, nachdem dies während der 58. Allgemeinen Sitzung am 10.6.1887 in Utrecht beschlossen worden war. Bruckner bedankte sich herzlich am 25.8.1887, als er in St. Florian weilte (Briefe II, 870825/2), hat diese Ernennung aber nie als Arbeitsauftrag für die Gesellschaft, sondern nur als persönliche Ehrung betrachtet.

Die Amsterdamer Erstaufführung der Dritten Symphonie am 15.10.1885 fand im Stadttheater (Stadsschouwburg) statt. (Die niederländische Erstaufführung hatte bereits am 4.2.1885 unter Johannes Verhulst [1816–1891] in Den Haag/‘s Gravenhage stattgefunden.) Die Symphonie stand gleich am Anfang des Programms, danach trat der Bariton Johannes Messchaert (1857–1922) in Erscheinung (Arie aus Wagners Fliegendem Holländer, später noch Lieder von Hermann Levi und Edvard Grieg [1843–1907]) und de Lange widmete sich Schumanns Manfred-Musik. Zum Schluss folgte, wie damals meistens in den Niederlanden, eine Ouvertüre: Michel Angelo vom dänischen Komponisten Nils Gade (1817–1890). Aus der Kritik in Caecilia (42 [1885] H. 21, S. 205f.) geht hervor, dass dieses Konzert schlecht besucht war, was den (anonymen) Kritiker sehr verwunderte, „da doch das Programm in hohem Masse wichtig war; wir nehmen doch an, daß jeder Musikliebhaber an der Aufführung einer neuen Symphonie interessiert ist, und das war jetzt mit der Anton Brückners [!] der Fall.“ (zit. n. Zwol 1994, S. 103). Der Kritiker war noch nicht ganz von der Qualität des Werkes überzeugt: „Der Komponist hat einen großen Reichtum an Gedanken, so sehr, daß dies u. E. dem Eindruck des Ganzen schadet. Auch moduliert er so oft (manchmal auf bedeckte Art), daß dies besonders den aufmerksamen Hörer ermüdet und er den Zusammenhang des Ganzen verliert, wobei uns auch die Instrumentierung ziemlich überhäuft scheint. Angeblich hat Brückner [!] sich gewünscht, in dieser Symphonie ‚neue Bahnen‘ zu betreten, was sich oft bemerkbar macht, sogar am Abschluß der Sätze … Trotz dieser Bemerkungen scheint uns diese Komposition ein solides Werk, das bestimmt bei wiederholtem Zuhören vieles gewinnen wird; die Ausführenden, mit denen wir sprachen, waren voller Bewunderung … Sehr gerne möchten wir diese Symphonie öfter hören; vielleicht ändern sich dann unsere ersten Eindrücke; es sind nicht immer die besten Werke, die gleich gefallen …“ (zit. n. Zwol 1994, S. 103).

Am 18.11.1886 dirigierte de Lange die niederländische Erstaufführung der Siebenten Symphonie. Auch diesmal stand die Symphonie Bruckners gleich am Beginn des Programms; es folgten die Symphonische Dichtung Nr. 2 von Franz Liszt und Beethovens Vierte Symphonie. Und auch in der Kritik dieser Aufführung in Caecilia (43 [1886] H. 23, S. 235f.), verfasst von Maurice Hageman (1829–1906), mischten sich Bewunderung und Missbilligung. Hageman schrieb, die Symphonie erwecke für ihn „nicht den Eindruck, aus Inspiration geboren zu sein, sondern eher von einer Feder geschrieben zu sein, die mehr von der Wissenschaft als vom Gemüt geführt wurde. Es scheint mir eine Analyse von kombinierten theoretischen Aufgaben zu sein — mit großer Meisterschaft über das Material geschrieben, und hie und da mit dem Aufbau einer Klimax, die an Hector Berlioz‘ Instrumentationslehre erinnert … Die Aufführung war vortrefflich und der Direktor [Dirigent] durchdrungen von allen relevanten schönen Momenten.“ (zit. n. Zwol 1994, S. 104).

Mittlerweile zählen Bruckners Symphonien in Amsterdam schon lange zum Standardrepertoire und es gibt ein Stammpublikum von Bruckner-Kennern und ‑Liebhabern. Selbst die Erstfassungen der Symphonien, bis vor kurzem noch eine terra incognita, obwohl diese schon vor vielen Jahren in Rundfunkproduktionen dem Publikum vorgestellt worden waren, fanden im November 2019 gebührende Beachtung. Die Fassung 1887 der Achten Symphonie wurde unter der Leitung von Martin Sieghart am 8.11.2019, die Fassung 1874 der Vierten Symphonie unter der Leitung von Nicholas Collon (* 1983) am 9.11.2019 und die Fassung 1873 der Dritten Symphonie unter der Leitung von Claus Peter Flor (* 1953) am 10.11.2019 im Amsterdamer Muziekgebouw aan ‘t IJ aufgeführt.

Literatur

CORNELIS VAN ZWOL

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 22.7.2020

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