Mendelssohn Bartholdy, (Jakob Ludwig) Felix

* 3.2.1809 Hamburg/D, † 4.11.1847 Leipzig, Sachsen/D. Komponist, Organist, Dirigent.

Sohn des Abraham Ernst Mendelssohn (1776–1835) und dessen Frau Lea Felicia Pauline, geb. Salomon (1777–1842); nach der protestantischen Taufe ihrer Kinder 1816 ließen sie den Namen Bartholdy hinzufügen. Nach Privatunterricht in Mathematik, Geschichte, Sprachen, Zeichnen, Musik (Violine, Viola, Klavier, Orgel) und Sport wurde sein Klavierspiel durch Unterricht bei Marie Bigot (1786–1820), Johann Nepomuk Hummel (1778–1837) und Ignaz Moscheles (1794–1870) verfeinert. Kompositions- und Musiktheorie-Unterricht erhielt er bei Carl Friedrich Zelter (1758–1832), in dessen Berliner Singakademie er ab 1820 (als Alt, ab 1824 als Tenor) mitwirkte. 1827/28 immatrikulierte Mendelssohn Bartholdy an der Universität Berlin und besuchte dort Vorlesungen in Philosophie, Geographie, Geschichte und Naturwissenschaften. Er unternahm neben mehreren Fahrten nach Paris u. a. zehn mehrmonatige Reisen nach England und hielt sich mehrmals in der Schweiz auf, 1830/31 trat er in Österreich und Italien auf. Innerhalb Deutschlands besuchte er u. a. Sängerfeste, um dort seine Werke – z. B. Uraufführung des Oratoriums Paulus op. 36 beim 18. Niederrheinischen Musikfest (1836) in Düsseldorf – zu präsentieren. Er zählt zu den bedeutendsten Komponisten der deutschen Romantik, welcher sich als Pianist, Organist, Dirigent und Wegbereiter für die Bach- und Händel-Rezeption im 19. Jahrhundert einen großen Namen machte und damit viele Musikschaffende beeinflusste. Mit seinem Zeichentalent – es sind über 250 Bleistiftzeichnungen, mehrere Federzeichnungen und ca. 50 Aquarelle überliefert – trat Mendelssohn Bartholdy nicht an die Öffentlichkeit.

Dass Bruckner bereits während seiner musikalischen Ausbildung mehrfach mit Werken Mendelssohn Bartholdys konfrontiert wurde, selbst solche im Klavierunterricht einsetzte und auch als Repertoire-Bestandteil im Orgelspiel oder thematisch im Rahmen von Improvisationen einbaute, belegen diverse Dokumente: So fanden sich laut Göll.‑A. im Notenbestand seines Nachlasses Sechs Sonaten op. 65 für Orgel, drei Hefte der Lieder ohne Worte op. 38, op. 62 und op. 85, die Motette Veni Domine op. 39/1 und das Herbstlied „Ach, wie so bald“ op. 63/4 (Göll.-A. 2/1, S. 337–340; vgl. auch Bruckner-Bestände des Stiftes St. Florian II, S. 264). Außerdem finden sich – durch den autodidaktischen Eifer des heranwachsenden Komponisten – Abschriften kontrapunktisch-fugierter Ausschnitte kirchenmusikalischer Werke Mendelssohn Bartholdys im Archiv des Stiftes St. Florian und bei seinem Lehrer Leopold von Zenetti, darunter aus dem Oratorium Paulus (Bruckner-Bestände des Stiftes St. Florian II, S. 228f.).

Bruckner begann noch vor seinen ersten Lektionen im Orgelspiel, Klavierunterricht zu geben. Dabei spielten Mendelssohn Bartholdys Lieder ohne Worte wohl nicht nur als Lehrgegenstand eine Rolle, sondern inspirierten ihn offensichtlich auch zu eigenen Klavierstücken, wie das Klavierstück in Es-Dur oder das 1863 seiner Schülerin Emma Thanner gewidmete Klavierstück Stille Betrachtung an einem Herbstabende belegen. Sowohl der lyrische Ausdruck als auch Takt, Tonart und thematisch-strukturelle Einzelheiten gemahnen an Mendelssohn Bartholdys Venetianisches Gondellied op. 30/6. Eine autografe Randbemerkung im Kitzler-Studienbuch (S. 214), das wenige Monate vor Stille Betrachtung an einem Herbstabende abgeschlossen wurde, bestätigt Bruckners Auseinandersetzung mit Mendelssohn Bartholdys Liedformen („Die Lieder ohne Worte z. B. v. Mendelssohn haben meistens Liedform“). Dessen Einfluss ist im Übrigen auch für vergleichbare romantisch-stimmungsvolle Gattungen wie Bruckners Männerchöre (z. B. Herbstlied) festzustellen. In diesem Zusammenhang ist ferner auf Bruckners Tätigkeiten als Chorsänger, Chormeister und zweiter Archivar der Liedertafel „Frohsinn“ hinzuweisen, zu deren Repertoire auch Chorwerke Mendelssohn Bartholdys zählten. (Eine Auflistung jener Werke Mendelssohn Bartholdys, die Bruckner z. B. in Konzerten des Linzer Musikvereins rezipierte, findet sich in Othmar Wesselys Aufsatz in den Bruckner-Studien 1975, S. 81–112.)

Schenkt man diversen Zeitzeugenaussagen Glauben, so war Mendelssohn Bartholdy nicht nur in Bruckners Repertoirespiel ein Thema (Sonate in f-Moll op. 65/1), sondern auch in seinen Improvisationen. So erwähnt das Programm zu Bruckners Orgelspiel am 2.8.1871 in der Londoner Royal Albert Hall: „Herr Bruckner’s strong points are classical improvisations on the works of Handel, Bach and Mendelssohn.“ (The Orchestra 11.8.1871, S. 297f.; zit. n. Howie, S. 308). Eine Rezension von Ludwig Speidel in der Wiener Zeitung vom 24.7.1858 analysiert anlässlich der Orgelprüfung Bruckners in der Piaristenkirche: „Daß ein jung und frei aufstrebendes Talent wie Herr Bruckner durchaus die Spuren der Mendelsohn’schen [sic] Richtung an sich trägt, wird ihm schwerlich zum Vorwurf gereichen. Ist doch Mendelssohn der Orgel als ein Befreier erschienen, der sie vom Joch der Pedanterie erlöste und sie wieder menschlich empfinden lehrte.“ (Wiener Zeitung 24.7.1858, S. 884).

Ebenfalls noch dem Frühwerk zuzuordnen sind Bruckners erste Psalmvertonungen Psalm 22 und Psalm 114. Bei diesen konnte sich Bruckner gerade in Bezug auf die Gestaltung mit einer Schlussfuge auf eine Gattungstradition stützen, die ihm vor allem durch Wolfgang Amadeus Mozart und Mendelssohn Bartholdy vermittelt wurde. Die in den frühen Psalmen Bruckners sowie dem 1852 entstandenen Magnificat über weite Strecken der Fuge installierte Parallelführung der Stimmen in Sexten und Terzen bedeutet für die real vorhandene kontrapunktische Vielstimmigkeit eine Eingrenzung zugunsten harmonischen Satzdenkens. Alfred Orel spricht von einer „harmonische[n] Grundhaltung“, der „völlig verschiedene[n] Grundtendenz gegenüber dem linearen Prinzip Bachscher Kontrapunktik“ (Orel, S. 44) und verweist auf Einflüsse der Klassiker und Mendelssohn Bartholdys. Wobei allerdings zu bemerken ist, dass gerade bei Mendelssohn Bartholdy durch die von ihm im März 1829 initiierte Wiederaufführung der Matthäus-Passion mit der Berliner Singakademie eine Verbindung zu Johann Sebastian Bach besteht.

Doch bald wurde Bruckner bewusst, dass „Mendelssohns ,galante‘ Fugenarbeit“ (Göll.-A. 2/1, S. 108) als Vorbild für sein kompositorisches Vorankommen, verbunden mit dem Berufswechsel zum Domorganisten in Linz, nicht ausreichte. Franz Scharschmid (1800–1887) wies ihm in einem Brief vom 20.9.1853 den Weg: „Sie irren, wenn Sie sich einseitig nach Mendelsohn [sic] bilden. Sie müssen jedenfalls auch selbst aus der Quelle schöpfen, aus welcher dieser schöpfte, aus Sebastian Bach, den Sie gründlich studiren müssen. Sie werden, wie M. sehr leicht vermeiden, Sich von Bach das nicht mehr Zeitgemäße anzueignen; aber tief und gründlich können Sie ohne ihn nicht werden.“ (Briefe I, 530920). Die Notwendigkeit strenger Studien wurde Bruckner bewusst, und die ab 1855 begonnenen Studien bei dem als Kapazität auf satztechnischem Gebiet bekannten Wiener Musiktheoretiker Simon Sechter waren die logische Folge.

Werke
  • Bühnenwerke
  • Oratorien
  • Symphonien, Ouvertüren
  • Konzerte
  • Kammermusik
  • Klavier- und Orgelwerke
  • Geistliche und weltliche Chorwerke
  • Lieder
  • Transkriptionen, Bearbeitungen und Herausgaben von Werken von J. S. Bach, Ludwig van Beethoven, Georg Friedrich Händel, Joseph Haydn, W. A. Mozart u. a.
Literatur

RAINER BOSS

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 11.11.2019

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Mendelssohn Bartholdy, (Jakob Ludwig) Felix: 118580779

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