Dänemark (Rezeption)

Bis zum Herbst 1899 konzentrierte sich die dänische Bruckner-Rezeption auf private Kreise, zum einen mit einer Reihe von Aufführungen des Streichquintetts in F-Dur, zum anderen mit in privater Regie bewerkstelligter anhaltender Promotion der Symphonien. Innerhalb von kaum mehr als zweieinhalb Jahren wurde das Streichquintett in F-Dur dreimal aufgeführt, ein weiteres Mal nur zwei Sätze (in den Quellen als Allegro und Adagio angegeben). Alle an diesen Aufführungen beteiligten Musiker waren Mitglieder der Königlichen Kapelle, deren erste Geige Axel Gade (1860–1921), Sohn des Komponisten Niels Wilhelm Gade (1817–1890), spielte. Die erste Aufführung des Streichquintetts in F-Dur fand am 24.3.1894 in der u. a. von Gustav Helsted (1857–1924) und Louis Glass (1864–1936) geleiteten Vereinigung Symphonia statt. Aus Kopenhagen erhielt Bruckner ein Telegramm vom Vorstand der Symphonia, dass das „kvintet erfolgreich aufgefuehrt“ wurde (zit. n. Scheder, S. 10).

Mit der Gründung der Musikgesellschaft vom 14.3.1896 wurde dank der Initiative des Musikkritikers und Juristen William Behrend (1861–1940) in Kopenhagen ein Forum für die Musik von Bruckner und Gustav Mahler etabliert. Beim Stiftungstreffen spielten die Komponisten G. Helsted und L. Glass die ersten beiden Sätze von Bruckners Siebenter Symphonie auf dem Klavier (Bearbeitungen). Bei anschließenden Konzerten wurden 1896 u. a. die gesamte Siebente Symphonie von Fräulein M. Dahl Musæus und G. Helsted aufgeführt; beide brachten am 20.11.1896 noch einmal die Siebente Symphonie (die vierhändige Ausgabe und jene für zwei Klaviere waren 1896 erschienen) zusammen mit dem Allegro der Achten Symphonie. In dieser frühen Phase gehörten mit Helsted und Glass zwei hervorragende Komponisten der damaligen jüngeren Generation zu den Hauptkräften der Vermittlung von Bruckners Werken in Dänemark.

Eine Orchesteraufführung erfolgte zum ersten Mal am 21.10.1899: Der Komponist Victor Bendix (1851–1926) dirigierte das Adagio von Bruckners Siebenter Symphonie im Rahmen eines seiner philharmonischen Konzerte. Schon im darauffolgenden Jahr wurde Bruckner von einer der ältesten und renommiertesten Musikvereinigungen Kopenhagens, die über viele Jahre N. W. Gade leitete, gespielt. Franz Neruda (1843–1915) führte hier am 6.2.1900, mit einer Wiederholung am 8.2., die Vierte Symphonie auf.

Unter der Leitung von Axel Schiøler (1872–1930) stand die Siebente Symphonie als Teil der kurzlebigen Konzertreihe „De philharmoniske Koncerter“ noch einmal am 13.11.1906 auf dem Programm. Das Te Deum wurde am 18.11.1902 und der Psalm 150 am 4.4.1911 in der Musikvereinigung aufgeführt.

Abgesehen vom Streichquintett in F-Dur (welches bis 1932 nicht weniger als acht Mal vorgetragen wurde) führten verschiedene Orchester Bruckners Symphonien auf. Glass leitete die Fünfte Symphonie am 21.10.1911 in der Dänischen Tonkünstler-Vereinigung. Am 16.1.1915 spielte die Königliche Kapelle (Det Kongelige Kapel) unter der Leitung von Georg Høeberg (1872–1950) mit der Neunten Symphonie zum ersten Mal ein Werk Bruckners. Unter der Leitung von Ludwig Rüth (1889–1941) wurde am 19.3.1917 die Zweite Symphonie gespielt. Paul von Klenau (1883–1946) leitete die Achte Symphonie beim Konzert der Dänischen Philharmonischen Gesellschaft (Dansk Filharmonisk Selskab) am 15.11.1920.

Das Interesse an den Werken Bruckners nahm im Laufe der 1920er und 1930er Jahre, vermutlich aufgrund einer zunehmenden antiromantischen Haltung, deutlich ab. Erst nach 1950 wurden Bruckner-Werke wieder vermehrt aufgeführt und seit etwa 1970 stehen die Symphonien in Dänemark häufiger auf Orchesterprogrammen. Für den Zeitraum 1979–2009 lassen sich laut Bo Marschner nicht weniger als 43 Symphonie-Aufführungen in Kopenhagen unter vorwiegend ausländischen Dirigenten wie insbesondere Kurt Sanderling (1912–2011) und Herbert Blomstedt dokumentieren. Die Messen, das Te Deum und die übrigen größeren Chorwerke wurden deutlich seltener aufgeführt.

Im ersten Band von Henrik Vissing Schyttes (1827–1903) Nordisk Musiklexikon (1888) findet sich die früheste dänische Darstellung von Bruckner und seiner Musik. Allerdings ähnelte der 13 Zeilen umfassende Beitrag einem entsprechenden Kurzartikel in Hugo Riemanns (1849–1919) Musik-Lexikon (1882), sodass sich Riemann dazu veranlasst sah, Schyttes Artikel als Plagiat zu bezeichnen. Die erste größere Darstellung über Bruckner, seine Musik und deren dänische Rezeption erschien 1905 im Werk Illustreret Musikhistorie. En Fremstilling for nordiske Læsere von Hortense Panum (1856–1933) und W. Behrend. Behrend stand N. W. Gade und dessen Familie nahe; neben seiner Tätigkeit als Leiter einer Abteilung bei der Kopenhagener Verwaltung war er ein eifriger und angesehener Musikhistoriker, der auch als Gründungsmitglied der dänischen Richard Wagner Vereinigung (1912) hervortrat. Behrends Darstellung der Musik Bruckners in der Illustreret Musikhistorie umfasst sieben Seiten (nur vier weniger als dessen Abschnitt über Johannes Brahms), die von großer Sympathie für den Komponisten und sein Werk zeugen. Aber Behrend beschrieb auch die seiner Meinung nach vorliegenden Schwachstellen in Bruckners Symphonien. Er kritisiert hauptsächlich eine gewisse Eintönigkeit in dessen musikalischem Ausdruck, wenn Bruckner eine Adagio-Stimmung in sämtlichen Symphonie-Sätzen verwendet.

Die eingehendste akademische Auseinandersetzung mit Bruckner leistete Bo Marschner. Er publizierte eine Reihe von Artikeln über Bruckner, darunter einige zur Rezeption in Skandinavien (s. Lit.). 2002 wurde sein Hauptwerk Zwischen Einfühlung und Abstraktion. Studien zum Problem des symphonischen Typus Anton Bruckners (Aarhus) veröffentlicht.

Literatur

CLAUS RØLLUM-LARSEN

(Übersetzung: Hartmut Buescher)

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 14.9.2020

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