Psalm 150 (WAB 38) „Halleluja! Lobet den Herrn in seinem Heiligtum“
Vertonung von Psalm 150 für Sopran-Solo, vierstimmigen gemischten Chor und großes Orchester (2 Fl., 2 Ob., 2 Klar., 2 Fg., 4 Hr., 3 Trp., 3 Pos., Kbtb., Pk., Str.) in C-Dur, „Mehr langsam! Feierlich, kräftig“
EZ: | vollendet 29.6.1892, revidiert 7. und 11.7.1892 |
W: | Max von Oberleithner („Sr. Hochwohlgeboren Herrn Dr. MAX Edlem von OBERLEITHNER in herzlichster Verehrung“) |
UA: | 13.11.1892 in Wien, Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Gesellschaftskonzert; Henriette Standthartner; Wiener Singverein; Wilhelm Gericke) |
Aut.: | ÖNB‑MS (Mus.Hs.19484; Mus.Hs.34936, Albumblatt [4 Takte] mit Fotografie Bruckners [IKO 22c] und Widmung an Wilhelm Hartel, „Sr Hochwolgeboren Herrn Willi, Ritter von Hartel“) |
ED: | Doblinger, Wien 1893; Klavierauszug von Cyrill Hynais, mit Widmung an Oberleithner |
NGA: | Band XX/6 (Franz Grasberger, 1964) und Revisionsbericht zu XX/1–6 (Paul Hawkshaw, 2002) |
Richard Heuberger gab am 23.12.1891 bei Bruckner, der damals gerade am 1. Satz seiner Neunten Symphonie arbeitete, eine Hymne oder Kantate für das Eröffnungskonzert der für 1892 in Wien geplanten Internationalen Ausstellung für Musik- und Theaterwesen in Auftrag, nachdem Johannes Brahms diesen Kompositionsauftrag abgelehnt hatte (was Bruckner jedoch nicht wusste). Bruckner wählte aus den ihm angebotenen zwei Texten den 150. Psalm in der Übersetzung Martin Luthers „wegen seiner besonderen Feierlichkeit“ (Göll.-A. 4/3, S. 231).
Er wurde zur Ausstellungseröffnung (7.5.1892) mit der Komposition jedoch nicht rechtzeitig fertig, und die nächste vorgesehene Aufführungsgelegenheit, das in Wien geplante Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (ADMV), wurde abgesagt. Der schon für diesen Termin vorgesehene Dirigent Gericke übernahm den Psalm 150 schließlich in das Gesellschaftskonzert vom 13.11.1892. Der erwartete Erfolg blieb nicht zuletzt deswegen aus, weil das Werk im Programm ungünstig platziert war (nach einer Schubert-Ouvertüre, vor dem Es‑Dur-Klavierkonzert von Franz Liszt, Wanderers Sturmlied von Richard Strauss und Felix Mendelssohn Bartholdys Loreley) und die Proben in Anbetracht des schwierigen Werkes wohl nicht genügt hatten.
Der Psalm, den Bruckner als seine „allerbeste Fest Cantate“ (Briefe II, 930701) bezeichnete, unterstreicht diese Festlichkeit durch die Tonart C‑Dur, die große Orchesterbesetzung, die ausgedehnte Schlussfuge, die rund ein Drittel des Werkes ausmacht, und den ekstatischen Gestus. Es wäre jedoch verfehlt, darin lediglich einen „erhabenen, geradezu bombastischen Ton […], der in die Sphäre spätgründerzeitlicher Wiener Selbstdarstellung und politisch gefärbter Männerchor-Bewegung führt, wie sie ein Jahr später auch den sozio-ideologischen Hintergrund für Helgoland […] abgab“ (Wald-Fuhrmann, S. 281) zu sehen. Bruckner trägt vielmehr dem schon im Psalmtext selbst begründeten Charakter der besonderen Preisung Gottes im „Kleinen Hallel“ Rechnung. (Das „Kleine Hallel“ umfasst die Psalmen 146–150 und bildet den thematisch einheitlichen Abschluss des Psalters.) Zudem scheint ihm der Psalmtext, in dem gleichsam ein ganzes Orchester (Psalterium, Harfen, Pauken, Saiten- und Blasinstrumente sowie Cymbeln) und nicht zuletzt der Mensch mit Gesang und Tanz, ja die ganze Schöpfung, die „Odem hat“, zum Lob Gottes aufgerufen wird, sehr entgegengekommen zu sein.
Bruckner vertonte das Werk abschnittsweise, wobei schlichte a cappella-Sätze als Gliederungselemente dienen. Auf den gleichsam improvisatorischen Charakter des fanfarenartigen „Halleluja“-Beginns (T. 1–22) folgt ein Aufruf zum Lob, der durch dynamische Kontraste und Steigerungen vom pp bis zum ff sowie den Einsatz von Solo-Sopran und Solo-Violine (T. 125ff.) gekennzeichnet ist und die ganze Bandbreite des Ausdrucks von verhaltener Anbetung bis zum strahlenden Jubel durchmisst. Den Höhepunkt und Schluss bildet eine Fuge zu den Worten „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“ (T. 165–229), deren Thema große Ähnlichkeit zum Fugenthema im Finale der Fünften Symphonie aufweist; in den letzten Takten (230–247) greift Bruckner auf das fanfarenartige „Halleluja“ des Anfangs zurück. Man geht nicht fehl, wenn man diese Psalmvertonung Bruckners stilistisch in die Nähe des freilich weitaus jüngeren Te Deum rückt und ihm einen gleichsam orgelhaft-improvisatorischen Charakter (vgl. Max Auer) mit wechselnden Registern (Solo/Tutti, Chor/Orchester) zuschreibt.
Literatur
- Göll.-A.August Göllerich/Max Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild (Deutsche Musikbücherei 36–39). 4 Bde. (in 9 Teilbänden [1, 2/1–2, 3/1–2, 4/1–4]). Regensburg 1922–1937, unveränd. Nachdruck 1974 4/3, S. 230–234
- Max Auer, Anton Bruckner als Kirchenmusiker (Deutsche Musikbücherei 54). Regensburg 1927, S. 87–200
- Franz Grasberger, Vorwort, in: NGAAnton Bruckner. Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe. Hg. v. der Generaldirektion der Österreichischen Nationalbibliothek und der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Wien 1951ff. (Editionsleitung: Leopold Nowak, auch als Neue Gesamtausgabe bezeichnet) XX/6 (1964)
- Winfried Kirsch, Anmerkungen zu einem Spätwerk: Anton Bruckners 150. Psalm, in: Studien zu Werk und WirkungChristoph-Hellmut Mahling (Hg.), Anton Bruckner. Studien zu Werk und Wirkung. Walter Wiora zum 30. Dezember 1986 (Mainzer Studien zur Musikwissenschaft 20). Tutzing 1988, S. 81–99
- Briefe IIAndrea Harrandt/Otto Schneider (Hg.), Briefe von, an und über Anton Bruckner. Bd. II. 1887–1896 (NGA XXIV/2). Wien 2003
- Melanie Wald-Fuhrmann, Geistliche Vokalmusik, in: Bruckner-Handbuch 2010Hans-Joachim Hinrichsen (Hg.), Bruckner-Handbuch. Stuttgart–Weimar 2010, S. 224–289