Dorn, Ignaz
* 22.2.1839 Schottenfeld, Niederösterreich/A (7. Bezirk, Wien/A), † 30.5.1872 Wien. Kapellmeister und Komponist.
Sohn des Ignatz Dorn, Lehrer einer öffentlichen Mädchenlehranstalt, und dessen Frau Barbara, geb. Postler. Dorn wurde vom Vater offenbar ebenfalls für den Lehrberuf bestimmt und legte „als Privatist“ am 25.9.1847 die Prüfung der 1. Klasse der Normalschule zu St. Anna in Wien ab, trat aber, da ihm die Musik bald wichtiger geworden zu sein scheint, zur nächsten Prüfung nicht mehr an. Nach Erlernung mehrerer Instrumente wurde Dorn spätestens 1859 als Geiger ins Wiener Hofopernorchester aufgenommen, wo er sich als leidenschaftlicher Anhänger der „Zukunfts-Musik“ (Neudeutsche Schule; Bagge, S. 45) entpuppte. Auch als Komponist trat Dorn mit mindestens vier Konzerten an die Öffentlichkeit. Die am 2.2.1861 im Wiener Musikvereinssaal (neben einer Konzertouvertüre, einem Streichquartett und einer Klavierphantasie) aufgeführten Labyrinth-Bilder oder Traum und Erwachen. Characteristische Sinfonie ernteten eine vernichtende Kritik (Musikkritik) aus der Feder Selmar Bagges (1823–1896). Dorn dürfte bei diesem Werk vom gedanklichen Inhalt der Hector Berlioz‘schen Symphonie fantastique, musikalisch-thematisch von Franz Liszts Faust-Symphonie angeregt worden sein, der auch thematisches Material entlehnt wurde. Weitere Konzerte fanden 1861 und 1862 im Kleinen Redoutensaal und im Salon Ehrbar statt.
Vermutlich auf Grund seines Misserfolges schied Dorn aus dem Verband des Hofopernorchesters aus und nahm – wohl zu Beginn der Saison 1862/63 – eine Stelle als Geiger am Landständischen Theater in Linz an, das sich damals jedoch gerade in einer Krisensituation befand und zwischen April 1863 und März 1866 nicht weniger als sechs Direktionen erlebte. Bald war Dorn hier auch als zweiter Kapellmeister tätig und schrieb Bühnenmusiken zu volkstümlichen Theaterstücken.
In dieser Zeit lernte ihn Bruckner kennen, der kurz zuvor seine Studien bei Otto Kitzler abgeschlossen hatte. Dorn führte nicht nur der schon durch Kitzler entflammten Begeisterung Bruckners für Richard Wagner neue Nahrung zu, sondern erschloss ihm auch die Kunst eines Berlioz und Liszt.
Seine Stelle am Linzer Theater dürfte Dorn bis Jahresende 1864 innegehabt haben; im Jänner 1865 war er wieder in Wien, wo er als Notenkopist, Geiger und Klavierbegleiter tätig war, wie wir aus einem Brief Bruckners an Rudolf Weinwurm (Briefe I, 650129) wissen. Ab Jänner 1866 scheint Dorn erneut im Linzer Theater auf und bringt einige seiner Bühnenmusiken zur Aufführung. In dieser Zeit begleitet er die Entstehung von Bruckners Erster Symphonie und der Messe in d-Moll. Etwa gleichzeitig mit Bruckners Messe entstand auch Dorns eigene Zweite Messe in B‑Dur, die zu Jahresende 1865 mit Erfolg in Linz aufgeführt wurde, wie die Christlichen Kunstblätter ([1865] H. 12, S. 50) berichteten.
Obwohl sich Dorn in einer heimlichen Verlobung an Maria Franziska Zappe (1841–1897), Tochter des Karl Zappe (Zappe, S. 140, 143), gebunden hatte, folgte er dem Ruf Kitzlers als zweiter Kapellmeister des Theaters nach Brünn. Maria Zappe löste drei Monate vor der geplanten Hochzeit die Verlobung. Im November 1870 heiratete sie den 58-jährigen pensionierten Hauptmann Michael Schneider. Ob Dorn tatsächlich, wie August Göllerich/Max Auer berichten, dem Alkohol verfallen war, ist durch keinen Beleg gesichert. Fast sicher ist jedoch, dass er seine Brünner Anstellung wie so viele andere Künstler durch den Brand des Theaters am 23.6.1870 verloren haben dürfte und im Spätsommer 1870 wieder nach Wien zurückkehrte. Mit anderen Mitgliedern der heimatlos gewordenen Brünner Truppe finden wir ihn am Theater in der Josefstadt wieder, wo im Herbst 1870 fünf Bühnenmusiken aus seiner Feder aufgeführt wurden.
Als im Frühjahr 1871 auch am Josefstädter Theater ein Direktionswechsel erfolgte, war Dorn erneut gezwungen, nach einem Broterwerb Ausschau zu halten. Er fand ihn im renommierten Vergnügungsetablissement „Neue Welt“ in Hietzing (heute 13. Bezirk, Wien), wo damals auch Eduard und Josef Strauss konzertierten und der Wiener Männergesang-Verein seine Sommerliedertafeln abhielt, und wohnte in der Nähe der elterlichen Wohnung in Hernals (heute 17. Bezirk, Wien).
Ein letztes Mal trafen die Freunde Kitzler, Bruckner und Dorn anlässlich des Konzertes Richard Wagners am 12.5.1872 in Wien zusammen. Ob es zu der in Eduard Kremsers Nekrolog berichteten geplanten Vorsprache bei Wagner gar nicht erst gekommen ist oder ob diese mit einer schroffen Abfuhr endete, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen; es spricht jedoch für sich, dass Göll.-A. Dorns Erkrankung und Tod in eine spätere Zeit verlegen, wohl, um auf den verehrten Wagner nicht auch nur den Schatten eines Verdachtes fallen zu lassen. Wie wir heute wissen, hat Dorn jedoch nach dem Wagner-Konzert nur mehr 17 Tage gelebt. Er hatte während des Dirigierens in der „Neuen Welt“ einen Nervenzusammenbruch erlitten und starb am 30.5.1872 in der Niederösterreichischen Landes-Irrenanstalt in der Wiener Lazarettgasse an „Lungen-Infiltration“ bzw. „Erschöpfung“ (Fremden-Blatt 5.6.1872, S. 12). Seine Grabstätte fand er am 1.6.1872 auf dem „Währinger Gottes Acker“, dem ehemaligen Währinger Allgemeinen Friedhof (heute 18. Bezirk, Währinger Park).
Dorns Bedeutung für Bruckner ist wohl weniger die eines Lehrers im strengen Sinn als die eines Begleiters in die Welt der damals modernsten Musik. Seine eigene Begeisterung mag Bruckner den Rücken gestärkt haben, zu einer persönlichen Musiksprache zu finden.
Werke
- Kirchenmusik: 2 Messen (Nr. 1 verschollen, Nr. 2 in B‑Dur)
- 9 Bühnenwerke: Die drei Tannen nach K. A. Kaltenbrunner, 1863; Der verliebte Graubart nach Th. Flamm, 1863; Bei der Milchmariandl nach Stangl, 1866; Der Conrad und sein Toni nach Karl Krapp, 1866; Prinz Eugen, der edle Ritter nach Anton Langer, 1866; Der Krieg und seine Schrecken nach Eduard Dorn, 1870; Prinzess Aurora oder: Michael Bocks Reise durch die Zauberwelt (für eine Kindertruppe); Aus dem Arbeitsleben nach H. Börnstein und J. Böhm, 1870; Prinz Amaranth nach G. Bukovics, 1870; Im Zauberberge nach J. Böhm, 1870
- Orchesterwerke: Labyrinth-Bilder oder Traum und Erwachen. Characteristische Sinfonie; Konzertouverture
- Bearbeitungen von Tanzmusik für den Konzertgebrauch
- Streichquartett
- Quartett für vier Geigen
- Klaviermusik
Literatur
- Selmar Bagge, Concerte, in: Deutsche Musik-Zeitung 2 (1861), S. 44f.
- Domchor, in: Christliche Kunstblätter (1865) H. 12, S. 50
- Verzeichniss der Verstorbenen in Wien, in: Fremden-Blatt 5.6.1872, S. 12
- Eduard Kulke, Nekrolog, in: Das Vaterland 20.6.1872
- Hermann Zappe, Anton Bruckner, die Familie Zappe und die Musik. Zur Musikgeschichte des Landes Oberösterreich 1812–1963 bzw. 1982, in: Bruckner-JahrbuchBruckner-Jahrbuch. (Wechselnde Herausgeber). Linz 1980ff. 1982/83, S. 129–161
- Elisabeth Maier, Brahms und Bruckner. Ihr Ausbildungsgang, in: Bruckner-Symposion 1983Othmar Wessely (Hg.), Bruckner-Symposion. Johannes Brahms und Anton Bruckner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1983. 8.–11. September 1983. Bericht. Linz 1985, S. 63–71
- Elisabeth Maier, Ignaz Dorns Charakteristische Symphonie „Labyrinth-Bilder“, in: Bruckner-Symposion 1987Bruckner-Symposion. Bruckner und die Musik der Romantik. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1987. 16.–20. September 1987. Bericht. Hg. v. Anton Bruckner Institut Linz/Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH. Linz 1989, S. 69–78
- Elisabeth Maier, „Schade um ihn!“ Anton Bruckners Lehrer und Freund Ignaz Dorn, in: Streifzüge 1 (2007)Klaus Petermayr/Erich Wolfgang Partsch (Hg.), Streifzüge. Beiträge zur oberösterreichischen Musikgeschichte 1 (Oberösterreichische Schriften zur Volksmusik 5). Linz 2007, S. 139–152
- Briefe IAndrea Harrandt/Otto Schneider (Hg.), Briefe von, an und über Anton Bruckner. Bd. I. 1852–1886 (NGA XXIV/1). 2., rev. und verbesserte Aufl. Wien 2009
- ABCD
- Taufbuch 1839 der Pfarre Schottenfeld (Wien VII), fol. 43
- Trauungsbuch-Duplikat 1870 der Stadtpfarre Linz, [pag. 49, ad Maria Zappe]
- Sterbebuch 1871–1873 der Alservorstadtpfarre (Wien VIII), fol. 79