Briefe

Vom ersten bekannten Brief an Josef Seiberl (19.3.1852; Briefe I, 520319) bis zum letzten an seinen Bruder Ignaz Bruckner (7.10.1896; Briefe II, 961007) sind rund 700 Briefe von Bruckners Hand in Autograf oder Druck bekannt. Weitere Briefe werden in der Literatur und in Bruckners Taschen-Notizkalendern zumindest mit Datum und/oder Empfänger erwähnt. Er führte einen teils sehr regen Briefwechsel mit seiner Familie – Schwester Rosalie Hueber und Bruder Ignaz –, mit Freunden wie Rudolf Weinwurm, Moritz Edler von Mayfeld, Bernhard Deubler, P. Oddo Loidol, mit Schülern wie August Göllerich, Friedrich Klose, Cyrill Hynais, Max von Oberleithner und v. a., in den 1880er Jahren sehr intensiv mit Franz Schalk und Josef Schalk, mit Kollegen wie Karl Waldeck, Pius Richter, mit Vorgesetzten wie Johann Herbeck und Joseph Hellmesberger, mit Dirigenten wie Hermann Levi, Arthur Nikisch, Felix Mottl, Siegfried Ochs, Hans Richter, Josef Sittard und Felix Weingartner, mit Kritikern wie Theodor Helm, Wilhelm Tappert, Wilhelm Zinne, mit Verlegern wie Albert J. Gutmann, mit Geistlichen, wie Bischof Franz Joseph Rudigier, dem Steyrer Stadtpfarrer Johann Evangelist Aichinger sowie anderen Persönlichkeiten seiner Zeit, wie Hans Paul Freiherr von Wolzogen, aber auch mit Kaiser Franz Joseph I., Erzherzogin Marie Valerie, König Ludwig II. von Bayern, Herzogin Amalie Maria in Bayern und schließlich mit musikalischen Institutionen, wie der Liedertafel „Frohsinn“, den Wiener Philharmonikern, dem Wiener Männergesang-Verein oder dem Wiener Akademischen Wagner-Verein.

Bei vielen als Brief bezeichneten Schriftstücken handelt es sich um Bewerbungen, Gesuche usw. an Behörden in Linz und Wien, an das Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, an Ministerien, aber auch an einzelne Persönlichkeiten, wie den Obersthofmeister (Konstantin Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst).

Bruckners Briefe enthalten kaum Äußerungen über seine Persönlichkeit. Nur in den aus seiner Linzer Zeit stammenden (an Weinwurm) kommt seine oft melancholische Stimmung zum Ausdruck. Für sein Privatleben von Interesse sind die Briefe an von ihm verehrte Mädchen sowie seine diesbezüglichen Äußerungen in den Briefen an Weinwurm (Frauen). In späteren, d. h. in seinen Wiener Jahren stehen jedoch die Bemühungen um die Aufführung seiner Werke – v. a. in Briefen an Dirigenten und Kritiker in Deutschland –, Berichte über Erfolge und Misserfolge sowie Auseinandersetzungen mit der Presse im Mittelpunkt seiner Korrespondenz. Zu Zeitereignissen äußert er sich ebenso wenig wie zu seinem eigenen Schaffen: Nur selten geht er auf den musikalischen Inhalt seiner Werke ein oder gibt Anweisungen für Dirigenten. Ein regelrechter Briefwechsel mit Komponisten seiner Zeit, wie bei anderen Künstlern durchaus üblich, fand nicht statt. So existieren z. B. nur wenige Briefe von und an Franz Liszt und Richard Wagner, obwohl letzterer in vielen Briefen Bruckners immer wieder erwähnt wird.

Bruckners Briefstil steht in der Tradition seiner Zeit. Zu den Lehrpraktiken der vormärzlichen Elementarschule zählten auch sogenannte Formelbücher, die schriftliche Äußerungen für verschiedene Gelegenheiten festlegten. Auch aus Bruckners Jugendzeit sind solche „Musterbriefe“ erhalten. Im Gegensatz zu dieser Formelhaftigkeit des Inhalts stehen bei Bruckner die vielfältigen Möglichkeiten von Anrede und Beschluss in seinen Briefen – mit mehreren Varianten für Personen geistlichen und weltlichen Standes in den verschiedenen gesellschaftlichen Rangordnungen, z. B. „Euer Hochwürden und Gnaden! Hochgeborner Herr Domdechant!“ (an Johann B. Schiedermayr; Briefe I, 691018), „Liebenswürdigste, Edelste Freundin Fräulein Marie!“ (an Marie Demar; Briefe I, 850511/1), „Herzallerliebster alt junger Freund und Bruder!“ (an Mottl; Briefe I, 811123/2), „Euer Hochgeboren ganz ergebensten Dieners A Bruckner mp.“ (an Wolzogen; Briefe I, 850510/2) oder „Euer Hochwolgeboren Herrn Hofkapellmeister ergebenster ABrucknermp.“ (an Levi; Briefe II, 880227).

Bruckner-Briefe befinden sich heute v. a. in der Musiksammlung und der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) in Wien, in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek, im Stift St. Florian, im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, im Archiv der Linzer Singakademie usw. Weitere Briefe finden sich in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Belgien und Tschechien, einige gelangten durch Schüler, Freunde usw. oder deren Erben bis in die USA (Nordamerika), zahlreiche befinden sich noch in (teils unbekanntem) Privatbesitz (lt. oft unvollständigen Angaben in Auktionskatalogen).

Schon zu seinen Lebzeiten erschienen Briefe Bruckners gedruckt in Tages- und Musikzeitungen – erstmals 1885 Briefe an Herbeck. Die ersten Briefsammlungen mit zusammengenommen 479 Schriftstücken veröffentlichten (fast zeitgleich) 1924 Franz Gräflinger (nach Empfängern geordnet, mit Erläuterungen versehen) und Max Auer (chronologisch geordnet, mit einem Anhang von Briefen an Bruckner). Beide Editionen enthalten jedoch viele Fehler, v. a. Lesefehler, Kürzungen und andere Eingriffe in die Texte. Weiteres Material veröffentlichten Göllerich und Auer in ihrer neunbändigen Bruckner-Biografie sowie Gräflinger in seiner 1927 erschienenen Bruckner-Biografie. Viele Briefe wurden aber erstmals in Einzelpublikationen in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht.

An einer Briefedition im Rahmen der Neuen Gesamtausgabe (NGA) wurde lange gearbeitet. Leopold Nowak, der Komponist und Musikforscher Otto Schneider (1912–1991), der auch zum Bruckner-Handbuch (1996) wesentliche Vorarbeit leistete, und Walburga Litschauer (* 1954) dokumentierten und werteten Quellen aus. Das im Laufe der Jahrzehnte zusammengetragene Material stammt vielfach aus Eintragungen in Auktionskatalogen, über die mit Hilfe der Autografenhändler oftmals Kontakte zu neuen Besitzern bzw. Vorbesitzern geknüpft werden konnten. Viele Briefe sind aber nur mehr in den beiden Briefeditionen von 1924 erhalten. Die neue Briefausgabe, erschienen 1998 (Briefe I, 2. Aufl. 2009) und 2003 (Briefe II), erhält chronologisch geordnet Briefe von wie an und – wenn für den Zusammenhang wichtig – auch über Bruckner.

Literatur

ANDREA HARRANDT

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 1.9.2017

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