Bollé(-Hellmund), Gertrud (Elisabeth)

* ?, † ca. 1910 Berlin/D. Schriftstellerin.

Hinter dem Namen Gertrud Bollé-Hellmund verbirgt sich eine Schriftstellerin, die unter mehreren Pseudonymen tätig war. Eine Mehrzahl der aufgefundenen Dokumente weist sie als Fräulein Gertrud Bollé aus. Bollé stammte aus dem Rheinland, war protestantisch getauft, lebte ab ca. 1878 bis 1888 in Konstantinopel und kehrte 1888 nach Berlin zurück (Göll.-A. 4/3, S. 346ff.). Die Lebensstationen Bollés lassen sich lediglich durch nachgelassene Briefe (mitunter an Franz Liszt oder Gustav Freytag (1816–1895)) und für die Berliner Zeit von 1898 bis 1910 durch Einträge im Berliner Adressbuch nachvollziehen.

Bereits 1883 veröffentlichte Bollé die 365 Seiten umfassende freie Dichtung Der Schleier der Maja im Verlag Lorentz & Keil ( Konstantinopel und Leipzig). Ob das Schauspiel Lassalline (2. Aufl., Fontane & Co., Berlin 1894) ihr oder dem ebenfalls in Berlin ansässigen Gustav Bollé (11.3.1842–18.6.1902) zuzuordnen ist, bleibt bisher ungeklärt. Die Unterscheidung der beiden Autoren wird durch die Autorenangabe „G. Bolle“ und die verwendeten Pseudonyme weiterhin erschwert. Auch könnte die 1889 in Leipzig erschienene Authari-Sage mit der Autorenangabe „G. Hellmund“ von Bollé stammen.

Rudolf Buck (1866–1952) vertonte in den Sechs Lieder[n] op. 12 sowie den Drei Stimmungsbilder[n] op. 14 die Bollé zugeschriebenen Gedichte Schneeglöckchen läuten im Thal, Sturm und Abendfrieden (Baselt, S. 1772). Im Fall Bucks führen möglicherweise weitere Vertonungen auf Textvorlagen von Bollé zurück.

Die erste Erwähnung im Zusammenhang mit Bruckner findet sich bei Wilhelm Altmann, der 1901/02 vermerkt, dass sich hinter dem Namen Bollé-Hellmund Elisabet[h] Bolle, „eine durch größere Dichtungen (z. B. Schleier der Maja) in literarischen Kreisen wohlbekannte und geschätzte Persönlichkeit“ verborgen habe, die „mit Bruckner schon in Linz befreundet gewesen und dann mit ihm vielfach in Wien zusammen gekommen“ sei (Altmann, S. 1977).

Während Altmann die Bekanntschaft zwischen Bollé und Bruckner bereits in die Linzer Zeit verlegt, überliefern August Göllerich und Max Auer das Zusammentreffen beider in Wien im Jahr 1887 [recte: 1878] (Göll.-A. 4/3, S. 345). Dieses Treffen soll über die junge (deutschsprachige) Russin Klotilde Welker, eine Schülerin des Petersburger Konservatoriums und 1871–1877 Mitglied des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, zustande gekommen sein. Bei diesem ersten und bei weiteren Begegnungen wurden Gespräche über Richard Wagners Tristan und Isolde, Charles Gounods (1818–1893) Oper Faust und über Bruckners eigene Opernpläne geführt. Das Angebot Bollés, ein passendes Libretto zu schreiben, nahm Bruckner nicht ernst, da es seiner Meinung nach eine Frau nicht vermag, einen Operntext „wie der herrliche Wagner“ (Göll.-A. 4/3, S. 349) zu verfassen (Göll.-A. 4/3, S. 345–350).

Göll.-A. berichten weiter, dass Bollé „um die Zeit des russisch türkischen Krieges“ (Göll.-A. 4/3, S. 350) ca. 1878 Wien mit dem Ziel Konstantinopel verließ und erst „im Jahre 1888 über Wien in [ihre] Heimat zurückkehrte“ (Göll.-A. 4/3, S. 351). Ein weiteres persönliches Treffen zwischen Bollé und Bruckner im September 1888 fand jedoch nicht statt, da Bruckner sich im fraglichen Zeitraum in Steyr aufhielt (Neue Freie Presse 5.9.1888, S. 12).

Erst 1893 trat Bollé – unter dem männlichen Pseudonym „G. Bollé-Hellmund“ – mit Bruckner wegen eines gemeinsamen Opernprojektes in Briefkontakt, denn sie wollte ihm „eine der Musik würdige Dichtung“ schicken (Briefe II, 930900). Tatsächlich verwendete der Absender des Briefes vom September 1893 nur Maskulina seine Person betreffend und verfällt von der Ich-Perspektive in den Illeismus, als er versicherte, dass „der Dichter zu Abänderungen, die vom musikalischen Standpunkte aus, erforderlich wären, gerne bereit“ sei (Briefe II, 930900). Auch die Grußformel des Briefes an Franz Xaver Bayer vom Jänner 1894 „Mit herzlichem Gruß Ihr ergebener H. Bollé-Hellmund.“ (Briefe II, 940115), mit dem sie einige Rezensionen über die Berliner Aufführungen des Te Deum und der Siebenten Symphonie übermittelte und ihre deutschnationale und antisemitische Geisteshaltung deutlich machte, lässt weiterhin einen Mann als Absender vermuten. Schließlich summieren Göll.-A. in ihrer Biografie: „Bruckner hatte keine Ahnung, dass das Anerbieten von einer Dame ausging, die er bereits kennen gelernt hatte. Da diese Dame aber Bruckners Wesen genau kannte, zog sie es vor, sich hinter ihrem Schriftstellernamen […] zu verbergen.“ (Göll.-A. 4/3, S. 342)

Bei Bruckners Aufenthalt in Berlin im Jänner 1894 trafen sie zwar nicht zusammen, jedoch entschied sich die Librettistin, „ihr männliches Pseudonym aufzugeben“ (Göll.-A. 4/3, S. 381), um mit Bruckner ein persönliches Treffen zu vereinbaren. Sie bat in einem Brief um Verzeihung, dass sie „bis jetzt als Schriftsteller, männlichen Geschlechts“ auftrat und zeichnete mit „Ihre Sie begeistert verehrende Gertrud Bollé-Hellmund“ (Briefe II, 940116/1).

Vermutlich von Frühjahr 1894 bis Sommer 1895 verfasste Bollé ein Libretto mit dem Titel Astra und übersandte es an Bruckner (Altmann, S. 1978ff.). Grundlage und Handlungsrahmen bildete die von Richard Voß (1851–1918) veröffentlichte Novelle Die Todteninsel (Die Gartenlaube Jg. 1888, H. 1–4). Äußerungen Bruckners zum Libretto sind nicht überliefert, jedoch übermittelt Anton Meißner an Bollé, dass „ein ausgesprochen katholisches Libretto, z. B. eine dramatisierte Legende, die keineswegs gegen das Dogma verstösst, besser zusagen würde“ (Altmann, S. 1979). Krankheitsbedingt (Krankheiten und Tod Bruckners) und bis zuletzt an der Neunten Symphonie arbeitend konnte sich Bruckner einem Opernprojekt jedoch nicht mehr widmen.

Bollé machte zudem in Berlin Propaganda für Bruckner und gewann den Gymnasiallehrer Paul Müller, Freund Hugo Wolfs und 1895 Begründer des Berliner Hugo-Wolf-Vereines, für die Sache. In der Folgezeit wurden Klavieraufführungen einiger Symphonien veranstaltet (Göll.-A. 4/3, S. 351f.).

Werke
  • Der Schleier der Maja. Freie Dichtung. Leipzig 1883
  • Astra (Libretto nach der Novelle Die Todteninsel, ca. 1893–1895, verschollen)
Literatur

CLEMENS GUBSCH, ANDREA HARRANDT

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 13.2.2020

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