Berlin

Ab 1871 Hauptstadt des Deutschen Kaiserreichs und seitdem rasche Entwicklung zum industriellen und kulturellen Zentrum Deutschlands. 1871 (Reichsgründung): 878.000 EW; gegen Mitte der 1890er Jahre (zum Zeitpunkt von Bruckners Berlin-Reisen): ca. 1,5 Mio. EW; 1920 (Schaffung der Gemeinde Groß-Berlin): ca. 3,8 Mio. EW; 2019: ca. 3,6 Mio. EW.

Wichtigste Orchester: die Königliche Kapelle und das Orchester Benjamin Bilses, aus dem 1882 das Philharmonische Orchester hervorging; wichtigste Chorvereinigungen: die Singakademie und der Sternsche Gesangverein, neben denen sich der 1882 durch Siegfried Ochs gegründete Philharmonische Chor (unter diesem Namen seit 1888) sehr schnell einen guten Ruf erarbeitete.

Auf das spätestens seit der Reichsgründung weithin ausstrahlende Berliner Musikleben setzte Bruckner, in Wien sich ständig zurückgesetzt fühlend, große Hoffnungen. 1876 bemühte er sich mit der Hilfe des Berliner Musikkritikers Wilhelm Tappert, den er während der Bayreuther Festspiele kennengelernt hatte, um eine Aufführung der Vierten Symphonie in Berlin, allerdings vergeblich. Wohl eher aus Verbitterung über Wien als aus genuin deutsch-nationaler Überzeugung, nicht zuletzt aber auch in strategischer Berechnung einer Aufführungsmöglichkeit rühmte er die neue Reichshauptstadt als die „Residenz unseres großen Vaterlandes“ (Briefe I, 760919). Die erste Berliner Aufführung einer Bruckner-Symphonie war diejenige der Siebenten Symphonie durch das Philharmonische Orchester unter Karl Klindworth (31.1.1887), dem sein Freund Hans Guido von Bülow vorher dringend von Bruckner abgeraten hatte.

Bruckner besuchte Berlin zweimal (wobei er jedes Mal im Hotel „Kaiserhof“ abstieg): zum ersten Mal 1891, als im Rahmen der 28. Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins sein Te Deum unter der Leitung von Ochs durch den Philharmonischen Chor zur Berliner Erstaufführung kam (31.5.1891), und zum zweiten Mal 1894 zur Aufführung mehrerer seiner Werke. Es handelte sich um die zweite Berliner Aufführung der Siebenten Symphonie (durch die Königliche Kapelle unter Karl Muck am 6.1.1894 in der Oper) und die ebenfalls zweite Berliner Aufführung des Te Deum (durch den Philharmonischen Chor unter Ochs am 8.1.1894 in der Philharmonie; eine weitere Aufführung des Te Deum durch den Philharmonischen Chor fand am 11.1.1894 im Rahmen eines Wohltätigkeitskonzerts in der Singakademie statt, allerdings nicht unter der Leitung des plötzlich erkrankten Ochs und in Abwesenheit des bereits wieder abgereisten Bruckner). In Anwesenheit Bruckners wurde ferner, wenn auch von der Öffentlichkeit weniger beachtet, im Richard Wagner-Verein Berlin-Potsdam das Streichquintett in F-Dur durch das Waldemar Meyer-Quartett gespielt. Bruckners größte Genugtuung bildete die überaus positive Besprechung der Symphonie und des Te Deum durch den einflussreichen Kritiker Otto Lessmann, einen Schüler und Freund Bülows und seit 1881 Chefredakteur der Allgemeinen Musikzeitung. Schon 1891 hatte Lessmann das Te Deum sehr günstig besprochen, sodass Bruckner nun das Resultat seiner beiden Berliner Reisen mit Recht als seinen endgültigen Durchbruch in Deutschland betrachten durfte.

Wichtig für die weitere Bruckner-Pflege in Berlin wurden nach Bruckners Tod die Dirigenten Felix Weingartner (Königliche Kapelle), Arthur Nikisch (Philharmonisches Orchester) und – vorübergehend – Richard Strauss (mit dem von ihm gegründeten Tonkünstler-Orchester). Bis 1903 waren alle Symphonien Bruckners mindestens einmal in Berlin aufgeführt worden (als letzte die Neunte Symphonie in der Fassung Ferdinand Löwes am 26.10.1903 unter Nikisch). Mit Nikisch als Ehrenvorsitzenden und Felix Maria Gatz als künstlerischen Leiter wurde 1919/20 die Berliner Bruckner-Vereinigung (Bruckner-Gesellschaften) als Konzertgesellschaft gegründet, die 1931 der Internationalen Bruckner-Gesellschaft beitrat; 1923 war ihr Bruckner-Chor gegründet worden. Auch die Schriftstellerin Gertrud Bollé-Hellmund, die Bruckner ein Opernlibretto zur Vertonung vorlegte (Kompositionsprojekte), warb in Berlin für Aufführungen seiner Werke.

Von biografischem Interesse im Zusammenhang mit Bruckners beiden Berlin-Reisen ist die 1891 angeknüpfte Bekanntschaft mit dem Stubenmädchen des Hotels „Kaiserhof“, Ida Buhz, die 1894 zu einer (niemals formell) gelösten Verlobung führte (Frauen).

Literatur

HANS-JOACHIM HINRICHSEN

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 13.7.2020

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