Trio
Das Trio als überkommener Einschub in einem Tanzsatz gehört zum Standard des Sonatenzyklus, wie ihn Joseph Haydn und sodann – traditionsbildend – Ludwig van Beethoven in der Symphonie etablierten. Bruckner hielt sich in seinen mit „Scherzo“ überschriebenen Sätzen durchweg an diese Tradition, ebenso in seinem Verständnis vom Trio als einem in verschiedenen Teilmomenten reduzierten Einschub. Hiervon zeugt die Reduktion von Tempo, Satzdichte, Lautstärke und nicht zuletzt Umfang. Beim gelegentlichen Wechsel zur geraden Taktart (Fünfte, Sechste, Achte Symphonie) schreibt Bruckner den „kleinen“, in symphonischem Zusammenhang sonst nicht von ihm verwendeten 2/4‑Takt vor.
Einige Trios sind indessen ausdrücklich im gleichen Tempo zu spielen, wodurch (wie bei der Zweiten und Dritten Symphonie) strenggenommen auch das Tempo des Scherzos näher bestimmt wird. Im Fall der Vierten (1. Fassung) und Fünften komponierte Bruckner die Bewegungsrücknahme jedoch aus (in der Fünften Symphonie ist hierzu die Gleichsetzung von Ganztakten anzunehmen). Raschere Begleitstimmen legen auch bei fehlender Tempoindikation eine Verlangsamung nahe (Streichquartett in c‑Moll, Symphonie in f‑Moll); in der Regel ist das Trio mit „Langsamer“ oder gar „Langsam“ (wie in der Sechsten Symphonie und im Trio der 2. Fassung der Achten Symphonie) überschrieben. Die Anmutung eines langsamen Satzes erzielt Bruckner vor allem durch ein ausgreifend-schwärmerisches Melos und dessen harmonisch bedingte Abschattierungen; er führte diesen Typus bereits im Trio der Symphonie in d‑Moll(„Annullierte“) ein und griff mehrfach auf ihn zurück (Vierte Symphonie, 1. Fassung, Siebente und Achte Symphonie, beide Fassungen). Auch die Trio-Entwürfe zum Scherzo der Neunten Symphonie gehören hierher; Bruckner übernahm einen Abschnitt des verworfenen Fis‑Dur-Entwurfs in das endgültige Trio der Neunten, das zwar als einziges aus seinem Œuvre geschwinder (3/8‑Takt) als das dazugehörige Scherzo beginnt, doch im weiteren Verlauf immer wieder zu eben diesem zweiten, „lyrischen“ Gedanken zurückkehrt.
Das Trio der Symphonie in f‑Moll, noch im eigentlichen Triosatz mit bläserbesetzten Oberstimmen (Bläser in der Orchestermusik Bruckners) gehalten, folgt ganz der Schulbuchvorschrift, doch beziehen die in der Folgezeit komponierten Trios zunehmend den gesamten Orchesterapparat (Orchester und Instrumente zur Zeit Bruckners) mit ein, ohne dass es zu einem realen Tutti (also unter Einbeziehung der gesamten Besetzung) kommt. Bereits das Trio der Zweiten Symphonie enthält einen dynamischen Höhepunkt, der vom Thema im Bass getragen wird. Ähnlich modelliert sind die Höhepunkte in den Trios der Dritten und Fünften Symphonie, während das Trio der Achten in einen motivisch eigenständigen kurzen Tutti-Abschnitt führt (in der Reprise der 2. Fassung noch um einen weiteren vermehrt). In der Achten und Fünften sind auch die Trompeten mit einbezogen; deren sonstige Verwendung (Vierte, Siebente, Neunte Symphonie) gestaltet sich freilich überwiegend marginal. Noch seltener kommt die Pauke zu Wort (Siebente, Neunte Symphonie); immerhin dient sie im Trio der Siebenten dem Gesamtzusammenhang, indem sie einen der charakteristischen Rhythmen des Scherzo präsent hält.
Bruckners Trios eröffnen gleichsam eine Gegenwelt zu den Scherzi, heben sie doch nach den stets mit voller Vehemenz gestalteten Satzschlüssen an. Nur zweimal integriert Bruckner einen Übergang zum Trio (Fünfte und Siebente Symphonie, Horn beziehungsweise Pauke), und bei der Siebenten und Neunten Symphonie notierte er die Distanz zwischen Scherzo und Trio (und umgekehrt) genau mit Pausentakten aus. Meist ist der thematische Gang der Trios kleingliedrig (in Zwei- oder Viertaktgruppen voranschreitend) und kammermusikalisch filigran. In der Regel verläuft die dynamische „Hüllkurve“ derjenigen des Scherzo entgegengesetzt; die Teilschlüsse laufen hierbei als bewegt stillstehende Felder aus. Die in den Scherzi nach der Zweiten aufgegebenen formalen Schlusskadenzen erscheinen in den Trios zuweilen als Bestandteile der Ausdrucksstruktur (Fünfte bis Siebente Symphonie). Entgegen der landläufigen Meinung schuff Bruckner nur gelegentlich, nämlich mit den Trios der Zweiten bis Vierten Symphonie (Vierte erst in der 2. Fassung), einen nostalgischen Raum folkloristischer Gestalten. Die Ländlermelodik dieser Trios gerät jedoch stets in den Bann Bruckner‘scher Harmonik, und es mag zur Eigenart des Bruckner‘schen Trios im Allgemeinen gehören, dass gerade hier, in einem Bereich mehrfacher Entspannung, das Ingenium des Komponisten wahrhaft am „Spielen“ ist.
Literatur
- August Halm, Die Symphonie Anton Bruckners. 2. Aufl. München 1923, S. 110–113
- Ernst Kurth, Bruckner. 2 Bde. Berlin 1925, Bd. 1, S. 500–511
- Walter Wiora, Über den religiösen Gehalt in Bruckners Symphonien, in: Religiöse Musik in nicht-liturgischen Werken von Beethoven bis Reger (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 51). Regensburg 1978, S. 157–184
- Winfried Kirsch, Das Scherzo bei Brahms und Bruckner, in: Bruckner‑Symposion 1983Othmar Wessely (Hg.), Bruckner-Symposion. Johannes Brahms und Anton Bruckner. Im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes Linz 1983. 8.–11. September 1983. Bericht. Linz 1985, S. 155–172, bes. . 163ff.
- Wolfgang Steinbeck, Anton Bruckner. Neunte Symphonie d-Moll (Meisterwerke der Musik 60). München 1993, S. 44–49
- Peter Benary, Zu Anton Bruckners Personalstil, in: Musiktheorie 8 (1993) H. 2, S. 119–130, bes. S. 125ff.
- Wolfgang Grandjean, Anton Bruckners frühe Scherzi, in: Bruckner-JahrbuchBruckner-Jahrbuch. (Wechselnde Herausgeber). Linz 1980ff. 1994/95/96, S. 47–66
- Thomas Röder, Zu Bruckners Scherzo: der „responsoriale“ Thementyp, die Kadenz, die Coda und der Zyklus, in: Bruckner-JahrbuchBruckner-Jahrbuch. (Wechselnde Herausgeber). Linz 1980ff. 1994/95/96, S. 67–77