Bläser in der Orchestermusik Bruckners

Bruckners symphonisches Schaffen ist geprägt von der Emanzipation der Blechblasinstrumente, deren weitgehende Annäherung an die seit dem Hochbarock dominant werdende „temperierte“ Stimmung mit der Erfindung der Ventile im 2. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts begann und die mit der Vollendung der Basstuba um 1845 zum erfolgreichen Abschluss kam. Begleitet haben die etwa 30-jährige Experimentierphase der Musikinstrumenten-Industrie in Paris (Adolphe [1814–1894] und Alphonse Sax [1822–1874]) und im böhmischen Königgrätz (Václav František Červený [1819–1896]) einerseits Komponistenpersönlichen, wie Hector Berlioz, Franz Liszt und Richard Wagner, andererseits preußische und österreichische Militärkapellmeister (vgl. Militärmusik, die einschlägigen Musikinstrumentenartikel in MGG² und NGroveD² sowie Maierhofer).

Als Bruckner sich in den 1860er Jahren dem Orchesterklang zuwandte, standen ihm demnach die voll entwickelten Register der Holz‑ und Blechblasinstrumente zur Verfügung. Anders als Johannes Brahms, der den romantischen Klarinetten-Waldhorn-Klang weiterführte, nutzte Bruckner in den seit 1866 entstehenden Symphonien mehr und mehr die harmonischen und melodischen Möglichkeiten der Blechblasinstrumente, sodass der kompakte, festlich-feierliche Klang des Trompeten-Waldhorn-Posaunen-Tuben-Registers vielfach als Nukleus des Gesamtwerkes und der kontrapunktischen Entwicklung der Komposition gestaltbildend wirkt. „Für sein [Bruckners] Orchester ist im weiten Umfange das Ensemble der Blechbläser kennzeichnend. Sowohl als akkordliche Grundlage des Klanggebäudes wie als führender Komplex tritt es stark in den Vordergrund.“, meinte Alfred Orel (Orel, S. 68). Eine solche Einschätzung beschränkt sich jedoch nicht auf Formalismen des musikalischen Satzes und der Orchestration. Es sind darüber hinaus jene außermusikalischen Visionen und programmatischen Intentionen, die mit Hilfe der Bläser, vor allem der Blechbläser einschließlich der Wagner-Tuben, realisiert werden. Bruckner selbst wies auf solche hermeneutischen Erläuterungen hin, die sich auf konkrete Passagen seiner Werke beziehen. So lesen wir in seinem Brief an Felix Weingartner vom 27.1.1891 über den Beginn und über den Schluss des Finales der Achten Symphonie: „Unser Kaiser bekam damals den Besuch des Czaren in Olmütz; daher Streicher: Ritt der Kosaken; Blech: Militärmusik; Trompeten: Fanfaren, wie sich die Majestäten begegnen. [...] Im Finale ist auch der Todtenmarsch und dann (Blech) Verklärung.“ (Briefe II, 910127/2). Constantin Floros weist darauf hin, dass Bruckner „bezeichnender Weise die Programmusik höher als die ‚absolute Musik‘ ein[schätzte. Er] konnte sich freilich nicht dazu entschließen, diese Programme der Öffentlichkeit mitzuteilen“ (Floros 1982, S. 211, 218). Blechbläserklänge tragen nicht unwesentlich dazu bei, dass dem Hörer solche Bilder(folgen) bewusst werden. Der starke Einsatz des Blechbläser-Registers entsprach aber auch Bruckners Bemühen, seiner Musik ein erhabenes, gleichsam sakrales Element zu verleihen.

Werke für Bläser

Das Posaunen-Trio faszinierte Bruckner aufgrund seiner sakralen Würde lebenslang, sowohl als eigenes Ensemble (Aequale [WAB 114 und 149) wie im Verbund mit dem Chorklang (z. B. Christus factus est [WAB 10], Libera [WAB 22], Messe in d‑Moll, Messe in f‑Moll, Missa solemnis, Psalm 112, Requiem in d‑Moll [WAB 39]). Schon im 1863/64 komponierten Germanenzug, v. a. aber seit den 1870er Jahren (in Psalm 150, Te Deum, Das deutsche Lied (Der deutsche Gesang), Helgoland, Das hohe Lied) erweiterte Bruckner das Posaunen-Trio durch die Hinzufügung der Basstuba zum Quartett und in der Vierten Symphonie (2. Fassung) und der Fünften bis Neunten Symphonie zum eigengeprägten Register im großen Orchester (Fuchs, S. 114). Bereits 1865 entstand der Marsch für Militärmusik in Es‑Dur.

Notenbeispiel 1: Marsch für Militärmusik in Es‑Dur, T. 1–6

Werke für Chor und Bläser

Die Verknüpfung des Chorklanges mit Bläserstimmen oder Blasorchester kam mit dem Aufkommen der deutschen Sängerbünde und der Veranstaltung großer Sängerfeste im 2. Drittel des 19. Jahrhunderts in Mode. „Gesamtchöre“ (d. h. die Zusammenfassung vieler Chorvereinigungen) mit bis zu 1.000 und mehr Sängern konnten im Freien nur von Bläserchören entsprechend lautstark begleitet und bei Intonationsschwankungen gestützt werden. Neben vielen Kleinmeistern haben v. a. Felix Mendelssohn Bartholdy und Liszt entsprechende Aufträge gern angenommen und ausgeführt.

Bruckner bereicherte sowohl den weltlichen wie – als einer der wenigen katholischen Meister (zum Umfeld vgl. Brixel) – auch den geistlichen Bereich mit Kompositionen dieser Gattung (Chormusik). Die Behandlung der Bläser zeigt, dass Bruckner deren Begleit‑ und Stützfunktion dazu nutzte, um mit Hilfe musikalisch-rhetorischer Figuren und Tonsymbole „die Semantik musikalischer Erscheinungen zu konkretisieren“ (Floros 1980, S. 167). Deutlicher als in den Symphonien zeigen sich in den Chor-Bläserwerken Bruckners jene außermusikalischen Visionen, die Form und motivische Verklammerungen, v. a. aber die Orchestration des innermusikalischen Gewebes bestimmen. Hier bestätigt sich die Korrektur des Bruckner-Bildes durch Floros (Floros 1980, S. 156f.), was die Nähe zu Berlioz und Liszt betrifft, aber auch zu den kunsttheoretischen Maximen R. Wagners. Es sind bei Bruckner primär die Blechbläser, die Dramatik in das Geschehen einbringen und die über den gesungenen Text hinaus die Musik in den Dienst des (emotionalen) Mitteilens stellen. Ein frühes Beispiel dafür ist der Psalm 114, wo in T. 40–49 die drei Posaunen anfangs zu den Worten „Es umgaben mich die Schmerzen des Todes, es trafen mich die Gefahren der Hölle“ im feierlich-strahlenden ff den Chor stützen, ab den „Gefahren der Hölle“ aber mit aufgeregten Achtelbewegungen begleiten. Von besonderer Aussagekraft erscheint das von Liszt so genannte und vielfach zitierte „tonische Symbol des Kreuzes“, das Initium des 3./8. Psalmtones (g‑a‑c bzw. entsprechende Transpositionen), das Bruckner mehrfach an exponierten Stellen einsetzte, so u. a. in der Messe in e‑Moll und der Messe in f‑Moll, in der Antiphon „Tota pulchra es, Maria“, in der Dritten und Neunten Symphonie und in dem weltlichen Chor-Bläserwerk Helgoland; in der letztgenannten Komposition im Tenor-Solo zu den Worten „Der du in den Wolken thronest“ (Floros 1980, S. 167f.).

um 1842 Messe in C‑Dur
1852 Psalm 114
1852 „Heil, Vater! Dir zum hohen Feste“ (WAB 61); Umarbeitung und Neutextierung: „Auf, Brüder, auf zur frohen Feier“ (1857), „Heil Dir zum schönen Erstlingsfeste“ (1870)
1854 Vor Arneths Grab
1854 „Laßt Jubeltöne laut erklingen“
1855 „Auf, Brüder! auf, und die Saiten zur Hand“
1861 Afferentur
1862 Festkantate
1863 Germanenzug
1866 Messe in e‑Moll
1868 Inveni David (WAB 19)
1878 Abendzauber
1885 Ecce sacerdos
1892 Das deutsche Lied (Der deutsche Gesang)
Literatur

WOLFGANG SUPPAN

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 4.2.2020

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