Orchester und Instrumente zur Zeit Bruckners

Die drei großen Messen (Messe in d‑Moll, Messe in e‑Moll, Messe in f‑Moll), die annullierte Symphonie in f‑Moll und die Erste Symphonie orientierten sich noch an den Kräften, die Bruckner in Linz zur Verfügung standen – das relativ kleine Orchester des Linzer Musikvereins, fallweise verstärkt durch Militärmusiker und Amateure. Doch taten sich ihm in Wien neue Welten auf. Es ist überliefert, dass er wissensdurstig und neugierig alles aufnahm, was ihm als Komponist nutzen konnte: Bis ins hohe Alter hörte Bruckner Opern und Konzerte, wo und wann immer er konnte, hielt sich über Innovationen im Instrumentenbau auf dem Laufenden und studierte Partituren von Werken, die ihn interessierten. Insbesondere die ersten Symphonien der Wiener Zeit dokumentieren daher auch Bruckners Fortschritte in der Instrumentationskunst und seine sich stets erweiternden und verfeinernden Klangvorstellungen, als unmittelbare Reaktion auf das in Wien Erfahrene. Bruckners Werke der Wiener Zeit orientieren sich primär an den Wiener Verhältnissen, auch wenn er natürlich Aufführungen seiner Werke über die Stadtgrenzen hinaus ersehnte und zu initiieren suchte. Dabei ist zu bedenken, dass im 19. Jahrhundert die Orchester, ihre Aufstellung auf dem Podium, die verwendeten Instrumente und Spieltechniken in weitaus größerem Maß als heute lokalen Traditionen unterworfen waren. Noch Gustav Mahler konnte es passieren, dass er bei Dirigaten in London oder New York Instrumente vorfand, die bestimmte Spieltechniken, wie sie Wiener Instrumente ermöglichten, nicht bieten konnten. Die Anpassung von Werken an die lokalen Verhältnisse war daher seinerzeit geboten und gängige Praxis.

Räumlichkeit und Farbigkeit des Streicherklangs wurden Bruckner offenbar ein immer wichtigeres Anliegen. Die beiden wichtigsten Vorbilder waren ihm dabei zweifellos das Bayreuther und die Wiener Orchester. Die Wiener Theater-Orchester spielten zwar im Orchestergraben mit kleinerer Streicherbesetzung (z. B. 9‑9‑4‑5‑5 im Kärntnertor-Theater), auch die Hofmusikkapelle musizierte klein besetzt, doch in Bayreuth hörte Bruckner stets das üppige Wagner-Orchester mit seiner großen Streicher-Besetzung (16‑16‑12‑12‑8), welche auch in Wien zum Klangideal wurde: Die Wiener Philharmoniker spielten zwar in einer festen Besetzung von etwa 14‑12‑10‑8‑6 Mitgliedern, doch ist bezeugt, dass Otto Nicolai (1810–1849), der 1842 die Philharmonischen Konzerte ins Leben rief, schon damals stets Aushilfen zuzog, um auf etwa 16 erste Violinen zu kommen. Alle bedeutenden Konzerte wurden offenbar in dieser großen Besetzung gespielt. Hinzu kommt die einmalige räumliche Situation des bevorzugten Wiener Konzertsaals im Musikverein: Das Podest steigt dort in mehreren Reihen steil an wie in einem Amphitheater. Der abgestrahlte Orchesterklang erinnert in seiner Höhenwirkung an einen Orgelprospekt – das genaue Gegenteil des versenkten Bayreuth-Orchesters also. Die Räumlichkeit des Klangs wurde durch die Aufstellung im Großen Musikvereinssaal noch verstärkt. Die ersten Violinen saßen dort links, die zweiten rechts; die Celli und Bratschen dahinter auf einem schon wesentlich erhöhten Podest, und die Kontrabässe waren in einer Reihe ganz hinten auf der letzten Stufe aufgestellt. Dadurch wurde eine unglaubliche Klangfülle in der Tiefe, größte Farbigkeit der Tenorstimmen und epische Breite des Geigenklangs erzielt. Daniel J. Koury (* 1926) wies in seiner Dissertation nach, dass die antiphonale Aufstellung im gesamten 19. Jahrhundert bei Konzert-Orchestern die Regel war; auch Bruckner rechnete selbstverständlich damit, wie auch die Faktur seines Streichersatzes beweist.

Außerdem darf nie außer Acht gelassen werden, dass die Farbwirkung der Instrumente im Vergleich zu heute viel intensiver war: Bei den damals üblichen Darmsaiten war der Gesamtklang weicher und verschmolz besser; die leichteren Bogen und die besondere Wiener Bogentechnik ließen eine viel stärker differenzierte Spielweise mit Nuancen zu, wie sie heutige Instrumente mit modernen Bogen und Saiten nicht mehr so leicht erzielen können. (Später wurde die höchste Seite, die aufgrund ihrer hohen Spannung besonders leicht riss, durch eine umsponnene Stahlsaite ersetzt, doch diese Neuerung setzte sich nachweislich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts allmählich durch.) Schließlich war das Vibrato natürlich und flexibel und wurde als gezieltes Ausdrucksmittel eingesetzt; das üppige Vibrato unserer Tage, das auf ein dauerhaftes Sostenuto abzielt und die sprechende Phrasierung und Artikulation bedenklich verwischt, gab es damals nicht.

August Göllerich und Max Auer berichten in ihrer Bruckner-Biografie über die Uraufführung der Ersten in Linz (1868): „Die Besetzung des Orchesters, je 6 Prim-Geigen, 3 Bratschen, 3 Celli und 3 Bässe, war trotz der nur einfach besetzten Bläserstimmen eine für das Werk gänzlich unzulängliche, wie auch der Saal für die mächtigen Tonwogen sich als viel zu klein erwies.“ (Göll.-A. 3/1, S. 434) Bruckner hatte auch in seinen früheren Symphonien schon mit einem größeren Orchester gerechnet, wie er es wohl von Felix Mendelssohn Bartholdy und Ludwig van Beethoven her kannte (also mit der verbreiteten Streicherbesetzung von mindestens 8‑8‑6‑6‑4, besser 10‑10‑8‑8‑6). Ebenso war die Praxis, die Holzbläser entsprechend der Größe des Streichorchesters zu verdoppeln, weiter verbreitet, als oft angenommen: Dokumente im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien bezeugen, dass die Wiener Philharmoniker schon bei einer Spielstärke von mehr als 14‑12‑10‑8‑6 in der Regel mit verdoppelten Holzbläsern spielten. Man darf freilich dabei nicht vergessen, dass diese Praxis keine Frage von Dogmen ist, sondern aus einer Verbundenheit der Ausführenden mit ihren Instrumenten und dem Konzertsaal stammt, die heute weitgehend verloren gegangen ist.

Im Übrigen war das, was heute als „Wiener Orchestertradition“ geschätzt wird, nicht zuletzt in Wahrheit ein permanenter Erneuerungsprozess. Wichtige Innovationsschübe vollzogen sich dabei erst zwischen etwa 1885 und 1930. 1868 fand Bruckner jedoch noch ganz andere Blasinstrumente vor, deren Verwendung bis wenigstens etwa 1885 weitgehend konsistent blieb. Erst die Achte sollte unmittelbare Reaktion auf die Umwälzungen im Instrumentenbau dieser Zeit werden. Bis dahin blieb Bruckner in seiner Bläserverwendung konservativ und gestattete sich nicht einmal die Verwendung von extremen Farben wie Piccolo, Altquerflöte, Englischhorn, Altoboe, Heckelphon, Bassklarinette oder Kontrafagott, wie sie bei anderen Komponisten durchaus üblich waren. Man darf daraus jedoch nicht schließen, dass ihn diese anderen Instrumente gar nicht interessiert hätten: So ist bezeugt, dass Wilhelm Floderer, Kapellmeister in Wien und Linz, im Jahr 1872 „Bruckner über den Umfang und die Anwendung des engl. Horn auf Befragen hat Aufklärung geben müssen“ (Gräflinger, S. 113). Andererseits schöpfte er die klanglichen Möglichkeiten des klassischen Holzbläser-Instrumentariums voll aus und nahm zugleich Rücksicht auf deren Beschränkungen: Dieter Michael Backes zeigte 1993, dass Bruckner die klanglichen Möglichkeiten, Stärken und Schwächen seiner Instrumente akribisch genau kannte und höchst professionell damit umging, beispielsweise, indem er extreme Lagen vermied (z. B. keine exponierten Spitzentöne für die Trompete) oder gut klingende Lagen farblich besonders zu nutzen wusste (mittlere Register des Horns, Chalumeaux-Register der Klarinette).

Die Böhm-Querflöte wurde erst um 1903 auf Wunsch von Mahler bei den Wiener Philharmonikern eingeführt. Im 19. Jahrhundert wurde jedoch nur auf der sogenannten „Wiener Flöte“ gespielt. Herta Blaukopf (1924–2005) und Kurt Blaukopf (1914–1999) berichteten dazu in ihrem grundlegenden Buch über die Geschichte der Wiener Philharmoniker: „Noch zu Beginn unseres Jahrhunderts wurde in Oper und Konzert ausschließlich die Wiener Flöte geblasen. Diese entstammte der barocken Flötenbauweise, war zumeist aus Ebenholz, hatte nur wenige Klappen und vorwiegend Grifflöcher. Sie war nicht leicht zu spielen, und ihr Klang soll sehr charakteristisch gewesen sein, flötenhafter als der einer modernen Flöte, jedoch, bedingt durch den konischen Bau, ziemlich tonschwach. Man spielte sie ohne Vibrato.“ (Blaukopf, S. 144f.) Alle Quellen berichten im Übrigen übereinstimmend, dass die Holzblasinstrumente in Wien, insbesondere jedoch Flöten und Oboen, generell nahezu ohne Vibrato geblasen wurden.

Die Wiener Oboe mit ihrem so charakteristischen Klang beruht auf einem sprachlichen Missverständnis: Es handelt sich dabei um das schon um 1825 von Joseph Sellner (1787–1843) entwickelte Instrument, allerdings mit einem birnenförmigen Mundstück, welches in Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts außer Gebrauch kam, in Wien hingegen beibehalten wurde. Daher nannte man dieses Instrument schließlich „Wiener Oboe“, die sich auch von der in Frankreich üblichen Oboe weitgehend unterscheidet. Die Wiener Oboen gehen insbesondere auf Instrumente der Dresdner Firma Carl Golde (1803–1873) zurück, also Oboen, wie sie ähnlich bereits Mendelssohn in Leipzig verwendet haben dürfte. Sie zeichnen sich durch eine charakteristische Farbe in allen Lagen aus, einen Ton, der in seiner gedeckten Schärfe an eine Art "Unterwasser-Trompete" erinnert. Vor allem hatten sie auch eine gut ansprechende Tiefe bis hin zum b, das später nicht mehr möglich war, und erlaubten durch ihre Griffloch-Anordnung sogar Glissandi (die Mahler beispielsweise im 4. Satz seiner Dritten fordert, aber auf modernen Oboen wegen der Klappen-Anordnung kaum ausführbar sind).

Bruckner rechnete außerdem stets mit Wiener Klarinetten mit ihrem vollen, tiefen Chalumeaux-Register und der durchdringenden, tragenden Höhe. Er verwendete nur die weiche, volle B‑Klarinette und die etwas dicker klingende A‑Klarinette; die scharfe C‑Klarinette, die in der Feldmusik oft als Ersatz für die Trompeten verwendet wurde, kommt nur noch in der Messe in e‑Moll, in den Symphonien aber gar nicht mehr vor. Schließlich waren zu seiner Zeit noch die Wiener Fagotte üblich, die nicht mit Gummi ausgekleidet waren, mitunter sogar einen metallenen Schallbecher hatten und weitaus schärfer und durchdringender klangen als ihre weich und diffus klingenden Geschwister der Firma Heckel. Die Zungenstimmen waren in Wiener Orchestern also markant und ausgeprägt, ähnlich wie in französischen Orchestern.

Das erste Symposion „Musikinstrumente und Musizierpraxis zur Zeit Gustav Mahlers“ der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft in Wien (2005) brachte übrigens die interessante Erkenntnis, dass viele traditionelle Wiener Instrumente erst auf Veranlassung von Mahler in seiner Amtszeit als Hofoperndirektor durch modernere ausgetauscht wurden (insbes. deutsche Flöten, Klarinetten und Fagotte). Bis zur Achten verwendete Bruckner in der Regel je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagotte; nur in der Ersten kommt im Adagio schon ein dreifacher Flötensatz vor. Freilich wurden die Holzbläser bei größeren Streicherbesetzungen in Tutti-Passagen verdoppelt (also vier Flöten, vier Oboen etc.). Hierin mag vielleicht auch ein Grund dafür liegen, warum Bruckner Bläser-Passagen mitunter ausdrücklich mit dem Zusatz „Solo“ versah – nicht nur, um zu ausdrucksvollerem Spiel zu ermutigen, sondern möglicherweise auch, um sie von „Ripieno-Stellen“ zu unterscheiden. Allerdings ging Bruckner mit dieser Bezeichnung nicht konsequent um.

Die Blechblasinstrumente machten zu Bruckners Lebzeiten insgesamt bedeutende Veränderungen durch. (Hier und im Folgenden zu Wiener Blechblasinstrumenten, insbesondere nach freundlicher Mitteilung von Gerhard Zechmeister, Wien, an den Verfasser.) Dies betrifft besonders die Hörner: In seinen ersten Jahren rechnete Bruckner offenbar sogar noch mit Inventionshörnern (so ist z. B. das Trio der Ersten für Horn in G notiert) neben Ventilhörnern. Dazu gehört sicher auch noch die Verwendung von Stopftönen. In seiner frühen Kirchenmusik rechnete er sogar mit Posaunisten, die auch Horn blasen und in der Aufführung die Instrumente wechseln konnten (Requiem in d‑Moll [WAB 39], Missa solemnis). Erst die Vierte markierte 1874 einen Wendepunkt: Von hier an rechnete Bruckner ganz mit dem neuen, chromatischen Ventilhorn. Dementsprechend notierte Bruckner die Hörner ab 1874 meistens in F, in der Achten und Neuntenauch in B tief. Stopftöne waren mittlerweile klanglich nicht mehr gefragt, es sei denn als Sonder-Effekt, wie Bruckner ihn selbst zum ersten und letzten Mal nur im 1. Satz der Neunten fordern sollte. Im Gegenteil strebten die Hornisten (und Komponisten wie Richard Wagner) einen gut klingenden Hornsatz mit offenen Tönen, weichen Bindungen und schönem, runden Klang an. In Wien wurde das berühmte „Wiener F‑Horn“ geblasen. Es braucht mehr Atemluft, wirkt in schnellen Passagen etwas schwergängig und neigt in höheren Lagen zum Überschlagen (Kicksen) des Tons. Andererseits hat es aufgrund seiner Bauweise und bestimmter akustischer Eigenheiten einen ungemein edlen, charaktervollen Klang, der in den Frequenzanteilen altitalienischen Guarneri-Geigen ähnelt. Die auch in den Trompeten und Posaunen verwendeten Wiener Doppelschubrohr- oder Dreh-Ventile lassen außerdem ein Legato ohne Unterbrechung der Luftsäule zu. Dadurch erklärt sich die Gesanglichkeit des Wiener Horns, der Bruckner nicht zuletzt in ausführlichen Soli Rechnung trug.

Gebräuchlich waren an der Wiener Hofoper nach 1862 Trompeten in C, B und F; die kleineren Trompeten in C/B nannte man aber weiterhin „Piston“, auch nachdem sie die bisher üblichen „Cornets a pistons“ und Flügelhörner abgelöst hatten. Noch 1886 schaffte die Hofoper neue Wiener Trompeten in C (Pistons) an – Bruckner verwendete diese Instrumente in der Achten. Allerdings blieb die auch von Bruckner überwiegend verwendete, alte, große Ventiltrompete in F vorherrschend. Sie hat einen edlen Klang, der fast an eine Posaune erinnert, und besitzt eine „ungeheuere, das ganze Orchester überstrahlende und vor allem substanzreiche Leuchtkraft“ (Kunitz, S. 516). Werden Bruckners Symphonien dagegen wie heute meist üblich mit modernen, kurzen Trompeten aufgeführt, verlieren sie ganz bedeutend an Klangfarbe und Charakter, ein Verlust, den man auch durch Verdoppelung der Trompetenstimmen nicht kompensieren kann. Weiters kommen bei Bruckner Trompeten in C und in D vor; in der Symphonie in f‑Moll stehen außerdem Trompeten in Es, die in Linz bevorzugt wurden. Es handelte sich dabei mitunter um Instrumente aus der Militärmusik.

Auch die damals verwendeten Posaunen unterschieden sich von den heute üblichen. Ken Shifrin argumentierte dahingehend, dass Bruckner nur bis 1868 mit der Altposaune gerechnet hätte. Shifrin hat jedoch nur Posaunenstimmen, den Ambitus der Partien, Schlüssel und Bezeichnungen untersucht. Gerhard Zechmeister (* 1960) hingegen, der in langjähriger Arbeit die Wiener Blechblastradition seit dem 17. Jahrhundert aufgearbeitet hat, hat auch die Inventare und Register der Wiener Orchester untersucht, den eigentlichen Aufschluss über die gespielten Instrumente bekommt man insbesondere durch erhaltene Reparaturzettel und Anschaffungsquittungen neuer Instrumente. Im Jahr 1862 mussten infolge der Einführung der tiefen französischen Normalstimmung (a‘ = 435 Hz) an der Wiener Hofoper sämtliche Blasinstrumente neu angeschafft werden. Dabei wurde es der Verantwortung der Musiker überlassen, selbst die Instrumente auszuwählen, mit denen sie ihre Aufgaben am besten erfüllen konnten. Infolgedessen wurden im Hofopern-Orchester (= Wiener Philharmoniker) u. a. Ventilposaunen angeschafft. Diese Instrumente wurden bis 1883 gespielt und waren offenbar in ganz Wien verbreitet, denn am 1.3.1883 mussten drei Zug-Posaunisten aus Deutschland engagiert werden, da sich in Wien niemand fand, der Zugposaune blasen konnte. Angeschafft wurden dann Zug-Posaunen der Firma Penzel in Leipzig (eine Altposaune in Es, eine Tenorposaune in B, eine Tenor-Bass-Posaune in B mit Quartventil). Die Tenor-Bass-Posaune mit Zug setzte sich erst im 20. Jahrhundert allmählich durch. Bruckner selbst rechnete sicherlich bis wenigstens zur Siebenten mit den älteren Instrumenten – Ventilposaunen von unterschiedlicher Mensur und Klangfarbe, mit Wiener Ventilen wie beim Horn. Bis dahin war Bruckners Posaunen-Satz viel differenzierter; er stammt in seiner Anlage ursprünglich aus der Tradition des Aequale-Blasens (vgl. Aequale [WAB 114 und 149]), einer Praxis von Begräbnis- und Trauermusiken, die erklärt, warum die Farbe der Posaune so oft Tod und Ernst ausdrückt. Etwa in Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni, oft auch bei Johannes Brahms. Und natürlich ist es die Posaune, die in Requiem-Vertonungen (vgl. Requiem in d‑Moll [WAB 39]) in der Regel zum Jüngsten Gericht bläst. In der Achten und Neunten ist der Posaunensatz dagegen plötzlich viel schlichter und weniger selbständig.

Bis 1876 beschränkte sich Bruckner auf kleine Besetzungen – vier Hörner, zwei oder drei Trompeten, Alt-, Tenor- und Bassposaune. Erst dann begann er, das Fundament durch die Basstuba zu verstärken, die dann auch in der 2. Fassung der Vierten (1878) auftaucht, in der ersten jedoch noch nicht. 1862 wurde für die Tuba-Partien bei den Wiener Philharmonikern zunächst ein Helikon (Bombardon) in tief C angeschafft, das als „Contrabass“ bezeichnet wurde. Im Herbst 1875 wurde es durch eine Basstuba in F Wiener Bauweise ersetzt, ein Instrument mit fünf Ventilen, wobei ein Quart-Ventil (wie bei der Posaune) es ermöglicht, den Tonumfang in der Kontra-Oktave bis zum Subkontra‑B auszuweiten. Freilich waren die tiefsten Töne außerordentlich anspruchsvoll und nur von wenigen Spielern erreichbar. (Bruckner verwendete das Instrument nur bis zum Kontra‑F.) Die Kontrabasstuba in tief B wurde erst 1908 erstmalig von der Wiener Hofoper angekauft. Beide Instrumente hatten nur einen Ventilstock. Bei den heutigen Doppel-Tuben in F/C oder F/B gibt es jedoch zwei Ventilstöcke; deshalb wird beim Umschalten in die andere Stimmung der Luftstrom umgeleitet. Dadurch kommt es zu einer Klangfarben-Veränderung, die bei Tuben im späten 19. Jahrhundert noch nicht vorlag. Bruckner rechnete sicher auf die klangliche Verschmelzung der Basstuba mit dem Posaunensatz bzw. den Wagner-Tuben. Schon sein Schüler Friedrich Klose monierte: „Wozu denn solche Riesenschlöte, die schon durch die äußere Erscheinung verraten, daß ihre Stimme in keinem Verhältnis steht zu derjenigen der anderen Instrumente; wozu, – nachdem die Erfahrung lehrt, daß, um den gleichen Umfang nach der Tiefe hin zu erreichen, eine weniger weite Mensur genügt, bei der das ungeschlachte Brüllen nur noch mittelst Forcierens hervorzubringen ist und dadurch für gewisse tonmalerische Effekte aufgespart bleibt, wie solche beispielsweise die ‚Nibelungen‘-Partitur vorsieht.“ (Klose, S. 215).

Ab 1884 erscheint bei Bruckner die Bezeichnung „Kontrabasstuba“, die erstmals im 2. und 4. Satz der Siebenten auftritt. Allerdings ist dies lediglich eine andere Schreibweise, um die Basstuba nicht mit der tiefen Wagner-Tuba zu verwechseln, ebenfalls einer „Bass‑Tuba in F“. Freilich waren die Wagner-Tuben eigentlich keine Erfindung Wagners. Es handelt sich Kurt Janetzky (1906–1994) zufolge (Janetzky 1985, S. 105ff.) vielmehr um Ventilbügelhörner (bzw. Cornons), die schon seit etwa 1844 in österreichischen Militärkapellen verwendet und lediglich nach Wagners Vorstellungen modifiziert wurden. Sie werden meistens von Hornisten mit Horn-Mundstücken geblasen, wurden damals gelegentlich aber auch von Posaunisten mit Posaunen-Mundstücken gespielt. Wagner ließ sich 1869 von dem Berliner Instrumentenbauer Johann Carl Albert Moritz (1839–1897) für den Ring des Nibelungen ein nach eigenen Wünschen modifiziertes Cornon-Quartett bauen, und zwar zwei Tenortuben (notiert in B) und Basstuben (in F). Bruckner verwendete sie in der Siebenten als Extra-Quartett und ließ sie in der Achten und Neunten von vier weiteren Hornisten spielen, die zwischen Hörnern und Tuben wechseln mussten. (Erfahrungen der Orchesterpraxis haben ergeben, dass es aufgrund mancher spieltechnischer Probleme beim Wechseln wie auch aus Gründen der Kondition durchaus sinnvoll sein kann, in der Achten und Neunten die Tubenstimmen nicht vom 5. bis 8. Hornisten, sondern von einem Extra-Quartett ausführen zu lassen.)

Wie schon erwähnt, war Bruckner in den Symphonien mit weiteren Instrumenten extrem vorsichtig: Er beschränkte sich auf das Übliche, und bezog allein in der Achten extravagante Instrumente mit ein: Darin treten Piccolo-Flöte, Kontrafagott, Harfe (womöglich dreifach), unterschiedliche Trompeten sowie Triangel und Becken auf. In den Messen und im Te Deum tritt noch die Orgel zum Orchester. Das Schlagwerk im Adagio der Siebenten kam erst auf Drängen seiner Schüler in die Partitur. Freilich ist die ganze Symphonie weitgehend ohne Schlagwerk konzipiert; selbst die Pauken setzte Bruckner darin ungewöhnlicherweise nur in der Coda der Ecksätze, manchen Stellen im Finale, häufiger im Scherzo, im Adagio aber sonst gar nicht ein. Bis zur Vierten rechnete Bruckner mit den beiden klassischen „Tonika-/Dominante-Pauken“; man findet jedoch in den Partituren bis 1874 schon manche Stelle, der man anmerkt, wie sehr es ihn geärgert haben muss, auf eine 3. Pauke zu verzichten. Ab der Fünften verlangte Bruckner drei Pauken (die Stelle für drei Pauken im Finale der Ersten wurde offenbar erst im Zuge einer Umarbeitung 1877 eingefügt). Die Achte macht im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin dann exzessiv von diversen Pauken und virtuosem Umstimmen Gebrauch: Erst 1872 war die moderne Pedalpauke erfunden worden, die ein schnelles Umstimmen ermöglicht. Dass Bruckner später mit diesem Instrument rechnete, zeigt auch das Adagio der Neunten, wo in T. 21–36 die Tremolo-Töne Fis, F und E unmittelbar aufeinanderfolgen: Dies lässt sich ohne weiteres auf einer einzigen Pedalpauke spielen, die während des Wirbels mit dem Pedal herabgestimmt werden kann, da man durch die schnellen Schläge dieses Stimmen nicht wahrnimmt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Wiener Pauken ebenfalls eine besondere Bauart aufweisen, durch die sich andere Klang-Charakteristika ergeben. Pauken wurden auch im 19. Jahrhundert mit einer breiten Auswahl an Schlägeln gespielt; die entsprechende Wahl wurde durch die Kunstfertigkeit der Spieler bestimmt. Allerdings beklagte auch hier Klose die Unsitte, sich auf nur wenige Schlägel zu begrenzen und den Klang nicht weiter zu differenzieren: „Hier möchte ich nur noch des in den meisten Orchestern herrschenden Unfuges gedenken, alles mit einerlei Schlägeln, den charakterlosesten natürlich, den mittelharten, auszuführen. Es ist mir unbegreiflich, wie man das bei dieser Methode unausbleibliche monotone Rumpeln ertragen kann, unfasslich der Grund, warum sich die Spieler gegen das doch wahrlich nicht gar so anstrengende Abwechseln zwischen Leder-, Schwamm- und Holz-Schlägeln sträuben und diesbezügliche Angaben des Komponisten ignorieren.“ (Klose, S. 216).

Der von Bruckner selbst imaginierte Orchesterklang unterschied sich also beträchtlich von dem heutigen: Er ging von einem räumlichen, farbigen und differenzierten Gesamtklang aus, der die Instrumente seiner Zeit berücksichtigte. Kaum verzichtbare Charakteristika seines Klangstils waren für ihn die Eigenfarbigkeit der Wiener Holzblasinstrumente wie auch des Wiener Horns, der großen Trompete in F, der drei Posaunen unterschiedlicher Mensur und der Wiener Kontrabasstuba in F sowie die Legato-Fähigkeit der Blechbläser durch das Wiener Ventil und die Beweglichkeit der Ventilposaunen bis 1883, die ausgefeilte Bogentechnik der Streicher, die Größe des Orchesters und die räumlich getrennte Aufstellung der Geigen. Nicht einmal der heutige Klang der Wiener Philharmoniker entspricht den Vorstellungen Bruckners, da viele Innovationen, die diese Tradition heute ausmachen, erst viel später eingeführt wurden. (Die heute verbreitete Differenzierung zwischen Bass-Tuba und Kontra-Basstuba widerspricht z. B. eindeutig Bruckners eigener Praxis.) Inwieweit die Revisionen der Ersten bis Vierten Symphonie nicht auch aus dem Bemühen zu verstehen sind, sie den damaligen Umwälzungen in der Orchesterpraxis anzupassen, wäre eine ausführlichere Studie wert.

Literatur
  • Franz Gräflinger, Anton Bruckner. Bausteine zu seiner Lebensgeschichte. München 1911
  • Friedrich Klose, Meine Lehrjahre bei Bruckner. Erinnerungen und Betrachtungen (Deutsche Musikbücherei 61). Regensburg 1927
  • Hans Kunitz, Die Instrumentation. Ein Hand- und Lehrbuch. 13 Bde. Leipzig 1956–1961
  • HofmusikkapelleTheophil Antonicek, Anton Bruckner und die Wiener Hofmusikkapelle (Anton Bruckner. Dokumente und Studien 1). Graz 1979
  • Daniel J. Koury, Orchestral Performance Practices in the Nineteenth Century. Size, Proportions, and Seating. Diss. Rochester 1981
  • Kurt Janetzky, Das Horn. Eine kleine Chronik seines Werdens und Wirkens (Unsere Musikinstrumente 6). Mainz u.a. 1984
  • Wolfgang Suppan (Hg.), Bläserklang und Blasinstrumente im Schaffen Richard Wagners (Alta musica 8). Kongressbericht Seggau 1983. Tutzing 1985
  • Kurt Blaukopf/Herta Blaukopf, Die Wiener Philharmoniker. Wesen, Werden und Wirken eines großen Orchesters. Wien–Hamburg 1986
  • Dieter Michael Backes, Die Instrumentation und ihre Entwicklung in Anton Bruckners Symphonien. 2 Bde. Diss. Mainz 1993
  • Ken Shifrin, The Alto Trombone in the Orchestra. Diss. Oxford 2000
  • Reinhold Kubik (Hg.), Musikinstrumente und Musizierpraxis zur Zeit Gustav Mahlers (Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis 4). Wien–Köln–Weimar 2007
  • Mitt. Gerhard Zechmeister

BENJAMIN-GUNNAR COHRS

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 4.2.2020

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