Ladegast, Friedrich

* 30.8.1818 Hermsdorf, Sachsen/D, † 30.6.1905 Weißenfels, Sachsen/D. Orgelbauer.
Nach der Ausbildung bei seinem Bruder Christlieb Ladegast (* 3.12.1813 Hermsdorf, † nach 1884) und der Mitarbeit in mehreren Werkstätten gründete Ladegast 1846 einen eigenen Orgelbaubetrieb in Weißenfels. Er erwarb sich mit der 1855 vollendeten Merseburger Domorgel (IV/81), die auch Franz Liszt tief beeindruckte, wegen der neuartigen Klangästhetik unter Fachleuten hohe Wertschätzung. Im selben Jahr erschienen von ihm zwei Beiträge in Johann Gottlob Töpfers (1791–1870) Lehrbuch der Orgelbaukunst (1855). 1860 und 1865 unternahm er Studienreisen nach Süddeutschland und Frankreich. Die Erkenntnisse dieser Studienreisen, insbesondere die Auseinandersetzung mit Orgeln Eberhard Friedrich Walckers und Aristide Cavaillé-Colls in Paris, setzte er unter anderem bei der Domorgel in Schwerin (fertiggestellt 1871, IV/84) um. 1898 übernahm sein Sohn Oskar (* 26.9.1858 Weißenfels, † 8.1.1944 Weißenfels), der bereits seit 1888 als sein Partner firmierte, den Betrieb. Ladegast baute in seiner Werkstatt etwa 150 Orgeln. In seinen in bedeutenden Kirchen aufgestellten Orgeln mit bis zu 85 Registern auf drei bis vier Manualen disponierte er neben traditionellen Prinzipalchören eine größere Auswahl an differenzierten Charakterstimmen. Mehrere seiner Schüler entwickelten als selbständige Orgelbauer seine Klangästhetik weiter.

Von der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien wurde Ladegast Ende Juli 1869 mit der Anfertigung einer Orgel für den Großen Saal des Wiener Musikvereins beauftragt. Dem zu Beginn desselben Jahres zusammengetretenen Komitee zur Beratung über die Konzeption und die Auswahl des Orgelbauers für die neue Orgel gehörte u. a. Bruckner an.
1872 erfolgte die Aufstellung der Ladegast-Orgel (III/52) im Wiener Musikverein. Sie war mit mechanischer Spiel- und Registertraktur, Schleifladen für die Manuale und Kegelladen für das Pedal mit teilweiser Verwendung von Barkermaschinen gebaut. Als Spielhilfen hatte sie mehrere Kollektivzüge und freie Kombinationen. Am 5.–6.11.1872 fand die Kollaudierung durch eine Kommission der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, bestehend aus Joseph Hellmesberger, Pius Richter, Peter Titz (1823–1873), Franz Wilt (1825–1909) und Leopold Alexander Zellner, statt. Nachdem die Orgel bei einer Aufführung von Georg Friedrich Händels (1685–1759) Dettinger Te Deum (HWV 283) am 10. November bereits zum ersten Mal erklungen war, wurde am 15. November mit einem eigenen Orgelkonzert ihre Einweihung gefeiert. Bei diesem Konzert gab der Dresdner Organist Carl August Fischer (1828–1892) Werke von Johann Sebastian Bach, Wilhelm Friedemann Bach (1710–1784), Felix Mendelssohn Bartholdy und Liszt zum Besten sowie Bruckner eine Improvisation, in deren Schluss er die Volkshymne einbaute. Franz Pyllemann schrieb in der Allgemeinen musikalische Zeitung vom 27.11.1872 über Bruckners Improvisation: „Der Künstler behandelte zuerst einen Cantus firmus im planen harmonischen Satze, ergriff dann ein dankbares Sechszehntel-Motiv, welches er in toccatenmässiger Weise durchführte und nahm endlich die österreichische Nationalweise (das Haydn’sche Kaiserlied) auf, die er zu kühnen (oft schier tollkühnen!) modulatorischen Expeditionen benutzte.“ (Pyllemann, Sp. 771).

In den folgenden Jahren spielte Bruckner wiederholt auf dieser Ladegast-Orgel, so beispielsweise im Rahmen der allsonntäglichen Konzerte während der Weltausstellung Wien 1873 sowie in einem von ihm selbst zur Feier des Abschlusses derselben veranstalteten Konzert am 26.10.1873 unter der Mitwirkung der Wiener Philharmoniker; hierbei spielte er vor der Uraufführung seiner Zweiten Symphonie (1. Fassung) die Toccata in C-Dur (BWV 564) und eine Fuge von J. S. Bach sowie eine Improvisation. Auch für den 15.3.1882 ist Bruckners Spiel im Rahmen eines Konzerts des Wiener Akademischen Gesangvereins, in dem er „eine prachtvolle vierstimmige Fuge“ (Wiener Allgemeine Zeitung 17.3.1882, S. 6) mit Nachspiel improvisierte, belegt.

Auf Wunsch Zellners wurde die Orgel des Musikvereins von Ladegast bereits ab August 1874 noch mehrmals mit experimentellen spieltechnischen Neuerungen ausgestattet, die sie zunehmend störungsanfällig machten, so dass sie bereits 1907 durch eine neue Orgel der Gebrüder Rieger ersetzt werden musste.

Literatur
  • Karl Hausleithner, Die neue Orgel im großen Saale der Gesellschaft der Musikfreunde, in: Die Presse 13.10.1872, S. 19f.
  • Neue Freie Presse 8.11.1872, S. 7
  • Die Orgel im großen Saale der „Gesellschaft der Musikfreunde“, in: Blätter für Musik, Theater und Kunst 15.11.1872, S. 285f.
  • Blätter für Musik, Theater und Kunst 15.11.1872, S. 287
  • August Wilhelm Ambros, Musik. Bülows zwei Neuromantiker-Abende. Das erste Wiener Orgelconcert, in: Wiener Zeitung 17.11.1872, S. 9f.
  • Johann Georg Wörz, Concerte, in: Wiener Sonn- und Montags-Zeitung 17.11.1872, S. 3
  • Blätter für Musik, Theater und Kunst 22.11.1872, S. 291
  • Eduard Hanslick, Feuilleton. Musik, in: Neue Freie Presse 19.11.1872, S. 1ff.
  • Deutsche Zeitung 23.11.1872, S. 3f.
  • Franz Pyllemann, Das erste Orgelconcert in Wien, in: Allgemeine musikalische Zeitung 27.11.1872, Sp. 769–772
  • Musikalisches Wochenblatt 6.12.1872, S. 288
  • Alexander Wilhelm Gottschalg, Die neue Orgel im großen Saale der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, erbaut von Friedrich Ladegast in Weißenfels, in: Neue Zeitschrift für Musik 69 (1873) H. 13, S. 136–139
  • (Orgel-Konzert), in: Volksblatt für Stadt und Land 13.8.1873, S. 8
  • F. G., (Concert Bruckner), in: Deutsche Zeitung 28.10.1873, S. 5
  • Neue Freie Presse 6.8.1874, S. 7
  • Neues Wiener Tagblatt 6.8.1874, S. 5
  • Neues Fremden-Blatt, Beilage, 25.10.1874, [S. 1]
  • Wiener Zeitung 5.3.1882, S. 2
  • Wiener Allgemeine Zeitung 17.3.1882, S. 6
  • Walter Ladegast (Hg.), Friedrich Ladegast. Der Orgelbauer von Weißenfels. Stockach/Bodensee 1998
  • Hermann J. Busch, Art. „Ladegast, Familie“, in: MGG²Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. 29 Bde. (Sach- und Personenteil). 2. neubearb. Ausgabe. Kassel u. a. 1994–2008 10 (2003), Sp. 998ff.
  • Alexander Koschel, Im Wandel der Zeit. Die Ladegasts und ihre Orgeln. Friedrichshafen 2004
  • Alexander Koschel, Die Orgelbauerfamilie Ladegast und ihr Schaffen. 2 Bde. Diss. Graz 2005
  • Hermann J. Busch, Art. „Ladegast, Friedrich“, in: Lexikon der OrgelHermann J. Busch/Matthias Geuting, Lexikon der Orgel. Orgelbau, Orgelspiel, Komponisten und ihre Werke, Interpreten. Mit einem Geleitwort von Ton Koopman. Laaber 2007, S. 404f.
  • Roland Eberlein, Die Geschichte der Orgel (Veröffentlichungen der Walcker-Stiftung für orgelwissenschaftliche Forschung 17). Köln 2011, S. 311–315, 317, 326, 381, 453
  • Otto Biba/Ingrid Fuchs, „Die Emporbringung der Musik“. Höhepunkte aus der Geschichte und aus dem Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Wien 2012, S. 72

MIRJAM KLUGER, KARL MITTERSCHIFFTHALER

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 17.7.2019

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Ladegast, Friedrich: 120443244

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