Frankreich (Rezeption)

Bruckners Name tauchte in Frankreich zum ersten Mal am 27. und 28.4.1869 in den Zeitungen Espérance (Courrier de Nancy) und Impartial de l‘Est anlässlich seiner Auftritte als Organist in Nancy auf. Erst am 18.3.1894 war der Symphoniker Bruckner in Frankreich zu hören: Charles Lamoureux (1834–1899) und sein Orchester spielten in Paris die Dritte Symphonie (in der Fassung von 1889) – erst 1908 folgte die nächste Aufführung einer vollständigen Symphonie. Der französische Bruckner-Forscher Paul-Gilbert Langevin spricht in seiner Bruckner-Monografie (1977) von drei Perioden („drei Wellen“) bei den Bemühungen um Bruckners Werke in Paris. Die erste erstreckt sich 1894–1911, sie ist – so kann man resümieren – allgemeinem Unverständnis begegnet und findet mit dem Ersten Weltkrieg ihr Ende. Die zweite hat 1927/28 ihren Höhepunkt und wird durch einige Wiederholungen der Fünften und Siebenten Symphonie verlängert, bis sie in der Epoche des Nationalsozialismus zum Erliegen kommt. Ein langes Verstummen in der Geschichte der französischen Bruckner-Rezeption war – wie auch international (außerhalb des damaligen Deutschen Reiches) zu beobachten – die Folge und dauerte bis zum Ende der 1950er Jahre, wobei auch die Nachwirkungen aus der Zeit des besetzten Frankreich zu einem falschen Bild von Bruckner geführt haben: Aufführungen des Te Deum durch einen Kölner Chor und der Siebenten unter Carl Schuricht wurden abgesetzt. Erst in den 1960er Jahren ist dann ein entscheidendes Wiederaufleben der Bruckner-Pflege zu konstatieren. Langevin wollte mit Zusammenstellungen jeweiliger „Idealfassungen“ der in verschiedenen autorisierten Fassungen überlieferten Bruckner-Symphonien den seiner Erfahrung nach besonderen französischen Vorstellungen entgegenkommen.

Erste Aufführungen außerhalb von Paris sind in Straßburg (Strasbourg), 1871–1918 Hauptstadt des deutschen Reichslandes Elsass-Lothringen, nachweisbar: bereits 1886 erschien der dem Straßburger Männer-Gesangverein gewidmete Chor Um Mitternacht (WAB 90) im Straßburger Sängerhaus. 1897 soll Wilhelm Bruch (1864–1927) in der Orangerie die Siebente Symphonie aufgeführt haben (Geyer, S. 76). Für 1901 wird die Fünfte Symphonie unter Franz Stockhausen (1839–1926) genannt (Die Musik 1 [1901] Erstes Novemberheft, S. 244). Der Arzt und Musikschriftsteller Gustav Altmann (1865–1924) berichtete von einer Aufführung des Te Deum 1902 in Straßburg: „Bruckner hier durch sein Te deum einzuführen, war nicht ganz vorteilhaft; trotz mancher Schönheiten bleibt der Eindruck, als ob der Komponist seinen Herrgott eher anknurrt als lobt!“ (Die Musik 2 [1903] H. 7, S. 74). 1905 leitete Albert Gorter (1862–1936) statt des erkrankten Stockhausen die Siebente Symphonie, worüber Altmann berichtete: „An Novitäten gab‘s [...] – zum erstenmal! – eine Brucknersymphonie, die glanzvoll-mächtige E-dur.“ (Die Musik 4 [1904/05] H. 18, S. 458f.). Beim 2. Elsass-Lothringischen Musikfest leitete Felix Mottl am 3.6.1907 eine Aufführung der Vierten Symphonie. Altmann schrieb dazu: „Es ist meines Erachtens nicht Undank oder Verständnislosigkeit, die Bruckner nicht recht hat aufkommen lassen, sondern das berechtigte Gefühl, dass er trotz unzweifelhaft vielfach recht schöner Ideen und vor allem trefflicher Behandlung des Orchesters inhaltlich nicht genügend Hochstehendes bietet und den Vergleich mit der in der Beschränkung weisen Größe eines Brahms nicht aushält.“ (Die Musik 6 [1906/07] H. 19, S. 39). Am 16.2.1910 leitete Hans Pfitzner (1869–1949) eine Aufführung der Dritten Symphonie (Abendroth, S. 440). Erst viele Jahre später führte Fritz Münch (1890–1970) am 25. und 27.11.1927 die Messe in f-Moll und das Te Deum mit dem Chor von St. Guillaume auf. In einer Artikelserie des Menestrel versuchte er dem französischen Publikum Bruckners Kirchenwerke nahe zu bringen (vgl. Lit.). 1946–1954 leitete Münch das Städtische Orchester Straßburg mit der Vierten bis Siebenten Symphonie.

In Lyon wurde am 11.2.1911 die Vierte Symphonie mit dem Münchner Tonkünstlerorchester unter der Leitung von José Lasalle (1876–1937) aufgeführt. Bruckners Schüler William Ritter (1867–1955) hatte das Publikum mit einem Aufsatz in der Revue Musicale de Lyon darauf vorbereitet. An frühen Aufführungen wird auch das Te Deum unter Franz Hoesslin (1885–1946) am 22.3.1931 in Nantes genannt (Göll.-A. 4/4, S. 105).

Der gebürtige Wiener Eric-Paul Stekel (1898–1978) machte sich ebenfalls um die Verbreitung der Werke Bruckners in Frankreich verdient. 1933–1937 führte er in Marseille die Zweite bis Neunte Symphonie und schließlich 1953–1969 in Grenoble die Dritte bis Neunte Symphonie auf. Er veröffentlichte im Februar 1936 in den Cahiers du Sud (Nr. 180) einen Aufsatz über Bruckner und Gustav Mahler.

In den letzten Jahrzehnten waren es zumeist ausländische Dirigenten wie Daniel Barenboim, Theodor Guschlbauer, Marek Janowski, Jun Märkl (* 1959) oder Kurt Masur, die Werke Bruckners in Frankreich aufführten. Erwähnenswert ist eine Aufführung der Achten Symphonie unter Herbert von Karajan im Juni 1960 in der Kathedrale von Chartres, das Te Deum unter der Leitung von Michel Plasson (* 1933) am 11.11.1980 in der Halle aux Graines in Toulouse mit 3.500 Zuhörern oder die Siebente Symphonie mit Sir Simon Rattle (* 1955) im Neuen Opernhaus in Aix-en-Provence (2006). In den letzten Jahren widmen sich vermehrt französische Dirigenten wie Philippe Augin (* 1961), Philippe Cambreling, Emmanuel Krivine (* 1947) oder Pascal Rophé (* 1960) den Werken Bruckners.

In den 1930er Jahren bemühte sich der aus Wien stammende Apotheker und Musikliebhaber Frédéric (Friedrich) Goetz († 1934) um die Gründung einer Ortsgruppe der Internationalen Bruckner-Gesellschaft. Langevin gründete 1957 eine Societé française Anton Bruckner (Bruckner-Gesellschaften), die derzeit ruht.

Literatur

JOSEF BURG, ANDREA HARRANDT

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 30.9.2020

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