Bach, Johann Sebastian

* 21.3.1685 Eisenach, Thüringen/D, † 28.7.1750 Leipzig, Sachsen/D. Komponist, Organist.

Sohn des Stadtpfeifers und Hofmusikers Johann Ambrosius Bach (1645–1695) und dessen Frau Maria Elisabeth Lämmerhirt (1644–1694). Musikunterricht in der väterlichen Stadtpfeiferei sowie weitere Ausbildung in Komposition, Orgel- und Klavierspiel durch seinen ältesten Bruder Johann Christoph (1671–1721). Nach Aufenthalten in Lüneburg und Hamburg, wo er sich sowohl die hanseatische als auch niederländische Orgelkunst aneignete und auch die französische Instrumental-, Ballett- und Opernkunst kennenlernte, erhielt er Anstellungen in Arnstadt (1703–1707), Mühlhausen (1707–1708) und Weimar (1708–1717). 1717–1723 war er Hofkapellmeister in Köthen, ab Mai 1723 Kantor an der Leipziger Thomasschule.

Als einer der bedeutendsten Komponisten, Orgelvirtuosen und Kompositionslehrer des Generalbasszeitalters beeinflusste Bach durch sein wegbereitendes Werk unzählige Musikschaffende nachfolgender Epochen.

Wann Bruckner mit Bachs Musik in Kontakt kam, ist nur unzureichend überliefert: neben der Zeit in Hörsching (1835–1837) bei seinem Cousin Johann Baptist Weiß sowie einer angeblich in Linz auf Anraten Johann August Dürrnberger angefertigten Abschrift der Kunst der Fuge, die Bruckner in Windhaag (1841–1843) studiert haben soll (Göll.-A. 1, S. 92, 166), kommt auch Leopold von Zenetti (Wohltemperiertes Klavier, Orgelchoräle ) als Vermittler (Einflüsse und Vorbilder) in Frage. Die durchdringende Beschäftigung mit den satztechnischen Prinzipien Bachs ist hier sicher von den „bloßen“ Repertoirekenntnissen eines jungen Organisten zu trennen: Nicht anders ließe sich der von Franz Scharschmid (1800–1887) im Brief vom 20.9.1853 erteilte Ratschlag interpretieren: „Sie irren, wenn Sie sich einseitig nach Mendelsohn [sic] bilden. Sie müssen jedenfalls auch selbst aus der Quelle schöpfen, aus welcher dieser schöpfte, aus Sebastian Bach, den Sie gründlich studiren müssen. Sie werden, wie M. sehr leicht vermeiden, Sich von Bach das nicht mehr Zeitgemäße anzueignen; aber tief und gründlich können Sie ohne ihn nicht werden.“ (Briefe I, 530920). Dass Bruckner das Bach‘sche Oeuvre verinnerlichte, zeigt auch der im Anschluss an ein Treffen mit Johann Herbeck überlieferte Brief Bruckners an Herbeck, der das Geständnis Bruckners beinhaltet: „Was die Bach‘schen Fugen anbelangt, so bin ich es meiner Ehre schuldig, Ihnen bekannt zu geben d[a]ß ich schon solche gespielt mit selbstständigem Pedal u[nd] andere. Ich fand selbe bei mir, und erinnerte mich im Momente nicht daran jedoch geschah dieß früher.“ (Briefe I, 680526).

Die Beschäftigung mit Bach‘schen Fugen, die insbesondere im Wohltemperierten Klavier und der Kunst der Fuge die ganze Bandbreite der Entfaltungsmöglichkeiten dieses Kompositionsprinzips aufzeigen, wirkte auch schon im 18. Jahrhundert befruchtend. So war das „Bach-Erlebnis“ für Wolfgang Amadeus Mozart stilprägend und führte zu Kompositionen wie Adagio und Fuge in c-Moll (KV 546 [KV 426]), der Zauberflöten-Ouvertüre, dem Schlusssatz des G-Dur-Streichquartetts(KV 387) und dem Finalsatz der Jupiter-Sinfonie (KV 551). Dieser ist nicht zuletzt aufgrund der Wechselbeziehung zwischen Sonatenform und Fuge immer wieder erwähnt und mit Bewunderung bedacht worden. Bruckners Lehrer Simon Sechter fügte seiner Neuausgabe (1843) von Friedrich Wilhelm Marpurgs (1718–1795) Abhandlung von der Fuge als Anhang eine Analyse des fugierten Schlusssatzes von Mozarts Jupiter-Sinfonie bei (Weder Bruckners Handexemplar (ÖNB, Mus.Hs.28.275) noch das St. Florianer Exemplar zeigen jedoch durch handschriftliche Eintragungen Bruckners eine Beschäftigung mit dieser Analyse an.). Sechter verwies vor allem auf „die ungezwungene Vereinigung des freien Satzes mit dem strengen“ (Marpurg-Sechter, S. 161) und betonte Mozarts Grundidee zu diesem Finale, die fünf Themen nach ihrer gesonderten Durcharbeitung im letzten Teil zu vereinigen.

Diese letztlich auf Bach‘sche Polyphonie zurückzuführende formale Anlage weist deutlich voraus auf Bruckners Sonaten-Fugen-Finale seiner Fünften Symphonie einerseits und die kontrapunktische Übereinanderschichtung aller Hauptthemen im Finale der Achten Symphonie andererseits (Kontrapunkt und Polyphonie). Die satztechnischen Grundlagen dieser durch Polyphonie und Kontrapunkt geprägten Formbildung erhielt Bruckner durch seine Studien bei Sechter in den Jahren 1855 bis 1861.

Mit welchem Einsatz und Fleiß Bruckner seine Ausbildung im „strengen Satz“ anging, bezeugen zwei der sieben Studienbücher mit einer Unmenge von schriftlich gelösten Aufgaben. Bruckner selbst verwies seine Schüler, in der Erfüllung seiner Aufgaben als Lehrer für Harmonielehre und Kontrapunkt an der Universität Wien, am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und privat, immer wieder auf Sechters Schriften, „besonders aber auf jene Analyse des Mozartschen Finales, deren genauestes Studium er nicht müde wurde, immer wieder zu empfehlen“ (Eckstein, S. 9).

Insofern ist eine indirekte Verbindungslinie von Bach über Mozart zu Bruckner gespannt, eine bewusst historisierende Rückwendung des Romantikers Bruckner zur barocken Fugensetzweise ist demnach nicht notwendig gewesen, da die musikalische Überlieferung über die Klassik stattfand, was gerade im Bereich der Fuge, aber ebenso für das Bruckner‘sche Vokalwerk gilt. Gottfried van Swieten (1733–1803; für Mozart) und Sechter (für Bruckner) fällt dabei die nicht unbedeutende Rolle der „Epochen-Vermittlung“ zu. Eine weitere Vermittlungsrolle Bach‘scher Kompositionstechnik scheint den Vokalkompositionen (Psalmvertonungen) Felix Mendelssohn Bartholdys zuzukommen (s. o.), die sich in der Gestaltung mit einer Schlussfuge in die Bach‘sche und Mozart‘sche Gattungstradition einreihen. Kontrapunkt und Fuge als strenge Ausprägung desselben waren somit für Bruckner natürliche Mittel zum Zweck der sinnvollen Gestaltung seiner Musik.

Doch nicht nur im kompositorisch fixierten Werk Bruckners zeigt sich der Einfluss Bach‘scher Fugenkunst, auch in der Orgelimprovisation basierte das Bruckner-typische Fantasieren vor der eigentlichen Fuge auf der Bach‘schen Formtradition, der Fuge ein Präludium voranzustellen mit der Funktion, die Konturen des Fugenthemas entstehen zu lassen und zu seiner festen Gestalt hinzuführen. Die Finalsätze der Symphonie in d-Moll, Fünften und Neunten Symphonie sind in vergleichbarer Weise mit Einleitungen versehen, die jeweils zu dem Haupt- und zugleich Fugenthema hinleiten. Da verwundert es nicht, wenn Rudolf Quoika (1897–1972) die Möglichkeit anspricht, das kontrapunktische Meisterstück im Schlusssatz der Fünften als Orgelsatz zu deuten (vgl. Quoika, S. 71f.).

Wie sehr Bruckner während seiner musikalischen Ausbildung, im Rahmen seines eigenen Unterrichts sowie seiner Organistentätigkeit mit den Werken Bachs konfrontiert wurde, bestätigt auch ein Blick auf den Notenbestand des Bruckner-Nachlasses, in dem sich zahlreiche Sonaten, Präludien, Fugen und Konzerte sowie Abschriften von Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier fanden (vgl. Göll.-A. 2/1, S. 336ff.). Die Österreichische Nationalbibliothek verwahrt eine Druckausgabe von Bachs Orgeltranskription von Antonio Vivaldis (1678–1741) Concerto op. 3/8 (BWV 593, ÖNB, Mus.Hs.38.850) aus Bruckners Besitz.

Wenngleich Bach neben Mendelssohn zu jenen Komponisten gehörte, deren Orgelwerke Bruckner häufig – und dem zeitgemäßen Publikumsgeschmack entsprechend – immer wieder spielte, zeigen doch Äußerungen an seine Freunde und Schüler, dass sein Interesse an einem festen Bach’schen Repertoire eher gering waren. So schreibt Bruckner an Rudolf Weinwurm im Zuge einer geplanten Orgelkonzert-Reise nach Dresden und Leipzig „Bezüglich der Reise muß ich leider schreiben, daß ich noch kein Repertoire habe, obwohl ich Bach u[nd] Mendelssohn gespielt habe. Ich habe wenig Zeit u[nd] Lust, mich sonderlich in dieser Beziehung zu plagen; denn es hat keinen Zweck;[…]“ (Briefe I, 640301). Ähnliches überliefert auch Josef Pembaur d. Ä. anekdotisch aus einer Unterrichtsstunde Bruckners über die Vorbereitungen zur Reise nach London 1871: „No i’ wer’ net lang den Bach einwerkl’n, das soll’n dö tuan, dö koa Phantasie hab’n; I spiel’ in London über a frei’s Thema. […]“ (Göll.-A. 4/1, S. 148, Anm. 1). Bruckners schöpferisch-kreative Vorliebe galt grundsätzlich der Improvisation. Auch dabei folgte er zuweilen dem großen Fugenmeister des Barock, wie das Programm zu Bruckners Orgelspiel am 2.8.1871 in der Londoner Royal Albert Hall bestätigt: „Herr Bruckner’s strong points are classical improvisations on the works of Handel, Bach and Mendelssohn.“ ( The Orchestra 11.8.1871, S. 297f.; zit. n. Howie, S. 308).

Werke
  • Oratorien, Passionen, Kantaten
  • Messen
  • Orgelwerke
  • Konzerte
  • Kammermusik
  • Sonaten für Soloinstrumente
Literatur

RAINER BOSS, CLEMENS GUBSCH

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 19.5.2020

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Bach, Johann Sebastian: 11850553X

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