Wiener Philharmoniker

Die Wiener Philharmoniker sind eine auf Initiative Otto Nicolais (1810–1849) von den Orchestermitgliedern des k. k. Hofoperntheaters (heute Wiener Staatsoper) gegründete, unabhängige, demokratisch strukturierte und sich selbst verwaltende Musikervereinigung. Das Ensemble trat zunächst unter der Bezeichnung Philharmonische Concerte im Großen Redoutensaal auf; 1860 erfolgten die Einführung von Abonnementkonzerten (die im Kärntnertortheater abgehalten wurden) und die Umbenennung in Philharmonische Concert-Unternehmung; 1870 übersiedelte das Orchester in den Goldenen Saal des Musikvereinsgebäudes und 1908 wurde der Verein Wiener Philharmoniker gegründet. Das erste Konzert fand am 28.3.1842 statt und wurde von Nicolai dirigiert. Seither gaben die Wiener Philharmoniker über 7.500 Konzerte in Europa, Südamerika (erstmals 1922), Nordafrika (1950), Asien (1956), Nordamerika (1956) und Australien (2006). Das Orchester spielt pro Jahr über 100 Konzerte (davon rund 40 im Ausland), nimmt regelmäßig an bedeutenden Festivals (Salzburger Festspiele, Wiener Festwochen, Mozartwoche Salzburg, Lucerne Festival etc.) teil sowie an Wiener Philharmoniker-Wochen in New York und Japan. Das seit 1941 veranstaltete Neujahrskonzert wird mittlerweile in mehr als 70 Länder übertragen. Seit 2004 veranstalten die Wiener Philharmoniker alljährlich das „Sommernachtskonzert Schönbrunn“ im historischen Park des ehemaligen Habsburger-Schlosses, dem (bei freiem Eintritt) bis zu 140.000 Menschen beiwohnen und das nicht nur im heimischen, sondern auch im ausländischen Fernsehen übertragen wird – 2016 in 82 Ländern auf fünf Kontinenten.

Bis 1903 bzw. 1908–1933 wählten die Musiker einen Dirigenten, dem sie die künstlerische Leitung anvertrauten (Nicolai, Carl Eckert [1820–1879], Felix Otto Dessoff, Hans Richter, Wilhelm Jahn, Gustav Mahler, Joseph Hellmesberger d. J., Felix Weingartner, Wilhelm Furtwängler, Clemens Krauss); seit 1933 wird ausschließlich das schon von 1903–1908 erprobte Gastdirigentensystem praktiziert, mit dessen Hilfe das Orchester permanent mit nahezu allen führenden Künstlerpersönlichkeiten zusammenarbeitet.

Am 16.6.1872 leitete Anton Bruckner anlässlich der Uraufführung seiner Messe in f‑Moll in der Kirche St. Augustin ein Ensemble, das im Wesentlichen aus Mitgliedern der Wiener Philharmoniker bestand. Wenig später wurde die von ihm zu einer Novitätenprobe eingereichte Zweite Symphonie wegen ihrer Spieldauer nicht in das Programm der Abonnementkonzerte aufgenommen („Die Symphonie wäre damals angenommen worden – aber sie war zu lang.“, Göll.-A. 4/1, S. 225), am 26.10.1873 aber von den Wiener Philharmonikern im Rahmen der Weltausstellung in Wien uraufgeführt, wobei Bruckner zum ersten und einzigen Mal dieses Orchester dirigierte. Tags darauf bot er den Wiener Philharmonikern die Widmung des Werkes an: „Da jeder Vater für sein Kind den möglichst besten Platz sucht, so wird es mir kaum verargt werden, wenn ich ein Gleiches thue, und Sie bitte: Darf ich das Werk Ihnen dediciren? Da es nirgends in bessere Hände kommen kann, als in die Ihrigen, so würde eine geneigte Antwort mich sehr beglücken.“ (Briefe I, 731027). Das Schreiben blieb jedoch vom Orchester und seinem damaligen künstlerischen Leiter, dem Brahms-Freund Dessoff, unbeantwortet.

Erst unter der Ägide H. Richters kam es allmählich zu einer Intensivierung der philharmonischen Bemühungen um Bruckner. Am 20.2.1881 wurde die Vierte, am 21.12.1890 die umgearbeitete Dritte, am 13.12.1891 die umgearbeitete Erste und am 18.12.1892 die Achte Symphonie uraufgeführt. Am 11.2.1883 dirigierte überdies Wilhelm Jahn die Uraufführung von Adagio und Scherzo aus der Sechsten Symphonie (deren erste Gesamtwiedergabe am 26.2.1899 in einem Philharmonischen Konzert unter der Leitung G. Mahlers erfolgte). Die Teiluraufführung der Sechsten begeisterte Bruckner: „D[ie] Philharmoniker haben nun meine 6. Sinfonie angenommen, alle übrigen Sinfonien von andern Componisten abgelehnt. Als ich mich dem Dirigenten (Director d. Hofoper) vorstellte, sagte er, daß er zu meinen innigsten Verehrern zähle. [...] Die Philharmoniker fanden an dem Werke solches Wohlgefallen, daß sie heftig applaudierten u. einen Dusch [Tusch] machten…“ (Briefe I, 821013).

Der ersten vollständigen Aufführung einer seiner Symphonien in einem Philharmonischen Abonnementkonzert ging ein irritierender Brief Bruckners voraus: „Es wolle mir das ergebene Ansuchen gestattet sein, das löbliche Comite möge für dieses Jahr von dem mich sehr ehrenden und erfreuendes Projecte der Aufführung meiner Edur Symphonie Umgang nehmen, aus Gründen, die einzig der traurigen localen Situation entspringen in Bezug der maßgebenden Kritik, die meinen noch jungen Erfolgen in Deutschland nur hemmend in den Weg treten könnte. In aller Verehrung Anton Bruckner.“ (Briefe I, 851013/1). Das Komitee der Wiener Philharmoniker blieb allerdings bei seinem Entschluss, zeigte keine Scheu vor der „maßgebenden Kritik“, und die von H. Richter dirigierte Erstaufführung der Siebenten Symphonie (21.3.1886) wurde zu einem überwältigenden Erfolg für den Komponisten. Vor einigen Jahren gelang dem Historischen Archiv der Wiener Philharmoniker der Erwerb eines eigenhändigen Entwurfes zum zitierten Brief, diesem Akt der Verzweiflung, der Karl Kraus (1874–1936) 1906 zum Bild der „boshaften Zwerge[n]“ inspirierte, die „über gutmütige Riesen herrschten“ (Kraus zit. n. Partsch, in: Bruckner-Handbuch 2010, S. 351). Seiner Ansicht nach stellte Bruckners Versuch einer Verhinderung der Aufführung eine Maßnahme dar, die „ein furchtbares Urteil über das geistige Wien enthält. Ein Dokument von der journalistischen Zeiten Schande, wie es überwältigender nicht gedacht werden kann.“ (Kraus zit. n. Partsch, in: Bruckner-Handbuch 2010, S. 352).

Geradezu sensationell war die Publikumsreaktion nach der Uraufführung der Achten Symphonie: „Tobender Jubel, Wehen mit den Sacktüchern aus dem Stehparterre, unzählige Hervorrufe, Lorbeerkränze u.s.w.“ konstatierte selbst Eduard Hanslick, um zu resignieren: „Es ist nicht unmöglich, daß diesem traumverwirrten Katzenjammerstyl die Zukunft gehört – eine Zukunft, die wir nicht darum beneiden.“ (Neue Freie Presse 23.12.1892, S. 1). Bruckner schrieb nach diesem Triumph an das Orchester: „Hochlöblicher Philharmonischer Verein! Tief gerührt bittet der Gefertigte, es wolle ihm gestattet sein, sowol Sr Hochwolgeboren Herrn Hofkapellmeister Dr Hans Richter, [...] als auch allen P T Mitgliedern dieses höchsten Kunstvereines in der Musik für die herrliche Aufführung seiner ‚achten‘ aus tiefstem Herzensgrunde zu danken! Hoch! Hoch! Hoch!“ (Briefe II, 921221). Am 5.1.1896 wohnte Bruckner zum letzten Mal der Aufführung eines seiner Werke durch die Wiener Philharmoniker bei (Vierte Symphonie); am 29.3.1896 führte ihn der letzte Konzertbesuch seines Lebens noch einmal zu diesem Orchester (wobei Werke von Richard Wagner und Richard Strauss auf dem Programm standen).

Bis zum 31.12.2016 brachten die Wiener Philharmoniker 20 Werke Anton Bruckners in insgesamt 981 Wiedergaben zur Aufführung (Teilaufführungen unberücksichtigt), darunter 200 Mal die Siebente, 154 Mal die Achte, 133 Mal die Vierte und 118 Mal die Neunte Symphonie; selbst die lange Zeit aus dem Repertoire verschwundene Zweite Symphonie, die 1873–1998 nur sechsmal auf dem Programm stand, wurde 1999–2016 22 Mal aufgeführt. Die Konzerte fanden unter anderem in Baden‑Baden, Köln, Paris, London, Rom, New York, Seoul, Shanghai und Tokio statt. Zu den konzertanten Wiedergaben kommen zahlreiche Schallplatten- und Filmaufnahmen. Die wichtigsten Bruckner-Dirigenten der Wiener Philharmoniker sind neben H. Richter und Franz Schalk v. a. Karl Böhm, Furtwängler, Carlo Maria Giulini, Herbert von Karajan, Hans Knappertsbusch, Carl Schuricht, Bruno Walter, Claudio Abbado, Pierre Boulez, Bernard Haitink, Nikolaus Harnoncourt, Lorin Maazel, Zubin Mehta, Riccardo Muti (* 1941) und Seiji Ozawa (* 1935) bzw. von der jüngeren Generation Christian Thielemann und Franz Welser-Möst.

Das Historische Archiv der Wiener Philharmoniker besitzt zehn Briefe Anton Bruckners an das Orchester aus den Jahren 1873–1892 sowie den erwähnten Briefentwurf, mehrere Erstausgaben von Partituren mit Bruckners Autogramm bzw. eigenhändigen Eintragungen, eine Zündholzschachtel mit einem Bild Richard Wagners aus dem Besitz Bruckners sowie mehrere Protokolle von Hauptversammlungen und Komiteesitzungen mit Stellungnahmen Hans Richters bzw. damaliger Philharmoniker zu Bruckner.

Literatur

CLEMENS HELLSBERG

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 1.9.2017

Medien

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Abbildungen

Abbildung 1: Bruckners Brief vom 21.12.1892, in: Neue Zeitschrift für Musik 109 (1942) H. 6, S. 256/1

Abbildung 2: Wiener Philharmoniker-Stern auf der Wiener Ringstraße (© Andrea Singer)

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ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft