Adler, Guido

* 1.11.1855 Eibenschitz/Mähren (Ivančice/CZ), † 15.2.1941 Wien/A. Musikwissenschaftler.

Verbrachte die frühe Kindheit in Mähren, ab 1864 in Wien, Besuch des Akademischen Gymnasiums. 1868–1874 absolvierte er ein Klavierstudium bei Wilhelm Schenner und Josef Dachs (1827–1896) am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften (1878 Dr. iur.) folgten eine kurze Tätigkeit am Wiener Handelsgericht sowie ein Musikwissenschaftsstudium bei Eduard Hanslick (1880 Dr. phil.). Er habilitierte sich 1881, anschließend Privatdozent für Musikwissenschaft an der Universität Wien. 1885 wurde er als außerordentlicher Professor an die deutsche Universität in Prag, 1898 als ordentlicher Professor an die Wiener Universität berufen, an der er bis zu seiner Emeritierung 1927 blieb.

Adler ist der große Pionier der akademischen Musikwissenschaft in Österreich. Er war u. a. Gründer und Leiter des heutigen Instituts für Musikwissenschaft der Universität Wien und der Denkmäler der Tonkunst in Österreich (DTÖ). Seine wissenschaftliche Methode der „Stilkritik“ war auf die Erkenntnis der Formqualitäten des Kunstwerkes ausgerichtet. Ziel war dessen stilistische Einordnung im Unterschied zu Hanslick, der zwar gleichfalls von formalen Qualitäten ausging, aber den ästhetischen Wert (das Musikalisch-Schöne) im Blick hatte.

Während seiner Zeit am Konservatorium war Adler 1870–1874 Schüler Bruckners in Harmonielehre und Kontrapunkt (ABCD; die von Bruckner nicht unterrichteten Kompositionsstudien absolvierte er bei Felix Otto Dessoff; vgl. Adler 1922 und 1935). Nach eigenem Bericht (Adler 1922) blieb er anschließend mit Bruckner in Kontakt und besuchte ihn auch während seines Prager Wirkens jedes Jahr (Anfang 1886 hörte er eine Probe des Te Deum). In einem Brief vom 19.5.1881 teilte Bruckner mit, er könne Adlers Wunsch nach Verlegung von Vorlesungszeiten nicht entsprechen (Briefe I, 810519). 1876 und 1882 waren beide zugleich in Bayreuth. Von Adler ist ein Brief über einen Besuch in der Villa Wahnfried beim ersten Aufenthalt erhalten, in dem er Bruckners Reaktionen auf das Klavierspiel von Franz Liszt beschreibt (Boisits 2015, siehe auch Adler 1935). Möglicherweise begegneten Bruckner und Adler sich auch in den Versammlungen des Wiener Akademischen Wagner-Vereins, dessen Mitglieder beide waren. Unter den Glückwunschtelegrammen zu Bruckners 70. Geburtstag 1894 befand sich u. a. eines von Adler, von ihm stammte auch einer der Kränze bei Bruckners Leichenbegängnis (ABCD). Zu erwähnen ist, dass in der von Adler geleiteten Abteilung Österreich-Ungarn der Internationalen Ausstellung für Musik- und Theaterwesen neben der Büste von Viktor Tilgner (Fach-Katalog, S. 385) zwei Briefe Bruckners (darunter der oben erwähnte) aus Adlers Besitz gezeigt wurden (Fach-Katalog, S. 383). Es ist unsicher, ob Adler mit der von Richard Heuberger namens des Musikkomitees der Ausstellung an Bruckner ergangenen Einladung zu tun hat, zur Eröffnung der Ausstellung am 7.5.1892 eine „Hymne oder Cantate für gem. Chor u. Orchester zu componiren“ (Briefe II, 911223); Bruckner komponierte daraufhin den Psalm 150, konnte ihn aber nicht rechtzeitig fertigstellen (tatsächlich aufgeführt wurden das Halleluja aus Georg Friedrich Händels [1685–1759] Messias und Joseph Haydns Volkshymne).

Adlers Einstellung zu Bruckners Werk machte, wie er schreibt, „verschiedene Phasen durch“ (Adler 1922, S. 211). Dokumentiert ist sie nur in der Kritik einer Aufführung der Dritten Symphonie am 9.7.1892 (im Rahmen der Ausstellungs-Konzerte) und in zwei Publikationen aus den Jahren 1922 und 1924 (s. Lit.), erstere ohne wissenschaftlichen Anspruch „in dankbarer Erinnerung an meine Lehrzeit bei Anton Bruckner“ (Adler 1922, S. 209) geschrieben, die andere ein Versuch einer musikgeschichtlichen Einordnung – mit dem Bemerken, diese Aufgabe sei „heute noch nicht lösbar, da sein Einfluß auf die Nachwelt nicht geklärt ist“ (In memoriam Anton Bruckner, S. 7). Zu dessen Begabung meinte er: „Wer nicht Bruckner auf der Orgel phantasieren hörte, kennt nicht völlig die Macht, die Urkraft seiner Begabung und Eigenart.“ (In memoriam Anton Bruckner, S. 8). Im Unterschied zu Mahlers Streben nach „Vergeistigung des Gehaltes“ wollte nach Adler Bruckner in seinem Schaffen „zeitlebens nur sein Empfindungs- und Gefühlsleben, seine Anbetung Gottes und seine Freude am irdischen Dasein […] zum Ausdruck bringen“ (In memoriam Anton Bruckner, S. 16), wobei letzteres offensichtlich auch auf die Volksnähe als eines der wesentlichen Elemente der Musik Bruckners zu beziehen ist. Bruckners Komponieren sei im Unterschied zu Johannes Brahms nicht auf konsequenten thematisch-motivischen Gesamtaufbau gerichtet, bei ihm sichere eine weite Bogenführung den Zusammenhalt der Gedanken, die „gleichsam geschieden aufeinanderfolgen“ (In memoriam Anton Bruckner, S. 12) – eine Auffassung, die ins radikal Positive verkehrt an Hanslicks Charakterisierung des „Musivischen“ erinnert. Mit Hanslick gemeinsam ist auch die Polemik gegen das Tun der Schüler und Verehrer Bruckners, die bei Konzerten „den greisen Componisten selbst zum Opfer ihrer Beifallsschlachten machten“ (Neue Freie Presse 12.7.1892, S. 6). In Bezug auf die Erschließung von Bruckners Werk wird mit deutlichem Blick auf die Bruckner-Apostel gefordert, dass sie „nicht als Privileg einzelner ‚Eingeweihter‘ gelte, die die Tradition des Bruckner-Vortrages als ihr Sonderrecht ansehen und vindizieren. […] Hier muss es heissen: ,littera scripta manet‘ […] Und ich glaube, mich damit dem Willen und Wollen des toten Meisters genähert zu haben, botmässig zu sein. Dies ist eine der wichtigen Aufgaben der Gemeinden, die sich seinem Dienste widmen.“ (Adler 1922, S. 209).

Schriften
  • Die historischen Grundclassen der christlich-abendländischen Musik bis 1600. Diss. Wien 1880
  • Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 1 (1885), S. 5–20.
  • Die Musik- und Theater-Ausstellung [Rezension der Aufführung der Dritten Symphonie unter Ferdinand Löwe am 9.7.1892], in: Neue Freie Presse 12.7.1892, S. 6
  • (Hg. gem. mit Wilhelm von Weckbecker), Fach-Katalog der Musikhistorischen Abtheilung von Deutschland und Oesterreich-Ungarn nebst Anhang: Musikvereine, Concertwesen und Unterricht. Wien 1892, S. 383, 385
  • Richard Wagner. Vorlesungen gehalten an der Universität zu Wien. Leipzig 1904
  • Der Stil in der Musik. Leipzig 1911; 21929
  • Gustav Mahler. Wien–Leipzig 1916
  • Methode der Musikgeschichte. Leipzig 1919
  • Bruckner. Weihe-Erinnerung eines Schülers, in: Der Auftakt 2 (1922) H. 8/9, S. 209ff.
  • Anton Bruckners Stellung in der Musikgeschichte, in: In memoriam Anton Bruckner, S. 7–20; auch in: Die Musikerziehung 3 (1926), S. 3–6, 32ff.
  • Handbuch der Musikgeschichte. Frankfurt am Main 1924; 2. Aufl. Berlin-Wilmersdorf 1930
  • Wollen und Wirken. Aus dem Leben eines Musikhistorikers. Wien 1935
Literatur

THEOPHIL ANTONICEK, BARBARA BOISITS

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 19.2.2020

Medien

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Normdaten (GND)

Adler, Guido: 118500694

Links

ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft