Dessoff, Felix Otto

* 14.1.1835 Leipzig, Sachsen/D, † 28.10.1892 Frankfurt am Main, Hessen/D. Dirigent und Komponist.

Er war der Sohn des bereits 1838 verstorbenen Tuchhändlers Ludwig Dessoff und sollte ebenfalls Kaufmann werden. Aufgrund seines musikalischen Talentes erhielt er Klavierunterricht durch die Mutter Emma, geb. Herzfeld, später durch ältere Konservatoristen. Nachdem Franz Liszt zugeraten hatte, kam er ans Leipziger Konservatorium, wo er 1851–1854 bei Moritz Hauptmann (1792–1868) Komposition, Ignaz Moscheles (1794–1870) Klavier und Julius Rietz (1812–1877) Dirigieren studierte. Er wurde 1854 zunächst Kapellmeister bei einer Schmierentruppe in Altenburg und kam dann nach Chemnitz und Leipzig, wo er von Georg Meisinger nach Düsseldorf engagiert wurde. Im Gefolge Meisingers, mit dem er Freundschaft geschlossen hatte, ging er 1858 nach Aachen, von dort aber weiter nach Magdeburg und 1859 nach Kassel. Im gleichen Jahr erhielt er die Aufforderung zu einem Probedirigieren an der Wiener Hofoper, das er am 7.9.1859 mit Gioachino Rossinis (1792–1868) Wilhelm Tell absolvierte. Daraufhin wurde er mit Jahresanfang 1860 engagiert. 1861 heiratete er in Görlitz Friederike (1841–1907), die Tochter Meisingers, mit der er sich bereits drei Jahre zuvor verlobt hatte.

In Wien errang er bald eine angesehene Stellung. Im September 1860 wurde er mit großer Mehrheit zum Dirigenten der Philharmonischen Konzerte gewählt und leitete ab November deren Abonnement-Konzerte, die er in 15 Jahren zu einer Blütezeit führte. 1861 übernahm er eine Kompositionsklasse am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, wo er eine Reihe hervorragender Schüler ausbildete (u. a. Ignaz Brüll [1846–1907], Robert Fuchs, Wilhelm Gericke, Friedrich von Hausegger, Joseph Hellmesberger d. J., Heinrich von Herzogenberg [1843–1900], Richard Heuberger, Felix Mottl, Arthur Nikisch, Richard von Perger [1854–1911], Hermann Riedel [1847–1913], Ernst Schuch). Da er in Wien in Konkurrenzstellung zu dem „einheimischen“ Johann Herbeck geriet und auch Anfeindungen ausgesetzt war (vor allem von Ludwig Speidel), ging er 1875 als Hofkapellmeister nach Karlsruhe. 1880 wechselte er als Erster Kapellmeister an die Frankfurter Oper, wo er 1891 auch Abonnement-Konzerte im Theater begründete.

In seinem Gesuch um die Stelle des Direktors beim Salzburger Dommusikverein vom 22.6.1861 (Bewerbungen) gab Bruckner, der erst ab 1868 als Orchesterdirigent hervortrat, an, er habe durch mehrere Saisonen in Wien Proben und Aufführungen und insbesondere „die neuere Geschmacksrichtung, wie die Verfeinerungen des Tactirstabes studirt, wobei ihm Hofkapellmeister Dessof u. Director Herbeck zur Hand gingen“ (zit. n. Hintermaier, S. 7). Letzteres kann nach Meinung Othmar Wesselys nur darin bestanden haben, dass Bruckner beide beim Dirigieren beobachtet habe. Da Dessoff erst ab November 1860 (nach einem Probeauftritt 1859) als Dirigent der Philharmonischen Konzerte in Wien wirkte, müsste sich dieses Beobachten in seinem Fall zwischen diesem Datum und Juni 1861 vollzogen haben, eine Zeit, in der Bruckner immer nur fallweise in Wien war. Möglicherweise ist diese Angabe ebenso erfunden wie jene gleich darauffolgende über „ehrenhafte[ ] Anerkennungen“ für angeblich von ihm geleitete Konzertaufführungen (zit. n. Hintermaier, S. 7).

Die erste Begegnung der beiden dürfte die von Bruckner selbst gewünschte „Reifeprüfung“ zum Lehrer für Harmonielehre und Kontrapunkt am 21.11.1861 an der Orgel der Wiener Piaristenkirche gewesen sein. Dessoff war als Kompositionslehrer Mitglied der Prüfungskommission des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Als er sich weigerte, das Thema der improvisierten Introduktion und Fuge von Simon Sechter auf acht Takte zu verlängern, wurde dies von Herbeck vorgenommen. Dessoff unterzeichnete gemeinsam mit J. Hellmesberger, Herbeck, Sechter und Moritz Alois Becker das hervorragende Zeugnis (22.11.1861).

1864 überlegte Bruckner, ob er die Partitur der erfolgreich aufgeführten Messe in d-Moll neben Eduard Hanslick, Herbeck und eventuell Franz Krenn auch Dessoff vorlegen solle, was aber offensichtlich unterblieb (Briefe I, 641226, an an Rudolf Weinwurm). 1866 übersandte er aber die Partitur der Ersten Symphonie an Herbeck und Dessoff (Briefe I, 660902, an R. Weinwurm), über eine Reaktion ist allerdings nichts bekannt. Schließlich machte Bruckner, nunmehr bereits in Wien, Dessoff mit seiner Symphonie in d-Moll bekannt, um durch ihn eine Aufführung in Wien zu erreichen. Dessoffs gleich zu Beginn gestellte Frage, wo denn das Thema sei (Göll.-A.3/1, S. 228), gab möglicherweise den Anstoß, dass Bruckner die Symphonie schließlich annullierte. Ende Oktober 1872 kam es zu einer Probe der Zweiten Symphonie, nach der Dessoff das Werk als Unsinn und unmöglich aufzuführen bezeichnet habe (einem Brief zufolge von Carl Ferdinand Pohl (1819–1887) an Josef Seiberl vom 2.11.1872 war der anwesende Liszt hingegen „ganz entzückt“, Göll.-A. 4/1, S. 224). Den Vorschlag Bruckners, ihn selbst dirigieren zu lassen, lehnte er als unüblich ab, forderte ihn aber auf, in seine Nähe zu kommen und die Tempi anzugeben. Obwohl das Orchester daraufhin nach jedem Satz applaudierte, blieb es bei der Ablehnung, und zwar wegen der langen Dauer; ein Kürzungsversuch Bruckners war nicht ausreichend. Erst in einem Sonderkonzert der Wiener Philharmoniker anlässlich des Schlusses der Weltausstellung Wien 1873 am 26.10.1873 kam das Werk unter Bruckners eigener Leitung zur Aufführung. Bruckner richtete darauf einen überschwenglichen Dank an das Orchester und bot die Widmung des Werkes an. Sein Brief blieb jedoch vom Orchesterleiter Dessoff unbeantwortet; erst nach dessen Abgang verfasste Hans Richter am 3.10.1875 einen Entwurf zur Annahme der Widmung, der allerdings möglicherweise nicht abgeschickt wurde.

Im September 1874 probte Dessoff die Dritte Symphonie und ließ Bruckner nach dessen Bericht (an Moritz von Mayfeld) „zum Schein suchen u[nd] erklärte (sein Wort, welches er mir noch Anfangs Oktober gab, brechend) später, das Programm sei vollzählig“ (Briefe I, 750112). Wahrscheinlich hatte diese Ablehnung die Umarbeitung des Werkes zur Folge. Eine etwas verächtliche Einstellung Dessoffs gegenüber Bruckners Schaffen kommt auch in einer von Brahms erzählten Begebenheit zum Ausdruck; Bruckner habe bei der Probe eines seiner Werke durch Dessoff diesen demütig darauf aufmerksam gemacht, dass die Tempi zu schnell gewesen seien, was der Dirigent mit der Bemerkung quittierte „Ah, das macht nicht mehr viel aus.“ (Hofmann, S. 149). Dessoff führte mit den Wiener Philharmonikern bis zu seinem Weggang nach Karlsruhe im Jahr 1875 keine einzige Bruckner-Symphonie auf, was sicherlich ein erhebliches Hemmnis für den Durchbruch des Komponisten in Wien war.

Für Dessoff als Dirigenten der Wiener Philharmoniker gilt sicherlich das Urteil Clemens Hellsbergs (* 1952): „Ohne jemals die Genialität Nicolais oder die Faszinationsgabe Eckerts und Herbecks besessen zu haben, war Dessoff zu einer der wichtigsten Figuren der gesamten philharmonischen Geschichte geworden.“ (Hellsberg, S. 184). Das stimmt im Wesentlichen mit dem Urteil von Carl Krebs (1857–1937) überein, Dessoffs Stärke sei weniger feuriges Temperament und Gewalt der Inspiration wie etwa bei Hermann Levi gewesen, hingegen aber sorgfältige, die höchsten Anforderungen künstlerischer Intelligenz erfüllende Ausarbeitung aller Einzelheiten.

Werke
  • 1 Symphonie (verschollen, Fragment?)
  • Kammermusik
  • Klavierstücke
  • Lieder
Literatur

THEOPHIL ANTONICEK, INGRID FUCHS

Zuletzt inhaltlich bearbeitet: 17.1.2020

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Abbildungen

Abbildung 1: Felix Otto Dessoff, in: Deutsche Musik-Zeitung 1 (1874) H. 42, S. 1

Normdaten (GND)

Dessoff, Felix Otto: 116085053

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ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft